Sonntagmorgen um 6.00 Uhr

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Wie heißt es doch so oft und so schön: »Totgesagte leben länger.« Das mag ja manchmal tatsächlich seine Berechtigung haben[ds_preview], auf jeden Fall aber gilt der Spruch für unser gutes altes Dampf­radio und dort vor allem für das Hamburger Hafenkonzert des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Beide erfreuen sich trotz aller sonstigen elektronischen Konkurrenz bester Gesundheit und Beliebtheit, was in besonders hohem Maß für das sonntägliche NDR-Hafenkonzert gilt. Es ist die älteste Radio-Livesendung der Welt, und darauf kann man schon ein bisschen stolz sein. Jeden Sonntagmorgen pünktlich um sechs Uhr schalten Tausende Fans das Radio ein, um sich noch im Bett oder auch schon beim Frühstück

etwas von der großen weiten Welt ins Haus zu holen, indem sie Gesprächen mit unterschiedlichsten Interviewpartnern folgen, die über das Leben auf See oder über entfernte Regionen in der Welt plaudern, oder entspannt der passenden musikalischen Untermalung lauschen. Es wird sogar berichtet, dass viele Hörer

die Sendungen aufzeichnen und sie an Freunde in Übersee übermitteln. Eine

Sache, die für sich spricht.

»Wir begrüßen Sie alle in nah und fern, in Stadt und Land, an der See und auf See, diesseits und jenseits des Äquators. Wir grüßen alle unsere Hörer im In- und Ausland, un all uns leeven plattdütschen Landslüüd binnen un buten …« Mit diesen Worten wurde das »Hamburger Hafenkonzert« am 9. Juni 1929 aus der Taufe gehoben. Und zwar von der Norag, der gerade einmal fünf Jahre alten Norddeutschen Rundfunk AG. »Schaffen Sie eine Sendung, die nach Tang und Teer riecht, produzieren Sie ein Programm, das die große weite Welt in die Wohnstube bringt« – das war der Auftrag für den Rundfunkjournalisten Kurt Esmarch, der mit dieser nun beginnenden und von ihm geprägten Sendereihe zu einer Rundfunklegende wurde. Esmarch hatte die Seefahrt bei der Kaiserlichen Marine noch hautnah kennengelernt.

Das Konzept der Sendung, Musik und Reportagen von Bord großer Passagier- und Frachtschiffe zu übertragen, war aber wohl zur damaligen Zeit offenbar zu progressiv, um von allen verstanden zu werden. Die großen Reedereien, auf deren Zusammenarbeit Kurt Esmarch angewiesen war, sahen noch nicht die Möglichkeiten, die eine solche Sendung auch für sie bot. Mit einer Ausnahme: Die Direktion der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft (Hamburg Süd) ließ die Norad-Leute wissen, dass sie an Bord ihrer Schiffe stets willkommen seien. So feierte das Hamburger Hafen­konzert am 9. Juni 1929 seine Premiere

auf dem Hamburg-Süd-Dampfer »Antonio Defino«. Andere Reedereien zogen bald nach, auch kleinere, und so konnte den interessierten Hörern neben viel

Unterhaltsamem ein ganz spezieller Überblick über die Seeschifffahrt allgemein einschließlich ihrer Sorgen und Probleme geboten werden.

Seit der ersten Sendung von Bord sind 85 Jahre vergangen (nach dem Krieg konnte ab 1947 zunächst vom NWDR, ab 1956 dann vom NDR wieder gesendet werden). In all den Jahren hat das Hamburger Hafenkonzert nichts von seiner Attraktion und seinem »Geschmack nach Seetang und Teer« verloren, wenn auch in manchen Zügen etwas modernisiert und nach und nach erweitert durch Interviews, Erzählungen und Seemannsgarn.

Kurt Esmarch leitete die Sendung bis 1964. Ihm folgte als weitere Rundfunk­legende Hermann Rockmann bis 1982. Zwar ist der Hamburger Hafen nach wie vor bevorzugter Sendeort geblieben, aber die Aufnahmen erfolgen längst nicht mehr nur von Bord, sondern auch von anderen populären Orten aus wie etwa dem Schulauer Fährhaus oder dem Inter­nationalen Maritimen Museum in der Speicherstand, ja sogar von außerhalb Hamburgs und aus dem Ausland. Die Grundidee jedoch ist geblieben. Als älteste noch existierende Live-Rundfunksendung der Welt ist das Hafenkonzert ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen.


Hans Jürgen Witthöft