Veteranengeburtstag

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Ein noch einigermaßen rüstig im aktiven Dienst beschäftigtes Schiff, für das auf[ds_preview] eine hundertjährige Vergangenheit zurückgeblickt werden kann, ist schon etwas Besonderes. Eines der ganz wenigen Exem­plare ist die nach wie vor auf dem ostafrikanischen Tanganjikasee unverdrossen hin und her pendelnde »Liemba«.

Diese alte Dame war 1913 als »Goetzen« (erhalten hat sie sich in vielen Geschichten hartnäckig unter dem Namen »Graf Goetzen« – wie es dazu kam, ist nicht bekannt) auf der Papenburger Meyer Werft entstanden. Dort wurde sie planmäßig in ihre Einzelteile zerlegt, in rund 5.000 Holzkisten verpackt und nach Daressalam, der Hauptstadt des damaligen Deutsch-Ostafrika, verschifft. Von dort aus ging es weiter auf dem beschwerlichen Landweg bis nach

Kigoma am Tanganjikasee. Rund 900 km waren zu überbrücken. Der vor Ort mithilfe einer Mannschaft der Papenburger Bauwerft unter Leitung von Meister Rüther durchgeführte ebenso beschwerliche Zusammenbau der 67 m langen »Goetzen« konnte erst nach Kriegsausbruch 1914 vollendet werden.

In Dienst gestellt als Hilfskriegsschiff der Kaiserlichen Marine und bewaffnet u. a. mit einem 10,5-cm-Geschütz des in der Rufidji-Mündung in Verlust geratenen Kleinen Kreuzers »Königsberg«, operierte die »Goet­zen« von nun an durchaus erfolgreich als »Seekriegskomponente« der ostafrikanischen deutschen Schutztruppe unter dem Befehl des legendären Oberst, später Generals, Lettow-Vorbeck auf dem größten See des afrikanischen Kontinents. Nach dem Ende der Kämpfe wurde das Schiff von der eigenen Besatzung versenkt, nachdem vorher mit deutscher Gründlichkeit alle technischen Teile sorgfältig eingefettet worden waren. Man konnte ja nie wissen!

Zunutze kam dies allerdings nicht etwaigen deutschen Nachfolgern, wie man es eventuell erhofft hatte, sondern vielmehr den neuen Kolonialherren bzw. sogenannten Mandatsmächten. Die Belgier aus dem an den See grenzenden Belgisch-Kongo schafften es nicht, diesen »Schatz« zu heben. Das gelang schließlich aber den Engländern, die am anderen Ufer nun in Tansania das Sagen hatten, im Frühjahr 1927. Reinigungs­arbeiten und Repa­raturen nahmen bei dem sorgfältig konservierten Schiff relativ wenig Zeit in Anspruch. Bereits im Sommer ging die in »Liemba« umbenannte, äußerlich nahezu unverändert gebliebene ehemalige »Goetzen« wieder auf die Reise, transportierte, wie ehedem unter deutscher Flagge geplant, Passagiere, Truppen, Kaffee, Kupfer und andere Güter und besorgte noch viele Jahrzehnte auf dem Tanganjikasee die Verbindung zwischen den Anrainerstaaten, zunächst unter der britischen, dann ab 1981 unter der einheimischen tansanischen Flagge – einen besseren Beweis für eine solide Schiffskonstruktion kann es wohl kaum geben.

Nachdem die Briten etwa 1948 die Originalbaupläne von der Meyer Werft erhalten hatten, machten sie sich daran, das immer noch überaus stabile Schiff zu modernisieren und eine leistungsfähigere Dampfmaschine einzubauen. Danach ging es für die »Liemba« in der gewohnten Routine weiter, bis die Verwaltung der Ostafrika­nischen Eisenbahn, die auch das Schiff bereederte, dessen Außerdienststellung und Verschrottung beschloss. Die für das Eisenbahnmuseum in Nairobi vorgesehene ausgebaute Maschine kam dort allerdings niemals an. Schornstein, Steuerrad und Ruder wurden abmontiert, der Schiffskörper aufgelegt. Das Schicksal des schönen Schiffes schien besiegelt.

Doch es gibt immer wieder Wunder, nicht zuletzt in Afrika: Im Jahr 1975 entdeckte ein irischer Schiffsliebhaber den Torso, war entzückt und überzeugte den damaligen Staatschef Julius Nyerere davon, dass dieses besondere Schiff erhalten werden müsse und es eine historische Aufgabe Tansanias sei, die Schifffahrt auf dem Tanganjikasee mit ihm aufrechtzuerhalten.

Dank dieser Überzeugungsarbeit stellte der Staat Tansania Mittel für die Instandhaltung des so geschichtsträchtigen Veteranen zur Verfügung. Sie wurden durch einen Kredit der Weltbank ergänzt. So konnte die »Liemba« dann doch erneut glücklich in ihr Element zurückkehren und ihren gewohnten Dienst wieder aufnehmen. Sie versieht ihn bis heute in gewohnter Zuverlässigkeit. Ein Schiffslebenslauf, der seinesgleichen sucht.

Doch damit nicht genug: Die alte »Goet­zen« spielte sogar eine Rolle in dem Finale des packenden Hollywood-Klassikers »African Queen« mit Humphrey Bogart und Katherine Hepburn in den Hauptrollen, wenn auch in historischer Betrachtung in keiner Weise auch nur annähernd korrekt. Aber der Film ist nach wie vor sehenswert.

Sehr viel näher an den tatsächlichen Ablauf des Geschehens kommt die einfühlsame Schilderung in dem Buch von Alexander Capus »Eine Frage der Zeit«. Auch die Meyer Werft würdigt in Zusammenarbeit mit der Stadt Papenburg den Geburtstag des dort entstandenen Schiffes in gebührender Weise.


Hans Jürgen Witthöft