China dürfte nach der Trump-Wahl in den USA seine Seidenstraßen-Initiative noch intensiver vorantreiben. Zu Unrecht entfällt die größte Aufmerksamkeit auf den Landweg quer durch Eurasien. Denn für die Schifffahrt könnte ein energischeres Vorpreschen Chinas weitreichende Folgen haben. Von Michael Meyer
Die im Raum stehenden Zahlen muten gigantisch an: Die Initiative »One Belt One Road« mitsamt der »Maritime Silk Road« soll[ds_preview] nach den Plänen der chinesischen Führung in rund einem Jahrzehnt einen wirtschaftlichen Ertrag von 21 Billionen $ generieren. Die gerade erst gegründete Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) ist mit 100Mrd. $ ausgestattet, von denen große Teile für Projekte unter dem OBOR-Schirm vergeben werden. Der Ende 2014 eingerichtete staatliche »Silk Road Fund« verfügt über weitere 40Mrd. $. Insgesamt übertrifft das finanzielle Engagement Chinas um ein Vielfaches das des vielgerühmten Marshall-Plans nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa.
Gewaltige Summen also, die für Chinas immense Transport- und Infrastruktur-Offensive zur Verfügung stehen. Und das ist nach offizieller Lesart nur der Anfang. Peking hat stets explizit betont, dass andere Staaten und auch private Kapitalgeber eingeladen sind, sich mit kleineren oder größeren Wegmarken an der Seidenstraße des 21. Jahrhunderts zu beteiligen. Das Ziel ist eine bessere Verbindung von China mit Südostasien, Südasien, Europa und Afrika – betroffen sind 65 Länder und 4,4 Milliarden Menschen.
Von Anfang an hat die chinesische Führung dabei großen Wert auf den dualen Charakter gelegt: Da sind zum Einen die Verbindungen auf den Spuren Marco Polos, über Land zwischen dem Reich der Mitte und Westeuropa. Entfernungen von über 10.000km sollen überbrückt werden. Zum Anderen gehört die Durchquerung des Chinesischen Meeres, der Straße von Malakka, des Indischen Ozeans, von Rotem Meer und Suezkanal, der Ägäis und der Adria im Mittelmeer dazu. Das Projekt deckt damit unter anderem eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten überhaupt ab, auf der jährlich Tausende Schiffe zigtausende Transporte abwickeln. »Der Ausbau der Transport-Infrastruktur ist ein ganz entscheidender Punkt der Strategie. Es sollen Mauern und Handelshemmnisse abgebaut und durch ein China-zentriertes Infrastruktur-Netzwerk ersetzt werden«, sagt China-Experte Moritz Rudolf vom Berliner Mercator Institute for China Studies (Merics) der HANSA.
Besondere Aufmerksamkeit ziehen die großen Eisenbahnprojekte auf sich. Direkte Verbindungen etwa zwischen Duisburg und Chongqing machten aufgrund ihrer (Entfernungs-)Dimension bereits Schlagzeilen. Insgesamt ist die Aufmerksamkeit für die »Land-Aspekte« der OBOR größer als für den maritimen Teil. Zu Unrecht meint Rudolf: »Der Überland-Aspekt tritt in der Öffentlichkeit viel stärker in Erscheinung. Dabei ist der maritime Teil der wichtigere. Das Handelsvolumen über See ist viel höher als über Land.«
Die potentiellen Konsequenzen für die maritime Wirtschaft sind beträchtlich.
Peking plant enorme Investitionen in weltweite Hafenprojekte – und setzt diese zum Teil auch schon um, etwa in Piräus und im pakistanischen Gwadar. Der Hafen soll zu einem der wichtigsten Schifffahrtshubs werden, geört zum 50Mrd. $ umfassenden »China-Pakistan Economic Corridor«. Von chinesischen Firmen umfangreich ausgebaut wird er nun von China Overseas Port Holdings betrieben. Das ergibt Chancen für die Hafen- und die Hafenbau-Wirtschaft, und hat angesichts Chinas Wirkung auf die globalen Handelswege mittelfrstig einigen Einfluss auf die Schifffahrtsrouten. Kürzlich feierten hochrangige Verantwortlichen inklusive Pakistans Premierminister Nawaz Sharif die erste Abfertigung über den Landweg aus Xinjiang angekommener, chinesischer Güter in Gwadar.
Das Schaubild zeigt deutlich die weitverstreuten Aktivitäten Chinas, etwa in Sri Lanka, Bangladesch und in Afrika. Eines der jüngsten Beispiele ist die Gründung eines Joint Ventures zwischen Sri Lanka und der China Merchants Port Holdings für die Weiterentwicklung eines Hafens in Hambantota.
Zudem soll mit den landseitigen Investitionen in »OBOR-Länder« und die gesamte Region deren wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben werden. Auch wenn nach Ansicht einer australischen Forschergruppe um den Wissenschaftler Paul Tae-Woo Lee von der RIMT-Universität in Melbourne – der sich seint einiger Zeit intensiv mit dem Thema beschäftigt – wichtige Standorte fehlen, um ein effizientes Netzwerk zu entwickeln. Dazu werden Durban, Maputo sowie Australien und Neuseeland gezählt.
Langfristig sollen nach dem Wunsch der Staatspartei in Peking neue Absatzmärkte für chinesische Produkte entstehen, die mit Transporten bedient werden müssen. Kurzfristiger werden bereits umfangreiche Rohstoff- und Anlagenverschiffungen nötig, um Industrie- und Infrastrukturprojekte überhaupt erst zu ermöglichen – mit großen Chancen für die weltweite Breakbulk-, Schwergut- und Drybulk-Schifffahrt. Die Branchen müssen für den Aufbau sorgen, danach sollen zudem Rohöltanker und nicht zuletzt Containerschiffe auf neuen oder zumindest stärker nachgefragten Routen Beschäftigung finden, um die Wirtschaftsräume zu versorgen.
Im Inland soll die Wirtschaft ebenfalls angekurbelt werden, in den chronisch instabilen und schlechter entwickelten Regionen im Westen der Volksrepublik genauso wie an der Küste. So sollen Sonderwirtschaftszonen unter anderem im Jangtse-Delta, dem Pearl Delta und in der Bohai Bucht entstehen.
Erste Wirkungen sind bereits zu beobachten: Nach einer Hochphase vor rund zwei Jahren setzte die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in China zwar auch der Schifffahrt zu. Der gemeinsam von der Regierung und der Shanghai Shipping Exhange herausgegebene – angesichts des frühen Zeitpunks noch provisorische – Maritime Silk Road Freight Index zeigte allerdings zuletzt wieder ansteigende Werte. Seit März kletterte der Index nach einem relativ starkem Rückgang in 2015 von 64 Punkten stetig auf zuletzt 84 Punkte. Berücksichtigt werden sowohl Container- als auch Drybulk- und Tankertransporte.
FDI wachsen rasant
Beim internationalen Reedereiverband ICS will man sich bezüglich möglicher positiver Effekte für die arg gebeutelten Märkte allerdings nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. »Es ist noch zu früh, um Auswirkungen abzuschätzen«, sagt Geschäftsführer Peter Hinchliffe der HANSA, auch weil noch nicht absehbar sei, wie sich die USA in Zukunft tatsächlich verhielten. Die chinesischen Investitionen dürften seiner Ansicht nach aber auf jeden Fall die seeseitigen Transporte sowie die das Denken in »multimodalen« Bahnen stimulieren.
Auch das Analysehaus Drewry erwartet signifikante Effekte erst in einigen Jahren. Dann jedoch dürften die Volumen zunehmen, weil mehr Länder beteiligt seien, sagt China-Direktor Han Ning der HANSA. Die starke Expansion der Bahnverbindungen durch Eurasien bewertet er nicht als zwingende Konkurrenz für die Schifffahrt, weil die dortigen Volumen zu gering seien. Für den Ölmarkt könnte es dem Vernehmen nach anders aussehen. In der Branche wird darüber spekuliert, dass der China-Pakistan-Korridor negative Effekte haben könnte, weil Ölimporte zeitsparend über Pipelines an Land abgewickelt werden könnten, von Gwadar nach Kashgar. Aktuell kommen 80% der chinesischen Importe von Öl über See.
Zwar ist die Initiative nur ein grober Rahmen, dennoch lassen sich erste Maßnahmen beobachten und quantifizieren. Nach offiziellen chinesischen Regierungsangaben haben die ausländischen Direktinvestitionen des Landes (FDI) diejenigen ausländischer Akteure im eigenen Land überholt, so dass die Volksrepublik mittlerweile ein »Nettofinanzierer« ist. Investitionen in OBOR-Ländern wuchsen 2015 um 38,6% auf 18,9Mrd.$. Zum Vergleich: die weltweiten FDIs Chinas kletterten im gleichen Zeitraum um »lediglich« 18,3%. Noch 2004 hatten die FDI in die heutigen OBOR-Staaten einen Wert von 400Mio. $, seitdem gab es den Angaben zufolge eine Steigerung um das 45-fache mit durchschnittlich 43% Wachstum pro Jahr. Der Anteil an den Gesamt-FDI stieg in diesem Zeitraum von 7% auf 13%. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2016 stammten knapp über die Hälfte (52%) der Industrieanlagen-Aufträge Chinas aus OBOR-Staaten.
Hongkong rechnet sich Großes aus
Große Potentiale und zusätzliches Geschäft rechnet sich Hongkong aus. Die Sonderverwaltungszone an der Südküste Chinas könnte zu einem noch größeren Hub für maritime Dienstleistungen werden. Eine Umfrage des Hongkong Trade Development Council unter südchinesischen Firmen kam zu dem Ergebnis, dass 50% auf Dienstleistungen aus Hongkong setzen wollen, wenn durch die OBOR-Initiative zusätzliches Geschäft ermöglicht wird. 80% der Befragten gaben an, sich in Hongkong engagieren zu wollen.
Nachteile könnte die Initiative hingegen für Singapur bringen. Der Stadtstaat profitiert ungemein von seiner Lage an der Straße von Malakka, einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten überhaupt. Allerdings ist sie ein Nadelöhr. China will die große Abhängigkeit seiner Im- und Exporte von der Seestraße reduzieren. Wiederholt wird daher neben den Überland-Projekten ein neuer Schifffahrtskanal am Isthmus von Kra durch Thailand ins Spiel gebracht, der seeseitige Transporte verkürzen würde. Es wäre ein gigantisches Projekt, ist jedoch noch nicht über grobe Gedankenspiele hinausgekommen. Rudolf ist jedoch skeptisch: »Der Kanal in Thailand ist Zukunftsmusik, auch wenn seit zehn Jahren darüber spekuliert wird. Es gibt derzeit keine konkreten Anhaltspunkte, dass dort in naher Zukunft etwas passiert. Momentan wird eher der Landweg vorangetrieben, um das Malakka-Dilemma zu umgehen, beispielsweise über Myanmar oder von Kashgar nach Gwadar.« In China werde allerdings darüber gesprochen. Auch in Singapur mache man sich Gedanken zu dem Thema.
Sorge um Benachteiligung
Nicht nur das Beispiel in Sri Lankas Hafen Hambantota oder in Gwadar zeigt jedoch auch die Kehrseite des chinesischen Geldregens für die maritime Wirtschaft. In der Schifffahrt sorgt man sich um eine strukturelle Benachteiligung, wenn durch chinesisches Geld vor allem chinesische Reedereien und Hafenunternehmen profitieren sollten. Peking hatte in der Vergangenheit mehrfach betont, die eigene Industrie in der schweren Krise unterstützen zu wollen. In der Schwergutschifffahrt beispielsweise ist dieses Vorgehen als »China Inc.« bekannt und »leider üblich«, monieren Beteiligte, die angesichts der harten Wettbewerbssituation anonym bleiben wollen.
Die Zweifler werden von Analysten bestätigt: »Wenn es zum Ausbau von Häfen kommt, profitieren zum Großteil chinesische Unternehmen«, sagt Merics-Experte Rudolf. Han Ning von Drewry meint, dass große chinesische Hafenbetreiber in Joint Ventures oder bei neuen Projekten die Mehrheit halten werden. Das Beratungsunternehmen PriceWaterhouseCoopers prognostiziert in einer Studie, dass sich China bei Finanzierungen den Zugang zu Rohstoffen und den Rückgriff auf chinesische Unternehmen vertraglich sichern lassen dürfte.
Die Staatsreederei COSCO selbst will von der maritimen Seidenstraße profitieren, widersprach aber gegenüber der HANSA, bei der Auftragsvergabe bevorzugt behandelt zu werden (HANSA 08/2016).
Staatschef Xi Jinping hatte großes im Sinn, als er im Oktober 2013 das erste Mal bei einer Delegationsreise in Kasachstan seine Vision der modernen Seidenstraße offenbarte. Offizielle Stellen scheuen sich in Anlehnung an den »American Dream« des kapitalistisch-orientierten Mit-Pazifikanrainers nicht, vom »Chinesischen Traum« zu sprechen, wieder zu einer echten Weltmacht zu werden. Nicht immer nur hinter vorgehaltener Hand geht es sogar um den Status nicht »einer«, sondern »der« Weltmacht, mit Einfluss in ganz Eurasien, inklusive Westeuropa als geographischem Anhängsel.
Das ist allerdings kein Teil der offiziell kommunizierten Strategie. Die ist nämlich auffallend betont auf Gemeinsamkeiten, Toleranz, gemeinsamen Entwicklungen, die Wahrung des globalen Freihandels und einer ausgeglichene Struktur sowie die Schaffung einer »schönen Zukunft« ausgelegt, wie es in offiziellen Verlautbarungen heißt. Gleichzeitig werden aber auch Souveränität, territoriale Integrität und kulturelle Toleranz betont, womit sich leicht Kritik an innerstaatlichen Vorgehensweisen abwehren lässt. Zudem wird die Tür auch für Staaten geöffnet, die nicht oder nur teilweise demokratischen Anforderungen genügen.
Aber, da sind sich viele Kenner einig, besteht ein nicht unerhebliches Risiko, dass sich China auf diesem Wege eine noch größere Machtposition sichern will. Denn vorgesehen sind ebenfalls ein gemeinsames technisches Normsystem, sowie einheitliche Transportregeln und Investitionsbestimmungen sowie die Unterstützung durch chinesische Experten in anderen Ländern. So droht ein Ungleichgewicht.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Derjenige, der das Geld gibt, auch ein stärkeres Gewicht bei der Ausgestaltung dieser Regeln für sich beansprucht. In der Konsequenz könnte China seine Vorstellungen von Regulierung in die Seidenstraßen-Welt exportieren, so Befürchtungen. Dennoch wächst das internationale Interesse an der OBOR-Initiative laut Peking stetig. So soll es Bestrebungen unter anderem von Indien, Kasachstan, der Mongolei, Australien, Indonesien, Vietnam und auch seitens der EU geben, eigene Transportkorridore und Infrastrukturprojekte mit der Seidenstraße des 21. Jahrhunderts zu verknüpfen – nicht zuletzt, um an Chinas Finanzmittel zu kommen.
Neue Impulse durch Trump-Wahl
Trotz der Erfolgsmeldungen und großen Investitionsvolumina hatte man insgesamt mit einer noch schnelleren Entwicklung der OBOR-Initiative gerechnet. Das etwas langsamere Voranschreiten liegt unter anderem in der schwächelnden chinesischen Wirtschaft begründet, die das Augenmerk Pekings zum Teil auf andere, innere Angelegenheiten lenkte. Zudem birgt das Projekt durchaus auch politische Risiken: Faktoren wie etwa der Streit um Hoheitsgewässer und Inselgruppen im Südchinesischen Meer oder die enge Kooperation mit Pakistan und Sri Lanka zu Lasten Indiens könnten die wirtschaftliche Entfaltung der Initiative hemmen.
Andererseits bekommt Chinas Prestigeprojekt unverhofften Rückenwind – aus den USA. Nach der Wahl von Donald Trump wurden Gefahren für den freien Welthandel kolportiert, die aus Trumps protektionistischen Äußerungen und dem angekündigten Austritt aus der transpazifischen Handelskooperation TTP resultieren. Stirbt das Projekt, wird wohl China in die Lücke stoßen und seine Initiative RECP vorantreiben, ein asiatisch-ozeanisches Pazifik-Freihandelsabkommen der ASEAN-Staaten mit Neuseeland, Südkorea, Indien, Japan und Australien.
»Es wird für China in Südostasien einfacher werden. Die Seidenstraßen-Initiative ist eine Gegeninitiative, daher kann man davon ausgehen, dass sie weiter intensiviert wird, wenn TTP nicht mehr zu Stande kommt. Die Gelegenheit ist sehr günstig«, meint Moritz Rudolf vom Merics-Institut. Falls die USA tatsächlich ihre Freihandelsaktivitäten zumindest teilweise reduzieren, ergäbe sich ein Vakuum, so der Experte. »Man kann daher davon ausgehen, dass China versuchen wird, weitere Staaten durch Freihandelsabkommen in den eigenen wirtschaftlichen Einflussbereich einzubeziehen. Ich denke, dass es von offizieller Seite unter dem Begriff Seidenstraße gefasst werden wird.« Nicht bekannt ist, ob die gewaltigen Investitionssummen im Zuge der neuen Entwicklungen noch weiter erhöht werden sollen.
Was aus Rudolfs Sicht zu beobachten sein wird, ist eine noch stärkere Einbindung bereits bestehender Maßnahmen, um die Initiative als Marke voranzutreiben. Einige außenwirtschaftliche Projekte wie die Zugverbindung nach Duisburg gab es auch schon vor dem OBOR-Start, sie werden jetzt als Teil der Seidenstraße propagiert. Dafür gibt es weitere Beispiele. Und das dürfte auch in Zukunft so geschehen, um der Initiative noch größere Geltung zu verschaffen.
Gehen Pekings Pläne auf, gedeihen in der Folge asiatische Länder und Märkte zügig – unter einer zementierten chinesischen Vormachtstellung. »Neue« Märkte auch für die Schifffahrt also.
Michael Meyer