Nach einem jahrelangen starken Wachstum droht der Offshore-Windbranche laut einer aktuellen Studie der Verlust tausender Arbeitsplätze. Die Bundesregierung könnte mit ehrgeizigeren Ausbauzielen gegensteuern. Von Anne-Katrin Wehrmann

Insgesamt 1.305 Offshore-Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 6.382 Megawatt (MW) waren Ende 2018 in der deutschen Nord- und Ostsee[ds_preview] am Netz. Doch nachdem in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt mehr als 1.000MW pro Jahr zugebaut wurden, sieht das derzeit gültige Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für die Zeit nach 2020 eine erhebliche Drosselung des Ausbautempos vor: Bis Ende 2025 ist ein jährliches Zubauvolumen von nur noch 500 bis 700MW vorgesehen, zwischen 2026 und 2030 wird die neu installierte Leistung nach jetziger Planung 700 bis 900MW pro Jahr betragen. Auf die Zahl der Arbeitsplätze, die an der Offshore-Windenergie hängen, und auf die damit verbundene Wertschöpfung hat das erhebliche Auswirkungen, wie eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts Windresearch zeigt. Demnach könnten von den derzeit rund 24.500 Beschäftigten in der Branche bis 2035 mehr als 8.000 ihren Job verlieren, wenn die Bundesregierung das jetzige Ausbauziel von 15 Gigawatt (GW) bis 2030 beibehält.

»Die Begrenzung des Offshore-Ausbaus nimmt entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung nach 2019«, erläutert Geschäftsführer Dirk Briese, »und damit auch auf die Entwicklung der Marktteilnehmer sowie deren Beschäftigung und Umsätze – und zwar über alle Wertschöpfungsstufen hinweg.« Schon 2011 hatte das Marktforschungsinstitut zusammen mit dem Beratungsunternehmen PwC eine Studie erstellt, die sich damals erstmals umfassend mit diesem Themenfeld befasste.

Die Ergebnisse der jetzt vorliegenden Neuauflage mit dem Titel »Wertschöpfung der Offshore-Windenergie in Deutschland – Regionale Verteilung und Entwicklung der Marktteilnehmer und der Arbeitsplätze« machen deutlich, dass die Konsolidierung der Branche bereits in vollem Gange ist: Von den 2011 rund 1.000 Marktteilnehmern sind heute noch knapp 800 aktiv. Alle zusammen haben sie im vergangenen Jahr einen Umsatz von 9,8Mrd. € erwirtschaftet. »Laut unserer Prognose ist aufgrund der Auftragsflaute im deutschen Markt auf jeden Fall bis 2022/23 mit sinkenden Beschäftigtenzahlen und einem Rückgang des Umsatzes zu rechnen«, berichtet Briese. »Wie es danach weitergeht, hängt von der politischen Zielsetzung ab. Die Branche steht gerade an einem Scheideweg.«

Drei Szenarien, drei Prognosen

Die Marktforscher betrachteten drei unterschiedliche Szenarien. Szenario 1 orientiert sich am EEG 2017, das voraussichtlich zu dem erwähnten Verlust von mehreren tausend Arbeitsplätzen sowie einem deutlichen Rückgang des Umsatzes bis 2025 führen wird, der anschließend durch zunehmende Wertschöpfung im Bereich Operation and Maintenance nur zum Teil wieder aufgefangen werden kann. Szenario 2 geht davon aus, dass die Bundesregierung das Ausbauziel auf mindestens 20GW bis 2030 und 30GW bis 2035 erhöht. Nur so sei das politische Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis 2030 auf 65% zu steigern, erreichbar, hatten Branchenvertreter in der Vergangenheit immer wieder betont. Sollte es so kommen, würden laut Prognose zwischen 2025 und 2035 rund 8.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen und der Umsatz stiege trotz dem Rückgang bis 2022/23 auf etwa 10Mrd. € im Jahr 2030 an. Eine Umsatzsteigerung um weitere 7Mrd. € bis 2035 sowie eine Beschäftigtenzahl von dann mehr als 35.000 wären im Szenario 3 denkbar, das einen Ausbau von 25 GW bis 2030 und 40 GW bis 2035 annimmt. Diese deutliche Erhöhung des Ausbauziels geht einher mit der Erwartung eines zunehmenden Stromverbrauchs im Rahmen der Sektorkopplung – also die Nutzung erneuerbarer Energien auch in anderen Sektoren wie dem Wärme- und Verkehrsbereich–, ermöglicht unter anderem durch die Nutzung von Power-to-X sowie den Einsatz neuer Speichertechnologien, was auch aufgrund des schleppenden Netzausbaus notwendig erscheint.

»Bewegung in der Politik«

Briese hält grundsätzlich alle drei Varianten für mach- und denkbar, wobei er dem mittleren Szenario die größte Wahrscheinlichkeit zuschreibt. Das korrespondiert mit den jüngsten Aussagen von Energiestaatssekretär Andreas Feicht bei der Nationalen Maritimen Konferenz in Friedrichshafen: Die Bundesregierung wolle zeitnah mit den Ländern klären, wie das Ausbauziel bis 2030 auf 20 GW angehoben werden könne, hatte er dort angekündigt. »Es ist gerade Bewegung in der Politik«, sagt Briese. »Die Frage ist nur, ob das reicht, um Umsatz und Beschäftigung in der Offshore-Windindustrie wieder anzukurbeln.«

Was die Verteilung der Wertschöpfung angeht, hat die Studie ebenfalls interessante Ergebnisse hervorgebracht. Zwar sind in den Küstenländern wie erwartet die Bereiche Transport, Montage, Projektentwicklung und Wartung stark vertreten – auch in anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg (Forschung und Entwicklung, Engineering) und Nordrhein-Westfalen (Komponenten) hängen allerdings zahlreiche Arbeitsplätze und hohe Umsätze an der Offshore-Windenergie. Viele Marktteilnehmer aus dem Norden, zum Beispiel aus dem Bereich Turbinen- und Fundamente-Produktion, sind darüber hinaus auf Zulieferer und Engineering-Unternehmen aus dem Süden angewiesen.

Stimmung (verhalten) positiv

»Wir waren selbst überrascht, wie breit die Wertschöpfung über das gesamte Bundesgebiet verteilt ist«, berichtet Briese. »Letztlich würden fast alle Bundesländer, insbesondere auch die süd- und westdeutschen, in Sachen Wertschöpfung und Arbeitsplätze von geänderten politischen Rahmenbedingungen für die Offshore-Windenergie profitieren.«

Parallel zu der Studie hat Windresearch auch die aktuellen Ergebnisse des »Stimmungsbarometers Windenergie« veröffentlicht, welches das Marktforschungsinstitut zusammen mit der Windenergy Hamburg seit vorigem Jahr zweimal jährlich auf Grundlage einer Umfrage unter internationalen Marktteilnehmern aus der On- und Offshore-Windenergie erstellt. Mit mittlerweile mehr als 4.000 Teilnehmern habe sich der »WindEnergy trend:index« als Stimmungsbarometer endgültig etabliert, meint Briese. Eines der Kernergebnisse für den Bereich Offshore-Wind ist, dass die Stimmung mit Blick auf den weltweiten Markt – insbesondere für Asien und Nordamerika – deutlich positiv ist. Im Vergleich zu den beiden Umfragen von 2018 lassen sich sinkende Werte lediglich für Deutschland erkennen, wobei die Stimmung hier immer noch leicht im positiven Bereich bleibt. Klar erkennbar ist darüber hinaus, dass die Akteure weitere Optimierungspotenziale durch die Digitalisierung erwarten und mit zusätzlichen Kosteneinsparungen durch neue Technologien (insbesondere größere Turbinen und Schwimmfundamente) rechnen.

Unter dem Strich bleibe festzuhalten, so Briese, dass sich die Wertschöpfung hierzulande bei einem starken Heimatmarkt mit entsprechenden Ausbauzielen sowie einem erfolgreichen Auftreten in den internationalen Wachstumsmärkten weiter positiv entwickeln könne. Dafür sei ein kontinuierlicher und erhöhter Ausbaupfad in Deutschland erforderlich, der die Stärken der bundesweit verteilten Branche nutze und die Beschäftigung absichere: »Ich sehe ganz klar ein Risiko darin, dass wir das Wissen und Know-how, das hier in den vergangenen Jahren aufgebaut worden ist, nicht halten können. Wenn weitere Arbeitsplätze wegfallen, sind es die Besten, die zuerst gehen – und wer einmal weg ist, den bekommt man nicht wieder.«

Anne-Katrin Wehrmannv