Kennen Sie »Schrottwichteln«? In der Weihnachtszeit treffen sich Freunde oder Kollegen und schenken sich Dinge, die sie nicht mehr haben wollen – nur damit der Beschenkte sie dann in der Regel entsorgt. Muss man nicht mögen, kann aber helfen, den eigenen Abstellraum zu leeren …
Vielleicht wäre das ja eine Option für solche Eigner von Containerschiffen, die sich bislang nicht durchringen können, ihre Flotte durch Scrapping-Verkäufe zu verkleinern. Die finale Aufräum-Entscheidung würde sozusagen outgesourct, wie beim Schrottwichteln.[ds_preview]
Aber gut: Spaß beiseite, es geht um zu viel in der Frage des Verschrottungspotenzials. Wie lange hält das Wachstum in der weltweiten Containerschiffsflotte noch an? Wann klettert die Anzahl an Recycling-Verkäufen? Wann ist der Druck auf die Raten zu groß, wann schlagen die neuen Umweltreregulierungen wie der EU-Emissionshandel EU-ETS voll auf den Markt durch? Man weiß es nicht …
Was man aber weiß, ist, dass der Druck ohne jeden Zweifel stetig zunimmt. nicht zuletzt mit Blick auf die ökonomischen und geopolitischen Unsicherheiten, mit denen in den Schifffahrtskontoren umgegangen werden muss. Noch können sich nur wenige Reeder zu Scrap-Verkäufen durchringen, und wenn, dann nur für vereinzelte Schiffe. Druck kommt auch von den Werften, die im Auftrag der Reeder noch jede Menge Neubauten auf den Markt werfen. Im Orderbuch liegen derzeit 7,68 Mio. TEU. Das sind zwar nicht die 60 % der fahrenden Flotte aus der Zeit der großen Blase vor 10 bis 15 Jahren, aber auch 27,9 % müssen erst einmal in das Liniennetz integriert werden.
Vor allem die notwendige grüne Transformation dürfte dazu führen, dass mehr und mehr alte und ineffiziente Schiffe aus dem Verkehr gezogen werden müssen, weil sie absehbar keine Beschäftigung mehr finden. Das gilt erst Recht in einer Phase der Konjunkturschwäche bei hohen Kosten und fallenden Raten.
Zur Einordnung: 10,6 % der Flotte sind älter als 20 Jahre, das sind 1.208 Box Carrier mit 2,9 Mio. TEU. Zusätzliche 21 % haben zwischen 15 und 19 Jahre auf dem Buckel.
Als die Raten während und nach der Corona-Pandemie durch die Decke schossen, war zu verstehen, dass selbst sehr alte Schiffe weiterfuhren, weil selbst sie noch sehr viel Geld einbrachten, die Nachfrage war enorm. Doch nun ist die Ausgangslage eine andere, spätestens ab 2024, wenn die Schifffahrt in den EU-Emissionshandel einbezogen wird. Man darf gespannt sein, ob die Scrapping-Industrie davon in größerem Umfang profitiert – und ob sie an der Preisschraube drehen wird.
Zuvor steht aber erstmal die Weihnachtspause an. Nach einer außergewöhnlich guten Zeit sind die Reeder hart in eine wieder einmal neue Realität geholt worden. Erneut gilt es, sich den Gegebenheiten anzupassen. Ein bisschen Besinnung kann ja dafür vielleicht nicht schaden. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten und Guten Rutsch in ein hoffentlich gutes, gesundes und erfolgreiches Jahr!
Michael Meyer
Stellvertretender Chefredakteur
HANSA International Maritime Journal