Print Friendly, PDF & Email

Bisher kam nach jedem Abschwung in der Schifffahrt stets ein neuer Aufschwung. Aber die aktuelle Krise ist wegen ihrer komplexen Gesamtgemengelage anders, beschreibt Thorsten Mackenthun vom Bremer Rhederverein die Situation und spricht über Finanzierungsprobleme, die Rolle der Politik, Piraterie und Umweltauflagen

Krise – wirtschaftliche Situation

Ich bin wahrlich kein Euphoriker, eher ein rationaler Optimist. Oftmals habe ich gesagt, dass nach[ds_preview] der 22. Krise auch der 23. Aufschwung kommen wird. Er kam! Für die Linienreeder nach 16 Monaten und für die Trampreeder nach sechs Monaten. Seit Juni/Juli 2011 sind wir in der 23. Krise und der 24. Aufschwung wird auch wieder kommen. Die Frage ist nur wann?

Die Menschen außerhalb unserer Industrie verstehen gar nicht, dass es der Schifffahrt schlecht geht. Und noch weniger »warum?«. Denn die Regale sind ja nach wie vor reichlich gefüllt.

Doch der Aufwärtstrend fand ein rasches Ende. In der zweiten Jahreshälfte 2011 brachen die Märkte vor allem in der Containerschifffahrt erneut massiv ein. Auch auf den Bulker- und Tankermärkten, ebenso in der Stückgutfahrt sind kaum noch kostendeckende Raten zu erzielen. Wir haben eine sehr komplexe und volatile Gesamtgemengelage, wie es sie bislang noch nicht gegeben hat: Finanzmärkte Europa, Wachstum Industrienationen Europa und USA, Schwellenländer, Realwirtschaft, Export/Import Primär- und Sekundärindustrie.

Die Schifffahrt ist mit dieser erneuten Krise konfrontiert, nachdem sie bereits drei äußerst schwierige Jahre überstanden hatte. Die Substanz der Schiffe wurde in diesen Jahren vielfach nahezu aufgezehrt. Mit dem »Double Dip« dieser Krise geraten nun viele Schiffe in ernsthafte Probleme, die nur mit den Eignern, Reedern und den Banken gemeinsam zu bewältigen sind.

Jedoch sind einzelne schiffsfinanzierende Banken dazu übergegangen, ihre Engagements in der Schifffahrt teilweise massiv zu reduzieren oder gar einzustellen.

Aber auch die Banken, die ihr Engagement auf dem bestehenden Niveau halten wollen, stoßen aufgrund der strikten Regularien nach Basel II und III an ihre Grenzen.Es zeigt sich jetzt in aller Deutlichkeit, dass die Regelungen nach Basel II und III nicht antizyklisch, sondern zyklisch wirken.

Dann, wenn es die Wirtschaft am nötigs­ten hat, wird es den Banken am schwersten gemacht, die Wirtschaft mit den erforderlichen Krediten zu versorgen.

Basel II und Basel III sind Antworten auf die Auswüchse in den Finanzmärkten. Spekulationen, Derivate, hochriskante Wetten, undurchschaubare Finanzprodukte haben die Finanzwirtschaft in Verruf und die Finanzmärkte in höchste Bedrängnis gebracht. Die Zeche sollen nun die Steuerzahler begleichen – und die mittelständische Wirtschaft, die auf Kredite angewiesen ist.

Die Reedereiwirtschaft zählt zum Mittelstand. Sie ist auf eine ausreichende Kreditversorgung angewiesen – gerade in schwierigen Zeiten. Mit den Regelungen aus Basel II und III haben die Banken jedoch nur begrenzte Möglichkeiten, in Not geratene Schiffe über Wasser zu halten. Wenn plötzlich realisierte Verluste »besser« sind als notwendig zu hinterlegendes Eigenkapital, weil sich die Bilanzsumme reduziert, dann darf zumindest einmal über dieses System nachgedacht werden.

Es ist nicht Aufgabe der Banken, Wirtschaft durch Kündigung von Krediten zu verhindern, sondern es ist doch gerade ihre Aufgabe, Wirtschaft durch Kreditvergabe zu ermöglichen.

Das gilt umso mehr für Branchen, die über kurzfristige Betrachtungszeiträume hinaus hervorragende Perspektiven haben. Die Entwicklungsländer holen auf; immer mehr Menschen in Schwellenländern können am Wohlstand teilhaben; die Weltwirtschaft wird weiter wachsen und der Warenaustausch überproportional zunehmen.

Der interkontinentale Welthandel wird zu 95 % über See abgewickelt. Die Seeschifffahrt wird immer gebraucht werden.

Deutsche Schifffahrtspolitik

Auch in schwierigen Zeiten muss die deutsche Schifffahrt ihr Know-how an den Standorten halten.

Für Deutschland, seine außenhandels­orientierte Wirtschaft und seine maritimen Standorte ist es wichtig, die Seeschifffahrt als Wirtschaftszweig, die Schiffe, ihre Bereederung und das seemännische Know-how im Land zu halten, auch in schwierigen Zeiten.

Dazu braucht es verlässliche Rahmen­bedingungen, auch und vor allem für Schiffe unter deutscher Flagge. Die Kostennachteile der deutschen Flagge sind beträchtlich und belaufen sich etwa für mittelgroße Containerschiffe auf rund 450.000 € im Jahr.

Die Kürzung der Beihilfen zur Kompensation dieser Kostennachteile für das Jahr 2011, inmitten der schweren Schifffahrtskrise, hat der Schifffahrt unter deutscher Flagge schweren Schaden zugefügt.

In einer beispiellosen Kraftanstrengung ist es gelungen, die öffentlichen Beiträge zur Reduzierung der Lohnnebenkosten für 2012 wieder auf rund 60 Mio. € anzuheben. Die Reeder werden ihrerseits mit zusätzlichen rund 30 Mio. € pro Jahr gezielt die Ausbildung und Beschäftigung auf Schiffen unter deutscher Flagge unterstützen. Dazu haben sich die Reeder Ende letzten Jahres auf der ordentlichen Mitgliederversammlung des Verbands Deutscher Reeder einstimmig bekannt – ein bisher einmaliges Ergebnis.

Damit sollte es gelungen sein, die Rahmenbedingungen für die deutsche Flagge mittelfristig mit einem Betrag von insgesamt 90 Mio. € per annum zu verstetigen. Dies war das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen der Bundespolitik, des Verbands Deutscher Reeder, seiner lokalen Verbände wie dem Bremer Rhederverein, der Gewerkschaft Verdi sowie der Küstenländer.

Ende Juni hat die Bundesregierung den Haushaltsentwurf für das Jahr 2013 vorgelegt. Mit zunächst großem Erstaunen und Entsetzen haben wir festgestellt, dass die Mittel für die Schifffahrtsförderung im kommenden Jahr erneut um die Hälfte reduziert werden sollen. Ohne eine Verstetigung des Maritimen Bündnisses mit einem Beitrag des Bundes von 60 Mio. € pro Jahr können die Reeder ihren Beitrag von 30 Mio. € nicht leisten. Das Maritime Bündnis stünde vor seinem endgültigen Aus.

Ich gehe davon aus, dass der reduzierte Ansatz im ersten Haushaltsentwurf lediglich darauf zurückzuführen ist, dass noch nicht alle Regelungen für den Eigenbeitrag der Reeder in Gesetze und Verordnungen gegossen sind. Wenn der Eigenbeitrag der Reeder endgültig geregelt ist, dann wird auch der Bund seinen Teil des Maritimen Bündnisses erfüllen. Ich möchte jedenfalls fest daran glauben, dass die Verstetigung der Haushaltsmittel gelingt.

Dennoch – weitere Anstrengungen sind notwendig. Ziel muss es sein, die deutsche Flagge genauso attraktiv zu gestalten, wie es andere Flaggen innerhalb der Europäischen Union sind. Länder wie Großbritannien, Gibraltar, Malta oder Zypern sind güns­tigere Varianten und haben ein Kostenniveau wie Liberia oder Antigua & Barbuda. Dieses Kostenniveau muss künftig auch die deutsche Flagge erreichen.

Ferner sollte die Schiffsbesetzungsverordnung soweit flexibilisiert werden, dass sie zum einen deutschen Patentinhabern alle Chancen eröffnet und zum anderen eine international wettbewerbsfähige Bemannung erlaubt.

Zu einer attraktiven deutschen Flagge ge­hört auch eine schlanke Flaggenstaatsverwaltung, die flexibel und an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr erreichbar ist, am besten mit nur einer Anlaufstelle.

Wenn dies alles gegeben ist, besteht für deutsche Reeder kein Anlass, auf ausländische Flaggen auszuweichen. Ich behaupte: Jeder deutsche Reeder würde die deutsche Flagge am Heck des Schiffes hochziehen, wenn die deutsche Flagge wettbewerbsfähig wäre! Mit allen positiven Auswirkungen auf die Ausbildung und die Beschäftigung.

Piraterie

Zu der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Flagge gehört es auch, dass sich die Reeder wirksam vor Piratenangriffen schützen können – im Golf von Aden, im Indischen Ozean, vor der Westküste Afrikas und überall dort, wo die Piraten die Gesundheit und das Leben unserer Seeleute gefährden.

Die romantischen Vorstellungen von Piraten, die im freiheitlichen Drang und mit sympathischer Freude am Abenteuer den Reichen nehmen und den Armen geben, hat mit der harten Wirklichkeit rein gar nichts gemein. Hier geht es um brutalen Menschen­raub und Geiselnahme. Seeleute werden schwer traumatisiert. Die Piraten schrecken auch vor Verletzungen und sogar Morden nicht zurück.

Es ist gut, dass die erforderlichen Gesetzgebungsverfahren jetzt auf den Weg gebracht werden, die es Reedern deutschgeflaggter Schiffe erlauben, wie auf Schiffen unter fremder Flagge, private Sicherheitsdienste anzuheuern. Es handelt sich dabei keinesfalls um selbsternannte, schießwütige Sheriffs, sondern um besonders geschulte und hoch professionelle, von den Behörden zugelassene Sicherheitsfachkräfte. Bislang ist kein einziges Schiff, das private Sicherheitsdienste an Bord hatte, erfolgreich von Piraten gekapert worden. So soll es auch bleiben, denn uns sind die Leben aller Seeleute wichtig, egal welcher Nation sie entstammen und egal unter welcher Flagge sie fahren!

Umwelt

Es ist ungerecht, wenn die Seeschifffahrt und die Seeschiffe von Umweltschützern als Dreckschleudern bezeichnet werden. Wie bereits erwähnt, werden 95 % des Welthandels über See abgewickelt. Am CO2-Ausstoß hingegen ist die Seeschifffahrt mit lediglich 3,5 % der weltweiten Emissionen beteiligt. Und für den Schwefelausstoß hat die International Maritime Organization (IMO) weltweit verbindliche Grenzwerte eingeführt, die auf Sicht stetig reduziert werden.

In Häfen beträgt der zulässige Grenzwert bereits heute 0,1 %. Dieser Wert kann nur mit raffinierten Treibstoffen erreicht werden, wie sie auch im Straßenverkehr genutzt werden. Zudem sind in Nord- und Ostsee besondere Schutzgebiete eingerichtet worden, in denen Grenzwerte von heute 1,0 % gelten. Ab dem Jahr 2015 sollen in diesen Gebieten nur noch Treibstoffe mit 0,1 % Schwefelgehalt verbrannt werden dürfen.

Diese Regelung ist sehr ehrgeizig. Neue Schiffe werden diesen Standard selbstverständlich erfüllen können. Ob die in Fahrt befindlichen Schiffe so umgerüstet oder mit Abgasreinigungssystemen ausgestattet werden können, dass die Stabilität der Schiffe und die Wirtschaftlichkeit noch gewährleistet wird, ist fraglich.

Die große Gefahr ist, dass Verkehre von der Ostsee auf die küstenparallelen Straßen abwandern. Eine ausführliche Studie des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, des ISL in Bremen, hat diese Gefahr bestätigt. Am Ende hätten die strengen Grenzwerte nicht einen höheren Umweltschutz, sondern eine drastisch höhere Umweltverschmutzung zur Folge. Der Lkw-Verkehr ist nun einmal wesentlich umweltschädlicher als die Seeschifffahrt.

Reeder sind auch Menschen, die die Natur lieben, Familien haben und ihren Kindern eine intakte Welt übergeben wollen. Gerade deswegen plädiert die Reederschaft dafür, die strengen Grenzwerte mit Augenmaß umzusetzen und für die fahrende Flotte realistische Umsetzungszeiträume einzuräumen.

In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird die Seeschifffahrt ihr Gesicht verändern. Dazu tragen nicht nur immer strengere Grenzwerte für die Schiffsantriebe bei. Die geradezu explodierenden Treibstoffkosten zwingen die Industrie, die Klassifikationsgesellschaften, Werften und die Reeder selbst dazu, sich über alternative Antriebe Gedanken zu machen. Ich hoffe, dass Deutschland auch dann zu den führenden Schifffahrtsnationen der Welt gehören wird, mit einer leistungsfähigen, modernen und umweltfreundlichen Handelsflotte, mit qualifiziertem Personal und florierenden deutschen Schifffahrtsstandorten, zu denen auch Bremen zählen wird.

Denken wir also einmal nicht so sehr an die schwierige Gegenwart, sondern an die Zukunft. Sie hält alle Chancen für die deutsche Seeschifffahrt bereit.

Autor:

Thorsten Mackenthun Vorsitzer des Bremer Rhedervereins

Thorsten Mackenthun