Talsohle zieht sich hin

Print Friendly, PDF & Email

Der Zeitchartermarkt ist fast wieder auf dem Tiefstand von vor zwei Jahren angekommen. Alle warten nun auf positive Signale vom Container-Frachtenmarkt, damit die Linien wieder Appetit auf Tonnage bekommen.

In den letzten Wochen des Jahres lässt die Befrachtungsaktivität für gewöhnlich spürbar[ds_preview] nach, und 2011 war da keine Aus­nahme. Die Zahl der gemeldeten Zeitcharterabschlüsse für Containerschiffe sank auf Jahrestiefststand und ließ die beschäftigungslose Flotte deutlich anwachsen – mit Ausnahme einiger Teilsegmente. Vor diesem Hintergrund konnten die Befrachter den Reedern weitere Zugeständnisse sowohl in Bezug auf das Ratenniveau als auch auf die Perioden abringen. Im Beobachtungszeitraum von Ende November bis kurz vor Weihnachten gaben die Tagesraten bei Neuabschlüssen laut dem ConTex-Marktbaro­meter um durchschnittlich 5 % nach. Die Spot-Raten aller gängigen Charterschiffs­klassen vom kleinen Feeder bis zum 5.000-TEU-Panamax-Frachter haben sich in einer engen Bandbreite von 4.000 bis 8.000 US$/Tag verdichtet, womit über Betriebskosten hinaus fast keine Luft mehr für Zinsen und Tilgungen – geschweige denn Ausschüttungen – besteht; jedenfalls bei den Einzelfah­rern. Viele vor der Krise gegründete Einnahmenpools übertreffen das Spotniveau aufgrund der bis Frühsommer getätigten hohen Abschlüsse jedoch deutlich. Die Charterperioden – sofern man noch von Periode sprechen kann – sind in punkto Flexibilität zugunsten der Zeitbefrachter ebenfalls zurück auf Krisenniveau. Extreme Auswüchse wie Anfang 2010, als Laufzeiten von ein bis zwölf Monaten reportiert wurden, sind noch nicht erreicht. Aber mit Perioden von drei bis zehn Monaten für 2.800-TEU-Typen in Südostasien oder ein bis fünf Monate für 1.300-TEU-Schiffe zeigt der Trend doch unheilvoll in diese Richtung.

Nach der jüngsten Alphaliner-Zählung hatte sich der beschäftigungslose Anteil der gesamten Containerschiffsflotte bis Mitte Dezember binnen zwei Wochen um rund ein Viertel auf 526.000 TEU vergrößert. Bis Anfang Januar gingen die französischen Experten von einem weiteren Anstieg auf 600.000 TEU aus. Etwas mehr als die Hälfte davon entfiel auf linieneigene bzw. vercharterte Tonnage, für die die Carrier im derzeitigen Marktumfeld keinen Einsatz haben. Sie legen die Schiffe kalt auf, um wenigstens beim Bunker zu sparen – obwohl auch für warm aufgelegte Schiffe noch erkleckliche Summen für Brennstoff entstehen, da die Energieversorgung an Bord weiter sichergestellt werden muss. Etwas über 40 % entfielen auf charterfreie Tramp-Schiffe, von denen die meisten weiter auf Standby für mögliche Aufträge sind.

Warten auf den Frühling

Die allgemeine Beruhigung der Befrachtungsaktivität bei anhaltenden Rücklieferungen von Schiffen hat zur Folge, dass sich die Verfügbarkeit wieder ausdehnt. Laut Schätzung eines großen britischen Maklers stieg die Zahl der in den kommenden zwei Monaten verfügbaren Charterfrachter mit einer Behälterkapazität von über 700 TEU seit Anfang November von knapp 380 auf über 400 an. Bei den überwiegend sehr kurzen Charterlaufzeiten, die kürzlich abgeschlossen wurden, tauchen die Schiffe in immer kürzeren Abständen wieder am Markt auf, was Maklern und Flottenmanagern erhebliche Mehrarbeit bereitet. »Das ist fast wie Reisebefrachtung im Bulk-Bereich«, bemerkte ein Londoner Broker.

Zum anderen laufen immer mehr langfristige Perioden, die seit Anfang 2010 im wieder steigenden Markt vereinbart worden waren, aus. »Da könnten zwei Wellen aufeinandertreffen, die den Markt aushöhlen könnten«, äußerte sich ein Hamburger Makler besorgt. Eine Spitze in der Rücklieferung von Charterschiffen zeichne sich für März bis Mai ab. Das hatten viele Reeder zwar so avisiert, als sie ihre Schiffe vergangenen Sommer und Herbst überwiegend kurz- bis mittelfristig vermieteten. Schließlich läuft das Chartering der Linienreeder im zweiten Quartal traditionell auf Hochtouren, weil die Carrier ihren Spitzenbedarf für die Hochsaison im Sommer und Frühherbst decken müssen. Angesichts der eher gedämpften Aussichten für die Weltwirtschaft sei aber fraglich, ob der Markt ausreichend Schwung bekomme, um die vielen Schiffe aufzunehmen, so der Hamburger Makler.

Die Container-Frachtraten und herben Betriebsverluste der Linienreeder in vielen Fahrtgebieten sprechen eine eindeutige Sprache: Es ist immer noch zu viel Kapazität im System. Erst wenn die Frachtraten wieder ein auskömmliches Niveau erreichen, werden sich die Trade-Manager der Linien für neue Dienste und die Eincharterung weiterer Schiffe begeistern lassen. »Die Frachtraten sind die Basis für alles. Daraus wird die gesamte Container-Wertschöpfungskette bezahlt«, unterstreicht ein anderer deutscher Makler. Ein erster dünner Silberstreif zeichnete sich am 23. Dezember durch den leichten Anstieg des Shanghai Containerized Freight Index (SCFI) ab. Das Barometer für Spot-Fracht ex Schanghai zog um 0,4 % an. Auf der Einzelroute zu den europäischen Nordrange-Häfen ermittelten die Panelisten sogar einen Zuwachs um 7,4 % auf 536 US$ pro TEU. Dieser Anstieg beinhaltet allerdings auch die Bunkerkosten und ist damit nach wie vor verlustbringend für die Befrachter. Die Meinungen unter den Marktauguren sind gespalten darüber, ob dies der Anfang eines sich tragenden Aufschwungs ist. Die meisten größeren Carrier haben ihren Kunden Preiserhöhungen für Anfang/Mitte Januar angekündigt, aber wie immer werden diese Bemühungen durch die Marktkräfte reguliert. Selbst in guten Zeiten sind die Vertriebler der Linien schon froh, wenn sie die General Rate Increases zu zwei Dritteln durchbekommen.

Großtonnage satt

Pessimisten meinen, dass die bisher getätigten Rationalisierungen im Rahmen der Winterfahrpläne nicht ausreichen, um Stellplatzverfügbarkeit und Ladungsangebot im Asien-Europa-Verkehr ins Gleichgewicht zu bringen. Auf der Rennstrecke von Fernost nach Nordwesteuropa wurden seit Oktober nur drei Dienste der Grand Alliance, der CKYH-Allianz sowie von Evergreen, China Shipping, Zim ausgesetzt. Gleichzeitig aber nimmt das Stellplatzangebot auf anderen Diensten zu, weil die Carrier mehr und mehr 6.000- bis 8.000-TEU-Schiffe gegen ultragroße Neubauten von 10.000 bis 14.000 TEU austauschen. Die Zahl der im Einsatz befindlichen Mega-Carrier mit Platz für über 10.000 TEU steigt Schätzungen zufolge dieses Jahr um 55 auf 173 Einheiten an. Jedoch wird bei den Importverkehren nach Europa und Nordamerika, die für die Auslastung der großen Schiffe entscheidend sind, nur mit vergleichsweise geringem einstelligen Wachstum gerechnet. Derzeit bilden sich ganz neue operative Bündnisse unter den Carriern (CMA CGM und MSC, Grand Alliance und New World Alliance) heraus, mit dem Ziel, ihre jeweiligen Ladungsmengen auf den größtmöglichen Schiffen zu bündeln und dadurch die Slotkosten zu verringern. Das hilft den Tramp-Reedern zunächst einmal herzlich wenig. Für den Zeitchartermarkt wird entscheidend sein, ob es den Linien gelingt, die durch die Großtonnage verdrängten kleineren Schiffe reibungslos in andere Verkehre zu verlagern. Stockt es irgendwo in dieser »Kaskade«, kann sich temporär ein Überschuss an Tonnage in einzelnen Größenklassen bilden und die Charterraten auf die Rutschpartie schicken – so wie es Mitte 2011 im Panamax-Segment begann.


Michael Hollmann