Abbruch des Fregatten-Projekts F126? Optionen und Folgen

Das größte Marinebauvorhaben der Bundesrepublik seit 1945, das Fregattenprojekt F126, ist von erheblichen Verzögerungen und Kostensteigerungen gezeichnet. Die ursprünglich für 2028 geplante Auslieferung der ersten Fregatte wird sich voraussichtlich bis mindestens 2031 verzögern.
Die kritische Fähigkeitslücke in einer Zeit erhöhter geopolitischer Spannungen haben eine Debatte um einen möglichen Abbruch des Milliardenprojektes und ein Ausloten möglicher Optionen entfacht. Angesichts der Bedrohungswahrnehmung aus Russland wird Zeit zu einem entscheidenden Kriterium. Eine Neubewertung lässt die Betrachtung mutiger Alternativen – darunter die Rolle maritimer unbemannter Systeme – nicht aus.
Dieser Beitrag ist zuerst im HANSA-Schwestermagazin “Europäische Sicherheit & Technik“ erschienen.
Die F126-Saga – ein Mahnmal für die Beschaffung
Die Fregatte F126, auch bekannt als Niedersachsen-Klasse, soll die alternden Fregatten der Brandenburg-Klasse (F123) ersetzen und als Mehrzweckkampfschiff für globale Operationen dienen. Der ursprüngliche Auftrag für vier Schiffe im Wert von 5,5 Milliarden Euro wurde im Juni 2020 an die niederländische Damen Shipyards Group vergeben. Mit der Auftragsvergabe verpflichtete sich Damen, einen großen Teil der Wertschöpfung in Deutschland zu generieren.
Dementsprechend sollte die Konstruktion mit der zur Naval Vessels Lürssen-Gruppe (NVL) gehörenden Blohm&Voss erfolgen.
Mit der Option für zwei weitere Schiffe im Juni 2024 stieg der Gesamtauftragswert auf rund 9,8 Milliarden Euro.
Hauptursache für die Schieflage des Projektes sollen massive Probleme bei den IT-Schnittstellen und der Übertragung von Konstruktionsplänen zwischen Damen Naval und den deutschen Subunternehmern sein. Zumindest nach der offiziellen Sprachregelung. Die Beherrschung der französischen Dassault-Software, die für die Konstruktionszeichnungen unerlässlich ist, bereitet Schwierigkeiten und führt zu umfangreichen Nacharbeiten beim Auftragnehmer selbst und auf den deutschen Werften. Dies hat zu einem Stillstand in der Phase des „Detailed Design“ geführt, was die Auslieferung der ersten Einheit um mindestens zwei Jahre verzögert. Mittlerweile werden von Insidern vier Jahre angenommen. Bundestagsabgeordnete sehen das Projekt inzwischen als gescheitert und fordern einen Abbruch sowie eine nationale Lösung, um die Handlungsfähigkeit der Marine sicherzustellen.
Die finanziellen Auswirkungen sind gravierend. Dokumente des Deutschen Bundestages belegen, dass bereits 1,829 Milliarden Euro im Kontext des F126-Projekts als Geldfluss nachweisbar ist – eine Summe, die sich aus Ist-Ausgaben der Jahre 2020, 2021 und 2024 sowie Soll-Veranschlagungen für 2022 und 2023 zusammensetzt. Diese Mittel dürften Vorleistungen für Planung, Infrastruktur oder Technologietransfer umfassen. Die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Darstellung und den dokumentierten Haushaltsansätzen wirft Fragen nach der Transparenz auf.
Für Damen Naval selbst hat die Verzögerung weitreichende Konsequenzen. Berichten zufolge befindet sich das Unternehmen in einer „akuten finanziellen Notlage“, da Zwischenzahlungen des Auftraggebers, die an Fristen und am Erreichen von Meilensteinen gebunden sind, ausgesetzt wurden. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf das F126-Projekt, sondern auch auf andere Großaufträge von Damen, wie die U-Boot-Abwehrfregatten für die Niederlande und Belgien. Ein Abbruch des F126-Projekts würde nicht nur erhebliche finanzielle Verluste in Milliardenhöhe bedeuten, sondern auch einen schwerwiegenden Reputationsschaden für Damen Naval und potenziell weitreichende Auswirkungen auf die europäische Verteidigungsindustrie.
Anzeichen schon früh erkennbar?
Gab es Indizien für die Komplexität des Vorhabens? Im 19. Rüstungsbericht (Redaktionsschluss April 2024, Veröffentlichung im Juli 2024) wurden technische Verzögerungen bei den IT-Schnittstellen zwischen Damen und den Unterauftragnehmern benannt, die man damals noch mit vorhandenen Zeitpuffern kompensieren zu können glaubte. Diese Einschätzung erwies sich im Nachhinein als zu optimistisch. Rückblickend hätte die geringe Bereitschaft der Industrie, in Fachpublikationen wie dem im September 2024 erschienenen Wehrtechnischen Report F126 zu inserieren, als ein frühes Warnsignal für Skepsis oder mangelndes Vertrauen in die reibungslose Umsetzung des Projekts gedeutet werden können.
Auf eine Anfrage zu den Zeitverzögerungen und finanziellen Leistungen bestätigte eine Sprecherin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) lediglich, dass der Auftragnehmer einen Verzug für die Lieferung des ersten Schiffes berichtet habe. Sie erklärte, dass der Auftragnehmer zusammen mit seinen Unterauftragnehmern an einer überarbeiteten Gesamtprojektplanung arbeite. Das BAAINBw nehme Verzögerungen sehr ernst, betonte aber auch die technische und organisatorische Hochkomplexität solcher Großprojekte. Als Reaktion seien interne Steuerungs- und Controlling-Mechanismen angepasst, das Projektmanagement gestärkt und eine engere Abstimmung mit der Industrie zugesagt worden. Diese Stellungnahme, obwohl offiziell, ging nicht auf die spezifischen Fragen nach ausgebliebenen Zahlungen an deutsche Zulieferer oder die Solvenz von Damen ein, was die anhaltende Intransparenz in diesem Projekt unterstreicht.
Bei einem Projektabbruch ergäben sich rechtliche und politische Herausforderungen. In Abhängigkeit vom Vertragswerk könnten Teile der Gelder zurückgefordert werden, insbesondere wenn Damen vertragliche Leistungen nicht erbringt. Einschlägige Muster aus der Rüstung zeigen, dass Rückforderungen langwierige internationale Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen können. Andererseits könnten Konstruktionspläne, begonnene Rumpfsektionen oder Ausrüstung, falls sinnvoll und technisch machbar, für andere Programme (etwa eine modifizierte F126/MEKO-Ausbautype) übernommen werden. In Wolgast wurde die Produktion von zwei achterlichen Abteilungen begonnen und teilweise beendet.
Alternativen im Fokus
Option 1: Neustart durch deutsches Konsortium
Angesichts der anhaltenden Probleme mehren sich die Forderungen nach einem Abbruch des Projekts. Abgeordnete wie Bastian Ernst (CDU) fordern, den Vertrag mit Damen Naval zu kündigen und das Vorhaben unter einem rein deutschen Industriekonsortium unter Führung von TKMS – zusammen mit Naval Vessels Lürssen (NVL) und German Naval Yards – neu zu starten. Diese Option würde nicht nur die deutsche Schiffbauindustrie stärken, sondern könnte auch eine Konsolidierung der Werftenlandschaft in Deutschland durch Fusionen oder Übernahmen bewirken.
Die Frage, ob ein deutsches Konsortium das Projekt im Falle einer Insolvenz von Damen Naval weiterführen könnte, ist komplex. Zwar verfügt die deutsche Industrie über die notwendige Expertise, wie die Beteiligung von Blohm+Voss, Peene-Werft und German Naval Yards als Subunternehmer am F126-Projekt zeigt. Auch TKMS, die bereits im Wettbewerb um die F126 stand, hat bewährte Fregattentypen wie die MEKO A200 im Portfolio, die an die Ansprüche aus Berlin, Koblenz und Rostock angepasst werden könnten. Die Herausforderung mag in der gleichzeitigen Belastung durch das Fregattenbauprogramm F127, das TKMS als Generalunternehmer bauen möchte, liegen. Zwei Projekte dieser Dimension dürften nicht einfach zeitgleich zu stemmen sein, selbst wenn auf bestehende Designs zurückgegriffen würde. Welche Priorisierung das BMVg bevorzugt, ist bisher nicht öffentlich bekannt.
Option 2: F127 als die High-End-Lösung mit langer Anlaufzeit
Parallel zur F126-Krise schreitet das Fregattenprojekt F127 voran. Diese Schiffe sind als Ersatz für die F124 Sachsen-Klasse konzipiert und sollen ab Mitte der 2030er Jahre in Dienst gestellt werden. Ihre Hauptaufgabe ist die hochmoderne Luftverteidigung – Bekämpfung von Luftzielen einschließlich eines Beitrages zur Abwehr ballistischer und hypersonischer Flugkörper. Mit einer Verdrängung von rund 10.000 Tonnen und der Integration des amerikanischen AEGIS-Kampfsystems mit 64 Vertikalstartzellen (VLS) werden sie eine entscheidende Fähigkeitslücke schließen.
TKMS und NVL gingen im September 2024 ein Joint Venture für den Bau der F127 ein. Die Nutzung der in TKMS-Besitz befindlichen Werft in Wismar soll den Druck auf andere deutsche Marinewerften mindern. Doch trotz der politischen Dringlichkeit und der Schaffung industrieller Voraussetzungen für einen Baubeginn bereits 2025 ist die F127 keine schnelle Lösung. Ihre Komplexität und die Abhängigkeit von Langläufer-Artikeln wie dem Aegis-System bedeuten, dass sie die unmittelbare Fähigkeitslücke, die durch die F126-Verzögerungen entsteht, nicht schließen können wird. Wobei konzeptionell ohnehin zwischen F126 und F127 ein gravierender Unterschied besteht.
Option 3: MEKO A200 als pragmatische Zwischenlösung
Eine diskutierte Alternative ist die schnelle Beschaffung von MEKO A200-Fregatten. Das bewährte und modulare Design von TKMS ist bereits in verschiedenen Marinen weltweit im Einsatz. Mit einer Verdrängung von etwa 3.700 Tonnen ist sie deutlich kleiner als die F126 oder F127, bietet aber das Potenzial für eine schnellere Umsetzung. TKMS hat bereits gezeigt, dass diese Schiffe in relativ kurzer Zeit gebaut werden können, was eine schnelle Vergrößerung der Flotte ermöglichen würde.
Die MEKO A200 ist als Mehrzweckfregatte für die U-Boot-Abwehr geeignet und kann mit Sonarsystemen und Torpedowerfern ausgestattet werden. Sie könnte eine grundlegende ASW-Fähigkeit schneller bereitstellen als die verzögerte F126.
Die Entscheidung für die MEKO A200 könnte zudem ein Signal an die deutschen Marineschiffbauer sein. Obwohl kein vollständiger Ersatz für die ambitionierten F126- und F127-Programme, wäre sie eine pragmatische Brückenlösung, um die akuten Fähigkeitslücken zu mildern.
Option 4: Die disruptive Kraft maritimer unbemannter Systeme
Angesichts der akuten Fähigkeitslücken und der langen Beschaffungszyklen für bemannte Großplattformen gewinnen maritime unbemannte Systeme zunehmend an Bedeutung als Übergangslösung. Unbemannte Luftfahrzeuge (UAVs), Überwasserfahrzeuge (USVs) und Unterwasserfahrzeuge (UUVs) bieten eine vielversprechende Möglichkeit, Lücken kosteneffizient und mit geringerem Risiko für menschliches Personal zu schließen.
UAVs können für Aufklärung, Überwachung und andere ISR-Aufgaben (Intelligence, Surveillance, Reconnaissance) sowie maritime Überwachung und Such- und Rettungsoperationen eingesetzt werden. Ihre Betriebskosten sind erheblich geringer als bemannte Flugzeuge; eine MQ-9B SeaGuardian kostet beispielsweise etwa 5.000 US-Dollar pro Stunde, verglichen mit rund 35.000 US-Dollar für ein bemanntes Seefernaufklärungsflugzeug.
USVs revolutionieren die Seekriegsführung durch Minenabwehrmaßnahmen, Aufklärung, U-Boot-Abwehr und Überwasser-Kampf. Ihre Fähigkeit, in gefährlichen Umgebungen zu operieren und Echtzeitinformationen zu liefern, ist von unschätzbarem Wert. Der Krieg in der Ukraine hat den Kampfwert von Kamikaze-USVs eindrucksvoll unter Beweis gestellt und ihre Entwicklung beschleunigt. Ein Prototyp des Sea Hunter USV wurde für 20 Millionen US-Dollar gebaut, mit Betriebskosten von geschätzten 15.000 bis 20.000 US-Dollar pro Tag – ein Bruchteil der Kosten eines Zerstörers.
UUVs sind für ISR, Minenabwehr, U-Boot-Abwehr und ozeanographische Forschung konzipiert. Sie können in rauen Unterwasserumgebungen operieren und bieten Vorteile in Bezug auf geringere Kosten und kleinere Größe im Vergleich zu bemannten U-Booten. Modelle wie der REMUS 600 oder der Leidos Sea Dart, der bereits ab 150.000 US-Dollar pro Einheit erhältlich ist, ermöglichen eine Massenproduktion. Die Deutsche Marine testet bereits den BlueWhale UUV für die U-Boot-Abwehr und die Überwachung.
Die NATO fördert die Integration und Interoperabilität maritimer Drohnensysteme. Jährliche Übungen wie REPMUS dienen als Testfelder für die Zusammenarbeit unbemannter Systeme mit bemannten Einheiten. Die USA haben zudem neue Richtlinien für die schnelle Beschaffung von Drohnen eingeführt, um bis 2027 eine „vollständige Integration kleiner UAS“ zu erreichen und „jede Einheit mit kostengünstigen, verbrauchbaren Drohnen“ auszustatten. Insgesamt machen Kosteneffizienz, Risikoreduzierung für Personal und die Fähigkeit zur schnellen Bereitstellung Drohnen zu einem wesentlichen Element moderner Seekriegsführung.
Die Integration von Drohnen in die Flotte ist jedoch nicht ohne Herausforderungen. Dazu gehören die Gewährleistung der Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen und mit bemannten Plattformen, die Entwicklung robuster Befehls- und Kontrollarchitekturen, die Cybersicherheit und die Schaffung klarer rechtlicher und ethischer Rahmenbedingungen für den Einsatz autonomer Waffensysteme.
Kurswechsel: Von der Fregattenkrise zur technologischen Avantgarde
Die Krise um das F126-Projekt sollte mehr als ein Weckruf für die deutsche Rüstungsorganisation verstanden werden. Für die ohnehin schon gebeutelte Marine ist sie ein weiterer Rückschlag. Eine Rückabwicklung wäre ein Kraftakt für die Rüstungskooperation in Europa und würde Fragen künftiger internationaler Großprojekte neu aufwerfen. Was sich aufgrund der Schieflage des Vorhabens F126 ohnehin ergibt.
Andererseits verdeutlicht der Fall F126 die Notwendigkeit, die Beschaffungsprozesse radikal zu reformieren und flexiblere, schnellere Lösungen zu finden.
Die Beschleunigung des F127-Programms ist strategisch unerlässlich, aber keine kurzfristige Antwort. Ein Ausstieg aus dem Damen-Vertrag und ein nationales Alternativprogramm wie MEKO A200 könnte eine pragmatische Brücke schlagen, um Präsenz zu erhöhen und grundlegende Fähigkeiten zu sichern. Eine Lösung, die mit finanziellen, rechtlichen und industriepolitischen Risiken verbunden ist. Wobei viel für eine pragmatische, von deutschen Werften realisierbare Lösung spricht, für die politischer Konsens und die Bereitschaft, auch industriepolitisch schwierige Entscheidungen zu treffen, eine Voraussetzung ist.
Eine zusätzliche Option für die Überbrückung der Fähigkeitslücken in der Übergangszeit könnte in der entschlossenen und beschleunigten Integration maritimer unbemannter Systeme liegen. Im Kurs 2025 spricht sich der Inspekteur der Marine dafür aus. Vizeadmiral Jan C. Kaack sieht in einer hybriden Flottenstrategie, die bemannte Großplattformen mit einer wachsenden Flotte von autonomen Systemen synergetisch verbindet, den Weg nach vorn.
Neben den finanziellen Investitionen bedeutet dies einen kulturellen Wandel hin zu mehr Agilität und Risikobereitschaft in der Beschaffung. Wie eine Posse aus dem Bereich der Realsatire wirkt die Beobachtung des Verhaltens des Kanzleramts. Table.Security.Briefings berichtet am 16. Juli, dass das Kanzleramt keine Position zu der F126-Problematik habe. Angesichts einer nicht unrealistischen Chance, den Vorgang als Anlass zu einer Konsolidierung der Werftenlandschaft in Deutschland und vielleicht darüber hinaus zu nehmen, scheinen hier industriepolitische Weichenstellungen ignoriert zu werden.





