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Trotz rückläufigen »Azubi«-Zahlen sieht die Hamburger Berufsschule die klassische duale Ausbildung von Schifffahrtskaufleuten weiter als Erfolgsmodell. Es müsse aber von einigen Akteuren wieder stärker in der Öffentlichkeit vertreten werden. Von Michael Meyer[ds_preview]

Schulleiter Christian Peymann und Schifffahrtsabteilungsleiter Jan Schlichting sind selbst gelernte Schifffahrtskaufleute. Sie kennen die Vielfalt und die besonderen Herausforderungen, die die Ausbildung und der Beruf mit sich bringen. So versucht die Handelsschule Berliner Tor (HBT) immer wieder, aktuelle Entwicklungen oder große Trends wie die Digitalisierung und die Dekarbonisierung aufzugreifen, um die Ausbildung so wirklichkeitsnah wie möglich zu strukturieren.

Eine andere Entwicklung hingegen setzt der Schule seit Jahren zu: der generelle Trend, nach dem Abitur direkt ein Studium zu beginnen. Eine duale Berufsausbildung scheint immer weniger attraktiv zu sein, erst Recht, nachdem mit der Einführung des Bachelor-Systems die Studiumszeit deutlich kürzer ausfallen kann als zuvor.

Nur noch 113 Azubi-Verträge

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Atlas und Lehrbuch sind noch immer ein wichtiger Bestandteil der praxisorientierten dualen Ausbildung von Schifffahrtskaufleuten (© HANSA)

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. 2021 gab es 113 abgeschlossene Ausbildungsverträge für Schifffahrtskaufleute in Hamburg, ein Negativrekord im neuen Jahrtausend. Bundesweit waren es 178. Zum Vergleich: 2008 gab es einen Höchststand, seinerzeit waren es 273 Verträge in Hamburg und 438 deutschlandweit.

Schlichting sieht in der Entwicklung mehrere Gründe – auch neben dem allgemeinen Trend zum Studium. Da ist zum Einen die Corona-Pandemie, die eine Rekrutierung erschwert. Einen großen Anteil hat aber wohl: Die schwere Schifffahrtskrise seit 2008 hat zu vielen Fusionen, Übernahmen und Insolvenzen geführt. Deutschland war mit am stärksten davon betroffen. »Zum Einen findet man nicht mehr ausreichend gute Bewerber, aber dagegen kann man unter Umständen etwas tun. Wichtig ist aber auch, dass hier weniger duale Ausbildung angeboten wird«, so der Abteilungsleiter. Die größeren Akteure würden zwar weiter ausbilden, aber es fehlten viele kleine Betriebe. »Die Anzahl der Reedereien, die überhaupt in Frage kommen, ist geschrumpft.« Zudem seien gerade in den Krisenjahren einige Funktionen der Unternehmen »outgesourcet« worden, etwa Customer Service. Wenn dies nicht mehr in Deutschland, sondern im Ausland abgewickelt wird, fehlen entsprechend Ausbildungsplätze.

Kammern und Politik gefordert

Schulleiter Peymann findet, dass die landseitige Ausbildung in der Wahrnehmung zu kurz kommt. In der breiten Öffentlichkeit sei der Beruf bisweilen kaum bekannt. Er will sich kein Urteil darüber erlauben, ob die Unternehmen gut genug um Auszubildende werben. »Das tun sie sicherlich nach ihren Möglichkeiten. Das ist ein generelles Problem, da fehlt mir manchmal der Sachverstand in der Politik und die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, was machen wir eigentlich mit unseren dualen Berufsausbildung«.

»Die Sach- und Fachkräfte im kaufmännischen Bereich ziehen wir nun mal aus der Ausbildung. Das muss viel mehr in die Köpfe der Leute.«

Berufsschulleiter Peymann

Er sieht die Politik in der Pflicht, aktiver zu werden: »Die Sach- und Fachkräfte im kaufmännischen Bereich ziehen wir nun mal aus der Ausbildung. Das muss viel mehr in die Köpfe der Leute. Das kann keine Berufsschule und das kann auch kein Unternehmensverband allein, das muss von den entsprechenden Ministerien kommen.« Nicht zuletzt die Kammern seien gefordert, mehr für die Ausbildung zu tun, »das ist ihr ureigenster Job.«

Auch Schlichting würde sich in diesem Punkt mehr Engagement wünschen. Er sagt, mancher bemängele, dass die Kammern »zu weit weg« von den Unternehmen seien. »Sie sind aber ebenfalls für die duale Ausbildung zuständig. Einige Dinge werden über uns als Schule geregelt, die eigentlich über die Kammern laufen sollten.« Da gebe es einiges zu tun, etwa zu schauen, wie gute Bewerber rekrutiert werden könnten.

Zuletzt hatte eine Umfrage der Schule unter den Ausbildungsbetrieben ergeben, dass ein großer Teil der Branche »gebündelte Rekrutierungsmaßnahmen« befürworten würde, um geeignete Bewerber zu finden. »Es gibt noch Bewerber, aber das sind nicht unbedingt die, die für diesen Beruf geeignet sind«, sagt Schlichting.

Ein wichtiger Punkt ist für Schulleiter Peymann das Bachelor-/Master-System, das seiner Ansicht nach »nicht zu uns passt«. Anders als bei den meisten anderen Ausbildungsberufen seien in der Schifffahrt Schüler mit Abitur gefragt. Unter anderem ausgeprägte Kenntnisse in der englischen Sprache und in gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen sowie eine gewisse Auffassungsgabe hätten große Bedeutung, »da kann man nicht jeden einstellen.« Dann konkurriere man allerdings mit Hochschulen um Bewerber.

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Der Schulleiter beobachtet, dass viele Eltern ihren Kindern ein Studium nahe legen würden, statt wie früher, zu einer Ausbildung zu raten. »Eltern wollen, dass ihr Kind nach dem Abitur den höchstmöglichen Abschluss bekommt, also heutzutage zunächst den Bachelor. Das beißt sich mit der dualen Ausbildung in Deutschland.« Abteilungsleiter Schlichting stimmt zu: »Mein Eindruck ist, auf Gymnasien gilt heute das Studium als Königsweg.«

Peymann findet, fachlich sei man in Deutschland sehr gut aufgestellt, auch zu den Firmen gebe es enge Verbindungen: »Das ist ein sehr hohes Gut, davon profitieren wir alle. Eigentlich bieten wir alles, uns fehlt jedoch der Bachelor-Abschluss. Der Ruf der Berufsschule ist vielleicht nicht gut genug.« Die Politik sei gefragt, das aufzubrechen, »das kann kein Einzelunternehmen leisten«.

Professionelle Strukturen

Trotz allem sind die HBT-Verantwortlichen von der Bedeutung der dualen Ausbildung für Schifffahrtskaufleute überzeugt. »Die Firmen stehen dazu«, sagt Schlichting und beruft sich auf eine weitere Umfrage. Die duale Ausbildung sei immer noch ein Erfolgs- und eben kein Auslaufmodell.

Nicht zuletzt spielt dabei auch eine Rolle, dass die Unternehmen nicht nur Hochschulabsolventen brauchen, sondern auch Sach- und Fachleute, die den Beruf von der Pike auf lernen. »Was soll ein Makler mit vielen Bachelor-Absolventen? Es gibt nicht so viele große Unternehmen, die die Anforderungen erfüllen können, die solche Absolventen an sie stellen«, sagt Schlichting. »Uns fällt das bisweilen nicht auf, weil es in Deutschland selbstverständlich ist. Aber hier wird eine Professionalisierung von jungen Leuten betrieben, die weltweit Beachtung findet.« Das müsse wieder stärker in den Fokus gerückt werden.

Auch Peymann ist sich sicher, dass das duale System noch zeitgemäß ist. Die Absolventen seien die Fachkräfte, die in den Firmen benötigt würden. »Da geht es nicht um Titel, sondern um Sach- und Fachwissen. Ein Schiff zu verchartern lernt man nicht im Studium.«

Die Unternehmen haben einiges getan, findet Schlichting: »Wir erfahren als Schule auch viel Unterstützung und man kümmert sich um die Azubis. In den Betrieben ist es in den letzten zehn Jahren viel professioneller geworden.«