Erinnerung ohne Zeigefinger

Bei aller Bremswirkung, die von Liquiditätsproblemen und Ratenkrise in der maritimen Industrie bezüglich Innovationen und Entwicklung ausgeht, bleibt die Branche[ds_preview] so schnelllebig, wie es in unseren globalisierten und vernetzten Zeiten üblich ist: Die Konsolidierung bei Reedereien und Zulieferern nimmt merklich Fahrt auf. Manches gerät dabei allerdings aus dem Fokus, anderes beinahe in Vergessenheit. Die Rede ist von einem der Stützpfeiler der gesamten Industrie: den unzähligen Seeleuten, ihrer Arbeit und ihrer Sicherheit.

Kürzlich wurde der »Day of the Seafarer« begangen. Er soll Arbeit und Entbehrung der Männer und Frauen auf zigtausenden Schiffen würdigen. Für manche Beobachter geschieht dies nämlich noch zu selten.

In Deutschland etwa sorgt man sich angesichts der Praxis mit »Flags of Convenience« seit Jahren um die Zukunft des nautischen und technischen Nachwuchses. Ob die aktualisierte Schiffsbesetzungsverordnung Abhilfe schaffen kann, ist nicht nur angesichts der wirtschaftlichen Situation vieler Reedereien sehr zweifelhaft. Die Gewerkschaft ver.di hält sogar überhaupt nichts von dem Gesetz, dass deutsche Seeleute zu einem »Auslaufmodell« mache, und trat kurzerhand aus dem »Maritimen Bündnis« aus.

International ist das Thema »Crewing« ebenfalls auf der Agenda, mit zum Teil dramatischen Prognosen, wie der jüngste Manpower-Report von BIMCO und ICS deutlich macht. 16.500 gut ausgebildete Offiziere fehlen demnach aktuell, bis 2025 könnte der Nachfrage-Überhang auf 147.500 offene Stellen steigen. Das ist auch eine Folge der massiven Kosteneinsparungen, die Eigner und Manager mit Verweis auf die Wettbewerbsfähigkeit durchsetzen (müssen).

Daher ist der erhobene Zeigefinger unangebracht, bei vielen Reedereien ist es nahezu ein Akt der Notwendigkeit, weil sie ihre Existenz und damit nicht zuletzt viele Arbeitsplätze sichern müssen. Zumal derart katastrophale Erwartungen nicht ohne Widerspruch sind. Das Analysehaus Drewry geht sogar so weit, eher eine Reduzierung des Fachkräftemangels zu prognostizieren, da die Flotte weniger stark wachse.

Tatsächlich aus dem Fokus geraten ist hingegen eine sehr reale Bedrohung für die Seeleute: Die von Somaliern ausgeübte Piraterie. Dabei birgt das Thema noch immer große Sprengkraft. Vielen werden die Namen »Seaman Guard Ohio«, »Enrica Lexie« und »Big Mouth Afweyne« kaum noch etwas sagen. Fast scheinen die Fälle in Vergessenheit geraten zu sein. Dabei läuft die juristische Aufarbeitung bis zuletzt weiter. Schleppend, aber auch mit Teilerfolgen, wie wir in unserem Schwerpunkt in dieser Ausgabe zeigen.

Hinter all dem steht die Sicherheit von Seeleuten. Problematisch wird es aber dann, wenn Crews und Sicherheitsleute seit Jahren fern ihrer Heimat festgehalten werden und ihnen wegen ihres Einsatzes gegen Piraten sogar Haftstrafen drohen, weil Staaten wie Indien Stärke demonstrieren wollen. Mit der Würdigung der Arbeit auf See ist es dann nicht weit her – selbst wenn es sicherlich auch »schwarze Schafe« gibt, und manche Forderung von angehenden Seeleuten möglicherweise zu hoch angesetzt sind – die übergroße Mehrheit der Männer und Frauen verrichtet gute und wichtige Arbeit.

In Indien haben wir tatsächlich eine schwer hinnehmbare Situation, die dringend aufgelöst werden muss. Das gleiche gilt für die nautische und technische Ausbildung. Ansonsten könnten Szenarien wie jenes von BIMCO und ICS tatsächlich Wirklichkeit werden, sei es aufgrund gesetzgeberischer oder juristischer Stolpersteine. Das kann keiner wollen, weder Reedereien noch die selbst ernannten Schifffahrtsnationen.

Viel Spaß beim Lesen wünscht


Michael Meyer