Im Automobilumschlag belegen deutsche Nordseehäfen Spitzenpositionen. Wichtigster Exportpartner ist das Vereinigte Königreich – das macht den Brexit für einige Akteure zu einem bestimmenden Thema
Der Automobilumschlag in den zehn wichtigsten Nordrange-Häfen erreichte 2016 gut 9,3 Mio. Fahrzeuge. Dies entspricht einem Rückgang von 1,2[ds_preview] % gegenüber dem Vorjahr. Auf die drei bedeutendsten Häfen Seebrügge, Bremerhaven und Emden entfallen gemeinsam zwei Drittel des Umschlags in der Nordrange. Bei der Anzahl der umgeschlagenen Automobile wurde keiner dieser Hafenstandorte von einem anderen Hafen in Europa oder Amerika übertroffen.
Bei insgesamt leicht negativer Tendenz, die sich u.a. auf Kaufzurückhaltung bei Dieselfahrzeugen und weltwirtschaftliche Unsicherheiten zurückführen lässt, entwickelte sich der Umschlag der einzelnen Häfen 2016 uneinheitlich. Dies liegt u.a. daran, dass jeder Hafen spezielle Fahrtgebiete und Automarken hat, die sich unterschiedlich entwickeln. Ein weiterer Grund ist, dass die Automobilhersteller, die über die Transportrouten entscheiden, aus Wettbewerbsgründen Ladungspakete zwischen Reedern und Häfen austauschen.
In der amtlichen Statistik wird die Anzahl der umgeschlagenen Automobile nicht mehr erfasst, sondern nur noch das Gewicht von Autos und Fahrzeugteilen. Die Stückzahlen beruhen daher auf verschiedenen Quellen, die unterschiedliche Abgrenzungen verwenden und zum Teil nicht eindeutig vergleichbar sind. Seebrügge hat z.B. eine Drehscheibenfunktion zwischen Übersee, Iberischer Halbinsel und den britischen Inseln. Transshipment-Ladung, d.h. Pkw, die per Seeschiff empfangen und kurz darauf wieder per Seeschiff versandt werden, wird in vielen Häfen doppelt gezählt. Gebrauchte Fahrzeuge werden nicht in allen Häfen mitgezählt; in den Angaben Antwerpens dürften aber mehr als 200.000 Exporte gebrauchter Fahrzeuge enthalten sein.
Entwicklung in deutschen Nordseehäfen
In den deutschen Nordseehäfen wurden 2016 über 4Mio. Fahrzeuge umgeschlagen, wovon gut die Hälfte auf Bremerhaven entfiel. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dies einen Rückgang um 6,3%. Während der Empfang von Fahrzeugen leicht zulegen konnte, brach der Versand um fast 9% ein. Eine Ursache dafür ist der Rückgang der Autoexporte aus Deutschland in die USA um über 11%. Neben den Fahrzeugen aus deutscher Produktion werden über die deutschen Nordseehäfen auch Pkw deutscher und ausländischer Konzernmarken aus Produktionsstätten in Mittel- und Südosteuropa exportiert, die ebenfalls von der Entwicklung des Euro und der Dieselproblematik betroffen waren.
Im Sommer 2017 fiel auf, dass in den Häfen Bremerhaven, Cuxhaven oder Emden sehr viele Pkw auch auf abgelegenen Flächen standen. In der Nähe der Montagewerke fehlt es an Parkplätzen, so dass Exportfahrzeuge frühzeitig in die Seehäfen gebracht und die dortigen Aufstellflächen für (längere) Lagerung »missbraucht« werden. In Einzelfällen geschieht dies sogar mit unfertigen Fahrzeugen, die erst in den Seehäfen komplett ausgerüstet werden.
Nicht nur die Lagerdauer der Fahrzeuge hat sich erhöht, auch der Umschlag ist im ersten Halbjahr 2017 signifikant angestiegen. Bremerhaven meldet ein Umschlagplus von 11,8%, Emden 9%. Dort erwartet man für 2017 ein neues Umschlaghoch von 1,45 Mio. Pkw. In Cuxhaven ist der Fahrzeugumschlag geringfügig zurückgegangen. Hamburg hat in dem Segment kaum Bedeutung, zumal dort das Buss Hansa Terminal für dieses Geschäft nicht mehr verfügbar ist.
In Bremerhaven stand 2016 das neue, achte Autoregal mit gut 7.000 Stellplätzen zur Verfügung. Im Forschungsprojekt Isabella sollen dort die Logistikabläufe bei der Autoverladung optimiert werden. 80% der umgeschlagenen Autos erreichen oder verlassen den Hafen per Bahn, daher sollen bis Ende des Jahres acht weitere ganzzuglange Gleise im Hafenbahnhof zur Entlastung der Bahnkapazitäten beitragen.
Ende September hat VW in Emden 10.000 neue Stellplätze in Hafennähe eingeweiht. Diese sollen insbesondere für den Versand in das Vereinigte Königreich (UK) genutzt werden. Im Perspektivpapier, das die Hafenmanagementgesellschaft NPorts in Auftrag gegeben hatte, werden für Emden bis 2030 Umschlagpotenziale von über 2Mio. Fahrzeugen prognostiziert. Daher wird empfohlen, geplante Kapazitätserweiterungen (Großschiffsliegeplatz) und Ems-Vertiefung zügig umzusetzen.
In Cuxhaven hat der neue Dalbenliegeplatz »Brücke 3« für RoRo-Schiffe bis 160m Länge zu höheren Umschlagmengen beigetragen. Mit dem Bau/Ausbau der Liegeplätze 4 und 9.3 dürften sich die Aufstellflächen für die Neufahrzeuge zumindest indirekt vergrößern.
Seeverkehr mit UK über deutsche Seehäfen
Am seewärtigen Außenhandel mit UK sind die Autoterminals in Bremerhaven kaum beteiligt. Für die niedersächsischen Häfen Emden und Cuxhaven ist dieses Fahrtgebiet aber von herausragender Bedeutung, auch wenn öffentlich keine genauen Zahlenangaben zugänglich sind.
In Emden gibt es nicht nur ein VW-Werk in Hafennähe, vielmehr fungiert der Hafen auch als Drehscheibe für die Fahrzeuge des VW-Konzerns. Für den Schienenverkehr ins Hinterland beispielhaft sind die Verschiebebühnen, wo die Fahrer Export-Pkw von den Zügen fahren und auf dem Rückweg gleich wieder Import-Pkw und im Emder Werk produzierte Fahrzeuge laden. 2016 wurden 1,334Mio. Fahrzeuge umgeschlagen, wobei der Exportanteil mit 1,1Mio. bei 81% lag. Nach einer plausiblen Schätzung dürfte in etwa die Hälfte der Exportfahrzeuge, d.h. 500.000, für UK bestimmt sein. Im Emder Hafen werden fast ausschließlich Fahrzeuge des VW-Konzerns insbesondere aus Werken in Kontinentaleuropa, Spanien/Portugal, Mexiko und Südamerika umgeschlagen, teilweise als Transshipment-Ladung. Insofern dürfte es kaum Importfahrzeuge von den Britischen Inseln geben.
Über Cuxhaven mit den Terminalbetreibern Cuxport und BLG versendet insbesondere der BMW-Konzern seine Fahrzeuge nach England, doch werden auch Kia aus slowakischer Produktion dorthin verladen. Von den gut 400.000 Exportfahrzeugen dürften etwa zwei Drittel aus dem UK stammen. Der Empfang ist in 2016 signifikant auf 78.000 Fahrzeuge angestiegen, man sieht im Hafen die Marken Opel/Vauxhall, Jaguar und Land Rover aus englischer Produktion. Nicht alle sind Importfahrzeuge für Deutschland, Pkw werden auch auf dem Landweg weiter nach Osteuropa transportiert. Beim Fahrzeugempfang in Cuxhaven dürfte es sich zum weitaus überwiegenden Teil um britische Produkte handeln.
Zusammengefasst dürften geschätzte 45% des Automobilumschlags in Cuxhaven und Emden aus dem UK-Geschäft stammen, wobei der UK-Exportanteil bei gut der Hälfte liegt, wohingegen weniger als ein Viertel der Importfahrzeuge von dort stammen.
Bedeutung des UK
Nicht alle Pkw aus deutschen Werken, die nach England exportiert werden, gehen über deutsche Häfen. Mercedes-Fahrzeuge dorthin werden v.a. über Seebrügge verschifft. Auf der anderen Seite werden Fahrzeuge deutscher Konzernmarken, die nicht in der Bundesrepublik montiert werden, über deutsche Häfen verladen, beispielsweise Audi aus ungarischer Produktion oder Pkw des BMW-Konzerns aus Österreich. Auch Importe deutscher Marken (BMW-Mini) kommen aus englischer Produktion.
Um die Bedeutung des Fahrzeughandels mit UK einschätzen zu können, helfen daher die Daten der Automobilhersteller. Der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) meldet für 2016 einen geringfügigen Anstieg der Pkw-Exporte aus Deutschland um 0,1% und für das erste Halbjahr 2017 einen Rückgang um 2%.
Ins Vereinigte Königreich wurden 2016 nach VDA-Angaben 799.416 Neufahrzeuge exportiert. Auch wenn dies ein Rückgang von 1,3% gegenüber dem Vorjahr ist, bleibt UK der wichtigste Exportpartner mit einem Anteil von 18,1%, gefolgt von den USA, die 12,4% der Exporte aufnahmen. Die deutschen Autokonzerne und Großbritannien stehen in enger Beziehung; betrachtet man die Neuzulassungen des letzten Jahres, so haben deutsche Konzernmarken (d.h. incl. Seat, Skoda, Mini…) einen Marktanteil von 52,2% auf der Insel. Von den 2016 aus dem UK exportierten Pkw gelangten mit knapp 170.000 nur 12,6% nach Deutschland.
Das Vereinigte Königreich steht als Produzent mit 1.722.698 Pkw in 2016 nach Angaben des britischen Automobilverbands SMMT in Europa nach Deutschland und Spanien an dritter Stelle, knapp vor Frankreich. Die dort hergestellten Marken sind allerdings weitestgehend in ausländischer Hand. Der größte Produzent Jaguar Land Rover mit 544.401 Pkw gehört zu Tata (Indien), gefolgt von Nissan. BMW (Mini) liegt mit 210.971 Pkw an dritter Stelle. Acht von zehn dort hergestellten Autos werden exportiert, 56% davon gehen in die EU.
Die japanischen Hersteller Nissan, Toyota und Honda hatten ursprünglich Produktionsstätten in Großbritannien aufgebaut, um als europäische Hersteller am Europäischen Binnenmarkt teilhaben zu können. Was würde ein Austritt aus dem Binnenmarkt für sie und die übrigen europäischen Autohersteller bedeuten?
EU, Binnenmarkt und Brexit
Der gemeinsame Markt ist für Handel und Transport das Kernstück der Europäischen Union. Er umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist sowie die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen. Am 29. März 2017 erklärte das Vereinigte Königreich seinen Austritt aus der EU. Zwei Jahre später gelten nach Art. 50 EU-Vertrag die EU-Verträge für das Vereinigte Königreich nicht mehr, es sei denn, es würde in einem Austrittsabkommen etwas anderes beschlossen.
SMMT warnt vor einem harten Brexit (cliff edge), d.h. vor der Situation, dass es bis zum 29. März 2019 zu keiner Einigung kommt. Das UK würde seitens der EU übergangslos wie ein Drittstaat behandelt, da die o.g. Grundfreiheiten nicht mehr gälten. Der Handel zwischen UK und EU-Staaten würde nach den Regeln der World Trade Organisation (WTO) stattfinden, dies würde Zollsätze von 10% für den Ex- und Import von Automobilen sowie von durchschnittlich 4,5% für Autoteile bedeuten. Darüber hinaus wären umständliche Zollverfahren erforderlich und nicht-tariffäre Handelshindernisse möglich. SMMT rechnet allein mit einer zusätzlichen Belastung durch Importzölle auf Autos in Höhe von 2,7Mrd. £ und Exportzölle von 1,8Mrd. £. Aus der EU importierte Fahrzeuge würden um durchschnittlich 1.500 £ teurer.
Verhandlungsposition und –ziele der britischen Regierung sind noch nicht eindeutig erkennbar. Es scheint als würde eine Art Freihandelszone angestrebt, während man viele EU-Regelungen, wie insbesondere die Niederlassungsfreiheit für EU-Bürger, ablehnt. Um Zeit für Verhandlungen zu gewinnen, wurde eine Art Moratorium vorgeschlagen, nachdem die EU-Regelungen in Großbritannien für eine Übergangszeit weiter gelten sollten.
Ein weicher Brexit würde umfangreiche Vereinbarungen zwischen UK und EU bedeuten, die in ihrer Gesamtheit für Bürger und Unternehmen möglichst wenig Friktionen und Verschlechterungen mit sich bringen. Seitens der EU wäre allerdings ein Brexit, der so »weich« ist, dass der austretende Mitgliedstaat fast nur Vorteile hätte, nicht akzeptabel, da es dann zu weiteren Austritten kommen könnte.
Was bringt der Brexit?
Mit dem Wertverlust des Britischen Pfunds gegenüber dem Euro hat der angekündigte Austritt schon erste Wirkungen gezeigt, da Exporte zur Insel teurer und Importe billiger geworden sind. Die Zunahme der Fahrzeugimporte in Cuxhaven könnte hierin eine Ursache haben.
Es bestehen enge Handelsbeziehungen zwischen den Automobilindustrien in Deutschland, der EU und Großbritannien. Eine Beeinträchtigung dieser Beziehungen durch Ex- und Importzölle, Behinderungen des Außenhandels durch nicht-tarifäre Handelshemmnisse und umständliche Zollprozeduren hätte gravierende Auswirkungen insbesondere auf die Automobilverschiffungen nach England.
Die intensive Verflechtung und die zu erwartenden Nachteile eines harten Brexit könnten bewirken, dass die EU und die britische Regierung zu einvernehmlichen Regelungen kommen, die den Automobilhandel kaum behindern. Die Auswirkungen des Brexit auf die deutschen Autohäfen wären gering. Da auch Regierungen nicht immer rational und im Interesse der betroffenen Unternehmen und Arbeitnehmer handeln, besteht allerdings das Risiko der Beeinträchtigung des seewärtigen Außenhandels mit Großbritannien.
Autor: Klaus Harald Holocher Jade Hochschule, Fachbereich Seefahrt und Logistik
holocher@jade-hs.de
Klaus Harald Holocher