Der Patriarch

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Hermann Blohm und Ernst Voss, die Initiatoren des 1877 in Hamburg gegründeten und wohl bekanntesten deutschen Schiffbauunternehmens, verband eine tiefe[ds_preview] Freundschaft auch über das Geschäftliche hinaus. Vielleicht war sie ja sogar die Basis ihres außergewöhnlichen Erfolges. Beide hatten es mit ihren sich ideal ergänzenden Eigenschaften und Fähigkeiten innerhalb kurzer Zeit geschafft, aus kleinsten Anfängen he­raus ihre Werft in großen Schritten bis an die Weltspitze zu führen und damit ein gutes Stück deutscher Industriegeschichte gestaltet. Teils bahnbrechender Elan für technische Neuerungen zeugen ebenso davon wie die Schaffung damals durchaus noch nicht üblicher sozialer Einrichtungen. Zwar war der Maschinenbau gleichberechtigt im ursprünglichen Firmennamen genannt: »Blohm & Voss Schiffswerft & Maschinenfabrik«, aber der Schiffbau stand zumindest nach außen hin immer im Vordergrund.

Große Schiffsnamen von in dieser Zeit bei Blohm & Voss gebauten Dampfern sind bis heute in der maritimen Welt feste Begriffe, zum Beispiel solche für die Nordatlantik-, Südamerika- und Afri­ka-Verkehre von Hapag, Norddeutschem Lloyd, Hamburg Süd und Woermann, aber auch viele Großsegler der berühmten »Flying P-Liner«-Flotte der Reederei Laeisz. Nicht zuletzt gehören etliche Neubauten für die Kaiserliche Marine dazu, und dabei besonders die legendäre Schlachtkreuzer-Serie. Als Vorbereitung für den Bau der 50.000-BRT-»Riesendampfer« der »Imperator«-Klasse, der damals weltgrößten Schiffe, wurde 1911/1912 ein »Riesenkran« von 250 t Hubkraft errichtet, unter dem diese Neubauten ausgerüstet werden sollten. Er wurde für lange Zeit zu einem weithin sichtbaren Wahrzeichen der Werft.

Und just in dieser Zeit des fortwährenden Wachstums ereignete sich die folgende Episode, die ganz bezeichnend ist für das Denken und Handeln vieler der damals erfolgreichen Gründer. Es geht um Hermann Blohm, der im Gegensatz zu seinem mehr konzilianten, eher »väterlich« auftretenden Partner Ernst Voss in dem Gründerduo die gestrengere Hälfte darstellte. Seine hervorstechendsten Eigenschaften waren vorgelebte Disziplin, Korrektheit und Pünktlichkeit, gepaart mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Dass er außerdem auch Verständnis und Humor besaß, davon zeugt ein ganz kurzer Dialog mit einem der Werftarbeiter, zu dem es im Verlauf einer seiner alltäglichen Rundgänge durch den Betrieb, mit denen er sich die Nähe zu der Arbeit und deren Abläufen bewahren wollte, gekommen war. Er traf eines Tages in einem der Magazine auf einen älteren Mann, der dort saß und sich nicht rührte. Hermann Blohm raunzte ihn laut Überlieferung an: »Bei mir im Betrieb wird nicht geschlafen!« Darauf folgte die ebenso prompte wie geistesgegenwärtige Antwort des so Gescholtenen: »Ick hef nich slopen, ick hef bet’t«

(Ich habe nicht geschlafen, ich habe gebetet). »Gut, dann können Sie bleiben«, erwiderte Blohm und ging weiter.Nur als Anmerkung dazu: In dieser Zeit waren auf der Werft deutlich mehr als 10.000 Menschen beschäftigt, die meisten davon mussten jeden Tag aufs Neue für ihren Arbeitsplatz anstehen. Seit 1907 war die wöchentliche Arbeitszeit von 60 auf 56 Stunden herabgesetzt worden. Um wegen dieser Verkürzung der Arbeitszeit, vor allem aber auch wegen der inzwischen sehr großen Ausdehnung der Werft die tatsächliche Arbeitszeit genauer erfassen zu können, war ein neues Kontrollsystem eingeführt worden, mit dem der Beginn und das Ende der Arbeitszeit direkt in den Werkstätten, und nicht wie vorher am Ein- und Ausgang des Betriebes festgehalten wurde. Das bedeutete, dass die Wege zum und vom Arbeitsplatz, die ja je nach Gangart durchaus ausgedehnt werden konnten, nicht mehr mitgerechnet wurden. Wahrnehmungen aus einer anderen Zeit. Hermann Blohm blieb über fünfzig Jahre an der Unternehmens­-

spitze. Er verstarb am 12. März 1930 im Alter von 82 Jahren. Sein Freund und Partner Ernst Voss war 1913 nach 36-jähriger Tätigkeit aus dem aktiven Dienst ausgeschieden, blieb dem Unternehmen aber auch danach, zunächst im Aufsichtsrat, verbunden. Er verstarb 78-jährig am 1. August 1920.


Hans Jürgen Witthöft