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Den Neubau eines Mehrzweckarbeitsschiffes für das Wasser- und Schifffahrtsamt Kiel-Holtenau
Das Mehrzweckarbeitsschiff (MzAS) »Saatsee« für den Nord-Ostsee-Kanal (NOK) wurde am 26. September 2012 durch das Wasser- und Schifffahrtsamt[ds_preview] (WSA) Kiel-Holtenau in Dienst gestellt, nachdem es in Rendsburg von Lea Gradert, Auszubildende beim WSA, getauft wurde. Der Neubau ersetzt den 1957 gebauten Schlepper »Nordmark« und das bereits im Februar 2007 außer Dienst gestellte Bereisungsschiff »Friedrich Voss«, gebaut im Jahr 1953.

Der Bauauftrag und die betriebsfertige Lieferung des Schiffes wurde nach vorhe­­ri­gem EU-weiten und offenen Ausschreibungsverfahren durch die Fachstelle Maschinenwesen Nord (FMN) in Rendsburg im Februar 2010 an die Fassmer-Werft in Berne/Motzen erteilt. Die FMN wird als die technische Fachbehörde im Zuständigkeitsbereich der Wasser- und Schifffahrtsdirektionen Nord in Kiel und Nordwest in Aurich direktionsübergreifend mit besonderen Ingenieuraufgaben wie der Planung, dem Entwurf, der Spezifikation und der Ausschreibung sowie der Abwicklung von Schiffs-

neubauten – insbesondere von Spezial- und Behördenschiffen – beauftragt.

Veranlassung und Aufgaben

Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) hat im Rahmen der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht die Aufgabe, die schiffbaren Wasserstraßen in ihrem Zuständigkeitsbereich mit geeigneter Technik qualitätsgesichert zu überwachen und zu unterhalten, um die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Leich­tigkeit des Schiffsverkehrs zu gewährleisten.

Resultierend aus den gestellten besonderen Anforderungen und den zu erfüllenden Aufgaben auf der Gesamtstrecke des NOK, der angrenzenden Elbe im Bereich Brunsbüttel und der Kieler Förde, aber auch für einen möglichen ämterübergreifenden Einsatz in Nord- und Ostsee wurde der Neubau unter Berücksichtigung der Betriebsanforderungen und seiner speziellen Ausrüstung als Mehrzweckarbeitsschiff konzipiert.

Zu den Aufgaben der »Saatsee« gehören neben der baulichen Unterhaltung an den Anlagen des NOK auch die Verkehrssicherung bei Schadensfällen, das Schleppen, Schieben und Verholen von Prahmen und Schuten, schwimmenden Geräten, von Dalbenflößen und Schleusentoren, das Frei­spülen der Fährbuchten und Anlegebrücken von Treibeis im Rahmen des Eisdienstes sowie die Assistenz beim Aus- und Einbau von Schleusentoren und im Werftbetrieb.

Konstruktion und Bauausführung

Bedingt durch die vielfältigen Aufgaben und unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen ergaben sich für einen optimalen und effektiven Einsatz die an den Neubau gestellten Betriebs- und Konstruktionsanforderungen. Hierzu gehörten sehr gute Manövriereigenschaften auf engstem Raum, sehr gute Stabilitätseigenschaften, die das Arbeiten mit dem Hydraulikkran unein­geschränkt ermöglichen, sowie sehr gute Schlepp­eigenschaften längsseits und auf langer Leine. Eine ausreichende Arbeits- und Containerstellfläche an Deck, ein robustes Fendersystem längsseits einschließlich Bug- und Heckfender, entsprechende Schubeinrichtungen für ein problemloses Koppeln und Schieben von Schuten und Pontons sowie die notwendigen Verholeinrichtungen auf dem Vor- und Achterdeck. Ein Feuerlösch-, Berge- bzw. Fremdlenzsys­tem zur allgemeinen Hilfeleis­tung und Gefahrenabwehr am NOK runden das Anforderungsprofil ab.

Der Entwurf und die Konstruktion des Schiffskörpers basiert auf einer robusten Rundspantform mit Backdeck in Querspantbauweise aus Stahl. Das Rumpfdesign ermöglicht optimale Geschwindigkeiten in der Freifahrt und im Schlepp- und Schubbetrieb bei günstigem Kraftstoffverbrauch und einer geringen Wellenbildung. Zum Schutz gegen Beschädigungen bei Eiseinsatz und Grundberührungen wurden Boden, Kimm und Vorschiff verstärkt.

Das Deckshaus und das Steuerhaus wurden aus Gewichts- und Stabilitätsgründen komplett aus Aluminium gefertigt. Das Arbeits-/Ladedeck hat eine freie Arbeits- und Containerstellfläche von ca. 60 m². Es wurde für eine Belastung von 25 kN/m² dimensioniert, ist komplett rutschsicher aus Tränenblech gefertigt und verfügt über ein Laschraster für die Verzurrung von Ladung.

Für die Durchführung von Kranarbeiten befindet sich auf dem Arbeitsdeck auf Backbordseite, Spant 10, ein vollhydraulischer MKG-Marinekran, Typ HMC 291 HP a4. Die Nutzlast (Kranbetrieb) beträgt SWL 1,85 t bei 12,30 m Ausladung und Nutzlast (Anbaugeräte) SWL 1,45 t bei 11,95 m Ausladung. Als Schlepp- und Verholeinrichtungen wurden auf dem Achterdeck ein Schlepphaken (Typ »Knief«, SWL 160 kN) mit hydraulischer Auslösung sowie ein

hydraulisch betriebenes Vertikalspill (Typ Steen, Zugkraft 30 kN) installiert.

Für eine sichere Schlepp­trossenführung ist auf dem Achterdeck im Heckbereich ein hydraulisch klappbarer Schleppbügel angeordnet, der im Einsatzfall aufgestellt werden kann.

Aus Gründen der Einsatzoptimierung wurde am Vorschiff eine Schubeinrichtung in Form eines Gummi-Blockfendersystems der Firma Willbrandt eingebaut, bestehend aus 250 mm Blockfendern am Bug und Heck sowie 250 mm D-Profil an den Seiten, das einen Bugsier- und Schub­einsatz ermöglicht. Die Koppelverbindung erfolgt Backbord (BB) und Steuerbord (StB) durch je eine hydraulische Koppelwinde (Spannwinde) des Herstellers Steen und einem Koppelpoller, dimensioniert für eine Gesamthaltekraft von 600 kN je Schiffsseite. Die Schub- und Koppeleinrichtung wurde ausgelegt für das Schieben von Pontons mit einer Länge von rund 30 m, einer Breite von ca. 10 m und einem Tiefgang von ca. 2,5 m.

Die Einrichtung des Schiffes ist für eine Schiffsbesatzung von zwei bis vier Personen sowie dem nach Anforderung notwendigem, zusätzlichem Personal ausgelegt. Vorhanden sind eine Pantry, ein WC, ein Sanitärraum und ein Aufenthaltsraum mit Sitzgelegenheiten für insgesamt zwölf Personen sowie drei Unterkunftsräume mit Schlafgelegenheiten für insgesamt fünf Personen.

Eine optimierte Fahrstandanordnung mit einem Hauptfahrstand im Frontbereich und einem zum Arbeitsdeck gerichteten, rückwärtigen Manövrierfahrstand sowie zusätzliche Manövrierbedieneinheiten BB und StB für Manövrierbetrieb in engen Gewässern wurden berücksichtigt. Im Weiteren verfügt das Steuerhaus über große Fensterflächen, die eine gute Rundumsicht und eine gute Sicht auf das Arbeitsdeck und den Arbeitsbereich des Bordkranes gewährleisten. Eine um 360° drehbare ferngesteuerte Kamera optimiert die Sicht für den Schiffsführer im Schubbetrieb und bei Kranarbeiten. Entsprechend der Einsatzkonzeption wurde das Schiff mit klimatisiertem Steuerhaus, Unterkunfts- und Aufenthaltsraum ausgestattet.

Antriebs- und Betriebsanlagen sowie Energieversorgung

Der Antrieb erfolgt über zwei MAN-Dieselmotoren vom Typ D 2842 LE 403 mit einer abgestimmten Leistungsabgabe von je 529 kW bei 1.800 U/min, die jeweils über eine Gelenkwelle und Elastikkupplungen direkt auf die beiden Schottel-Ruderpropeller (SRP 440 FP mit Düse und Umlenk- und Untersetzungsgetriebe) arbeiten. Die Bauform der vierflügeligen Ruderpropeller erfolgte als Brunneneinbau in Schubausführung mit einem Propellerdurchmesser von 1.450 mm. Beide Ruderpropeller werden unabhängig voneinander elektro-hydraulisch gesteuert. Als Bugmanövrier­anlage dient ein elektrisch angetriebenes Schottel-Querstrahlruder (STT 110 FP) mit einer Eingangsleistung von 150 kW und einem Propellerdurchmesser von 790 mm.

Die elektrische Energieversorgung wird durch zwei Dieselaggregate (SISU Power 74 CTAG-4V und 49 DTG) mit einer Generatorleistung von 182 und 95 kW sichergestellt. Die Aggregate können im normalen Bordbetrieb wechselweise betrieben werden. Bei Ausfall eines Aggregates erfolgt ein Automatikstart mit Lastübernahme des Standby-Aggregates über ein vollautomatisches Powermanagement. Bei Bedarf können die Generatoren auch manuell vom Brückenfahrpult gestartet werden. Als Maschinenüberwachung dient ein Analogwert verarbeitendes dezentrales Alarmsystem (Böning, AHD 651) mit je einem Alarmdisplay im Haupt- und rückwärtigen Manövrierfahrstand und einem LCD-Display im Brückenfahrpult.

Die Kühlung der Haupt- und Hilfsdieselmotoren sowie des Hydraulik- und Getriebeöls erfolgt über vier Kastenkühler vom Typ Sea Bloksma. Zur Vorwärmung der Hauptmotoren sind zwei Wärmetauscher im Kühlwassersystem vorhanden, die so im Heizungssystem eingebunden sind, dass wahlweise eine Vorwärmung der Hauptmotoren oder die Nutzung der Motorabwärme zu Heizzwecken möglich ist.

Eine Zentralhydraulikanlage versorgt Verholspill, Anker- und Verholwinden, Schleppbügel und die Schlepphakenauslösung; der Bordkran verfügt über eine separate Kranhydraulik. Die mit umweltschonendem Hydrauliköl auf vollsynthetischer Esterbasis arbeitenden Systeme werden über einen gemeinsamen Vorratstank versorgt. Die beiden Hydraulikpumpen werden jeweils von einem E-Motor mit einer Leistung von 30 kW angetrieben und können im Notfall über eine Bypass-Schaltung redundant das jeweils andere Hydrauliksystem übernehmen.

Für die an Bord notwendigen Arbeiten ist eine Druckluftkompressoranlage (Typ Sauer Almig SCK15-10 MA50) mit einem Betriebsdruck von 10 bar und einem Fördervolumen von 60 m3/h vorgesehen sowie eine Brauchwasseranlage zur Versorgung des Hochdruckreinigers (Typ Oertzen E 320) mit 310 bar Betriebsdruck (1.320 l/h). Eine sanitäre Frischwasser- und Abwasseranlage, eine Warmwasserheizungsanlage, eine Klima- und Lüftungsanlage sowie ein Frischöl- und Altölvorratstank sind an Bord fest installiert.

Fremdfeuerlösch- und Fremdlenzsystem

Für Aufgaben im Rahmen der allgemeinen Hilfeleistung im wurde auf der »Saat­see« eine Fremdfeuerlöschanlage sowie ein Fremdlenzsystem eingebaut. Über den steuerbordseitigen Seekas­ten wird die Feuerlöschanlage zum Fremdlöschen mit Seewasser versorgt. Die angeschlossene Feuerlöschpumpe vom Typ Iron Pump A/S QH-2-10/350-1 liefert dafür eine Leis­tung von 500 m3/h und 160 mFls (Meter Flüssigkeitssäule) bei 1800 U/min. Die Steuerung des Monitors vom Typ Alco EL377 erfolgt direkt vom Steuerhaus aus über Alco Control Panel mit integrierter Positionsanzeige.

Das Fremdlenzsystem besteht aus zwei Ejektoren und wird durch die Feuerlöschpumpe mittels Seewasser als Treibmittel betrieben. Die GL-zertifizierten Ejektoren (Körting DN 200-TD 15270) sind fest im Bodenbereich des Maschinenraums eingebaut und liefern insgesamt eine Leistung von 400 m3/h und 30 mFls bei 900 U/min. Die für das Lenzen notwendigen Bergeschläuche sind an Bord gelagert und können im Einsatzfall wahlweise an vier Anschlüsse auf dem Arbeitsdeck angeschlossen werden.

Nachrichtentechnik

Zur Brückeneinrichtung gehört im Hauptfahrstand die Seeradaranlage Chart­radar und das elektronische Seekartensystem Chart­pilot von SAM Electronics. Der rückwärtigen Hilfsfahrstand ist mit einer zusätzlichen bedienbaren Radartochter ausgestattet.

Zur Unterstützung der Schiffsführung wurde auf den Mast eine fernsteuerbare und zoombare Kameraanlage (Plettac FAC 940L) vorgesehen. Die Darstellung erfolgt auf zusätzlichen Bildschirmen am Haupt- und Hilfsfahrstand. Durch eine Monitorumschaltung besteht beispielsweise bei Hindernissuche zudem die Möglichkeit, sich die Tiefenmesswerte des Zweikanal-Vermessungslotes online auf den Kamerabildschirm anzeigen zu lassen.

Mit der »Saatsee» wurde dem WSA Kiel-Holtenau ein modernes, leistungsfähiges und vielseitig einsetzbares Arbeitsschiff für die besonderen Anforderungen im Aufgabenbereich des WSA, insbesondere im Bereich des NOK, übergeben. Darüber hinaus kann das Schiff künftig auch ämter­übergreifend in der »nationalen Küstenfahrt« eingesetzt werden.


Peter Bielke, Henry Kruse, Martin Streich