Überkapazitäten und vermeintlich irrationale Neubau-Aufträge gehören zu nahezu jedem »Expertengespräch« über die Schifffahrt – auch wenn es mittlerweile kaum noch[ds_preview] einer hören mag. Zu sehr wartet die Branche auf eine Erholung. Allzu großer Optimismus ist unangebracht. So besagt es zumindest der jüngste Ausblick der Bank Nordea, die für 2016 und 2017 ein globales GDP-Wachstum von 3,1 und 3,2% erwartet – und damit nur geringfügig mehr als 2015.
Auf die Schifffahrt und die ohnehin schon schwer gebeutelte Bulker-Branche bezogen – wir berichten darüber in dieser Ausgabe in mehreren Artikeln – wird zudem maximal eine Stagnation der wichtigsten Güter-Transporte prognostiziert. Chinas schwächelnde Wirtschaft inklusive der Überkapazitäten in der Stahlproduktion sowie Indiens Plan, von Kohle-Importen unabhängiger zu werden, lassen grüßen.
Ein positives Signal gab es immerhin zuletzt: Der Leitindex BDI kraxelte aus seinem Jammertal und legte vom historischen Tiefstand bei 290 Punkten auf über 395 Punkte zu. Die Raten für Handysize- und Panamax-Bulker profitierten davon. Bei Capesize-Frachtern tat sich hingegen nicht viel.
Kopfschütteln löste eine Ankündigung aus China aus. Sie ist das jüngste Beispiel, das Wasser auf die Mühlen der Neubau-Kritiker bringt: So haben COSCO, China Merchants Group und ICBC Financial Leasing 30 (!) neue Valemax-Bulker mit bis zu 400.000tdw geordert. Der gerade erst aus COSCO und CSCL neu formierte Staatskonzern Coscocs folgte kurz darauf mit der Verkündung, mit Vale einen 27-Jahres-Auftrag für Erzverschiffungen ausgehandelt zu haben. Der Plan ist so simpel wie zweigeteilt: Den chinesischen Stahl-Akteuren soll eine größere Marktmacht über die Frachtraten ermöglicht werden, während gleichzeitig die kriselnde, aber sehr beschäftigungsintensive und damit für die Gesellschaft enorm wichtige Werftindustrie mit Großaufträgen versorgt wird – denn wie nicht anders zu erwarten, gingen die Order nach China.
Dabei ist die Tonnage-Überkapazität bereits enorm und die Valemax-Schiffe haben bekanntermaßen seit ihrer Einführung durch den brasilianischen Rohstoffkonzern Vale 2010 den Markt aufgeschreckt. Erholt sich das Ratenniveau nicht nachhaltig, wird einigen vermutlich nicht einmal die nötige Handbreit Wasser unterm Kiel bleiben. Eine Ausdünnung in der Reedereilandschaft wird nicht ausgeschlossen. Ein mehr oder weniger »freiwilliger« Ausstieg beziehungsweise eine Portfolio-Anpassung zur Risikominimierung wie ihn die Noble Group plant, ist dabei noch die harmlose Variante.
Dass man nicht zwangsläufig pessimistisch an die Sache herangehen muss und es noch immer risikoaffine Akteure gibt, zeigt das Vorpreschen der BW Group. Das bislang auf Tanker und Gas Carrier fokussierte Unternehmen hat angekündigt, ausgerechnet in den Bulker-Markt einzusteigen. Im Segment 50.000tdw bis 90.000tdw will man antizyklisch investieren und von den niedrigen Schiffswerten profitieren, hieß es.
Man mag es risikofreudig, naiv oder trotz familiärer Beziehungen zur Bulk-Reederei Berge Bulk nahezu masochistisch nennen – in jedem Fall ein mutiger Vorstoß, dessen Ergebnis spannend zu beobachten sein wird. Zumal sich offenbar auch weitere Akteure wie Seanergy oder Pacific Basin Akquisitionen günstiger Assets vorstellen können. Erst mittelfristig wird sich zeigen, ob es sich um eine zu riskante oder eine kluge, rationale Strategie gehandelt hat.
Ein Frage, die derzeit prinzipiell die gesamte maritime Industrie betrifft. Vor allem, weil es in diesen Zeiten fast unmöglich ist, belastbare Prognosen über die Marktentwicklung zu treffen. Zumindest das ist ja auch eine Erkenntnis.
Viel Spaß beim Lesen
Michael Meyer