Im Angesicht der Krise rücken die Akteure der maritimen Industrie in Finnland enger zusammen, um technisch weiter ganz vorne mitzuspielen. So ergeben sich interessante Formen der Kooperation und neue Geschäftsmodelle. Von Felix Selzer
Die maritime Industrie sei einer der Grundpfeiler der finnischen Wirtschaft, erklärt Petri Peltonen, Unterstaatssekretär im finnischen Arbeits- und Wirtschaftsministerium. Während[ds_preview] Holzprodukte immer noch einen Großteil der Exporte ausmachen, wird die Engineering-Sparte immer wichtiger, vor allem die Bereiche Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) und Schiffbau.
Wie andere europäische Schiffbaunationen sehen sich die Finnen einem immer härteren internationalen Wettbewerb ausgesetzt. »Wir haben uns spezialisiert, um zu überleben«, erklärt Peltonen. Know-how reiche heute nicht mehr aus, um zu bestehen. Man müsse außerdem sein Zuliefernetzwerk bestmöglich zu nutzen wissen, so der Unterstaatssekretär.
Um den Technologiesektor zu stärken, pumpt die finnische Innovationsförderungsagentur TEKES viel Geld in Projekte und Initiativen aller Art, die auch der maritimen Wirtschaft einen Vorsprung sichern sollen. Das Spektrum reicht von der Unterstützung von Startups aus der ICT-Branche über Initiativen zur Autonomen Schifffahrt bis zu Fördergeldern für ein Programm zur nachhaltigen Produktion beim Schiffbauer Meyer Turku. Man macht sich Gedanken über Finanzierungshilfen für den Schiffbau, für den diese immer nötiger werden. Glaubt man dem Politiker, steht die maritime Industrie sehr weit oben auf der wirtschaftspolitischen Agenda. Angesichts der Bedeutung der Branche ist das aber kein Wunder. »Unser Bruttoinlandsprodukt liegt bei etwas über 200Mrd. €. Wenn Meyer Turku ein großes Kreuzfahrtschiff abliefert, trägt das in dem Jahr 1Mrd. € bei«, sagt Peltonen, »big business in a small country«. Was die finnischen Exportgarantien angehe, zuletzt über 27Mrd. €, sei der Schiffbau der bei weitem größte Einzelsektor. Das sei zwar ähnlich wie in anderen Ländern, wie zum Beispiel Deutschland, Frankreich oder Italien, Peltonen weist aber auf den Größenunterschied zu Finnland hin.
Merja Salmi-Lindgren, CEO des Branchenverbands Finnish Marine Industries, beziffert die Zahl der maritimen Unternehmen in Finnland auf 3.000, mit einem Umsatz von rund 12,7Mrd. € und 48.400 Beschäftigten. 20% der Unternehmen sind zumindest teilweise in ausländischer Hand, gleichzeitig beträgt deren Anteil am Gesamtumsatz laut Salmi-Lindgren rund 70%. Für die Regierung sei das überhaupt kein Problem, erklärt Peltonen, auch nicht, wenn es um Fördergelder gehe – abgesehen vom Rüstungsbereich. Auch Unternehmen, die zu 100% in ausländischem Besitz seien, könnten die gleiche Unterstützung erhalten wie finnische. »Nehmen Sie den Schiffbau, da kommen 80% sowieso von Subunternehmern und Zulieferern aus Finnland«, so der Politiker, der den Kauf der Werft in Turku durch die Papenburger Meyer Werft als »Boost« für den finnischen Schiffbau und die gesamte Industrie bezeichnet.
Die finnische Wirtschaft hatte bis zur Finanzkrise stärker als viele andere von der Globalisierung profitiert. Wegen der großen Abhängigkeit von Exporten wurde das Land jedoch 2008/2009 auch besonders hart getroffen, das Bruttoinlandsprodukts (BIP) sank um 8,3%, stärker als in allen anderen OECD-Ländern. Die Schrumpfung des einstigen Mobiltelefonmarktführers Nokia war ein schwerer Schlag. Und während die Digitalisierung heute zwar als die neue große Chance des Landes im internationalen Wettbewerb betrachtet wird, triff die Umstellung von Papier auf elektronische Datenübertragung den Holzexporteur Finnland. Bis heute haben sich die Finnen nicht völlig erholt, die Wachstumsraten sind weiterhin niedrig. Nicht zuletzt ist die derzeitige wirtschaftliche Schwäche des Nachbarn Russland ein Faktor.
Das Gesamtbild lässt sich auch auf die maritime Technologiebranche übertragen. Die Finnen liefern Technik für russische Eisbrecher oder japanische Neubauten. »90% der schiffbaubezogenen Produktion geht in den Export«, erklärt Ulla Lainio, Leading Advisor bei der Exportinitiative Finpro. Als Beispiel nennt sie den Bau von Eisbrechern und Polarforschungsschiffen: 50% würden in Finnland entworfen, 60% hier gebaut und der Anteil finnischer Produkte auf anderswo gebauten Schiffen dieser Art betrage für gewöhnlich mehr als 50%. Weitere Bereiche, in denen finnische Zulieferer eine große Rolle spielten, seien Ausrüstung von Luxuskreuzfahrtschiffen, Küchen, Klima- und Lüftungstechnik oder Aufzüge. Einen Vorteil sieht Salmi-Lindgren in der relativ breiten Aufstellung des finnischen Clusters. Das helfe jetzt, da die Offshore-Industrie am Boden liege. »Der Kreuzfahrtsektor hilft uns, das Gleichgewicht zu halten«, sagt sie.
Um nun im Wettbewerb mit anderen Hightech-Nationen zu bestehen, setzen die Finnen auf technologische Vorreiterschaft. Mika Lautanala, Direktor der Innovationsförderungsagentur TEKES, mit einem Jahresbudget von 440Mio. $, richtet dabei ein besonderes Augenmerk auf die Themen Digitalisierung und Automation. Dabei sollen nicht nur etablierte Anbieter unterstützt werden, vielmehr will man kleine Unternehmen, die wachsen wollen, ansprechen. »Wir schaffen so ein attraktives Umfeld für Innovationen. Finnland ist zwar ein kleines Land, das selbst nur einen kleinen Binnenmarkt bietet, dafür machen wir es aber Gründern sehr leicht«, sagt Lautanala. Der Staat hat seine Unternehmenssteuern in den letzten Jahren immer weiter gesenkt, mittlerweile stehen sie bei 20%.
Neben den Anstrengungen von Regierungsseite, ein Innovationsklima zu schaffen und den Standort zu sichern, vermitteln Organisationen wie Turku Science Park zwischen Industrie und Hochschulen, die Städte mit maritimen Technologieunternehmen werben um Studenten und richten entsprechende Studiengänge ein, um den Nachwuchs zu sichern. Und auch die Industrie selbst sieht das finnische maritime Cluster nicht nur als zufällige geografische Häufung von Unternehmen einer Branche. Man möchte Kapital daraus schlagen und begreift die Konkurrenz in der Nachbarschaft als Chance.
So haben sich 69 Unternehmen in der Organisation DIMECC zusammengetan, um die Zukunft ihrer Branche zu sichern. Das Kürzel steht für Digital, Internet, Materials & Engineering Co-Creation. Der Gedanke, der hier Unternehmen wie ABB, Cargotec, Ericsson, Meyer Turku, Rolls-Royce, Tieto oder Wärtsilä und andere verbindet: Für sich alleine kann keiner die technologischen Herausforderungen der Zukunft zu meistern, allen voran stärkere Automation und unbemannte Schifffahrt. DIMECC soll also ein »co-creation ecosystem« sein, in dem führende Technologiefirmen, Forschungseinrichtungen und Branchenverbände zusammenarbeiten. Bei aller Kooperation und Offenheit bleiben allerdings auch die finnischen Firmen Wettbewerber. Jaakko Talvitie, der DIMECC vertritt, erklärt, dass das Ziel der Partner nicht in erster Linie die gemeinsame Entwicklung von technischen Lösungen, sondern der Aufbau einer Entwicklungsumgebung sei. »Wir erstellen ›roadmaps‹, um zu sehen, was zum Erreichen bestimmter Ziele notwendig ist, und wir kümmern uns um Testgebiete für neue Anwendungen.« In den nächsten Monaten stellen die Unternehmen in verschiedenen Arbeitsgruppen diese Roadmaps vor, die künftig regelmäßig veröffentlicht und aktualisiert werden sollen.
Zehn bis zwölf Kernunternehmen sollen die Entscheidungsfindung vereinfachen, gleichzeitig will das Netzwerk aber so viele wichtige Firmen wie möglich gewinnen, um so größeres Gewicht zu bekommen, auch global. »Für autonome Schifffahrt muss sich alles ändern: Technik, Lieferketten, Wertschöpfung, Dienstleistungen, Training und Kompetenzen. Außerdem müssen Regularien angepasst werden, die auf See und in den Häfen gelten«, sagt Talvitie.
Dazu braucht es auch die Akzeptanz durch Öffentlichkeit und Politik. In Finnland zumindest sieht es gut aus. So erklärt zum Beispiel Tommi Arola, Ministerialrat für Robotik und Automation im Verkehrs- und Kommunikationsministerium: »Das Finnland der Zukunft ist digital.« Die Regierung sei bereit für einen »Paradigmenwechsel«; Netzbetreiber, Telekommunikationsanbieter und Technologiekonzerne will sie zur verstärkten Zusammenarbeit animieren. Nicht nur durch die TEKES-Geldspritzen. Man wolle auch die Gesetzgebung anpassen, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. »Jetzt ist außerdem die Zeit für einen Weckruf an die Weltschifffahrtsorganisation IMO. Sie muss alle Anstrengung darauf verwenden, die Schifffahrtsregeln an das digitale Zeitalter und die Möglichkeiten der Automation anzupassen«, ergänzt Arolas Kollege Kari Saari. Die Finnische Regierung werde also nicht nur auf nationaler Ebene den Boden bereiten, sondern sich auch auf IMO- und EU-Ebene für internationale Regelungen einsetzen.
Gute Voraussetzungen
Doch warum sieht sich gerade Finnland in der Vorreiterrolle? Das Land verfügt nicht nur über eine hoch entwickelte maritime Technologiebranche, auch in Sachen Informations- und Kommunikationstechnologie sind die Finnen stark. Seit dem Ende der finnischen Mobiltelefonmarktführerschaft sieht TEKES-Director Lautanala außerdem einen Überschuss an Fachkräften auf diesem Gebiet, das auch für eine vernetzte Schifffahrt an Bedeutung gewinnt. Darüber hinaus sieht man im Verkehrsministerium geografische Vorteile, wie die Nähe zu Nachbarstaaten an der Ostsee, den finnischen Archipel mit seinen Fährverbindungen sowie die klimatischen Bedingungen. Letzteres wohl nach dem Motto: Wenn autonome Systeme im finnischen Winter unter teils arktischen Bedingungen funktionieren, dann funktionieren sie überall.
Die ersten Testgebiete sollen jedenfalls bereits in diesem Frühjahr eingerichtet sein. Hier sollen laut Saari unter Ausschluss anderen Verkehrs Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden, autonome Systeme in Pilotprojekten zu testen.
Auch bei der Idee der »Intelligent Fairways« will das finnische Verkehrsministerium noch in diesem Jahr mit der Umsetzung beginnen. Hier sollen Schiffe sofort beim Einfahren in ein bestimmtes Gebiet über die herrschenden Wetterbedingungen und Schiffsbewegungen informiert werden. Wasserstände, Wettervorhersagen und ein dreidimensionales Bild des Meeresbodens sollen ebenfalls bereitgestellt werden. Dafür werden laut Saari gleich mehrere Fahrrinnen entlang der Küste zu Testzwecken genutzt. »Ein großer und wichtiger Schritt in Richtung autonome Schifffahrt«, meint er. In der Tat würden solche Daten die für autonome Schifffahrt so wichtige Technologie zur »Situational Awareness« deutlich erweitern und unterstützen.
Insgesamt habe sich die Atmosphäre, was die neuen Technologien angehe, in den letzten beiden Jahren rasant geändert, bestätigt Markus Laurinen, bei Rolls-Royce als Projektmanager für Remote & Autonomous Operations zuständig. »Damals waren alle völlig darauf fokussiert, einem zu erklären, warum es nie funktionieren würde – das hat sich völlig geändert. Die Regierung hat das in Finnland auf die nationale Agenda gesetzt.«
»Die Finnen spinnen«, mag manch einer sagen. Doch so schnell wie die Veränderungen sowohl auf technischer als auch auf regulatorischer Ebene geschehen, kann sich das Draufgängertum der Finnen noch bezahlt machen. Für eine vernetzte Schifffahrt müssen sich eben auch Technologieanbieter und Behörden erneuern und vernetzen, wenn sie weiter mitspielen wollen.
Felix Selzer