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Welche Rolle können digitale Technologien wie Augmented Reality bei der Wartung und Reparatur von Offshore-Windkraftanlagen spielen? Noch sind funktionierende Systeme nicht verfügbar, aber das könnte sich bald ändern.

Der Betrieb von Offshore-Windparks rechnet sich nur, wenn die Anlagen möglichst störungsfrei laufen. Für Wartungseinsätze benötigen die Service-Techniker[ds_preview] Unterlagen wie Handbücher und Checklisten. Da kann es passieren, dass unvorhergesehene Fragen auftauchen und Unterstützung von außen erforderlich wird. In beiden Fällen könnten digitale Technologien helfen, die Arbeit effizienter zu gestalten. Ein Beispiel ist Augmented Reality (AR), also eine Erweiterung der erlebten Realität durch zusätzliche Informationen.

Branchenübergreifend ist ein steigendes Interesse zu erkennen, funktionierende AR-Lösungen zu entwickeln. »Es wird an allen Ecken und Enden geforscht«, berichtet Florian Defèr vom Forschungsinstitut FIR an der RWTH Aachen. Das FIR befasst sich mit der Schaffung von Grundlagen für digital vernetzte industrielle Unternehmen und arbeitet im Rahmen von Forschungsprojekten mit verschiedenen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammen.

Technisch sei vieles bereits jetzt möglich, sagt Defèr. Es gebe bereits Remote-Lösungen, bei denen ein Experte an Land das Geschehen auf der Offshore-Anlage per Datenbrille unterstützt. Entscheidend sei allerdings, dass sich dies auch wirtschaftlich rechne: »Sonst wird es sich in der Praxis nicht durchsetzen.«

Ein weiteres Anwendungsgebiet mit Potenzial ist die digitale Dokumentation – unter anderem durch direkt abgespeicherte Fotos oder Programme zur automatischen Spracherkennung, die ein langwieriges Erfassen von Protokollen überflüssig macht.

Zwar geht es bei den aktuellen Forschungsprojekten des FIR in erster Linie um Anlagen und Maschinen, wie man sie klassischerweise in der Industrie an Land findet. Defèr ist aber überzeugt davon, dass sich die Ergebnisse grundsätzlich auf die Offshore-Windindustrie übertragen lassen. Ein paar Hausaufgaben seien allerdings zu erledigen: »Unter anderem braucht es Hardware, die bequem zu tragen ist und außerdem den rauen Bedingungen auf See standhält.« Benötigt würden zudem stabile Netzanbindungen in den Windparks, um auch große Datenmengen übertragen zu können.

Aktuell gibt es in Offshore-Windparks üblicherweise keine flächendeckende Internetverbindung, was eine Echtzeitkommunikation und digitale Datenflüsse erheblich erschwert. Das Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik (IGP) in Rostock arbeitet gerade mit Partnern aus der Offshore-Industrie an einem Assistenzsystem. »Digitale Checklisten sind der erste, einfach zu realisierende Schritt. AR-Systeme sind die nächste Ausbaustufe«, berichtet Jan Sender, Gruppenleiter beim IGP.

In der Praxis sei man gerade noch dabei, sich von Papierordnern zu lösen. AR-Anwendungen seien derzeit noch teuer zu entwickeln – Instandhaltungen würden häufig von kleineren Firmen durchgeführt, die eine solche Entwicklungsarbeit kaum leisten könnten.

Hinzu komme, dass es nicht die eine Lösung für alle Fälle gebe: »Die Rahmenbedingungen da draußen sind einfach sehr unterschiedlich«, erläutert Sender. »Wenn der Techniker in der Umspannplattform unterwegs ist, befindet er sich praktisch in einem normalen industriellen Umfeld. Wenn er aber am Turm an einem Seil hängt, ist das ein komplett anderer Prozess mit anderen Rahmenbedingungen. Das stellt dann ganz andere Anforderungen sowohl an die Hardware als auch an die Software.«

In einem aktuellen Projekt geht es darum, ein digitales Assistenzsystem zur Unterstützung von Technikern für die Wartung von Außenanlagen im Offshore-Windpark zu entwickeln. Dabei sollen Informationen in unterschiedlichen Formen zur Verfügung gestellt werden – von der einfachen Checkliste bis zum komplexen 3D-Modell. Da sich die Techniker bei dieser Art von Einsatz zum Teil mit einer Hand absichern müssen, sei es naheliegend, sie mit Datenbrillen auszustatten und auf diesem Weg Informationen zu vermitteln sowie die Arbeiten über Sprachbefehle zu dokumentieren.

Für andere Anwendungsfälle seien auch Tablets oder am Arm befestigte Smartphones denkbar, meint Sender. »Je nachdem, ob es um die Wartung von Schaltschränken auf der Plattform oder von Getriebekomponenten auf der Windkraftanlage geht: Wir müssen jetzt sehen, für welche Schritte AR wirklich notwendig und zugleich ökonomisch umsetzbar ist.«

Nach Aussage des Wissenschaftlers gilt es die folgenden Punkte zu klären: Sind AR-Anwendungen robust genug für die Bedingungen auf See? Finden sie Akzeptanz bei den Technikern? Führen sie für die Unternehmen zu einer Effizienzsteigerung? Und stellen die jeweiligen Anbieter die benötigten Informationen zur Verfügung, um zum Beispiel 3D-Modelle der Komponenten erstellen zu können? »Ich gehe davon aus, dass das noch mindestens drei bis fünf Jahre dauern wird, da auch Schnittstellen zu bestehenden IT-Systemen bereitgestellt werden müssen.«

Potenziale sind vorhanden

Eine ähnliche Einschätzung hat David Bjerrum Reeckmann, Senior Innovation & Technology Consultant beim Offshore-Marktführer Ørsted: Er hält einen Zeitraum von etwa fünf Jahren für realistisch, um praxistaugliche AR-Systeme zu entwickeln. Aktuell sei die Hardware, insbesondere die AR-Brillen, für den täglichen Gebrauch noch nicht ausreichend benutzerfreundlich. »Insgesamt ist die erforderliche IT-Architektur und Datenumgebung nicht vorhanden«, meint Reeckmann. Zudem bestehe ein sehr hoher Schulungsbedarf.

Ørsted sieht durchaus Potenziale und habe auch schon einige Anwendungen im Unternehmen eingesetzt. Unter anderem ging es um Tests verschiedener Anbieter von Hardware, Tests von Remote-Assistenz-Systemen sowie erste Untersuchungen von Turbinen-Prototypen mittels verschiedener Applikationen.

Beim Einsatz von Virtual Reality (VR) ist man nach Aussage des Fachmanns einen Schritt weiter. Auch bei der Planung des neuen Operation & Maintenance Hubs in Vlissingen oder bei Marketing-Initiativen wie dem virtuellen Besuch eines Windparks habe Ørsted bereits erfolgreich VR eingesetzt.

Augmented Reality sei aber definitiv ein Thema, über das die Branche diskutiere, berichtet Reeckmann. Es könne Zeit gewonnen werden, wenn externe Experten herangezogen werden müssen. Denn die könnten dem Techniker vor Ort direkt helfen, ohne physisch anwesend sein zu müssen.
Anne-Katrin Wehrmann