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Unfallursachen müssen komplex und systembezogen ermittelt werden. Im ersten Teil des Beitrags befasst sich Diethard Kersandt mit den Hintergründen.

Jede Ebene eines komplexen Systems versucht, sich angesichts einer äußeren Bedrohung zu verteidigen und nutzt dazu ihre spezifischen Mittel. Die[ds_preview] Stärke und das Durchsetzungsvermögen dieser Mittel (oder auch der Grad der Selbstbehauptung / Selbstverteidigung) wachsen in der Regel mit der Stufenleiter des hierarchischen Systems, in dem Widersprüche äußerlich, z. B. durch Unfälle / Ereignisse, sichtbar werden. Das findet nicht immer die Zustimmung der Öffentlichkeit, weil sie das Gefühl hat, nur der Stärkere setze sich durch, und es findet wenig Verständnis in der Fachwelt, weil sie es eigentlich besser weiß und Zusammenhänge erklären kann.

Diese Erscheinungen wird es solange geben, bis der Prozess, in dem Unfälle enstehen können, beliebig interpretiert und bewertet werden kann (einschließlich der Behandlung vor Gericht), in dem die Wurzeln von Ursachenketten nach Gefälligkeit verpflanzt werden können, und solange sich der gesetzmäßige Verlauf von Ursachen und Wirkungen einer objektiven wissenschaftlichen Beschreibung entziehen kann. 

Sucht man dafür nach Ursachen, stößt man auf die gegenwärtigen Mängel in der Beschreibung der wissenschaftlichen Grundlagen für die Führung eines Schiffes (und seiner Besatzung) im umfassenden Sinn (einschließlich der daraus abgeleiteten Methoden der Seeunfallursachenuntersuchung) und auf die unterschiedlichen Interessen einer Prozessebene einerseits, als auch auf die Interessen hierarchischer Ebenen in ihrer ganzen Komplexität andererseits. Vergleiche: http://www.forum-schiffsfuehrung.com/resources/pdf/Handbuch_01_KE.pdf und http://www.forum-schiffsfuehrung.com/resources/pdf/Seemannschaft_S&H_1.pdf

Die Problembeschreibung ist nicht neu: »Marine casualties usually occur through a chain of events ending in one or more unwanted effects. This chain of events begins with hazards capable of causing casualties. If there are no hazards, there are no casualties. An equipment failure, human error, or external event is necessary for a hazard to cause an accident (i. e., a marine casualty). …The causes … are typically weaknesses in management systems, which create errorlikely situations for people and vulnerabilities in equipment.« [1] 

Fehler sind nicht das alleinige Ergebnis von Fehlern des menschlichen Operateurs, sondern »… a result of technologies, work environments, and organizational factors which do not sufficiently consider the abilities and limitations of the people who must interact with them …« [2]

Das Verhalten von Menschen wird immer durch eine Reihe von Bedingungen und Faktoren geprägt. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, sich mit eben diesen Bedingungen und Faktoren zu beschäftigen, wenn man die Ursachen einer nicht beabsichtigte Wirkung untersucht. Zum System »Schiffsführung« in seiner Gesamtheit gehören Individuen (Nautiker), Gruppen (Art, Anzahl und Qualität der Brückenbesetzung), Organisationen (Reeder, Behörden, Leitstellen), Orgainsationsumwelt (Regularien, Gesetze, Ordnungen), natürliche Umwelt (See, Land, Wetter) und Technik (technische Brückensysteme), die unter sich interaktiv wirken, auf Anforderungen reagieren und gewollte Wirkungen planen und gestalten. Nähere Ausführungen über die Schiffsführung findet man unter: http://www.forum-schiffsfuehrung.com/resources/pdf/SCHIFFSFÜHRUNG_Teil1.pdf und http://www.forum-schiffsfuehrung.com/resources/pdf/SCHIFFSFÜHRUNG_Teil2.pdf

Moreton [3] unterscheidet beim »menschlichen Versagen« in 

1) Aktives Versagen: Fehler und Störungen, die einen direkten ungünstigen Einfluss haben, das heißt mit den Aktivitäten der in »vorderster Linie« stehenden Personen, z.B. Kapitän und / oder Navigationsoffizier in Zusammenhang stehen.

2) Verstecktes Versagen: Entscheidungen oder Handlungen, bei denen die schädigende Wirkung für eine lange Zeit verborgen bleibt. Sie werden erst sichtbar, wenn sie mit örtlichen Auslösungsfaktoren verknüpft werden (z. B. aktives Versagen, technische Fehler, atypische Systembedingungen), um den Systemschutz zu durchbrechen. Sie können am besten als Möglichkeit beschrieben werden, die bereits vor dem Erscheinen eines wahrnehmbaren Unfallablaufs innerhalb des Systems vorhanden war. Sie sind am wahrscheinlichsten, um Aktionen herbeizuführen, die sowohl in Zeit als auch Raum von der direkten Mensch-Maschine-Schnittstelle abgeleitet werden können: Ausrüstungsgestalter und Hersteller, Schiffbauer, oberste Führungsebene, Regulierungsbehörden und Schifffahrtsmanager (vergl.: [3])

Nach Moreton [3] ist der organisationale Rahmen der Arbeitsumwelt auf einer Schiffsbrücke komplex. Versäumnisse des einzelnen Navigationsoffiziers gehen deshalb weit über den Bereich der Brücke hinaus. Ein Fehler durch einen einzelnen Offizier, der zu einem Unfall führt, sollte deshalb nicht isoliert betrachtet werden, sondern in Relation zu anderen Faktoren, die das Navigationssystem beeinflussen. Die­se Feststellung gilt sicher nicht nur für das Navigationssystem.

Rasmussen (Rasmussen J., (1990): Human Error and the problem of causality in analysis of accidents, Philosophical Transactions of the Royal Society, London, B 327, pp 449–462) fand heraus, dass die Identifikation der Unfallursachen vom Ziel der Analyse abhängt, d. h. ob es das Ziel ist:

• den Ablauf der Ereignisse zu erklären

• die Verantwortlichkeit und die Schuld zuzuordnen

• mögliche Systemverbesserungen herauszufinden.

Der Verfasser wählt vier Beispiele aus, um den Zusammenhang bzw. den Widerspruch von persönlichem Fehlverhalten (das wäre nach Moreton »aktives Versagen«) und Systembedingungen (nach Moreton »verstecktes Versagen«) darzustellen: 1. Untergang des Fischkutters »Beluga«, 2. Seeunfall auf der Fregatte »Mecklenburg-Vorpommern«, 3. Berührung eines Brückenpfeilers durch das Containerschiff »Cosco Busan« und 4. Ereignisse auf dem Segelschulschiff »Gorch Fock« (bis zum jetzigen Kenntnisstand / 31.01.2011). Ziel der Analyse war es stets: mögliche Systemverbesserungen herauszufinden.

Dabei wird auf Einzelheiten der ermittelten Unfallursachen verzichtet und auf die folgenden Quellen hingewiesen: 

• Fischkutter »Beluga«: http://www.forum-schiffsfuehrung.com/resources/pdf/Fischkutter_BELUGA_Artikel.pdf

• Containerschiff »Cosco Busan«: http://www.forum-schiffsfuehrung.com/resources/pdf/CBusan_Veroeff_2.pdf

• Fregatte »Mecklenburg-Vorpommern«:

http://www.forum-schiffsfuehrung.com/resources/pdf/FMPartikel.pdf

http://www.forum-schiffsfuehrung.com/resources/pdf/TodaufSee_Vortrag.pdf

Im Falle des Unterganges des Fischkutters »Beluga« wurde »offiziell« von einem Fehlverhalten des Kapitäns ausgegangen, der nicht dafür gesorgt hätte, die Reise mit einem seeetüchtigen Schiff anzutreten. Mit Wasser im Fischladeraum und durch bauliche Veränderungen begünstigt, soll das Schiff keine ausreichende Stabilität besessen und in Resonanzschwingungen gekommen sein, Wasser übernommen haben, das durch eine offene Seitenklappe und offene Ventile im Fischverarbeitungsraum in das Schiff eingedrungen sei und es schließlich nach etwa 1,5 Stunden zum Kentern und zum Untergang gebracht hätte.

Der Verfasser kam wie drei andere Gutachter (deren Gutachten vom Gericht nicht anerkannt wurden) nicht zu diesem Ergebnis, sondern versuchte, das Verhalten des Kapitäns (bei fehlenden Zeugen) mit dem Nachweis von Spuren, mathematischen Berechnungen der Resonanzbedingungen und dem Selbstrettungsverhalten der Besatzung zu begründen. Das geschah mit dem Verständnis, dass sich für jedes Verhalten / Ereignis ein Zusammenhang mit den Bedingungen, unter denen es eintreten konnte, herstellen und logisch begründen lässt (jedes Ereignis ist ein Bestandteil eines komplexen Ereignisraumes).

Worin bestanden nun die Widersprüche zwischen dem »offiziellen« Fehlverhalten und den Ursache-Bedingung-Zusammenhängen?

1. Schadspuren am Schiff ließen sich auf einen Fremdeinfluss zurückführen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit den Unfall plötzlich herbeigeführt hatte.

2. Die Formel zur Berechnung resonanznaher Bedingungen war mathematisch falsch und hätte nicht dazu dienen dürfen, in Zusammenhang mit einem vermeintlichen Stabilitätsverlust die Übernahme von Wasser zu begründen (ein naturwissenschaftlich falsches Gutachten wurde mit ca. 42.0 TDM honoriert)

3. Die Wind- und Wetterbedingungen, insbesondere die geringe Wellenhöhe von etwa 50 cm, konnten in Verbindung mit dem Kurs und der Fahrt des Schiffes keine derartigen Resonanzschwingungen hervorrufen, die das Schiff Wasser übernehmen ließ.

4. Die Bekleidung der später aufgefundenen Verunglückten und fehlende individuelle Rettungsmittel ließen die Schlussfolgerung auf ein unvermutetes und plötzliches Ereignis zu, nicht aber eine Ereignisverlauf von ca. 1,5 Stunden. 

Die durch die Gutachter vorgenommene und notwendige der Einordnung des finalen Ereignisses in diese Zusammenhänge gab allen Anlass, das »offizielle« Ermittlungsergebnis anzuzweifeln.

Die Berührung eines Brückenpfeilers der San Francisco Bay Bridge durch das Containerschiff »Cosco Busan« bei verminderter Sicht und unter Lotsenberatung wurde offiziell auf eine zu hohe Geschwindigkeit des Schiffes, die gesundheitliche Eignung des Lotsen und mangelndes Bridge Team Management zurückgeführt. Die »exzellente« Funktionsfähigkeit des Radars und die Qualität der Radaranzeigen wurde durch die Herstellerfirma bescheinigt. Außerdem hätte der Kapitän die Reise schlecht vorbereitet.

Auch bei dieser Ursachenermittlung wurde durch die Behörden eine komplexe Einordnung der Ereignisse in ein logisches Ursache-Bedingungssystem übersehen. Der Verfasser stimmt vielen Ermittlungsergebnissen zu, widerspricht aber der einseitigen und teilweise nicht begründbaren Konzentration der Ursachen auf das Fehlverhalten des Lotsen bzw. des Kapitäns. Wie kann diese Einschätzung begründet werden?

1. Die Anzeigen des Radargerätes waren in einem bestimmten Abstand zur Brücke so fehlerhaft und irreführend, dass sie dazu beitrugen, den Zeitpunkt eines Handlungseingriffes soweit zu verzögern, dass das Schiff ein eingeleitetes Drehmanöver nicht beendet konnte.

Besondere Reflexionseigenschaften der Brückenkonstruktion in Verbindung mit den Wetterbedingungen, der Abstand zwischen Reflexionsfläche und Radarantenne sowie die benutzten Radarfrequenz begünstigten fehlerhafte Anzeigen.

2. Die mangelhafte Unterscheidbarkeit der RACON-Signale sowie die nur sehr kurz und dann auch noch gestört und mehrdeutig auftretenden Kennungen einerseits sowie die zu Fehlinterpretationen neigende lokale Positionierung der Signale in der Mitte der Brückenbögen und nicht auf den Pfeilern selbst.

3. Die Untersuchungsbehörde verkannte die handlungsregulierende Wirkung eines erwarteten Signals und die daraus folgenden logischen (aber falschen!) Entscheidungen / Aktionen (Problem der Informationsverarbeitung)

4. Die Rolle der Verkehrsberatung in Verbindung mit Kommunikationsversuchen zum falschen Zeitpunkt erhöhten die Komplexität des Problems und den Schwierigkeitsgrad seiner Lösung.

5. Die fehlende optische Kennzeichnung der vorgeschriebenen Wegeführung unter der Brücke mit Richtungspfeilen für den ein- und ausgehenden Verkehr sowie die unauffällige Darstellung der Pfeiler im Gegensatz zu den auffälligen Symbolen der RACON-Signale in ECS und Papierseekarte führte beim Kapitän zu Irretationen.

Im Rahmen des NATO-Manövers »Strong Resolve« ereignete sich in der Pommerschen Bucht ein Seeunfall mit tödlichem Ausgang. Während eines Personentransfers von der britischen Fregatte HMS »Cumberland« zur deutschen Fregatte »Mecklenburg-Vorpommern« mit einem britischen Speedboot kamen zwei deutsche Marinesoldaten um ihr Leben.

Der Havariebeauftragte der Marine unterbreitete folgenden Vorschlag für die »Entscheidungsformel«: »… Der Kommandant der Fregatte ›Mecklenburg-Vorpommern‹ hat sich fehlerhaft verhalten, indem er es unterließ, unverzüglich sein einsatzbereites Motorrettungsboot als zusätzliches Rettungsmittel zu Wasser bringen zu lassen … Der Havarieausschuss ist der Auffassung, dass ein sicherer Einsatz des MRB unter den obwaltenden Umständen nicht nur möglich, sondern geboten gewesen wäre. Die Stellungnahme des Kommandanten überzeugt den Havarieausschuss nicht … 

… Der Kommandant … hat sich fehlerhaft verhalten, indem er es unterlassen hat, das einsatzbereite Motorrettungsboot auszusetzen, um ein weiteres wichtiges Rettungsmittel verfügbar zu machen. Dies um so mehr, als drei der Verunglückten Soldaten seiner Besatzung waren, denen er in besonderer Weise zu Fürsorge (§ 10 SG) und Kameradschaft (§ 12 SG) verpflichtet war.«

In einer längeren Untersuchung hat der Verfasser versucht, die Hintergründe für diesen bedauerlichen Unglücksfall auf See zu ermitteln. 

Im Dezember 1995 fand eine Überprüfung der Motorrettungsboote mit dem Ziel statt, ihre Eignung für den Boardingeinsatz im Rahmen KRK (Krisenreaktionskräfte) zu bewerten. In dem »Einzelbericht Motorrettungsboot im Boarding-Einsatz vom 06.Januar 1995« wird eingeschätzt: »Das Motorrettungsboot ist für den Einsatz in der Boarding-Rolle nicht geeignet. Es hat gravierende technische und konstruktive Mängel, die z. T. eine erhebliche Gefahr für das Boardingteam darstellen.«

Der Prüfbericht enthält u. a. auch Feststellungen über die Probleme beim Manövrieren, beim An- und Ablegen und bei der Fahrt im Seegang (»Der Rudergänger kann bei den auftretenden großen Gierwinkeln das Boot ab etwa 1m Seegangshöhe kaum noch auf Kurs halten. An- und Ablegen wird problematisch.«).

Schlussfolgerung: »Die Erklärung der Truppenverwendbarkeit des Motorrettungs­bootes für den Boardingeinsatz wird aus o. a. Gründen nicht empfohlen.«

Eines der MRB wurde deshalb durch ein Speedboot mit Kranaussetzvorrichtung ersetzt. Der Bordladekran erwies sich jedoch aufgrund sicherheitstechnischer Mängel als völlig ungeeignet und wurde stillgelegt.

Die Mitteilung von MARA ML 42 vom 02.11.2001 an BMVg WV IV 5 enthält diese Konsequenz: »… Stilllegungsverfügung. Hiermit wird ab sofort die weitere Nutzung des BLK Fregatte KL 123 untersagt … Da sämtliche Fregatten KL 123 hiervon betroffen sind, ist die Zulassung einer weiteren Teilnahme am Seeverkehr ebenso eine ministerielle Grundsatzentscheidung …«

»Auf der Grundlage der … lasse ich … zu, dass die Fregatten Kl 123 … ohne einsatzbereite Bootsaussetzvorrichtung für das Motorboot, See am Seeverkehr teilnehmen.

… Die Ausnahmegenehmigung ist mit folgenden Nebenbestimmungen verbunden:

1. Das an Bord mitgeführte Motorrettungsboot und seine Aussetzvorrichtung muß (Originaltext – d. Verf.) uneingeschränkt einsatzbereit sein.

2. Das Motorboot, See muß als solches funktionsfähig sein.

3. Die PME-Maßnahmen an der Bootsaussetzvorrichtung und dem Motorboot, See sind weiterhin im vorgegebenen Umfang durchzuführen.«

»… Nach wiederholten technischen Problemen mit dem BLK ist … trotz Einschränkung der Seenotrettungsmittelkapazität allein in den vergangenen zwei Jahren über 25 Ausnahmegenehmigungen die Teilnahme am Seeverkehr ermöglicht worden …«

Nach Auffassung des Verfassers offenbaren sich folgende Zusammenhänge:

1. Die Manöver der britischen Fregatte »Cumberland« waren aus seemännischer Sicht schlecht vorbereitet und führten deshalb nicht zum erwarteten und möglichen Erfolg. 

2. Mit Kälteschutzanzügen ausgerüstete deutsche Seeleute hätten, wie die britischen Soldaten, das Unglück überlebt; Ausrüstung und Gebrauch dieser individuellen Rettungsmittel für den vorgenommenen Personen-Transfer waren in der Bundesmarine nicht geregelt.

3. Die Ausrüstung der deutschen Fregatte »Mecklenburg-Vorpommern« mit kollektiven Rettungsmitteln entsprach nicht der befohlenen Einsatzaufgabe des Schiffes und verstieß damit gegen SOLAS (International Convention for the Safety of Life at Sea) Bundesministerium der Verteidigung am 23.08.1996 / Ausnahme Nr. 1/96/:

»Die Vorschriften der zivilen Schifffahrt, hier insbesondere die Schiffssicherheitsverordnung (SchSV), das Internationale Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS 74/88) und die UVV-See (VBG 108) sind folglich Maßstab für den Sicherheitsstandard auf Schiffen der Bundeswehr und spiegeln sich in den Bauvorschriften für Schiffe der Bundeswehr (BV) wieder.«

4. Die Ausrüstung entsprach auch nicht der Bauvorschrift BV 1830-1 in Verbindung mit der Ausnahmegenehmigung 1/96 vom 23. August 1996, da die den Fregatten der Klasse 123 bis zum 30. Juni 2002 befristet erteilte zweite Ausnahmegenehmigung zur Teilnahme am Seeverkehr (Ausnahme Nr. 02/01) den notwendigen Sicherheitsstandard wegen erheblicher technischer Mängel an den kollektiven Rettungsmitteln nicht aufheben konnte. Die Ausnahmegenehmigung wurde erteilt, obwohl den Aufsichtsbehörden diese Mängel hinreichend bekannt waren.

5. Der Einsatzbefehl für die Teilnahme der »Mecklenburg-Vorpommern« am Manöver »Strong Resolve« stellte unter Beachtung von Punkt 4. einen in Kauf genommenen Verstoß gegen nationale und internationale Gesetze und Vorschriften dar und kalkulierte damit ein hohes Sicherheitsrisiko für die Besatzung und den internationalen Seeverkehr ein. Ganz grundsätzlich verstieß damit die die Genehmigung erteilende Behörde gegen die ihr übertragene Sorgfalts- und Fürsorgepflicht hinsichtlich den der Bundesmarine und damit dem Staat anvertrauten Soldaten.

6. Die herrschenden Wetterbedingungen in Einheit mit den schlechten Manövriereigenschaften (s. Prüfbericht) ließen den Einsatz des Motorrettungsbootes für die Fremdrettung nicht nur nicht zu, sondern waren aus der Sicht der Beauflagung (Ausnahmegenehmigung) für einen begrenzten Einsatz dieses Bootes unzulässig. 

7. Der Kommandant der deutschen Fregatte handelte im Rahmen einer durch Befehlsstrukturen geordneten und koordinierten Rettungsaktion. Dem Komman

danten der deutschen Fregatte kann weder die Einhaltung seiner Aufgabe bei einer solchen Rettung noch die Einhaltung einer sicherheitsspezifischen Beauflagung (Einsatz des MRB nur bis maximal 1,5 m Wellenhöhe) vorgeworfen werden.

Unter Beachtung der MDv 160/1 Ziffer 6605 und MDv 165/1 Ziffer 301/7 hob er die durch die Aufsichtsbehörde verfügte Stilllegung des BLK für das Speedboat nicht auf, da er annehmen musste, dass die Manöver der »Cumberland« wegen deren Nähe zum Unfallort zum schnellen Aufnehmen der Verunglückten führen mussten und die Gefährdung der eigenen Besatzung wegen eines wahrscheinlichen technischen Versagens dieses Rettungsmittels so groß war, dass der Einsatz in Zusammenhang mit dem ersten Grund nicht zu rechtfertigen war. 

Er hätte in diese Lage gar nicht kommen können, wenn das von der Bundesrepublik Deutschland eingesetzte »Staatsschiff« den internationalen Schiffs-

sicherheitsbestimmungen gerecht geworden wäre. Insofern ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass in (militärischen) Notsituationen bzw. bei Gefahren für das menschliche Leben der Kommandant auf funktionstüchtige und einsatzbereite technische Mittel und Systeme zurückgreifen können muss. Zusammen mit einem hohen Ausbildungsstandard, großem Verantwortungsbewusstsein und menschlicher Reife ist das die wichtigste Bedingung für die Wahrnehmung seiner Kommandofunktion auf See.

8. Das »Fehlverhalten« des Kommandanten der »Mecklenburg-Vorpommern« reduziert sich in Anbetracht der Hintergründe des Unfalles auf das Versäumnis, seine Vorgesetzten bzw. die aktuelle Manöverleitung bei Beobachtung einer Wellenhöhe von 1,5 m und höher darüber zu informieren, dass sein Schiff bei diesen Wetterbedingungen seeuntüchtig wurde und nicht mehr in der Lage war, seine Einsatzaufgabe ohne Verstoß gegen gültige Beauflagungen (Ausnahmegenehmigung) zu erfüllen. Die Unterlassung dieser Pflicht ist für jeden Praktiker verständlich: Die Meldung wäre gleichbedeutend mit der Tatsache, dass die deutsche Fregatte (Wert etwa 1 Mrd. DM) als Bestandteil der NATO-Flotte schon bei Wellenhöhen ab 1,5 m für jeglichen Einsatz auf See ungeeignet war. Das aber war der die Ausnahmegenehmigung erteilenden Stelle der Bundesmarine selbst bestens bekannt. Sie hätte das Schiff wegen unzureichender Rettungsmittel gar nicht auslaufen lassen dürfen.(Moreton [3]: Es ist eine weitverbreitete Auffassung, dass es bei einer Verweigerung des Auslaufens durch den Kapitän wahrscheinlich ist, dass er durch einen anderen Kapitän ausgetauscht wird, der bereit ist loszufahren (Schmeisser M., (1997), Re: Waste et al. again …, Retrieved from the Internet: MARINE-L: 1989, 21 June, 1997).

Nach § 839 BGB handelt der Amtsträger vorsätzlich, wenn er sich bewusst über die verletzte Amtspflicht hinwegsetzt. Zum Vorsatz gehört nicht nur die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich die Pflichtverletzung objektiv ergibt, sondern auch das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit, d. h. das Bewusstsein, gegen die Amtspflicht zu verstoßen. Zumindest muss der Amtsträger mit der Möglichkeit eines solchen Verstoßes rechnen und diesen billigend in Kauf nehmen.

Im zweiten Teil des Beitrags in der nächsten HANSA-Ausgabe geht es um Schlussfolgerungen, insbesondere bezüglich der Ermittlung der wahren Ursachen und Verantwortungsebenen, verdeutlicht anhand einiger Beispiele. 

Autor:

Dr.-Ing. Diethard Kersandt
Dr.-Ing. Diethard Kersandt