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Sind deutsche Reedereien von Piraten-Angriffen betroffen, ist die Bundespolizei in Ermittlungsarbeiten und die Aufarbeitung involviert. Die HANSA veröffentlicht einen Fakten-Check und umfangreiche Informationen zur Arbeit der Behörde.[ds_preview]

Jens Reimann, Erster Polizeihauptkommissar und Stabsbereichsleiter im Stabsbereich Maritime Sicherheit / Kriminalitätsbekämpfung bei der Bundespolizei See, und Jan Labetzsch, ebenfalls Erster Polizeihauptkommissar und Leiter Sachbereich Maritimer Dauerdienst/Piraterie-Präventionszentrum, geben der HANSA Einblicke in die komplexe Arbeit im Kampf gegen die Piraterie.

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Quelle: Pixabay

Bei der Bundespolizei gebe es permanent eine »strategische sowie anlassbezogen eine operative Auswertung von Ereignissen der maritimen Kriminalität«, betonen die Experten. Bei der Auswertung konkreter Fällen geht es um Route der attackierten Schiffe und Orte von Angriffen, den Modus Operandi von Piraten und etwaige Beteiligte. Die gewonnenen Erkenntnisse werden analysiert, aufbereitet und für die Abarbeitung eines aktuellen Falles, den Abgleich mit ähnlichen Vorfällen sowie die Sensibilisierung der maritimen Industrie genutzt. Allzu viele Details wollen die Ermittler nicht öffentlich machen, »aus ermittlungstaktischen Gründen«.


Pirateriefälle vor Westafrika und Involvierung der Bundespolizei

2020: 22 Vorfälle – 7 Vorfälle mit deutschem Bezug

  • 22 verdächtige Annäherungen – 1 x deutscher Bezug
  • 74 Überfälle – 5 x deutscher Bezug
  • 26 Entführungen – 1 x deutscher Bezug: »Tommi Ritscher«

2021: 52 Vorfälle – 4 Vorfälle mit deutschem Bezug

  • 10 verdächtige Annäherungen – 1 x deutscher Bezug
  • 29 Überfälle – 3 x deutscher Bezug
  • 13 Entführungen – kein deutscher Bezug

 

Zuletzt ist es etwas ruhiger geworden im Golf von Guinea. Nach Ansicht der Bundespolizei ist dies unter anderem darauf zurückzuführen, dass zur Zeit diverse militärische Ausbildungs- und Unterstützungsmaßnahmen für die Küstenstaaten seitens verschiedener Staaten in der Umsetzung sind. Hier seien unter anderem Portugal, USA, Dänemark, Frankreich (»Operation Corymbe«) zu nennen, die mit seegehenden Einheiten vor Ort sind.

Dennoch ist die Gefahr nach wie vor groß. In der jüngeren Vergangenheit waren auch deutsche Reedereien betroffen. Einer der bekanntesten Fälle war sicherlich der Angriff auf die »Tommi Ritscher« im Jahr 2020. Das 255 m lange Schiff der in Jork ansässigen Reederei Gerd Ritscher mit Platz für 4.957 TEU war auf Reede vor der Hafenstadt Cotonou in den Gewässern von Benin geentert worden. Eine unbekannte Anzahl an Piraten hatte sich mit einem Schnellboot genähert. Weil ein Einsatzboot der Marine von Benin den Vorgang beobachtete und sich auf den Weg zum Ort des Geschehens machte, zog das Schnellboot wieder ab, nachdem es einige Männer auf die »Tommi Ritscher« geschafft hatten. Elf Besatzungsmitglieder konnten sich in die Zitadelle retten, die anderen acht wurden gekidnappt. Nach rund einem Monat waren sie wieder freigekommen. Die Entführten, darunter der Kapitän, stammen aus Bulgarien, der Ukraine, aus Russland und von den Philippinen. Dem Vernehmen nach waren die Seeleute von nigerianischen Sicherheitskräften befreit worden. Weil eine deutsche Reederei betroffen war, wurde auch die Bundespolizei in die Ermittlungsarbeiten einbezogen.

Mehrere Wochen im Einsatz

Generell ist das Aufgabenspektrum der Behörde in dem Bereich groß. Zu den Arbeiten gehören etwa die aktive Unterstützung und Beratung der betroffenen Reedereien in der Entführungsphase, um eine möglichst zügige Freilassung entführter Crew-Mitglieder zu ermöglichen. Die Bundespolizei arbeitet hierzu mit allen Behörden zusammen, die in den betroffenen Regionen tätig sind – »beispielsweise Bundeskriminalamt, Auswärtiges Amt, Botschaften, Militär-Attaché«, heißt es.

Die operative Phase eines Einsatzes umfasst stets mehrere Wochen. Während dieses Zeitraums ist in Neustadt/Holstein eine »Besondere Aufbauorganisation« (BAO) eingerichtet, die rund um die Uhr erreichbar ist und mit der Lagelösung in konkreten Fällen sowie der Vorbereitung der anschließenden Folgemaßnahmen befasst ist – also Tatortarbeit, kriminalistische Maßnahmen und Ermittlungen, gegebenenfalls an Bord. Zeitgleich unterstützen für besondere Einsatzlagen wie Geiselnahmen und Entführungen ausgebildete Berater der Bundespolizei See die Reederei vor Ort.

Internationale Zusammenarbeit

Auch mit Behörden der entsprechenden Küstenländer, beispielsweise Nigeria oder Benin, wird zusammengearbeitet. Sie gelten in der Branche zwar als Risiko, weil die Piraterie oft mit Korruption an Land einhergeht. Bei der Bundespolizei wird die Zusammenarbeit »in diesen schwierigen Situationen in einem ohnehin komplexen Phänomenbereich« dennoch als »konstruktiv und von einem vertrauensvollen Miteinander geprägt« beschrieben. »Piraterie ist in beiden Fällen grundsätzlich der organisierten Kriminalität zuzuordnen, bei der finanzstarke Hintermänner die Entwicklung(en) steuern«, heißt es.

Eine Zusammenarbeit mit Behörden anderer Länder, etwa den Heimatstaaten der betroffenen Seeleute, Ladungs- oder Schiffseigner erfolgt anlassbezogen nach Bewertung des jeweiligen Falles.

Workshops zur Prävention

Unabhängig von dem Umstand, dass die Ermittlungen zur Hochzeit der Piraterie vor Somalia noch von Landeskriminalämtern bearbeitet wurden, sei der Arbeitsaufwand identisch. »Der wesentliche Unterschied in Westafrika ist die Entführung lediglich einer Teilbesatzung (Schiffsführung)« während in Ostafrika die Entführung von Schiff und Besatzung im Vordergrund stand, zudem waren die Entführungszeiträume grundsätzlich wesentlich längerer. Dies hängt nach Ansicht der Bundespolizei mit den jeweiligen geographischen Besonderheiten sowie den realen (macht-) politischen Konstellationen zusammen.

Neben konkreten Fällen übernimmt die Behörde weitere Aufgaben. So berät der Stabsbereich Maritime Sicherheit / Kriminalitätsbekämpfung Unternehmen »gefahrenabwehrend«, um einen sogenannten »Schadenseintritt« möglichst zu verhindern. Es wurden unter anderem bereits über dreißig zweitägige Workshops für die Handelsschifffahrt und seit einigen Jahren auch für die sogenannten Blauwassersegler – Weltumsegler – durchgeführt, in deren Zentrum die Vermittlung von Erkenntnissen, Abwehrstrategien und der Erfahrungsaustausch stehen.

Die zweitägigen Workshops für die Handelsschifffahrt setzen sich aus praktischen und theoretischen Bestandteilen zusammen. Demonstriert werden etwa Abwehrtechniken auf See sowie Verhaltensweisen bei einem Angriffsszenario. Exemplarisch geübt wird der Rückzug in die sogenannte Zitadelle eines Schiffes bei einem Piratenangriff. Begleitet werden diese Workshops auch von einem Polizeipsychologen.

Die gesetzliche Zuständigkeit der Bundespolizei für Piraterie-Fälle ergibt sich aus:

  • Bundespolizeigesetz
  • Seeaufgabengesetz
  • Zuständigkeitsbezeichnungsverordnung See in der Strafprozessordnung

Zu den Aufgaben gehören unter anderem

  • Beratung von Reedereien / Sportschifffahrt hinsichtlich Routenplanung und Abwehrmaßnahmen vor der Passage durch eine High-Risk-Area (HRA)
  • Erstellung von Sicherheitshinweisen und Gefährdungsanalysen
  • Lagelösung
  • Beratung und Unterstützung bei aktuellen Angriffen (Empfehlungen zu möglichen Handlungsanweisungen für die Besatzung, ggf. auch vor Ort in der Reederei)
  • Auswertungen nach dem Angriff
  • Workshops für Company Security Officer (CSO)
  • Fungieren als Schnittstelle zwischen Behörden und maritimer Wirtschaft Sportschifffahrt
  • Entsendung eines Beraters der Maritimen Kriminalitätsbekämpfung zur Unterstützung der Reederei
  • Einrichtung einer rund um die Uhr erreichbaren, mit der Lagelösung befassten »Besonderen Aufbauorganisation«
  • Einrichtung einer TKÜ-Maßnahme (Telekommunikationsüberwachung)
  • Ermittlungen im In- und Ausland
  • Zusammenarbeit mit dem »Emergency Response Team« der Reederei
  • Abstimmung des Krisenmanagements
  • Organisation der Rückführung entführter Seeleute in die Heimatländer nach Lagelösung