Die Corona-Pandemie rüttelt an einigen Grundfesten des maritimen Kalenders, wie die Absage des Eisbeinessens zeigt. In diesen Tagen hätte die beliebte Traditionsveranstaltung stattgefunden. Grund genug für eine kleine Würdigung

Ein »same procedure as every year« gibt es 2020 nicht – keine persönlichen Meetings oder Geschäftskontakte – keine kulinarisch-logistische Meisterleistung beim[ds_preview] Servieren von mehreren tausend Eisbein-Tellern – keine Treffen an der Bier- oder Cocktail-Bar und kein ­Aquavit – keine Tanz- oder Musikanlagen – ­keine ­Gedächtnislücken am nächsten Tag.

Die maritime Branche muss bekanntlich in diesem Jahr ohne das Eisbeinessen der Vereinigung Hamburger und Bremer Schiffsmakler auskommen. Im siebten Jahrzehnt seit der Erstauflage wurde die Absage im Juni bekannt gemacht. Seit über 70 Jahren strömen Massen an Schifffahrtsakteuren nach Hamburg zur Eisbeinwoche – mit dem Essen als feierlichem Abschluss. Bei aller Geselligkeit haben die Tage bis heute ihren Status als enorm wichtiges geschäftliches Event behalten. Nicht zuletzt die große Wertschätzung der hiesigen Politik macht das immer wieder deutlich. Senatoren, Minister oder ranghohe Behördenvertreter lassen es sich nicht nehmen, dabei zu sein. Der traditionelle Senatsempfang zeigt ebenfalls die Wertschätzung der Stadt. Die Woche ist und bleibt ein bedeutendes Event für die Schifffahrtsmärkte.

Lange habe man sich die Entwicklungen angeschaut und auf ein Ende der Einschränkungen gehofft. Nach »sorgfältigen Überlegungen« hat sich der Vorstand um Geschäftsführer Alexander Geisler und den Vorsitzenden Christian Koopmann »zu seinem großen Bedauern« schließlich zur Absage entschlossen.

Wer schon das eine oder andere mal dabei war, weiß: Unter den – richtigen – behördlichen Vorgaben in Zeiten der Covid-19-Krise wäre eine Durchführung des Events undenkbar gewesen.

Der 6. November kann daher in diesem Jahr für Einkäufe, Renovierungsarbeiten oder Freizeitsport genutzt werden. Wenn das jemand noch zu Jahresbeginn in Aussicht gestellt hätte…

So heißt es nun zu hoffen. Darauf, dass wir alle gesund und sicher durch die Corona-Krise kommen. Dass diese Pandemie so schnell wie möglich überstanden ist. Und dass wir im kommenden Jahr wieder zum Eisbeinessen in das dann neue – und hoffentlich fertig gestellte – »Congress Center« in Hamburg pilgern können. In erster Linie natürlich, um geschäftliche Gespräche zu führen und Kontakte auf maritim-seriöse Art und Weise zu pflegen. Selbstverständlich. Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja auch zu einem »geselligen« Miteinander bei Speis und nicht zuletzt bei Trank…

Ach, Du schönes Eisbein. Auf ein Neues im nächsten Jahr!

Groß sollte es werden, laut und ein wahres Fest für die maritime Familie. Gemeinsam mit den Kollegen aus Großbritannien, dem geplanten Partnerland für dieses Jahr, wollten wir auf einen möglichst reibungslosen Übergang in ein neues Miteinander anstoßen. Aber leider, leider sorgte ein kleines, bis dahin unbekanntes Virus dafür, dass das traditionelle Eisbeinessen der Schiffsmakler und Schiffsagenten erstmalig in seiner 72-jährigen Geschichte ausfallen musste.

Potentielle Risiken, eingeschränkte Flugpläne sowie mögliche Auflagen für Veranstaltungen mit mehreren hundert Teilnehmern, etwa Abstandsgebot und Alkoholverzicht, machen die Planung und Durchführung einer solchen Veranstaltung, die vom Austausch der Menschen aus verschiedenen Ländern lebt, nahezu unmöglich. Schade, denn wir haben uns darauf gefreut.

Was am 5. November 1948 in einem kleinen Kreis von 110 Schiffsmaklern an Bord der »St. Louis« begann, entwickelte sich über die Jahre zu einem Großevent mit bis zu 5.000 Teilnehmern aus aller Welt. Allen Unkenrufen zum Trotz war das Eisbeinessen für Schiffsmakler und Agenten, Schiffseigner, Banker, Spediteure und Terminal-Betreiber und für all jene, die direkt oder indirekt mit der Schifffahrt verbunden sind, eine gute Gelegenheit, um sich in ungezwungener Atmosphäre und ohne Rücksicht auf strenge Tagesordnungen unmittelbar und direkt austauschen zu können. Geschäfte konnten angebahnt, neue Kontakte geknüpft und alte vertieft werden. So manche Geschäftsidee und das ein oder andere Unternehmen begann mit einigen unordentlichen Strichen und Ziffern auf einem Bierdeckel im CCH.

Man mag dieses belächeln, man mag es für nicht mehr zeitgemäß halten – wenn wir aber mit uns ehrlich sind, vermissen wir nach gut sechs Monaten Lockdown genau das… Denn allen Veränderungen im Leben zum Trotz und trotz allen technischen Fortschritten und digitalen Errungenschaften, bleibt eines wahr: Menschen lieben die Geselligkeit. Man kann Beziehungen auf digitalem Wege anbahnen, richtig gedeihen tun sie nur analog. Dieses menschliche Urbedürfnis dürfte auch der eigentliche Grund für den Erfolg von Formaten wie dem Eisbein­essen sein.

Hoffen wir daher alle gemeinsam, dass wir diese Pandemie möglichst bald hinter uns lassen können und direkte Treffen wieder möglich sind. Und dann heißt es auch wieder: »See you at the EISBEINESSEN 2021!«

Alexander Geisler, Geschäftsführer VHBS

Es begann zu Wasser – Eine bewegte Historie

1948 war ein besonderes Jahr für die nach dem Zweiten Weltkrieg brach liegende deutsche Schifffahrt. Die 110 verbliebenen Hamburger Schiffsmaklerfirmen durften endlich wieder Auslandsgeschäfte tätigen. Langsam nahmen immer mehr Schifffahrtslinien den Verkehr nach Hamburg wieder auf. Im Sommer wurde das generelle Verbot der Neuindienststellung aufgehoben. Es durften gesunkene Schiffe bis 1.500 BRT gehoben und instandgesetzt werden. Ab Ende 1948 schließlich erlaubte der Potsdamer Vertrag, dass Schiffe bis zu einer Vermessung von 1.500 BRT neu gebaut werden durften.

Was lag näher, als den sich abzeichnenden Aufschwung bei einem Geschäftsessen zu feiern. Bruno Jansen, seit 1945 Geschäftsführer der Vereinigung Hamburger Schiffsmakler und Schiffsagenten e.V. lud die Geschäftsführer seiner Mitgliedsfirmen am 11. November zu einem für damalige Verhältnisse teuren, aber guten Essen ein. Auch das Lokal ließ am maritimen Touch nichts missen, lag doch das nach schweren Bombentreffern notdürftig reparierte MS »St. Louis« an den Altonaer Landungsbrücken und diente als Hotel und Restaurant. Das Schiff hatte da bereits eine Odyssee hinter sich. Die vorletzte Reise des 1928 beim Bremer Vulkan für die Hapag gebaute Schiff fand im Mai 1939 mit 937 deutschen Juden nach Kuba statt. Obwohl alle Passagiere gültige Papiere hatten, wurde ihnen die Einreise nach Havanna verweigert. Nach langen Verhandlungen ging es weiter in die Vereinigten Staaten, aber auch dort gab es keine Einreiseerlaubnis. Die »St. Louis« kehrte nach Antwerpen zurück, wo – nach langen Verhandlungen – eine Einigung erzielt werden konnte.

In der Folge konnten die jüdischen Einwanderer das Schiff verlassen und sich über mehrere europäische Länder verteilen. Leider kam die Mehrheit der Einwanderer im Laufe des Krieges wieder unter die Herrschaft des Nazi-Regimes.

Die letzte Fahrt der »St. Louis« führte von Hamburg über New York und Murmansk nach Kiel, wo sie von 1940 bis 1944 als Wohnschiff für die Marine eingesetzt wurde. Nach schweren Bombenangriffen und Beschädigungen kam sie 1946 nach Hamburg

Der erste »Eisbein-Abend« wurde ein voller Erfolg, 110 Schiffsmakler taten sich gütlich am delikaten nordischen Vorgericht, Geflügelrahmsuppe, Seelachsschnitte vom Rost und Wiener Schnitzel mit Vierländer Gemüse. Nach dem gelungenen Abend war man sich einig. Das Essen sollte zur ständigen Einrichtung werden.

Bereits zum 29. Oktober 1949 lud Jansen erneut ein. Diesmal in den Ratsweinkeller, und erstmalig wurde Eisbein oder wahlweise Kassler mit Sauerkraut, Erbsenpürree, Kartoffeln und Speckstippe gereicht. Man entschied sich für das deftig-norddeutsche Gericht, weil es dem Zeitgeist entsprach, denn die Zeit des Mangels war vorbei, die »Nouvelle Cuisine« noch unbekannt. Das inzwischen weltberühmte Eisbeinessen war geboren. Niemand konnte damals ahnen, welche Entwicklungen es einmal nehmen würde. Seit dem Zusammenschluss der Maklervereinigungen in Hamburg und Bremen zum Verein Hamburger und Bremer Schiffsmakler (VHBS) steht die Veranstaltung Mitgliedern aus beiden Städten offen.