»Das ist ein ruhender Pol hier«

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Moin, Herr Adler, kam heute schon was Interessantes vorbei?

Wolfgang Adler: Nein, ist ein ruhiger Tag. Ich hatte[ds_preview] erst einen Dampfer. Aber mit der Tide kommen später noch welche.

Wie viele Schiffe haben Sie in Ihrer Laufbahn schon begrüßt, wissen Sie das?

Adler: Ich schätze so 4.500 – begrüßt und verabschiedet. Am besten Tag waren es 35, an schlechten Tagen sind es auch mal nur zwölf. Je mehr, umso besser. Dann sind die Gäste zufrieden. Wichtig ist, dass ich bei ihnen das Fernweh rauskitzele. Ich sage nicht einfach, dieser Dampfer kommt aus Rotterdam, sondern dass seine Route über Hamburg nach Südamerika führt und er in Santos und Rio festmacht – schon läuft bei den Zuhörern ein Bilderbuch im Kopf ab.

Wie kommt man zu diesem »Job«?

Adler: Ich bin ja aus Wedel und habe hier mit neun Jahren angefangen. Wir Jungs sind mit Fernglas um den Hals und einer weißen Mütze auf dem Kopf zur Brücke gelaufen: Schiffsname und Flagge notiert, rauf zum Begrüßungskapitän. Der hat die Hymne rausgesucht, die noch auf Schallplatte war. Die Flagge haben wir per Hand gedippt, und der Kapitän war froh, dass er sich um seine Gäste kümmern konnte.

Sie sind also richtig im Dienst gewesen?

Adler: Je nach Zeit, nach der Schule oder in den Ferien. Aber es ist herrlich, wenn man heute hierher zurückkehren kann.

Sind maritime Vorkenntnisse Bedingung, um Begrüßungskapitän zu sein?

Adler: Keine Bedingung, aber sie schaden nicht. Die Gäste wollen fachsimpeln, da sollte man die Seemannsprache beherrschen. Ich besitze mehrere Patente, habe den At­lantik überquert, bin auf allen Weltmeeren gesegelt, auch mit größeren Booten bis 25 m Länge und 22 m Mast.

Wollten Sie nie ein richtiger Kapitän sein?

Adler: Das war nicht mein Weg. Man hatte sein Zuhause, seine Freundin, die heute meine Frau ist. Mir hat es Freude bereitet, die Schiffe gedanklich bis zum Ziel zu

begleiten. Das waren Zeiten, Mitte der 1960er-Jahre. Die Waren wurden in Holzkisten verschifft. An den Elbbrücken gab es eine Firma, die gebrauchte Kisten

anbot. Da haben wir das Passende aus­gesucht. Autoscheinwerfer, Kotflügel und wuchtige Büromaschinen haben wir vom Kunden per Kleintransporter ins Büro

gebracht, verpackt, mit Holzwolle aus­staffiert, sind zum Dampfer gefahren, den Schiffszettel dabei, abgestempelt, und los ging es. Das war von A bis Z Handarbeit.

Klingt romantisch.

Adler: War es auch. Dann kamen die Container auf. Mit der Fähre sind wir

rüber zum Burchardkai. Stellen Sie sich vor, da gab es keine Köhlbrandbrücke!

Das war vor meiner Zeit. Musikkassetten wiederum kenne ich aus meiner Jugend. Was machen Sie denn mit den ganzen Kassetten an der Wand, jetzt, wo die Hymnen digital vom PC kommen?

Adler: Wir hatten mal ein Computer­problem, da ging nichts mehr, und dann haben wir die Kassetten genommen – ein zweiter Satz ist bei unserem Ältermann im Archiv. Heute haben Sie ja überhaupt ein Problem, eine Kassette zu kaufen! Wenn Sie im Elektroladen danach fragen, schaut der Verkäufer Sie mit großen Augen an.

Ein Gast kommt rein. Mit süddeutschem Akzent fragt er: »Grüß Gott, wann kommt denn der nächste Dampfer?«

Adler: Gute Frage, ich schaue mal nach. Also, eingehend kommt in 40 Minuten ein sehr schönes Containerschiff, die »Dublin Express« mit 281 m Länge.

Gast: »Super, so lange bleiben wir. Danke!«

Adler: Manchmal rufen Urlauber an, etwa auf der Rückreise von Sylt ins Ruhrgebiet, und fragen: »Wir sind auf der Autobahn. Was kommt denn heute noch so?« Ich schaue dann gern nach – und falls einige Schiffe vorhergesagt sind, heißt es dann: »Jawohl, wir biegen mal in Bahrenfeld ab.«

Sie machen Wünsche wahr …

Adler: Ja, gern auch für die Seeleute. Es kommt vor, dass ein deutscher Kapitän sagt: »Ich fahre unter Liberia-Flagge, aber meine Mannschaft sind Philippinos. Kannst Du mir die Hymne der Philippinen spielen, da freut sich die Crew?« Na klar! Denn ich freue mich dann, wenn das Schiff zum Dank dreimal hupt.

Europa ist zerstritten, die Welt ist voller Kriege. Ist das Begrüßen von Schiffen ein Beitrag zur Völkerverständigung?

Adler: Genau das hatte der WillkommHöft-Gründer Otto Friedrich Behnke im Sinn, als er die Anlage 1952 in Betrieb nahm. Noch heute ist das ein ruhender Pol hier, an dem eine friedliche Stimmung herrscht.


Nikos Späth