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Bei der Schiffsfinanzierung sind Derivate ein gutes Mittel, um Risiken abzumildern oder zu vermeiden. Um dabei jedoch nicht in die Derivatefalle zu tappen, sollten einige Regeln beachtet werden.

Auch die deutsche Schifffahrt wurde von der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise nicht verschont. Seit mehr als vier Jahren führen der[ds_preview] Rückgang von Aufträgen, die Überkapazität auf den Weltmeeren und erhöhte Treibstoffpreise zu sinkenden Gewinnen oder sogar Verlusten. Der Bedarf an weiteren Krediten einerseits und andererseits die Unwilligkeit der Banken, weiter in diese Branche zu investieren, führt zudem zu einer Kreditklemme. Die Banken nutzten diese Situation, um Ree­dern vermeintliche Absicherungs-produkte für ihre Kredite zu verkaufen. Die so angepriesenen Produkte dienen häufig nicht der Absicherung der Reedereien oder Schiffs(fonds)gesellschaften, sondern vielmehr dem Gewinninteresse der Banken.

Kreditklemme

Die jahrelang durch hohe Wachstumsraten verwöhnte Branche gab im Vertrauen auf ein anhaltendes Wachstum den Bau unzähliger weiterer Schiffe – insbesondere Containerschiffe – in Auftrag. Dies führte und führt zu einer massiven Überkapazität auf den Weltmeeren. Der dadurch sinkende Auslastungsgrad der Schiffe hatte ein Einbrechen der Charter- und Frachtraten zur Folge. Die Gewinne sanken und viele Reeder konnten ihre Kreditverbindlichkeiten nicht länger bedienen. Zugleich erhöhte sich der Kapitalbedarf der Reeder durch gestiegene Transportkosten, den harten Wettbewerb und die weiter schwächelnde Weltwirtschaft.

Für Banken hingegen wird die reine Schiffsfinanzierung immer weniger lukrativ. Aufgrund neuer regulatorischer Anforderungen (Basel III) müssen gerade lang­fristige und risikoreiche Finanzierungen mit deutlich mehr Eigenkapital unterlegt werden. Die über Jahre laufenden Schiffskredite sind aufgrund des zyklischen Geschäfts mit einem hohen (Ausfall)-Risiko behaftet. Die Commerzbank beispielsweise hat sich bereits ganz aus dem Geschäft verabschiedet. Und auch die HSH Nordbank muss aufgrund der erhaltenen Staatshilfen und Auflagen aus Brüssel die Sparte Schiffsfinanzierung deutlich zurückfahren. Hinzu kommt, dass Schiffskredite regelmäßig in US-Dollar ausgegeben werden und sich Banken aus dem Euro-Raum zur Absicherung des Währungsrisikos Refinanzierungsmittel in Dollar verschaffen müssen. Auch dies hat sich durch die Finanzkrise verteuert. Die Bewertung der dafür verwendeten Derivate schlägt sich negativ im Gewinn der Banken nieder.

Diese hohen Kosten der Refinanzierung werden von den Banken komplett an die Kreditnehmer weitergegeben. Das verteuert die Fremdfinanzierung weiter. Außerdem werden Kredite nur noch gegen die Bereitstellung hoher Sicherheiten zur Verfügung gestellt. Der infolge der Marktlage rapide Wertverlust der Schiffe führt immer öfter zu einer Nachbesicherungspflicht der Reeder. Bei Neubauten verlieren die Schiffe bereits während des Baus einen großen Teil ihres Wertes. Der Beleihungswert ist entsprechend gering und Kredite werden oftmals nur gegen weitere Sicherheiten oder eben in geringer Höhe ausgegeben.

Vermeintliche Absicherung

Die Kreditknappheit, die Abhängigkeit der Schifffahrtsbranche von den Banken und nicht zuletzt die Angst der Reeder vor einer Pleite nutzten die Banken geschickt aus, um vermeintliche »Absicherungsprodukte« zu verkaufen. Neben den (durchaus sinnvollen) Zinssatz-Swaps zur Absicherung gegen Zinsschwankungen bei variabel verzinsten Krediten spielen insbesondere Finanzprodukte zur Absicherung von Wechselkursschwankungen eine große Rolle. Während die Finanzierung in der Schiffsbranche typischerweise in US-Dollar erfolgt, werden Umsätze im Seefrachtgeschäft in aller Welt und in unterschiedlichen Währungen generiert. Insbesondere Währungs-Swaps wurden daher den Reedern im Zusammenhang mit Fremdwährungskrediten als vermeintliche Zinssicherung oder Zinsoptimierung angeboten. Die Reeder griffen bereitwillig zu. Suggerierten doch die Worte Absicherung und Optimierung eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation.

Einer besonderen Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der in Kreditverträgen üblicherweise enthaltenen Loan-to-value-Klausel bzw. 105-%-Klausel zu. Diese Klausel gibt das Verhältnis zwischen maximaler Beleihung , also die Höhe des Kredits (»loan«), und dem Wert des finanzierten Schiffes (»value«) an. Die Darlehenshöhe, in einer bestimmten Währung gerechnet, darf 105 % des Wertes des finanzierten Schiffes nicht übersteigen. Die Bank sichert sich beispielsweise mittels der Klausel dahingehend ab, dass der Kredit durch den Wert des finanzierten Schiffs stets ausreichend besichert ist. Das Verhältnis zwischen der Höhe des Kredits (loan) und dem Wert des finanzierten Schiffs (value) darf 105 % nicht überschreiten. Grundlage für diese Klausel ist die Vereinbarung in den Kreditverträgen, dass der in US-Dollar ausgegebene Kredit zum Teil in Fremdwährung valutiert wird. Kommt es nun bei dem finanzierten Schiff zu einem Wertverlust oder erhöht sich das Risiko der Bank aufgrund einer Veränderung des Wechselkurses der Fremdwährung zum US-Dollar, kann die Bank weitere Sicherheiten oder auch die Tilgung des die 105-%-Klausel überschreitenden Betrags verlangen, der über 105 % des Wertes des Schiffes liegt.

Für den Reeder birgt diese Klausel das Risiko, kurzfristig unter Umständen sehr hohen Forderungen der Bank nach mehr Sicherheiten oder Barmitteln ausgesetzt zu sein. Der Wertverlust vieler Schiffe in der Vergangenheit hat gezeigt, dass sich Banken nicht scheuen, die 105 %-Klausel auch anzuwenden. Dass dieses Risiko nicht zuletzt zu einem Ausfallrisiko für die Bank werden kann, ist nur ein Grund für die nachdrückliche Empfehlung von Absicherungsprodukten.

Mit dem Argument zur Absicherung und für ein aktives Risikomanagement wurden den Reedern jedoch oftmals Derivate empfohlen, die gar nicht für diesen Zweck geeignet waren. Da sich mit Absicherungsprodukten kaum Gewinn erzielen lässt, gingen die Banken dazu über, Finanzinstrumente zu verkaufen, die mit Absicherung nichts gemein hatten. Im Portfolio der Banken fand sich ein ganzer Strauß hochspekulativer Finanzderivate, die man den Reedern zur Absicherung anbot, um vermeintlich wirtschaftliche Planungs­sicherheit zu erhalten. Verwerflich dabei ist, dass die Banken nicht ausreichend über die tatsächlichen Eigenschaften und Risiken der Produkte aufklärten, sondern die Kunden oftmals im Glauben ließen, ihr Kreditportfolio abzusichern. Zumal die hinter den Produkten steckende Struktur und das damit verbundenen Chancen-Risikoprofil selbst für einen sorgfältig agierenden Kaufmann gar nicht erkennbar sind.

Die fünf Gebote

Grundsätzlich können Derivate zwar sinnvolle Produkte zur Absicherung von Risiken darstellen. Aber nicht jedes Produkt, das als Absicherungsderivat verkauft wurde, war auch tatsächlich für diesen Zweck geeignet. Es ist daher eine genaue Prüfung erforderlich, ob das Ziel mit dem angebotenen Produkt auch tatsächlich erreicht werden kann bzw. konnte.

Derivate sind schwer verständlich. Deshalb haben vielfach die Reeder auf die Empfehlung der Banken vertraut und erkannten zu spät, dass das gewählte Finanzprodukt nicht ihnen, sondern ausschließlich dem wirtschaftlichen Ergebnis der Bank hilft. In einem solchen Fall ist eine Prüfung möglicher Schadensersatzansprüche angezeigt. Um nicht in die »Derivatefalle« zu tappen, sollten beim Abschluss von Derivaten daher fünf Gebote beachtet werden:

1. Konnexität prüfen

Es bedarf eines nachweisbaren gegenständlichen Bezugs zwischen dem Derivat und dem Grundgeschäft (Kredit). Nur dann kann das Derivat zur Bedingungsgestaltung des konkreten Grundgeschäfts eingesetzt werden und dessen Risiken absichern. Fehlt dieser gegenständliche Bezug, beinhaltet das Derivat eine isolierte Risikoerhöhung. Es dient einer isolierten Einnahmeerzielung. Verlustrisiken sind in Kauf zu nehmen.

2. Möglichkeit der Bildung von Bewertungseinheiten einschätzen lassen

Weist ein Derivat einen gegenständlichen Bezug (Konnexität) zu einem Grundgeschäft auf, können Bewertungseinheiten im bilanziellen Sinn gebildet werden. Vor dem Abschluss von Derivaten sollten Wirtschaftsprüfer zu der möglichen Bildung von Bewertungseinheiten befragt werden.

3. Kosten des Derivates erfragen

Der Abschluss eines Derivats ist mit Kos­ten verbunden. In den Angeboten der Banken sind diese Kosten regelmäßig nicht ausgewiesen, ebenso wenig die Gewinnmarge der Bank. Eine Prognose über die Wirtschaftlichkeit des Derivateeinsatzes ist nur möglich, wenn man den konkreten Betrag der Kosten und der Gewinnmarge kennt. Diese Beträge müssen entweder durch eine entsprechende Marktentwicklung aufgeholt werden, bevor das Derivat in eine Gewinnzone kommt, oder die Kosten/Marge kommen in einem häufig nicht erkennbaren einstrukturierten unausgewogenen Chancen-/Risikoverhältnis zu Lasten des Kunden zum Ausdruck.

4. Anfänglichen Marktwert erfragen

Jedes Derivat hat einen exakt bestimmbaren Marktwert zum Abschlusszeitpunkt. Grundsätzlich wird ein fairer Marktpreis zum Abschlusszeitpunkt Null betragen (fair value). Durch die Einstrukturierung von Kosten und Margen verändert sich der Marktpreis regelmäßig zu Lasten des Kunden. Ohne eine Kenntnis des Fair Value ist es unmöglich, Chancen und Risiken des Derivats realistisch einzuschätzen. Der Marktwert zum Abschlusszeitpunkt bringt zum Ausdruck, welche Beträge über die Laufzeit verteilt nach objektiv anerkannten Bewertungsmethoden von den Vertragspartnern aller Wahrscheinlichkeit nach zu bezahlen sind. Ein negativer Marktwert zu Lasten des Kunden bedeutet also, dass informierte Marktteilnehmer zum Abschlusszeitpunkt davon ausgehen, dass das Derivat zu einem Verlustgeschäft für den Kunden wird. Schließt ein Kunde ein solches Geschäft dennoch ab, ohne den Marktwert als Ausgleichszahlung zu erhalten, »spekuliert« er gegen den Markt.

5. Value-at-Risk-Kennzahlen geben lassen

Banken sind in der Lage, nach Abschluss des Derivats dieses mit Value-at-Risk-Kennzahlen zu bewerten. Diese Kennzahl drückt den Verlust aus, der mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit (95–99 %) innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z. B. 21 Bankarbeitstage) nicht überschritten wird. Anhand dieser Kennzahlen kann ein Risikomanagement mögliche Ausstiegszeitpunkte vorgeben.

Fazit

Derivate sind ein gutes Mittel, um Risiken abzumildern oder zu vermeiden. Insbesondere bei großvolumigen Kreditportfolios ist eine geeignete Risikostrategie erforderlich. Hierbei ist es jedoch dringend erforderlich, sich von unabhängiger Stelle beraten zu lassen. Denn allzu oft wollen Banken Produkte verkaufen, mit denen sie eine hohe Marge verdienen und »vergessen« dabei das Kundeninteresse, dem sie eigentlich verpflichtet sind.

Die Schifffahrtsbranche hat sich lange auf Bankkredite verlassen und sich dabei in eine Abhängigkeit begeben, die ihr oftmals zum Nachteil ausschlägt. Die Branche tut gut daran, sich von dieser Abhängigkeit durch alternative Finanzierungsmodelle zu lösen. Die Zurückhaltung der Banken bei der Schiffsfinanzierung wird im Übrigen ohnehin zu einem höheren Eigenkapitalbedarf der Reedereien führen. Diese werden in Zukunft stärker den Kapitalmarkt nutzen und sich über institutionelle Investoren, wie Private Equity Fonds, Versicherungen oder im Wege eines Börsengangs finanzieren müssen.

Ina Meuschke, Sarah Mahler