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Mit der Freigabe der neuen Kieldrechtschleuse Mitte Juni hat der Port of Antwerpen eine neue Ära der Entwicklung eingeleitet. Der Hafen bekommt dadurch weitere Potenziale für Flächenzuwachs
Als der belgische König Filip zu dem Podest mit vier symbolischen roten Knöpfen für das Signal zur ersten Schleusung schritt[ds_preview], strahlte der Himmel. Grund genug gab es dafür. Die »größte Schleuse der Welt« war innerhalb des Zeitrahmens von fünf Jahren und nahezu auch innerhalb des Finanzbudgets errichtet worden. Eine kaufmännische und ingenieurmäßige Meisterleistung also. 382 Mio. € hat die 500 m lange und 68 m breite Schleuse mit einem Tiefgang von 17,80 m gekostet.

Die Abmessungen des neuen Bauwerks ließen sich in Relation zum ersten geschleusten Schiff, dem 236 m langen ConRo-Schiff »Grande Lagos« der italienischen Grimaldi-Reederei erfahren. Künftig können zwei Schiffe dieser Größenordnung gleichzeitig abgefertigt werden oder eben die größten Containerschiffe.

Nun können Schiffe zusätzlich zur Kallo-Schleuse, die bisher den einzigen Zugang zum Waaslandhafen darstellte, auch die Kieldrechtschleuse nutzen und so zeitliche Engpässe vermeiden. Bisher aufgetretene Wartezeiten von mehreren Stunden oder, bei gestörter Kallo-Schleuse, gar die gänzliche Unzugänglichkeit des Waaslandhafens gehören so der Vergangenheit an. Die 1983 gebaute Kalloschleuse kann sogar grundüberholt werden, ohne dass der Hafen stillgelegt werden muss.

Der flämische Minister für Mobilität Ben Weyts sprach anlässlich der Eröffnung über die Vorteile, die in ganz Flandern zu spüren sein werden. »Die Kieldrechtschleuse gibt den Reedern einen weiteren Grund, um in Flandern zu investieren. Damit sichern wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Antwerpener Hafens und ziehen weitere ökonomische Aktivitäten in diese Region«, zeigte sich der Minister überzeugt. »Unsere Häfen können sich in der ganzen Welt als schnelle, effiziente und pünktliche Dienstleister vorstellen«, so der Minister.

Zufrieden ist auch Hafendezernent Marc van Peel. »Die Kieldrechtschleuse ist der nötige Schlüssel für den weiteren Ausbau des Hafens am linken Scheldeufer«, betonte er unter dem Beifall der Gäste. Um diese hervorragende Position behaupten zu können, müsse Antwerpen weiter an der nötigen Infrastruktur arbeiten. Dazu, so van Peel, gehörten nunmal gut funktionierende Schleusen, die auf den Maßstab der größer werdenden Schiffe in der internationalen Schifffahrt abgestimmt seien.

Daher sei es auch nötig, die bisher begrenzten Wachstumsmöglichkeiten des Hafens zu verbessern. Der erste Abschnitt des geplanten Saeftinghedok, eines Tidedocks am linken Scheldeufer, müsse also zwingend das nächste große Projekt auf der Agenda sein. Hier, nördlich des Deurganckdoks, sollen bis 2021/22 etwa 1400 m Kailänge und weitere Flächen für Umschlagkapazitäten von rund 5 Mio. TEU entstehen. Im Endstadium könnten sogar 5.000 m Kailänge entstehen.

Für Eddy Bruyninckx, noch bis Ende dieses Jahres CEO der Antwerp Port Authority (APA), stellt die neue Schleuse einen markanten Schlusspunkt seines Engagements dar. Auch Bruyninckx sprach von einem Schlüsselprojekt für Antwerpen. Unter seiner 25-jährigen Ägide hatte der Hafen seinen Umschlag auf zuletzt mehr als 200 Mio. t verdoppelt.

Durch die neue Kieldrechtschleuse verbessert sich nicht nur der Zugang zum Waaslandhafen, es verändern sich zudem logistische Abläufe. Um die neuen Potenziale besser nutzen zu können, plant beispielsweise die Grimaldi-Gruppe den Ausbau ihrer Aktivitäten am linken Scheldeufer. Die Unternehmenstochter ACL will einen neuen Knoten für Westafrika-Verkehre aufbauen. Ein Großteil der Aktivitäten, so eine Sprecherin des Hafenbetriebs, sei bislang in Hamburg erfolgt.

Auch die MSC (Mediterranean Shipping Company) hat Umzugspläne. Bis Ende 2016 will die Schweizer Reederei ihre Aktivitäten am Deurganckdok beim dortigen MSC PSA European Terminal (MPET) bündeln. In der Endausbaustufe gibt es dort Kapazitäten für bis zu 9 Mio. TEU. Im ebenfalls hier angesiedelten Antwerp Gateway Terminal von DP World, Zim Ports und Cosco Pacific gibt es weitere Kapazitäten von rund 2 Mio. TEU.

»Insgesamt«, so Hafenchef Eddy Bruyninckx, werden mehr als 5 Mio. TEU vom rechten auf das linke Scheldeufer umziehen. Von dieser »größten Verlagerung«, die es je im Antwerpener Hafen gegeben hat, wird ein Wachstumsschub von bis zu 4 % im Containerumschlag erwartet. Bei einer Ausgangszahl von 9,7 Mio. TEU in 2015 bedeutet dies den Sprung über die 10-Mio.-TEU-Marke.

Durch die künftig frei werdenden Flächen am rechten Scheldeufer entstehen neue Ansiedlungsmöglichkeiten. Für das Delwaidedok am rechten Flussufer liegen der Hafenverwaltung nach eigenen Angaben bisher bereits 15 Bewerbungen vor. Favorisiert wird seitens des Antwerpener Hafens die Errichtung eines Mehrzweckterminals oder eines Tanklagers, von der die bereits stark vertretene Petrochemie profitieren könnte. Im Bereich der Flüssigladung konnte Antwerpen in den vergangenen Jahren die stärksten Umsatzzuwächse generieren.

Frei ist auch eine knapp 90 ha große Fläche, die ehemals von General Motors genutzt wurde, ebenfalls am rechten Scheldeufer. Verhandlungen mit einem Interessenten aus Saudi-Arabien kämen allerdings eher schleppend voran, so eine Hafensprecherin.

Das aber ficht die Antwerpener Hafenbetriebe nicht sonderlich an. Sie schauen mit Optimismus in die Zukunft und untermauern dies mit einem fast als spektakulär zu bezeichnenden neuen Hafengebäude. Über der unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Feuerwehrstation erhebt sich bis auf 46 m Höhe die 1.500 t schwere Stahlkonstruktion, in der bald die 500 Mitarbeiter einen freien Blick über den gesamten Altstadthafen haben werden. Ein weithin sichtbares Zeichen der Prosperität.

Geplant von Zaha Hadid, einer aus dem Irak stammenden Architektin, soll das als schiffsartiger Diamant gestylte Bauwerk im September eröffnet werden. Hafenchef Bruyninckx wird darin noch drei Monate dienstlich Freude haben. Danach wird sein inzwischen auserkorener Nachfolger, der 52-jährige Jacques Vandermeiren, in dem futuristischen Bauwerk residieren.


Hermann Garrelmann