Windkraftanlagen sind für viele MPP-Carrier zum Brot- und Butter-Geschäft geworden mit teilweise 50% Anteil am Ladungsmix. Jetzt droht jedoch eine Delle. Schuld sind die Corona-Krise und der Ölpreis-Verfall.
Wer kennt sie nicht, die vielen Bilder von Windkraft-Flügeln und -komponenten auf MPP- und Heavylift-Schiffen? Alle Arten von[ds_preview] Frachtern fahren damit heutzutage über die Weltmeere – vom Coaster bis zum Deck Carrier. Weil sich immer mehr Staaten zu einem mitunter massiven Ausbau der Windkraft durchringen, sind mittlerweile fast alle Trades betroffen, meint auch Yorck Niclas Prehm, Analyst beim Hamburger Makler Toepfer Transport.
In zwei aktuellen Untersuchungen hat die Beratungsfirma Wood Mackenzie die Entwicklung des Windenergie-Marktes – genauer der anstehenden und geplanten Windpark-Projekte – unter die Lupe genommen. Kurz nach dem kombinierten Rückblick auf 2019 mit dem Ausblick für 2020 sahen sich die Analysten gezwungen, mit Blick auf die Corona-Krise ein Update zu veröffentlichen. Wurden im ersten Bericht noch positive Prognosen hervorgehoben, sind die aktualisierten Ansichten zurückhaltender.
Schon 2019 wurden – unter anderem aufgrund der »Bauwut in China und den USA« – viele Projekte realisiert. 62 GW bedeuten ein Plus von 23% und damit das zweithöchste jährliche Gesamtvolumen nach 2015, als es 63 GW waren.
Wachstumsmotor China
Rund ein Drittel der Investitionen entfallen allein auf das vierte Quartal. »China ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Wachstums, sowohl an Land als auch auf See, 2019 wurde von dort eine Windturbinenkapazität von 50 GW bestellt«, so der Autor Luke Lewandoskwi.
Die Nachfrage nach 4 MW+ Onshore-Turbinenplattformen stieg im Vergleich zum Vorjahr um 202%, wobei allein in China 8 GW bestellt wurden. Laut den Berechnungen von Wood Mackenzie wurden weltweit Anlagen mit zusammen mehr als 1 GW für Turbinenmodelle dieser Größenordnung kontrahiert.
Für die MPP-Schifffahrt ist die Größenentwicklung insofern von Bedeutung, als sich die Carrier darauf mit größeren Kapazitäten einstellen müssen. Schon jetzt führt die Entwicklung immer öfter dazu, dass Laderäume, Decksflächen und Schiffe für bestimmte Transporte zu klein sind. »Es wird immer schwieriger«, bestätigt ein Reeder gegenüber der HANSA.
Langfristig erwarten die Experten von Wood Mackenzie bis 2030 ein Wachstum der weltweiten Windenergie-Kapazität um 112% – trotz der Corona-Krise, »von der sich der Markt erholen wird.«
Der jährliche Zubau in Lateinamerika soll über 4 GW liegen, genannt werden Brasilien, Kolumbien, Chile und Mexiko. Das stetige Wachstum im Nahen Osten und in Afrika führt laut Wood Mackenzie zu einer »erstaunlichen« Jahressteigerung von 23%. Fast 60% der für die Subregion prognostizierten 48 GW entfallen auf Ägypten, Saudi-Arabien und Südafrika. Hält die EU an ihren Klimazielen für 2030 fest, treibe dies einen Zubau von 225 GW voran.
Kurzfristig ist Lewandowski angesichts der derzeitigen Verwerfungen hingegen pessimistischer: »2020 wird weniger glücklich verlaufen. Das Coronavirus wird sich wahrscheinlich negativ auswirken.«
»Nie gesehene Krise«
Lewandwoskis Kollege Dan Shreve erwartet, dass der Markt durch die Pandemie um bis zu 4,9 GW weniger wächst als bislang prognostiziert. »Die Auswirkungen sind für die globale Windindustrie von höchster Bedeutung und verkörpern eine Krise, wie sie der Markt noch nie gesehen hat«, so der Windenergie-Experte. Die potenziellen Auswirkungen beziehen sich seiner Ansicht nach am stärksten auf die USA und China, weil dort bislang die größten Steigerungen erwartet wurden. Entscheidend sei – dieser Punkt hat große Bedeutung für die Schifffahrt – dass die Lieferkette durch Produktionsstopps in Ländern wie Indien, Brasilien, Mexiko und anderen Fertigungszentren unterbrochen werden könnte.
Auch Toepfer-Analyst Prehm meint, entscheidend sei, wo produziert wird. Wenn etwa in einem Land für den heimischen Markt gefertigt wird, ist der Nutzen für die MPP-Schifffahrt klein. Weil immer mehr der Komponenten in China hergestellt werden, wird die Volksrepublik zunehmend zur Lade-Region.
Auch Indien steht als Produktionsstandort im Fokus. Der Regierung war es bisher gelungen, umfangreiche Probleme zu vermeiden, da zu Beginn der Pandemie äußerst aggressive Eindämmungsmaßnahmen ergriffen wurden. Sollte es jedoch zu flächendeckenden Infektionen kommen, könnte dies weitreichende Folgen haben.
Zwei Probleme durch Ölpreis
Eine größere Sorge liege in der möglichen Verzögerung oder Annullierung neuer Auktionen und Ausschreibungen begründet, so Shreve. Explizit nennt er Südafrika, Mexiko, Polen, die Ukraine und Chile.
Eine weitere große Schwierigkeit stellt derzeit der Ölpreis dar. Durch den Streit zwischen unter anderem Russland und Saudi-Arabien, das an hohen Förderquoten festhielt, war der Preis im März auf zwischenzeitlich unter 23$ gesackt (siehe Seite 20/21).
Für die MPP-Schifffahrt ist das in doppelter Hinsicht nachteilig: Erstens macht ein solcher Preis Investitionen in die rohstofffördernde Industrie für viele Staaten und Unternehmen unrentabel. Große Projekte werden auf Eis gelegt oder gestrichen – entsprechend geringer ist die Nachfrage nach Transporten von Großkomponenten.
Astrit Sulstarova, Expert Investment Trends bei der UN-Agentur für Handel und Entwicklung UNCTAD, rechnet mit einigen Verschiebungen von ausländischen Direktinvestitionen aus den »Öl-Ländern«.
Zweitens führt ein derart niedriger Ölpreis dazu, dass viele Staaten ihre klimapolitischen Pläne überdenken. Schrumpft der Nutzen in Relation zum kostspieligen Ausbau erneuerbarer Energien weiter, weil Öl und Gas so günstig zu haben sind, droht ein Investitionsstopp, beispielsweise für Windparks. Dann sinkt auch die entsprechende Transport-Nachfrage.
In Kombination dieser Effekte droht im schlimmsten Fall eine Flaute am Ladungsmarkt. Einige MPP-Carrier suchen bereits intensiv nach alternativen Ladungssegmenten, wie zu hören ist.
Allzu schwarz sollte die Branche mit Blick auf die Windkraft jedoch nicht sehen. Die Energiewende ist in vielen Staa ten mehr oder minder fester Bestandteil der Umwelt- und Wirtschaftspolitik geworden. Eine komplette Abkehr ist daher eher unwahrscheinlich. Shreve von Wood Mackenzie behält seine prinzipiell positive Einschätzung bei: »Die langfristigen Auswirkungen des Coronavirus auf den Energiemarkt werden sich in Grenzen halten.«
Die durch das Coronavirus verursachten Einschränkungen in der Lieferkette würden das kurzfristige Wachstumspotenzial zwar einschränken, heißt es. »Dennoch werden die Entwickler es schaffen, im Jahr 2020 immer noch 26 GW Windkraft an das Netz anzuschließen.« Für die nächsten zehn Jahre erwartet Wood Mackenzie, dass in China 250 GW Windkraftkapazität ans Netz gehen wird. Im übrigen Asien kommen zwischen 2020 und 2029 107 GW hinzu. Allein die Hälfte davon entfällt auf Indien.
Es wird jedoch Geduld gefragt sein. Wohl dem, der ein ausreichendes (Kapital-)Polster zur Verfügung hat, um die Delle zu überstehen. Es gibt Stimmen, die erwarten eine neue Konsolidierungswelle in der Branche…
Michael Meyer