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Der Schiffbau stößt stetig in neue Größenordnungen vor. Auch der Markt für Spezialeinheiten ist in Bewegung. Immer voluminösere Neubauten stoßen zur Flotte. Ein Ende ist kurzfristig nicht vorgezeichnet.
Die Seehandelsrouten werden von immer größeren Schiffen geprägt. Stand bereits vor der Krise der Leitsatz »Je größer der Laderaum, desto[ds_preview] höher die Skaleneffekte« in den Planungsbüchern der Reeder, gilt die Devise jetzt in Zeiten des mitunter ruinösen Preiskampfes umso mehr. Entsprechend wachsen die Schiffe: Im Bulker-Bereich fahren mittlerweile die »Valemax«-Erzfrachter mit bis zu 400.000tdw, die Tankerflotte wird von der »TI-Klasse« angeführt: 441.000tdw. In der Containerschifffahrt dominiert (noch) die Triple-E-Klasse von Branchenprimus Maersk. Die 18.270-TEU-Carrier werden jedoch schon bald von den UASC-Neubauten abgelöst, die mit Stellplätzen für 19.000 Container ausgerüstet werden. Darüber hinaus hat die Scorpio-Gruppe mittlerweile 19.200-TEU-Frachter bestellt.

Etwas anders stellt sich die Situation in der Spezialschifffahrt dar. Dort geht es weniger um Kostenaspekte als vielmehr um den wachsenden Bedarf an sehr großen Einheiten. Die Offshore-Industrie etwa ist geprägt vom umfangreichen Ausbau der Energiegewinnung auf See. Weil konventionelle Rohstoffe wie Onshore-Erdöl knapper und Energie damit teurer werden wird oder die Atomenergie in einigen Teilen der Welt zunehmend in Verruf gerät, rücken Öl- und Gasvorkommen aus dem Meeresgrund immer stärker in den Fokus. Durch die beobachteten und erwarteten Preissteigerungen wird deren Exploration zunehmend rentabler. Hinzu kommt der Boom am Offshore-Windmarkt. Für die Förderindustrie sind dafür aber große und innovative Schiffe notwendig: Errichter- und Serviceschiffe, Abwrack- und Transporteinheiten, Kabellege- und Unterwasserbauschiffe.

Die niederländische Boskalis-Gruppe plant derzeit in eine ganz neue Dimension für die Schwertransportklasse vorzudringen. Bislang gilt dort die »Dockwise Vanguard« als Maß der Dinge. Mit 275m Länge und 78,75m Breite hat das Schiff eine Tragfähigkeit von 117.000t. Die enormen Dimensionen werden bei einem Auftrag deutlich, der zwar letztlich nicht zu Stande kam, aber dennoch möglich gewesen wäre. Die Boskalis-Tochter Dockwise sollte das vor der italienischen Insel Giglio schwer havarierte Kreuzfahrtschiff »Costa Concordia« quasi »huckepack« zu einer Abbruchwerft transportieren. Boskalis hat nun vor einiger Zeit eine Studie für ein Halbtaucherschiff in Auftrag gegeben, die eben jene »Dockwise Vanguard« sogar so weit übertreffen würde, dass sie das Schwergutschiff selbst transportieren könnte. Einzelheiten über Abmessungen oder Tragfähigkeit sind zwar noch nicht bekannt. Jedoch veröffentlichte Boskalis Simulationen, bei denen das Ultra Large Heavy Marine Transport Vessel (HTV) die »Dockwise Vanguard« mitsamt einer Offshore-Plattform an Deck aufnimmt. Man habe sich das Projekt vorgenommen, weil es in diesem Segment noch viel Potenzial gibt, heißt es bei Boskalis. Der Neubau ohne klassischen Bug und im asymmetrischen Design soll auch spezielle schwimmende Öl- und Gasförderanlagen, so genannte FPSO und FLNG, befördern können, kündigt CEO Peter Berdowski an.

Ungeachtet der wirtschaftlichen Notwendigkeit halten Experten Schiffe dieser Größe technisch durchaus für machbar. Dr. Ralf Sören Marquardt, Geschäftsführer beim deutschen Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), glaubt nicht daran, dass die Branche schon jetzt an einer Grenze angekommen ist: »Rein physikalisch betrachtet gibt es eigentlich keine Beschränkung.« Problematisch sei eher, dass die Regulierung noch nicht auf einem entsprechenden Stand ist. Bei Klassifikationsvorschriften und Anforderungen ist das Größenwachstum noch nicht ausreichend berücksichtigt. Daher bedarf es für die überdimensionierten Bauprojekte auch immer einer Art Einzelfallbetrachtung.

Auch die Werften können derartige Volumen durchaus abarbeiten. Die begrenzten Dock- und Hallenkapazitäten spielen als Hindernis eher eine untergeordnete Rolle. Im Zweifel werden »kleinere« Komponenten in den Hallen oder Docks vorgefertigt und dann an geeigneten Orten zusammengeführt. »Den Teilbau mit Endmontage kann man heute bereits beobachten, unter anderem im zunehmenden Geschäft mit Offshore-Einheiten«, sagt Marquardt. Gerade in diesem Markt sieht auch er künftig einen stetigen Bedarf an großen Neubauten.

Problematischer stellt sich also weniger der eigentliche Bau, sondern vielmehr die Anfahrt oder der Aufenthalt an der Küste, vor allem in Häfen, dar. Hier gibt es eine natürliche Beschränkung in Form von Tiefgangsgrenzen oder der fehlenden Breite von Zufahrten und Hafenbecken. Die übergroßen Transport- oder Fördereinheiten können daher zum Teil nur auf See vor den Küsten mit Nachschub ausgerüstet, gewartet oder repariert werden. Das gilt vor allem dann, wenn ein Hafen sehr nahe an einer Stadt oder einem Wohngebiet liegt und es daher eine natürliche Obergrenze für Ausbau- und/oder Vertiefungsarbeiten gibt. Als Versorgungs- oder Servicehäfen bieten sich daher eher Häfen »auf der grünen Wiese« oder direkt an der Tiefsee an. In einigen Regionen der Welt ist deren Anzahl aber überschaubar.

Dieses Argument bringt auch Jürgen Friesch, Geschäftsführer der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA) an (HANSA 09/2014). Aus hydrodynamischer Sicht kann es seiner Meinung nach keine Obergrenze geben. Er ist sicher, dass man beispielsweise Liien für ein 25.000-TEU-Schiff entwerfen und auch die entsprechende Leistung erzeugen kann. Sicheres Manövrieren, Versicherungsfragen sowie das Be- und Entladen werden laut dem Experten eher Grenzen setzen.

Mit großem Interesse wird derzeit außerdem die Entwicklung beim Neubau »Pieter Schelte« verfolgt. Nach jahrelanger Bauzeit und noch längerer Entwicklungsphase soll das Offshore-Spezialschiff im kommenden Jahr seine Arbeit aufnehmen. Der Eigner, die in der Schweiz ansässige Allseas Group, ist bei der Konstruktion zweigleisig gefahren. So kam der 382m lange und 124m breite Koloss zum einen als Pipeline-Verlegeeinheit eingesetzt werden. Mit 2.000t Kapazität übertrifft er den bisherigen Marktführer, die ebenfalls zur Allseas-Flotte gehörende »Solitaire«. Am Bug ist dafür ein 170m langer Ausleger angebracht. Zudem gibt es eine Rohlagerzone und Schweißanlagen. Möglich ist eine Verarbeitung von Pipelines mit bis zu 68 Zoll. Zum anderen – und das dürfte zunächst der Hauptarbeitsbereich werden – soll es für die Montage und Dekonstruktion von sehr großen Offshore-Plattformen verschiedener Art dienen. Der Transport von immer größeren Plattformen gilt in der Branche tatsächlich als wichtiger Markt, da viele der mittlerweile in die Jahre gekommenen großen Einheiten umgerüstet oder verschrottet werden müssen.

Das spezielle Design der »Pieter Schelte« setzt neue Maßstäbe. So hat das Schiff eine tiefe Einbuchtung von 122m Länge und 59m Breite im Bugbereich, wodurch von vorne betrachtet ein Katamaran-ähnliches Design entsteht. Auf diese Weise ist es dem Neubau möglich, die Topsides von Plattformen am Stück anzuheben, weil das zu transportierende Modul von den Bugsegmenten »umfahren« wird. Nach der Idee der Entwickler werden so viel Zeit und Kosten gespart. Denn mit bislang für solche Arbeiten eingesetzten Schiffen müssen die Topsides vor dem Abtransport offshore in kleinere Teile zerlegt werden. Dabei fallen komplexe Schneidearbeiten an. Das gleiche gilt für Jackets. Müssen sie im Unterwasserbereich zerlegt werden, fallen hohe Kosten und Risiken an. Der Neubau kann durch seine Konstruktion bis zu 48.000t schwere Topsides in einem Stück heben. Nach Angaben von Allseas stehen am Bug acht Hubtraversen zur Verfügung, die horizontal verschoben werden können. Zwei kippbare Traversen finden sich am Heck. Für Jackets steht dort eine Hubkraft von 25.000t zur Verfügung. Nach den Vorbereitungsarbeiten unter Wasser werden sie über den A-Frame auf das Achterschiff gezogen.

Mit einem dynamischen Positionierungssystem und hoher Eisklasse soll das Schiff weltweit eingesetzt werden können. Ein Wellenkompensationssystem ermöglicht zudem Arbeiten bei bis zu 3,5m Wellenhöhe. Zwölf Propellergondeln von Rolls-Royce sorgen für Antrieb. Die Leistung von 95 MW wird von acht MAN-Dieselmotoren erzeugt. Versorgt werden damit auch die zwölf POD-Antriebe (je 6 MW).

20.000 t Krankapazität für Heerema

Da ein solches Spezialschiff komplexe Arbeitsgänge hat, ist ein umfassendes IT-System nötig. Bei der »Pieter Schelte« wird es von L-3 SAM Electronics geliefert. Einige Kommunikationskomponenten stammen von FUNA Nachrichtentechnik. Auch das Unternehmen Imtech Marine ist an dem Bau beteiligt. Das Unternehmen lieferte neben dem DP3-System unter anderem die Automatisierungstechnik sowie Stromerzeugungssysteme und Transformatoren. Weitere Antriebs- und Steuerungskomponenten stammen von Bosch Rexroth: Dazu gehört beispielsweise ein 5MW starkes Hydraulikaggregat.

Gebaut wurde die »Pieter Schelte« vom südkoreanischen Werftkonzern Dae­woo Shipbuilding and Marine Engineering (DSME) – zumindest in großen Teilen. Denn bei dem großen Neubau kommt das angesprochene Teilbau-Modell zum Tragen. Ein Ergebnis dieser Entwicklung könnte die Bildung umfassender maritimer Industriezentren sein. Diesen Weg kündigte bereits Rotterdams Hafenchef Allard Castelein an. Der Standort hat den Zuschlag für abschließende Endmontage- und Ausrüstungsarbeiten an der »Pieter Schelte« bekommen. Dabei kam Rotterdam der Bau der neuen Terminalanlage Maasvlakte 2 zu Gute. Denn im Zuge dessen entstand ein neues Hafenbecken: der Alexiahaven. Dorthin wird das Schiff gebracht. Das Areal wird eigens für dieses Projekt noch weiter ausgebaggert. Darüber hinaus verfügt Rotterdam über verschiedene Docks und Anlagen für Offshore-Spezialeinheiten.

Neben dem HTV-Projekt von Boskalis gibt es weitere Großprojekte. Das im niederländischen Leiden ansässige Unternehmen Heerema Marine Contractors hat sich als Dienstleister für Aufbau und Transport von Offshore-Einheiten einen Namen gemacht. Bislang größtes »Schiff« der Flotte ist die 202 x 88m umfassende »Thialf«, ein halbtauchender Schwimmkran, der im Tandemlift bis zu 14.200t schwere Objekte heben kann. Aktuell arbeitet Heerema jedoch an einem – mit 10kn selbstangetriebenen – Neubau, der diese Marke weit übertrifft. Bis zu 20.000t kombinierte Krankapazität bei 48m Auslage soll das New Semi-Submersible Crane Vessel (NSCV) bekommen. Es wären laut Heerema die weltweit stärksten Krane. Für beide Krane wurde eine Vereinbarung mit dem niederländischen Spezialisten Huisman unterzeichnet. Das Projekt hat bereits einige Vorbereitungsphasen hinter sich. Die KBR Gruppe aus dem US-amerikanischen Houston konnte für ihr Tochterunternehmen GVA den Auftrag zur Entwicklung des Basis-Designs erhalten. Das NSCV soll 214m lang und 97,5m breit werden. Die Struktur basiert auf acht Holmen, die auf Pontons montiert sind.

Weil nicht nur der Neubau selbst, sondern auch die Arbeit auf ihm in neue Dimensionen vorstößt, legt Heerema einigen Wert auf eine entsprechende Vorbereitung. So wurde mit Kongsberg Maritime ein Vertrag zur Lieferung eines hochmodernen Offshore Heavy Lift Crane Simulator unterzeichnet. So sollen die Kranführer für die anspruchsvollen Arbeiten geschult und mögliche Schwerlastprojekte im Vorfeld auf ihre Machbarkeit getestet werden. Dafür plant das Unternehmen eigens ein spezielles Simulationszentrum in Leiden.

Ein anderes Projekt hat Heerema mittlerweile in Dienst gestellt. »Aegir« ist das jüngste Flottenmitglied des Unternehmens. Heerema setzt wie Allseas auf Multifunktionalität: Bei beiden Neubauten spielen Offshore-Konstruktionen und Pipeline-Projekte tragende Rollen. Südkoreas Daewoo-Gruppe hat das 210m lange, 46,2m breite und bis zu 11m tiefgehende Schiff gebaut. Es basiert auf dem angepassten »Sea of Solutionn SOC 5000«-Design der norwegischen Ulstein-Gruppe inklusive eines dynamischen Positionierungssystems der Klasse 3. Maximal 305 Personen können auf der von Lloyds Register klassifizierten »Aegir« untergebracht werden.

Für Heavylift-Operationen steht ein Großkran mit 125m-Ausleger zur Verfügung. Die Kapazität reicht von 1.500t bei 78m Radius und 4.000t zwischen 17 und 40m Radius. Damit können Elemente bis zu 96m über Deckshöhe angehoben werden. Ein weiterer Kran hat eine Kapazität von 750t bei einem Radius zwischen 23 und 92m.

Bei Pipeline-Verlegearebeiten im J-lay-Verfahren hat die »Aegir« einen Tensioner mit 2.000t Kapazität. Für R-lay-Arbeiten zwei Rollen mit ebenfalls 2.000t Kapazität. An Bord des Spezialschiffs gibt es darüberhinaus zwei automatische Unterwasserfahrzeuge (ROV). Insgesamt kann die »Aegir« mit einer dieselelektrischen Maschine (13.000 kW) und sechs 8 MW-Generatoren in einer Wassertiefe von maximal 3.500m arbeiten.

Stena-Design für Krankenhausschiff

Aber nicht nur in den »klassischen« Spezialschiffsegmenten tut sich etwas. Ein Beispiel ist die »Atlantic Mercy« – ein über 100Mio. $ teurer Neubau eines Kranken­hausschiffes. Die Organisation Mercy Ships hat es bei der chinesischen Werft Tianjin Xingang bestellt. 2017 soll es abgeliefert, ab 2018 voll einsatzfähig sein. Bei 174m Länge, 28,6m Breite und 6,1m Tiefgang ist das Schiff mit 37.000BRZ vermessen. Gebaut wird es als Gemeinschaftsprojekt. Die Leitung liegt be der Reederei Stena RoRo, das Design stammt von Deltamarin aus Turku. Die französische Maklerfirma Barry Rogliano Salles (BRS) war von entscheideneder Bedeutung für die Vertragsverhandlungen, heißt es seitens Mercy Ships. Die Organisation ist seit 35 Jahren in Afrika aktiv – bislang mit gebrauchten Schiffen. Der Neubau wird nun die medizinischen Kapazitäten verdoppeln. Das Design basiert auf dem des »Seabird«-Typ der Reederei Stena. Für die Hilfseinsätze wurde es angepasst, unter anderem beim Vibrations- und Lärmpegel.

Auf der in Malta registierten »Atlantic Mercy« werden nach der Indienststellung mindestens 600 Besatzungsmitglieder auf elf Decks zum Einsatz kommen. Das eigentliche Krankenhaus hat eine Fläche von insgesamt 7.000m2. Es ist ausgestattet mit sechs Operationssälen, einer Intensivstation, einem Labor, einer diagnostischen Radiologie und einem Lager. 109 Betten für die Akutpflege und 45 Betten für stationäre Pflege sind ebenfalls vorhanden. Die »Atlantic Mercy« kann weltweit eingesetzt werden, zunächst sind aber überwiegend Projekte in Afrika geplant. Sie soll für eine Vielzahl von Eingriffen ausgestattet werden, unter anderem für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie und Tumorentfernungen, Lippen- und Gaumenspaltenkorrekturen, für plastische und orthopädische Operationen, Kataraktentfernungen und die Korrektur von Vaginalfisteln. Die Klassifizierungsgesellschaft Lloyds Register wird das Spezialschiff mit dieselelektrischem Antrieb klassifizieren.

Derzeit setzt Mercy Ships seit 2007 die ehemalige Eisenbahnfähre »Africa Mercy« ein. Das 24 Jahre alte und 125m lange Schiff fährt unter Bureau Veritas-Klasse. Vor einigen Wochen wurde die besondere Brisanz deutlich, mit der Krankenhausschiffe von Zeit zu Zeit konfrontiert werden. Wegen des Ebola-Ausbruchs in Westafrika musste der geplante Anlauf im Hafen Cotonou in Benin verschoben werden. Das Risiko für die Besatzung war zu groß, weil die »Africa Mercy« nicht für solche Epidemie-Notfälle ausgerüstet ist.


Michael Meyer