Auch 2024 beschäftigen Themen wie Meeresspiegelanstieg, Sturmfluten, Unterwasserschall und autonome Schifffahrt das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Für den Offshore-Windenergieausbau wird der Flächenentwicklungsplan wegen der Ausbauziele der Bundesregierung fortgeschrieben.
Zu den die Arbeit der zentralen maritimen Behörde Deutschlands bestimmenden Themen des vergangenen und des laufenden Jahres informierte das BSH heute in Hamburg. In der Saison 2023/2024 hat die Behörde bereits 16 Sturmfluten an der Nordsee verzeichnet, davon zwei schwere mit mindestens +2,5 m über dem mittleren Hochwasser. Durchschnittlich gibt es an der Nordseeküste 4 bis 6 Sturmfluten pro Jahr – je nach Standort. Die aktuelle Saison ähnelt daher der stürmischen Saison 2021/2022. [ds_preview]
Die sehr schwere Ostsee-Sturmflut vom 19. bis 21. Oktober 2023 sorgte für die höchsten Wasserstände seit 1872. In Flensburg stieg das Wasser bis zu +2,27 m über den mittleren Wasserstand. Auch die Dauer der Sturmflut war außergewöhnlich. In Flensburg lagen die Wasserstände 54 Stunden lang mehr als +1,00 m über dem mittleren Wasserstand.
Langzeitbeobachtungen zeigen bisher keine signifikanten Änderungen hinsichtlich der Häufigkeit und Stärke von Sturmfluten. Der Meeresspiegelanstieg erhöht allerdings das Ausgangsniveau der Wasserstände, auf das eine Sturmflut aufsetzt. Neben dem aktuellen Wasserstand bestimmen Windstärke und Windrichtung, ob eine Sturmflut eintritt. Laut einer BSH-Studie vermehren sich gegen Ende des Jahrhunderts – bei ausbleibenden Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels – die Wetterlagen, bei denen heute Sturmfluten an der Nordseeküste auftreten.
Wärmerekord in der Nordsee
Die Ostsee leidet seit Jahren unter Sauerstoffmangel, besonders in den tiefen Becken. Sturmtief »Zoltan« verursachte im Dezember 2023 schwere Sturmfluten an der Nordseeküste. In der Folge zeichneten Messstationen des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und des BSH den Einbruch großer Mengen von salzreichem, kälterem und sauerstoffreichem Wasser in die Ostsee auf. Es handelt sich um 200 km³ Nordseewasser, mit etwa 1,6 Gigatonnen Salz, das sich nun in der Ostsee verteilt. Es könnte Regionen erreichen, die nur selten belüftet werden. BSH und IOW untersuchen nun, ob dadurch regional der Sauerstoffmangel reduziert wird.
Für die Nordsee war 2023 das drittwärmste Jahr (nach 2014 und 2022) seit Beginn der BSH-Analysen im Jahr 1969. Der September 2023 war der wärmste September seit Beginn der Beobachtungen am BSH. Für die Ostsee war 2023 in Hinblick auf die Oberflächentemperaturen insgesamt weniger extrem als für die Nordsee, vor allem wegen vergleichsweise kühlerer nördlicherer Bereiche. In der deutschen AWZ der Ostsee war 2023 ebenfalls das dritt- bis viertwärmste Jahr seit Beginn dieser Datenreihe 1990, auch hier besonders im Herbst. In Nordsee und Ostsee war es bereits das elfte Jahr in Folge, das wärmer war als das langjährige Mittel von 1991 bis 2020.
Das europäische Copernicus-Programm stellt aus Satellitendaten extrahierte Informationen über den physikalischen und biologischen Zustand der Meere und Klimaüberwachungsdaten der Vergangenheit zur Verfügung. Das BSH beteiligt sich daran, indem es Messdaten und operationelle Vorhersagen für Nordsee und Ostsee bereitstellt. Am BSH ist auch die nationale Fachkoordination für den Copernicus-Dienst zur Überwachung der Meeresumwelt angesiedelt. Copernicus soll künftig mehr Informationen zu klimarelevanten Fragestellungen liefern: Unter anderem umfassende Simulationen, in denen Auswirkungen auf die Biodiversität und das Meer als Lebensmittelquelle gezeigt werden. Dies wird im EU-Projekt Neccton mit BSH-Beteiligung erarbeitet.
Im internationalen Ozeanbeobachtungsprogramm Argo werden autonome Treibkörper (Floats) eingesetzt, um kontinuierliche Messungen zu generieren und beispielsweise Analysen zur Erwärmung und zum Meeresspiegelanstieg durchzuführen. Am BSH wird der deutsche Beitrag zum globalen Argo-Messsystem koordiniert. Pro Jahr steuert das BSH etwa 50 Geräte bei und kümmert sich auch um die Daten-Qualitätskontrolle. Erst durch Argo sind genauere Aussagen zum Klimawandel im Ozean möglich geworden. Seit 2023 setzt das BSH auch Geräte ein, die Messungen zur CO2-Aufnahme des Ozeans und zu Sauerstoffmangelzonen durchführen und damit den Nutzen des Messsystems erweitern.
Flächenentwicklungsplan für Offshore-Wind
Im September 2023 hat das BSH den Vorentwurf zum nächsten Flächenentwicklungsplan (FEP) veröffentlicht. Der aktuelle FEP enthält das Ausbauziel von 30 GW bis 2030. In der Fortschreibung werden Flächen nach Möglichkeit bis zu 70 GW bis 2045 identifiziert, mindestens aber Festlegungen für Inbetriebnahmen von Offshore-Windparks und Netzanbindungssystemen bis 2037.
In der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee und Ostsee und im Küstenmeer sind zurzeit 1.564 Windenergieanlagen installiert mit einer Leistung von ca. 8,4 GW. Im Bau bzw. kurz vor Baubeginn sind vier weitere Windparks mit einer Leistung von 2,54 GW.
BSH arbeitet an Einführung der dynamischen Seekarte
Gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten der Internationalen Hydrographischen Organisation entwickelt das BSH bis 2026 eine dynamische Seekarte. Durch Daten zu Strömung und Wasserstand in Nahe-Echtzeit können Routen optimiert werden. Je besser der Abstand vom Kiel zum Meeresboden, desto effizienter fährt ein Schiff. Nordsee und Ostsee werden durch Treibstoffeinsparungen der Schiffe profitieren. Optimierte tideabhängige Navigation durch aktuelle Tiefenangaben wird ermöglicht. Der Beitrag zum Schutz der Meeresumwelt wird durch Informationen zu Meeresschutzgebieten und Umweltinformationen erhöht. Der Raum zum Navigieren wird deutlich erweitert.
2023 hat die Internationale Hydrographische Organisation ein einheitliches Seekartennull für die Ostsee eingeführt. Das neue Seekartennull der Ostsee ist nunmehr an den amtlichen deutschen Höhenbezug an Land angepasst. Das erleichtert viele Anwendungen, zum Beispiel im Küstenschutz. Ein einheitliches Seekartennull ist auch Voraussetzung für 3D-Satellitennavigation und ebnet nach Angaben des BSH den Weg für eine zunehmend automatisierte Schifffahrt. Auch in der Nordsee soll der Höhenbezug wesentlich genauer werden.
»Autonome Schifffahrt braucht behördliche Expertise«
Das BSH unterstützt nach eigenen Angaben die Schifffahrt bei dem Trend zu Autonomem Fahren mit staatlicher Expertise. Um Wissen über neue Systeme aufzubauen, begleitet das BSH den Innovationsprozess maritimer Navigations- und Kommunikationstechnologien, speziell mit Künstlicher Intelligenz: zum Beispiel begleitete es mit B ZERO ein Projekt zur zeitweilig wachfreien Brücke. »So gewonnene Einblicke helfen den BSH-Beschäftigten, das internationale Regelwerk weiterzuentwickeln und Ministerien und die Schifffahrtsbranche zu beraten«, so die Behörde.
Die Schifffahrt leide unter Fachkräftemangel. Neue Technologien könnten dazu beitragen, neue, attraktive Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. »Mehr Automatisierung hilft, menschliches Fehlverhalten zu reduzieren und so das Unfallrisiko zu senken. Automatisierung kann zudem zu energieeffizienterem Fahren beitragen, wodurch weniger Schadstoffe ausgestoßen werden und so der Umweltschutz verbessert wird«, eklärt das BSH.
2024 bringt Meeresumweltsymposium und ein Jubiläum
Der Sturmflutwarndienst der Nordsee wurde 1924 offiziell eingerichtet und feiert im September dieses Jahrs sein 100-jähriges Jubiläum. Dazu plant das BSH am 17. September 2024 eine Pressekonferenz. 2024 steht mit dem Meeresumweltsymposium im Mai ein weiterer inhaltlicher Höhepunkt beim BSH an.
Die 30 und 34 Jahre alten BSH-Schiffe »Wega« und »Deneb« müssen ersetzt werden. Derzeit läuft das Interessenbekundungsverfahren für die Ersatzbauten. Dabei werden nach Angaben des BSH »höchste Umweltstandards« angestrebt. Außerdem seien die Ersatzbauten wichtige Voraussetzung für die Erreichung der Klimaziele mit der BSH-Flotte.