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Die Studierendenzahlen im Bereich Nautik an deutschen Hochschulen haben sich stabilisiert, teils ist der Trend sogar wieder positiv. Derzeit bereitet die Corona-Pandemie dafür den Studierenden Probleme, Praxisplätze an Bord zu finden. Von Felix Selzer[ds_preview]

An der Hochschule Wismar haben sich die Immatrikulationszahlen im September 2020 im Vergleich zum Vorjahr leicht nach oben bewegt. »Es wäre zu vermuten gewesen, dass die Corona-Pandemie einen schlechten Einfluss auf die Zahlen hat. Dem ist aber nicht so: Die Gesamtzahl der neu immatrikulierten Studierenden am Bereich Seefahrt, Anlagentechnik und Logistik (SAL) in Warnemünde ist von 130 im September 2019 auf 152 im September 2020 gestiegen«, berichtet Jürgen Siegl, Bereichsleiter SAL.

Abstract: More students, but rare internship positions

Student numbers for nautical studies have stabilized after years of decrease and some schools and universities are even seeing a positive trend. Whether the Covid-19 pandemic has impacted the attractiveness of the profession remains to be seen. But the pandemic has certainly made it even harder for students to find internship positions.

Die Corona-Entwicklung wird sich nach Siegls Einschätzung allerdings auf die Neuimmatrikulationen und damit auch auf die laufenden Studierendenzahlen im kommenden Studienjahr auswirken. Er verweist beispielsweise auf die Ankündigung der Kreuzfahrtreederei Aida, im September 2021 keine Nautik-Studierenden auf die Hochschule Wismar zu schicken, da werden, da der Berufseinstieg bei Aida für ein Jahr aufgrund der Pandemie-Situation pausiert wurde. Schiffsbetriebstechniker und Elektrotechniker seien davon nicht betroffen.

Christoph Wand, Studiendekan des Fachbereichs Seefahrt und Logistik, Nautik an der Hochschule Elsfleth, berichtet, dass die Studierendenzahlen in den maritimen Studiengängen 2020 und 2021 gleich geblieben beziehungsweise leicht gestiegen sind. »Die leichte Steigerung der Neueinschreibungen des Wintersemesters 20/21 könnte nach meiner Vermutung an dem coronabedingt schlechteren Markt für (maritime) Ausbildungsberufe liegen«, sagt er. Wand hat nicht den Eindruck, dass die Coronakrise und die schwierige Situation für viele Seeleute sich auf die Attraktivität maritimer Studiengänge auswirkt. »Das Interesse ist auf dem üblichen Niveau und die Studenten oder Bewerber wissen, dass die pandemiebedingten Einschränkungen wieder zurückgehen werden. Ich erwarte allerdings, dass die Zahl der Studienabbrecher coronabedingt leicht steigen wird«, sagt er.

»Das Tief ist durchlaufen«

Pawel Ziegler, Leiter des Instituts für Nautik und maritime Technologien an der Hochschule Flensburg, erklärt: »Das Tief aus den Jahren 2017–2019 ist klar durchlaufen und wir bewegen uns in einem positiven Trend.« Derzeit sind in Flensburg im Studiengang Nautik 96 Studierende und in Schiffstechnik (Schiffsbetriebstechnik und Schiffsmaschinenbau) 100 Studierende eingeschrieben. Die Zahlen sind seit 2018 weitgehend stabil auf diesem Niveau (+/-8 %). Einen Einfluss der Pandemie auf Einschreibungen könne man nicht direkt wahrnehmen. »Der Zulauf unserer Studierenden erfolgt zu 70–95 % (Nautik und Schiffsbetriebstechnik etwas unterschiedlich) aus der Schiffsmechanikerausbildung. Dieser Zyklus beginnt somit bereits ca. zwei bis drei Jahre vor dem Studium. Die Berufswahl und der gewählte Karrierepfad Ausbildung-Studium-Seefahrt sind also bei den jungen Auszubildenden schon früh verfestigt. Ein Corona-Effekt kann demnach jetzt eher bei den Auszubildendenzahlen identifiziert werden«, sagt Ziegler.

Syrer haben Bemen gepusht

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© Selzer

Für die Hochschule Bremen berichten Studiengangleiter Thomas Jung und seine designierte Nachfolgerin Ilknur Colmorn, dass die Zahlen sich im Bereich Nautik nach dem Tief von 2014 und 2015 wieder erholt haben. Bremen habe auch von der Flüchtlingskrise 2015 profitieren können, sagt Jung. Der Grund sei, dass die Hochschule ihren Nautikstudiengang zu 100 % auf Englisch anbiete. »Wir haben auch ausländische Studierende als Zielgruppe aufgenommen, die Zielgröße liegt bei etwa 50 %.« Der »Peak«, der vor drei oder vier Jahren durch Studierende aus Syrien oder anderen arabischen Ländern verursacht wurde, ist nun mit deren Abschlüssen aber abgeklungen. Nun seien die Aufnahmebedingungen verschärft worden, insbesondere im Hinblick auf englische Sprachkenntnisse. Mittlerweile kämen mehr Studierende aus dem europäischen Ausland, berichtet Jung.

Dank dem positiven Trend sei man bei einer Auslastung der Studienplätze von 80 bis 90 %. »Wir sind vernünftig ausgelastet, es könnte etwas mehr sein, wir sind aber sicher, dass wir in den nächsten Jahren mindestens die Zielauslastung erreichen«, sagt Jung. Er schaue zuversichtlich in die Zukunft. Stefan Wessels, stellvertretender Leiter der der Staatlichen Seefahrtschule Cuxhaven, berichtet, dass die Zahl der Bewerber seit Jahren auf niedrigem Niveau stagniert. Die Corona-Krise habe zumindest an seiner Schule diesen Zustand weder verschlechtert noch verbessert.

Praktika und Jobs knapp

Effekte der Covid-19-Krise zeigen sich dagegen bei Praktikumsplätzen und auf dem Arbeitsmarkt. »Die Pandemie hat einen deutlichen Einfluss und die Stellen sind deutlich knapper. Das liegt – wie auch bei bereits ausgebildeten Seeleuten – primär an den fehlenden Reisemöglichkeiten bei der An- und Abmusterung; nicht an der Lage der Schifffahrt. Wir gehen davon aus, dass auch die Studenten, die nicht sofort Plätze bekommen haben, in absehbarer Zeit versorgt werden können«, sagt Wand. Thomas Jung kann das aus Gesprächen mit Reedereien bestätigen, Reisebeschränkungen bei Crew-Wechseln im Ausland seien ein großes Problem. Das treffe auch Auszubildende, Kadetten und NOAs. »Während wir vorher 50 bis 60 Reedereien hatten, die Plätze angeboten haben, lag das zuletzt bei ca. 35. Ob das nur pandemiebedingt ist, kann man nicht sagen«, so Jung. Durch die anhaltende Konsolidierung komme es zu Ausflaggungen, Förderungen für NOA-Plätze fielen weg. »Da müssen wir durch, das normalisiert sich aber wieder«, ist er zuversichtlich. Am Ende habe noch jeder seine Praxiszeit bekommen.

Auch Pawel Ziegler berichtet von einer »Verschärfung der bereits vorhandenen Zurückhaltung« der Reeder: »Praktikanten sind in der Corona-Krise noch schlechter an Bord gekommen. Im Kreuzfahrtbereich ist die NOA-Aktivität fast zu 100 % eingebrochen.« Bei der Situation auf dem Arbeitsmarkt sehe es etwas anders aus: »Unsere Absolventen kommen im Cargo-Bereich gut unter, auch im Bereich Fähren und in der Logistikbranche. Im Kreuzfahrtsegment sind unsere Absolventen, oftmals mit unterschriebenen Arbeitsverträgen in der Tasche, ›geparkt‹ worden. Ich rechne mit einer steilen Wiederbelebung dieser Branche im Sommer 2021.«

Stefan Wessels sagt, dass wohl die Mehrheit der (nautischen) Absolventen der Seefahrtschule noch eine Anstellung in der Seefahrt finde. Das seien überwiegend Jobs in der kleinen und mittleren Fahrt, beispielsweise in der Bäderfahrt, auf Off­shore-Windparkversorgern oder auf Küstenmotorschiffen in der Nord- und Ostseefahrt. »Kaum noch jemand steigt auf Großcontainer- oder Kreuzfahrtschiffen ein, bei letzteren ist dies sicherlich auch eine Folge der schweren Krise infolge der Pandemie. In der Großcontainerschifffahrt waren schon vorher kaum noch Jobs für unsere Abgänger/innen im Angebot«, sagt Wessels, der in Cuxhaven auch zahlreiche Nautiker für küstennahe Reisen (NWO500, ein Semester) sowie Schiffsmaschinisten (TSM, zehn Wochen) bis 750 kW Maschinenleistung ausbildet. Diese fänden häufig Beschäftigung auf kleinen und kleinsten Einheiten wie Behörden- oder Bäderschiffen. »Alle zwei Jahre kommt auch regelmäßig ein voller Lehrgang Kapitän in der Küstenfischerei (BKü) zustande. Hier finden so gut wie alle Abgänger Beschäftigung in der Küsten-/Krabbenfischerei«, berichtet er.

Neue Realität, neue Inhalte

Um der technischen Entwicklung und den Anforderungen des Arbeitsmarktes Rechnung zu tragen, hat die Hochschule Bremen ihren Nautikstudiengang in den ersten zwei Semestern umgestellt: Mathematik wurde in die Navigation integriert, Mathematik und Physik in den Bereich Schiffstechnologie und Mechanik gepackt. »Wir sind eine Hochschule für angewandte Wissenschaften und müssen nicht mehr jede Formel beweisen können, sondern die Studierenden sollen sie anwenden können. Tankershipping wurde wieder neu aufgenommen, hier geht es auch um Chemie. Wir haben mehr Technik hineingebracht mit Modulen zu Navigationssystemen und Informatik«, berichtet Jung. Automatisierung und Digitalisierung wurden stärker in den Fokus genommen, Radar- und Seekartenkurse wurden ausgeweitet, zudem kamen deutlich mehr Simulatorkurse in den Lehrplan. Durch die Möglichkeiten zur Vertiefung technischer und betriebswirtschaftlicher Inhalten sollen die Studierenden »Sprungbretter« in andere Bereich bekommen.

In Wismar wird im Bereich SAL das Studienangebot modernisiert. So sollen zum Beispiel die maritimen aber landbezogenen Studienrichtungen attraktiver gestaltet werden. »Hier wird es zukünftig mehr Studienmöglichkeiten und eine optimierte Studierbarkeit geben, zum Beispiel durch einfacheren Wechsel zwischen Studienrichtungen in einem Studiengang«, sagt Siegl. Außerdem wird in den nächsten zwei Jahren ein neuer Masterstudiengang zur Lotsenausbildung (Maritime Pilotage, M.Sc.) in Kooperation mit der Bundeslotsenkammer und der Hochschule Flensburg auf Basis des kürzlich novellierten Seelotsgesetzes auf den Weg gebracht (s. Hinweis zum Podcast).

In Flensburg befinden sich die maritimen Studiengänge derzeit nach einer Überarbeitung im Reakkreditierungsprozess. Die Nautik ist im Bereich der digital-technischen Kompetenzen vertieft worden und es wurde mehr Gewicht auf wissenschaftliche Arbeit sowie Offshore-Aspekte gelegt. Die Schiffstechnik hat neben der Schiffsbetriebstechnik und dem Schiffsmaschinenbau einen vollständig neuen Studienzweig »Industrie- und Anlagenbetriebstechnik« erhalten. »Hier bilden wir vollständig für den Landeinsatz aus und kommen der steigenden Nachfrage nach Fachkräften in diversen Industrieunternehmen mit komplexen Anlagen rund um die Energieerzeugung und der Produktion nach«, sagt Pawel Ziegler.