Die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit des maritimen Standorts Deutschland dreht sich immer auch um die nautisch-technische Ausbildung. Weil der Bedarf nach wie vor da ist, traditionelle Strukturen sich aber auflösen, werden wieder Ausbildungs­kooperationen angedacht. In der Industrie gibt es durchaus Interesse dafür. Von Michael Meyer

Studien aus der jüngeren Vergangenheit belegen: es gibt noch immer großen Bedarf an nautisch-technischem Personal. Zwar ist unbestritten, dass[ds_preview] die Zahl der deutschen Reedereien und die Flotte unter deutscher Flagge trotz massiver politischer Unterstützung drastisch schrumpft. Allerdings sind Reedereien nicht die einzigen »Abnehmer« für dieses Know-how. Auch und gerade der sogenannte Sekundärmarkt – also Behörden, Zulieferer, Ausrüster, Dienstleister, Häfen und Nischen-Akteure – ist darauf angewiesen. Der Bedarf kann jedoch mittlerweile nicht mehr komplett gedeckt werden. In den vergangenen Jahren fiel auf, dass sich die traditionelle Bindung der Schifffahrt zum Sekundärbereich zunehmend auflöst. Früher haben Reeder mehr ausgebildet als sie selbst benötigten, um den Bedarf Anderer mit abzudecken. Angesichts der großen finanziellen Engpässe erodiert diese Struktur zusehends.

Der Nautische Verein zu Hamburg (NVzH) hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Herausforderung stärker auf die Agenda der maritimen Öffentlichkeit zu setzen und forciert seit einiger Zeit den Austausch (siehe dazu auch HANSA 08/17). Zuletzt brachte er Vertreter verschiedenster Segmente an einen Tisch, um über die maritime Ausbildung zu debattieren.

Michael Rachow, Professor für Schiffsmaschinenanlagen an der Hochschule Wismar und Vertreter der Vereinigung deutscher Schiffsingenieure (VDSI), sowie Christoph Wand, Professor am Fachbereich Seefahrt der Jade-Hochschule und Präsident beim Verband Deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere (VDKS), belegten den Bedarf anhand eigener Untersuchungen.

Wand konstatierte, dass der Bedarf an Nautikern im Sekundärmarkt auf lange Sicht als nicht mehr gedeckt eingeschätzt wird. Für den Bereich der Schiffsbetriebstechniker bezeichnete Rachow den Bedarf als »unwahrscheinlich hoch«. Aktuell gibt es 45 offene Stellen. Während es in diesem Jahr rund 130 Absolventen geben wird, haben nur 75 Menschen ein Studium begonnen, »entsprechend wird die Zahl der Absolventen 2018/2019 deutlich geringer und der Bedarf nicht zu decken sein«, so Rachow.

Andre Trommler, Head of HR Fleet Operation bei Carnival Maritime bestätigte den Bedarf am eigenen Beispiel: »Wir haben fünf Bewerbungen für Schiffsbetriebstechniker, damit kann der Bedarf auf keinen Fall gedeckt werden.« Er betonte zudem, dass sich die Schifffahrtsmärkte irgendwann erholen würden und dann der steigende Bedarf in der Kreuzfahrtbranche nicht mehr durch Personal aus anderen Teilbranchen zu decken sei. Bei Carnival setzt man daher auf eine eigene Recruitment- und Ausbildungsstrategie mit eigenen Trainingszentren. »Die Kreuzfahrt ist sehr komplex, die Ausbildung nach STCW wird am Ende nicht ausreichen.«

Nadine Kloska, Geschäftsführerin der in der Ausrüstung aktiven Kloska-Gruppe, erläuterte, dass man zwar vorrangig mit beruflichen Ausbildungen agiere, aber »im technischen Bereich für den Service an Bord merkt man deutlich, dass es immer schwieriger wird, Personal zu finden.« Kloska greift daher derzeit bereits auf Arbeitskräfte aus den Nachbarländern zurück. Nautisch-technisches Personal sei sehr gefragt in der Gruppe, Service-Techniker seien meistens Ingenieure. Aber man müsse sich auch als Unternehmen Mühe geben, vor allem vor dem Hintergrund, dass es keine eigentliche Ausbildung für Ausrüster gebe.

In der Diskussion zwischen den Branchenvertretern wurde deutlich, dass in der heutigen Zeit der diversifizierten Märkte das »Nischen-Knowhow« sehr wichtig ist – mit entsprechendem Änderungsbedarf in der Aus- und Weiterbildung.

Dienstleister wie das ma-co (maritimes competenzcentrum) leben unter anderem davon, dass Unternehmen wie Carnival oder die Reederei Bugsier ihre speziellen Anforderungen durch eigene Bildungsmaßnahmen abdecken wollen und dafür auf Partner zurückgreifen. Sven Stohn vom ma-co sagte: »Wir befürchten, dass sich der Sekundärmarkt zu sehr darauf verlässt, dass die Reeder wieder ausbilden, wenn sich ihre Lage bessert. Ich glaube, das ist der falsche Weg, jeder muss sich selbst überlegen, wie er seinen Spezialbedarf abdecken kann.« Es gebe verstärkte Nachfrage nach Qualifizierung. »Unternehmen fragen uns: Könnt ihr etwas maßschneidern, das in klassischen Studiengängen nicht abgedeckt wird?«, so Stohn weiter.

Zusammenarbeit mit Partnern

Ernst-Peter Ebert von der Offshore- und Schleppreederei Bugsier erläuterte, dass man für das »lebenslange Lernen« mit Partnern kooperiert: »Wir erarbeiten, besprechen und trainieren Bedarfe aus der Praxis für die Praxis. Auch die Absolventen und ›fertigen‹ Schiffsmechaniker müssen weitergebildet werden.«

Trommler sprach vom Kreuzfahrtbereich, in dem immer mehr Wert auf Elektrotechnik gelegt wird, weil die Schiffe dieselelektrisch und mit Azipods fahren. »Das sollte in der Ausbildung einen höheren Stellenwert bekommen. Das gleiche gilt für LNG, hier gibt es Nachholbedarf.« Carnival arbeite zwar mit Hochschulen, um die Ingenieure entsprechend zu schulen, »aber es wäre wünschenswert, dass schon in der Grundausbildung mehr abgedeckt wird.«

Eine stärker ausgeprägte Spezialisierung und zusätzliche Nischen-Inhalte der Studieninhalte wurde ebenfalls diskutiert. Die Hochschul-Vertreter verwiesen darauf, dass dies jedoch einerseits schon passiere und andererseits weitere Maßnahmen nicht so leicht umzusetzen seien. »Das Nautik-Studium ist breit gefächert, man kann Schwerpunkte setzen. Den Lehrplan anzupassen ist bei uns Tagesgeschäft. Für Nautiker wäre eine noch größere Spezialisierung aus meiner Sicht aber nicht zielführend«, so VDKS-Präsident Wand. Man sollte nicht die Profilbildung so stark ausreizen, dass man als Student schon bei der Wahl des Studienortes auf ein Segment festgelegt sei. Spezielleres Know-how könne man sich über Wahlfächer aneignen. »Es wird aber immer so bleiben, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter weiterbilden müssen, weil es überall Besonderheiten gibt«, so Wand weiter. Eine stärkere Kooperation der Hochschulen in Bezug auf Studieninhalte, Grundausbildung und Spezialisierungen hält er für schwierig, da man die Prüfungsordnungen erfahrungsgemäß nicht vereinheitlicht bekommt.

Rachow nannte die Elektrotechnik als Beispiel für einen Bereich, bei dem das nötige Know-how so speziell ist, dass man es dem Schiffsbetriebstechniker im Studium »nicht noch als Add-on auferlegen kann.« Selbstverständlich werde die Ausbildung in Bereich Elektrotechnik und Automation für die »normalen« Ingenieure zunehmen. Aber spezielle Segmente wie die Kommunikations- und Netzwerktechnik seien sehr umfangreich. »In fünf oder zehn Jahren ist es vielleicht anders, aber derzeit kann man das nicht so einfach draufsatteln«, so der VDSI-Vertreter. Rachow meinte, eine stärkere Kooperation der Bildungseinrichtungen »wird mittelfristig auf uns zukommen«, wodurch verschiedene Thematiken besser abgedeckt werden könnten.

Bugsier-Vertreter Ebert machte deutlich, dass er Spezialkenntnisse eigentlich vor allem von den Fachschulen erwartet. »Von den Hochschulen erwarte ich eine breite akademische Ausbildung. Ich brauche Leute, die differenziert denken und fähig sind, später ins Management der Reederei einzusteigen.« Er geht davon aus, dass STCW-Vorgaben durch Hochschulen abgedeckt würden, weitere Bedarfe müsse man selbst organisieren.

Großen Anklang fand die Idee einer stärkeren Kooperation zwischen den verschiedenen Akteuren in der maritimen Branche. Dem NVzH-Vorsitzenden Christian Suhr ist das Thema sehr wichtig: »Auch früher gab es schon Kooperationen, aber da haben Reedereien bei anderen Reedereien Ausbildungsplätze an Bord sozusagen gemietet. Aber das war zwischen Akteuren des Primärmarkts. Jetzt geht es darum, einen Schritt weiterzugehen, zu Kooperationen zwischen dem Primär- und Sekundärmarkt.« Damit könnte man das aktuelle Nadelöhr etwas weiten, so Suhr weiter.

»Landbetriebe aus dem Sekundärmarkt sollten mit Reedereien kooperieren und klare Kriterien für die benötigte Qualifikation formulieren. Die Prüfungsordnungen sind sehr allgemein, so dass man da noch einiges unterkriegen kann«, sagte Wand. Die Hochschulen selbst arbeiten auch mit privaten Bildungsträgern, man kaufe entsprechendes Spezialangebot bei Einrichtungen wie dem Mariko in Leer ein. Für den Sekundärmarkt gebe es Angebote je nach Bedarf. Im Wintersemester 2018 soll an der Jade-Hochschule ein dualer Studiengang »Schiffs- und Hafenbetrieb« starten und auf maritimen Ausbildungsberufen aufbauen.

Für die Hochschule Wismar berichtete Rachow, dass man beispielsweise eine Kooperation mit einem privaten Anbieter hat, die Unternehmen wie AIDA/Carnival zahlen. »Das ist ein sehr legitimes Konzept«. Es gebe auch Angebote, die relevante Inhalte aus der Schiffsbetriebstechnik vermittelten, ohne zu einem Befähigungszeugnis zu führen, die von Zulieferunternehmen in Anspruch genommen würden.

Bei Bugsier wird für die Ausbildung bereits kooperiert, entweder mit privaten Bildungsträgern oder auch mit Werften und Zulieferern. So können Auszubildende in verschiedenen Bereichen Erfahrungen sammeln. Allerdings nimmt Eberts Meinung nach die Zahl der Reedereien »mit Ausbildungskultur« ab.

»Neue Berufsbilder schaffen«

Nadine Kloska zeigte sich »grundsätzlich offen« für Kooperationen, vor allem, da es im Ausrüstungsmarkt schwierig sei, an Nachwuchs zu kommen. Man arbeite bereits teilweise mit Reedereien, damit sich die Mitarbeiter technisches Knowhow aneignen könnten. »Die Ausüstung ist so breit gefächert, wir müssen unsere neuen Mitarbeiter natürlich immer erstmal umfangreich einarbeiten. Im Ingenieurbereich würden wir aber natürlich Bewerber präferieren, die idealerweise zur See gefahren sind und Erfahrungen aus einer Reederei haben. Es ist eine enorme Herausforderung, solche Leute zu finden.«

Sven Stohn schloss sich an und befürwortet es, Auszubildende auch mal eine Zeit lang an Bord zu schicken. »Vielleicht sollten wir dafür eigene Berufsbilder schaffen, gerade für den Sekundärmarkt.« Das könne die Attraktivität des Berufs für junge Leute steigern, wenn sie nicht jahrelang, sondern nur für wenige Monate auf See gewesen sein müssen. »Viele junge Leute wollen nach der Schule ein paar Monate ins Ausland. Wenn man das in die maritime Ausbildung integrieren könnte, wäre doch schon viel geholfen.«

Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer beim Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), legte großen Wert darauf, dass die Akteure am maritimen Standort Deutschland »an einem Strang ziehen«, wenn es um die Sicherung des maritimen Know-hows geht. »Wir brauchen einen breiten Ansatz, es geht nicht nur um Nautiker und Schiffsbetriebstechniker. Dass der Schiffbau von Zeit zu Zeit als Sekundärmarkt betrachtet wird, halte ich für ein wenig an den Haaren herbeigezogen.«

Ein Problem ist seiner Meinung nach, dass die Jobs nicht attraktiv genug sind, zumindest bei Seeleuten. »Da muss mehr in die Zukunft investiert werden.« Lüken ergänzte, dass die Automation bis hin zur Fernsteuerung in der Schifffahrt kommen werde, »so sicher wie das Amen in der Kirche«. Darauf müsse man sich einstellen, und das gehe nur gemeinsam. »Das ist doch der große Vorteil Deutschlands, wir haben das breite Know-how, eigentlich können wir das alles abbilden. Aber wir haben uns auseinanderdividiert«, so der VSM-Vertreter.

Debatte lediglich unterbrochen

Es wurde schließlich deutlich, dass die Diskussion um den Erhalt des maritimen Wissens und die hiesige Ausbildung noch lange nicht beendet, nach der Zusammenkunft beim Nautischen Verein eher temporär unterbrochen ist. »Man sieht, der Bereich hat viele Facetten, wir wollen es auf der Agenda halten und einen Gesprächsboden bieten«, schloss der NVzH-Vorsitzende Suhr.


Michael Meyer