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Das Wachstum der maritimen Hinterlandverkehre erfordert neue Konzepte

auf der Schiene, um Engpässe zu verhindern.

Angesichts des schleppenden Ausbaus der Schieneninfrastruktur müssen Zug- und Terminalbetreiber im kombi­nierten Verkehr Schiene / Straße alle Hebel in Gang[ds_preview] setzen, um ihre Produktivität zu erhöhen. Ansatzpunkte sind die Steigerung der Transhipment-Leistung in den KV-Bahnhöfen sowie die Verbesserung der Disposition. Dafür sprachen sich Logistik-Manager und -berater auf der Fachkonferenz »Intermodal Europe« Ende 2011 in Hamburg aus.

Druck zur Optimierung der Prozesse kommt vor allem aus dem stark wachsenden Teilsegment der Seecontainer, die großenteils über dieselben Terminal- und Zugsysteme abgewickelt werden wie kontinentale Ladungsträger. Nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts nahm das Transportvolumen auf der Schiene in den ersten neun Monaten um 8,5 % auf 4,5 Mio. TEU zu. Trotz der konjunkturellen Unsicherheiten geht die Cargo-Sparte der Deutschen Bahn, DB Schenker Rail, für die kommenden Jahre weiterhin von höheren einstelligen Zuwächsen aus. Ihre Gesamtprognose für Seehafen- und kontinentale KV-Verkehre zusammengenommen liegt nach Angaben des Leiters für maritime Intermodal-Verkehre, Dr. Eric Pfaffmann, bei 6,4 % pro anno bis 2015. Für die Jahre 2015 bis 2018 wird von Durchschnittszuwächsen von 7,8 % ausgegangen. »Wir sind mit Engpässen konfrontiert, und das wird sich so fortsetzen«, konstatierte Pfaffmann.

Um die Kapazitätsspielräume zu erweitern, müssten die Prozesse im kombinierten Verkehr Schiene-Straße »industrialisiert« werden. Dabei müsse es um die Verstetigung der Abfertigungsprozesse gehen, die sich zu stark auf bestimmte Stoßzeiten zur Wochenmitte konzentrieren. Nachts rollen die KV-Züge, tagsüber stehen sie still, dann wird nur be- und entladen bzw. rangiert. Dieses System könne den steigenden Verkehrsmengen nicht gerecht werden. »Wir müssen zu einem kontinuierlichen Produktionsfluss kommen mit mehreren Abfahrten pro Tag«, bekräftigte Pfaffmann. Dazu müssten Verlader und Logistikdienstleister im Vor- und Nachlauf ihre Betriebs- und Rampenzeiten flexibilisieren. »Diese Themen sind schon seit Jahren im Gespräch, aber sie wurden nicht ausreichend umgesetzt«, mahnte der Manager. Darüber hinaus müssten die Umschlagbahnhöfe ertüchtigt werden, um einen direkten Ladungs-

transfer per Kran zwischen den Zügen zu ermöglichen. Damit entfiele die Notwendigkeit, beim Transhipment Wagengruppen aufzulösen und neu zu bilden. Im Verkehr zwischen dem Hamburger Hafen und Polen sollte das Konzept noch im Dezember 2011 Wirklichkeit werden, so Pfaffmann. Nach Inbetriebnahme eines großflächigen Hub-Terminals in Posen durch den Hamburger Terminalbetreiber HHLA werden erstmals durchgängige Shuttleverkehre aufgenommen. Die von Polzug – einer Gemeinschaftsfirma von HHLA, Deutsche Bahn und PKP Cargo – betriebenen Blockzüge absolvieren zwölf Rundläufe pro Woche zwischen Hamburg und Posen und drei Rundläufe zwischen Bremerhaven und Posen absolvieren. Von dort wird die Ladung sternförmig in Polen verteilt.

KV-Terminals müssen erweitert werden

Solche Nabe-Speiche-Systeme werden nach Expertenmeinung auch im deutschen Hinterland immer wichtiger. Um die Ladung besser an die Seehäfen anzubinden, muss verstärkt zwischen den Zugsystemen umgeladen werden. Für die Provinz müssen mehr kleinteiligere Feeder-Zugverkehre geschaffen werden. Dadurch ließe sich die Effizienz des Systems Schiene beträchtlich steigern. Vorausgesetzt eben, dass die KV-Terminals für das Transhipment fit gemacht werden. »Die existierenden KV-Terminals sind hauptsächlich für die Anforderungen des kontinentalen Verkehrs ausgelegt worden«, verdeutlichte Wolfgang Müller, Chef der Deutschen Umschlaggesellschaft Schiene-Straße (DUSS). Die Anlagen kämen mit geringeren Lagerflächen aus, weil die Wechselbrücken und Sattelauflieger nach dem Umschlag schnell abgeholt würden. »Die Lagerzeiten im Terminal lagen dort bei 24 Stunden. Künftig gehen wir von durchschnittlich 48 Stunden aus«, erklärte Müller. Treiber dieser Entwicklung sei die Umladung Schiene-Schiene von Seecontainern. Die erforderliche Leistung könnten die KV-Hubs erbringen, wenn die Zahl der Lagerspuren unter dem Portalkran von drei auf fünf bis sechs erhöht werde – zuzüglich weiterer Lagerflächen für stapelbare und nicht stapelbare Ladungsträger zu beiden Seiten des Portalkrans. In München-Riem, wo DUSS unlängst einen neuen Transhipment-Abschnitt in Betrieb genommen hat, werde die Transhipment-Leistung folglich von 250.000 auf 350.000 Ladungsträger gesteigert. In Duisburg soll ein ähnlicher Intermodal-Hub Ende 2012 eröffnet werden.

Im italienischen Bologna hat der Betreiber des KV-Hubs Interporto Bologna denselben Weg eingeschlagen. »Unser Wachstum in den vergangenen drei Jahren ist überwiegend durch das Transhipment zwischen Zugsystemen getrieben«, unterstreicht Zeno d’Agostino, Geschäftsführer der Betreiberfirma. »Wir können durch Umladung viel mehr Verbindungen herstellen und unseren Kunden entsprechend mehr Routen anbieten.« Das Verkehrsaufkommen übertreffe längst wieder das Vorkrisenniveau. Nachdem 2010 ein Äquivalent von 250.000 TEU abgefertigt wurde, rechnet der Manager dieses Jahr mit einem Wachstumssprung um 37 %.

Disposition kann optimiert werden

Gleichzeitig rüsten die Bahnbetreiber ihre Dispositionssysteme auf, damit durchgängige Haus-Haus-Verkehre inklusive mehrerer Transhipment-Moves dargestellt werden können. Das Unternehmen Kombiverkehr führt nach Angaben seines Produktionsleiters Heiko Krebs in den kommenden zwei Jahren an allen Standorten sein Dynamic Train Capacity Management System ein, das die Planung eines länderübergreifenden Gesamtlaufs ermöglicht. Bislang seien die Transporte etappenweise geplant und disponiert worden. »Künftig werden wir den Kunden nicht nur nach der Abfahrtszeit sondern auch nach der gewünschten Ankunftszeit fragen. Dadurch können wir nach Bedarf unterschiedliche Routenführungen vornehmen«, erklärte Krebs. Weniger eilige Sendungen könnten dann über Umwege ans Ziel gelenkt werden, wenn auf den Hauptstreckenabschnitten keine freie Kapazität besteht. Dadurch ließe sich der Druck auf die Infrastruktur gleichmäßiger verteilen. Für die Relation Hamburg–Verona gebe es bei Kombiverkehr beispielsweise hundert unterschiedliche Routen, so Krebs.

Die bessere Disposition und Bündelung von Verkehrsmengen werde auf Jahre ein beherrschendes Thema für die Branche sein, prophezeite auch Marian Gaidzik, Geschäftsführer der Transport-IT- und Beratungsfirma Hacon. Bei den meisten KV-Abfahrten würden die zulässigen 700 m Zuglänge mit einem Behälterumfang von 100 TEU gar nicht erreicht. Es seien meistens eher 500 bis 600 m und 60 bis 70 TEU. »Die Züge sehen aus wie das Gebiss eines Greises mit vielen Lücken«, so Gaidzik. Bevor man über größere Zuglängen von 1.000 bis 1.500 m nachdenke, müssen erst einmal die heutigen Grenzen ausgereizt werden, sagte er. »Die Herausforderung besteht darin, echte 700 m mit echten 100 TEU zu erreichen.«


Michael Hollmann