Der Name Albert Ballin dürfte jedem ein Begriff sein, der sich schon einmal mit Logistik, Transport oder der Hapag-Lloyd beschäftigt hat. Den Werdegang des Unternehmers und der Reederei schildert Dr. Johannes Gerhardt

Die jüngsten Entwicklungen sind Grund genug, einmal näher auf einen Menschen zu blicken, mit dessen Namen sich das Konsortium um[ds_preview] die Stadt Hamburg und Investor Klaus-Michael Kühne schmückt. Einen Menschen, dem im wilhelminischen Kaiserreich ein beispielloser Aufstieg ge­lang: vom dreizehnten Kind eines armen jüdi­schen Auswandereragenten zum »Souverän der Seefahrt« und »Freund« des Kaisers.

Das Ende hätte kaum dramatischer sein können. Unter nie ganz geklärten Umständen schied Albert Ballin am 9. November 1918 aus dem Leben – ungefähr zur gleichen Stunde, als Philipp Scheidemann vom Balkon des Berliner Reichstages die Republik ausrief. Wenige Tage später schrieb Kurt Singer, seines Zeichens Chefredakteur des »Wirtschaftsdienstes«: »Deutschland verliert seinen größten Reeder, einen seiner genialsten Unterhändler und einen seiner treuesten Berater, zugleich aber den Mann, der wie kein zweiter Art, Kraft und Grenze des nach-bismarckschen Reiches als Vertreter und als Sinnbild darstellte. Mit ihm und in ihm geht eine Epoche zu Ende.«

In der Tat: Ballin war jemand, der wie kaum ein anderer die Möglichkeiten auszuschöpfen wusste, die sich im 1871 gegründeten deutschen Kaiserreich auftaten, der zugleich aber auch in besonderem Maße dessen Schwächen erlebte.

Und so stellt sich die Frage, wie sich der Aufstieg der Hapag zur größten Reederei der Welt unter der Führung Albert Ballins vollzog – einer Persönlichkeit, die von manchen als »dämonisch«, von anderen als »charismatisch« charakterisiert worden ist, und deren Wesen am ehesten wohl die Einschätzung »Tatmensch« trifft.

Der schöpferische Unternehmer

Als jüngstes von dreizehn Kindern wurde Albert Ballin am 15. August 1857 in eine Familie hineingeboren, die zur jüdischen Unterschicht Hamburgs gehörte. Der Vater Samuel Joel – ein massiv gebauter Mann, der um 1830 von Dänemark nach Hamburg eingewandert war – hatte 1852 eine unabhängige Auswandereragentur gegründet, die unter dem Namen Morris & Co. firmierte. Diese lief mehr recht als schlecht – und als Ballin senior 1874 starb, zogen sich nach und nach die anderen Partner zurück, so dass schon bald dem gerade erst 20-jährigen Albert die Führung der kleinen Firma zufiel.

Wider Erwarten hatte er Erfolg. Seit 1880 begann die Zahl der Auswanderungen von Europa nach Amerika erneut anzusteigen. Um nur einige Gründe hierfür zu nennen: Die wirtschaftliche Situation in den Vereinigten Staaten hatte sich gebessert, in den verschiedensten Teilen Russlands führten blutige Pogrome zum Anwachsen der Zahl auswanderungswilliger Juden, der Ausbau des europäischen Eisenbahnnetzes erhöhte insgesamt die Mobilität auf dem Kontinent und machte die Hafenstädte Mitteleuropas besser erreichbar. Ballin gelang es in besonderer Weise, von diesen Entwicklungen, deren Konsequenzen er klar erkannte – und das machte den Unterschied aus –, zu profitieren. Mit relativ einfachen, aber höchst effektiven Mitteln revolutionierte er das Auswanderergeschäft.

In diesem Zusammenhang kann Ballin als Paradebeispiel eines Entrepreneurs gelten, wie ihn der Nationalökonom Joseph Schumpeter beschrieben hat. Der Schumpetersche Unternehmer setzt in einem Prozess der »schöpferischen Zerstörung« des Bestehenden »neue Kombi­nationen« durch – so auch neue Dienstleis­tun­gen, Transportmethoden und Organisationsformen.

Welche neuen Kombinationen setzte Ballin durch?

1881 trat Albert Ballin an den Neffen des Hamburger Großreeders Robert Miles Sloman jr., Edward Carr, mit einem ungewöhnlichen Vorschlag heran: Carr, der sich zwei Jahre zuvor selbständig gemacht hatte, solle seine beiden Frachter umbauen. Anders als die ansonsten üblichen Trans­atlantikdampfer, die in der ersten und zweiten Klasse Passagiere beförderten und im Zwischendeck Auswanderer, sollten sich Carrs umgebaute Frachter auf letztere beschränken. Der Umbau sei, so Ballin, nicht allzu aufwendig: Die Räumlichkeiten der Schiffe sollten nicht in Kabinen, sondern in große Mehrzweckräume aufgeteilt werden, die tagsüber als Aufenthaltsräume und nachts als Schlafsäle dienen könnten. Als Ausgleich für die einfache Unterbringung solle allen Personen Zugang zu den offenen Decks gewährt werden, bisher ein Privileg für Passagiere der ersten und zweiten Klasse. Durch das Fehlen der platzaufwendigen Kabinen gebe es mehr Frachtraum – eine zusätzliche Einnahmequelle. Außerdem bestehe die Möglichkeit, die Schiffe für die Rückreise von Amerika nach Hamburg durch wenige Handgriffe in reine Frachter umzuwandeln.

Carr ging auf Ballins Vorschlag ein, versprach dieser doch Aussicht auf anhaltend gute Erträge, zumal Ballin ihm volle Schiffe, d. h. 600 Passagiere pro Fahrt, garantierte; ansonsten würde Morris & Co. Kompensationszahlungen leisten. Den Reisenden konnte jetzt ein gewisses Maß an Komfort während der Überfahrt angeboten werden, und das zu einem Preis, der mit 82 Mark pro Kopf deutlich unter dem der Konkurrenz lag.

Die Umsetzung der Ballinschen Ideen war von Beginn an ein voller Erfolg. Bereits nach einem Jahr konnte Carr seine Flotte von zwei auf sechs Schiffe erweitern, denn Ballin schickte ihm 12.200 Emigranten, das waren 17 % des gesamten Auswandererverkehrs in Hamburg. Und deren Zahl auf Carrs Schiffen stieg weiter an: 1883 waren es 16.500.

Ballins und Carrs Konkurrent, die Hapag, transportierte in diesem Jahr etwa 53.400 Personen bei 76 Abfahrten nach Nordamerika. Dennoch blickte die Reederei mit zunehmender Nervosität auf die Erfolge des Emporkömmlings. Schließlich ließ sie sich auf einen Preiskampf ein und senkte 1882 die Passagepreise von 120 auf 90 Mark, ein Jahr später sogar auf 80 Mark. Carrs und Ballins Antwort war, die Preise ihrerseits mehr und mehr herabzusetzen. Um eine feindliche Übernahme zu verhindern, suchten sie zudem einen Partner und fanden ihn in Robert Miles Sloman & Co., mit dem sich die Carrsche Linie zur Union-Linie verband.

1886 kam es dann doch zu einer Verständigung, bei der die Kontrahenten eine Interessengemeinschaft bildeten: Der Union-Linie wurden niedrigere Passagepreise zugestanden, die Hapag übernahm dafür die Leitung des Passagedienstes für beide Linien mit der Verpflichtung, mindestens ein Viertel aller Reisenden dem bisherigen Konkurrenten zuzuweisen.

Viel entscheidender für Ballins weitere Karriere war jedoch ein Separatvertrag mit der Hapag, durch den er Leiter der Passageabteilung wurde. Am 31. Mai 1886 trat Ballin den Posten mit einem Mindest-Jahresgehalt von 10.000 Mark und zusätzlicher Provision an.

Der erste deutsche Top-Manager

Hier zog er schon bald die Aufmerksamkeit des einflussreichen Hamburger Reeders Carl Laeisz auf sich. Er wurde zu Ballins Mentor und veranlasste 1888, dass sein Schützling in den Vorstand der Hapag aufrückte. Laeisz’ Einsatz für Ballin zeugt von besonderem Weitblick. Zum ersten Mal übertrug die Hapag wichtige Aufgaben einem angestellten Manager.

Laeisz hatte zeitlebens, trotz reger Beteiligung an der Hamburger Wirtschaft, seine ökonomische Basis im eigenen Familienunternehmen. Dasselbe gilt für Adolph Woermann, neben Laeisz der bekannteste Hamburger Reeder des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ballin hingegen baute »ein Schiffahrtsreich eigener Art« auf. Die Interessengemeinschaft der Hapag mit der Carr-Linie war, so Ballins Biograph Peter Franz Stubmann, »ideell und personell mehr eine Eroberung der Hapag durch die maßgebenden Männer der Carr-Linie«. Neben Ballin trat 1886 auch dessen Vertrauter Guido Wolff, bisher Hauptleiter und Teilhaber der Carr-Linie, in den Dienst der Hapag. Bis 1907 war er im Vorstand der Reederei für die Finanzen zuständig.

Der Manager Ballin verkörperte einen neuen sozialen Typus, der für einen Wandel in der Unternehmensführung stand und die überkommenen patriarchalischen Strukturen der Hapag erneuerte. Dass nicht nur ein Firmeninhaber, sondern auch ein angestellter Manager große Aufmerksamkeit erregen konnte, war im deutschen Kaiserreich etwas ganz Neues. Und Ballin sorgte von Beginn an für Aufsehen.

Albert Ballins Schiffbaupolitik

Bereits 1887 überzeugte Ballin den Aufsichtsrat und Vorstand der Hapag, das Kapital der Gesellschaft von 15 auf 20 Mio.Mark zu erhöhen, um den Bau von modernen Doppelschrauben-Schnelldampfern finanzieren zu können. Zwei Jahre später wurden die beiden Dampfer »Augusta ­Victoria« und »Columbia« in Dienst gestellt, 1890 die »Normannia« und 1891 die »Fürst Bismarck«.

Auf ihrer Jungfernreise benötigte die »Augusta Victoria« von Southampton nach New York nur sieben Tage und brach damit gleich einen Rekord. Sie war der erste ­Doppelschrauben-Schnelldampfer, der im Deutschen Reich gebaut worden war, und zwar von der Stettiner Werft Vulcan. Dass die Deutsche Kaiserin und Namenspatin eigentlich Auguste Victoria hieß, fiel keinem der Hapag-Verantwortlichen in der Hansestadt auf. 1897 wurde dieser Irrtum stillschweigend berichtigt.

Von Anfang an übertraf die »Augusta ­Victoria« die Einschrauben-Dampfer der Konkurrenz in allen relevanten Bereichen: Größe, Schnelligkeit und Komfort. Zusammen mit den anderen Neubauten ermög­lichte sie der Hapag, einen wöchentlichen Verkehr nach New York anzubieten. Diese erhebliche Ausdehnung des Passagierverkehrs katapultierte das Unternehmen an die Spitze der Atlantik-Reedereien. Die neuen Schiffe erhielten zusätzliche Aufbaudecks, außerdem wurden im Inneren repräsentative Aufenthaltsräume eingebaut, wodurch ein großbürgerliches Umfeld für das gesellschaftliche Leben auf den Schiffen entstand.

Für kurze Zeit beteiligte sich die Hapag am Kampf um das »Blaue Band«, jene inoffizielle Ehrung für die schnellste Atlantik-Überquerung auf der Route Europa–New York. 1900 lief die »Deutschland« vom Stapel und gewann als erster und einziger Hapag-Dampfer diese Auszeichnung. Ballin hatte von Anfang an Bedenken wegen der mangelnden Wirtschaftlichkeit des Schiffes gehabt. Tatsächlich zeigte sich sehr bald, dass die Fahrt mit Höchstgeschwindigkeit unverhältnismäßig hohe Energiekos­ten verursachte. Außerdem war der Reisekomfort durch starke Vibrationen erheblich beeinträchtigt. Deshalb beendete die Hapag mit diesem Dampfer ihr Streben nach Geschwindigkeitsrekorden und setzte fortan auf möglichst große und komfortable Passagierschiffe. Dieses Konzept fand seine Umsetzung im Bau der Schwesterschiffe »Amerika« und »Kaiserin Auguste Victoria«.

Die beiden Dampfer waren Teil einer umfassenden Erneuerung der Hapag-Flotte. In den Jahren 1904 und 1905 kaufte und erbaute die Reederei insgesamt 21 Dampfer. Diese konnten finanziert werden, weil Hapag im Russisch-Japanischen Krieg (1904/05) zum einen durch die Beförderung walisischer Kohle für die russische Flotte, zum anderen durch den Verkauf von 16 alten Schiffen an Russland bedeutende Gewinne erzielt hatte. Das war ein gewagtes Geschäft, denn das Deutsche Reich war neutral und England ein Verbündeter Japans. Es führte jedoch zu einem hohen Jahresergebnis, das sich 1905 auf knapp 38 Mio. Mark belief; 1903 hatte es noch bei rund 22 Mio. Mark gelegen.

Diese Gewinne erlaubten der Hapag, bei der Innenausstattung der neuen Luxusdampfer neue Maßstäbe zu setzen. Bei allem innovativen Engagement, das Ballin für die renommeeträchtigen Passagierschiffe zeigte, legte er doch den Schwerpunkt der Hapag nicht auf den Personenverkehr, sondern auf das weniger krisenanfällige Frachtgeschäft.

Bereits 1893 hatte er einen entscheidenden Wandel in der Schiffbaupolitik vollzogen. Im Jahresbericht der Hapag heißt es: »Einen Schritt von grosser Bedeutung (…) bildet die Bestellung von vier mächtigen Doppel-Schraubendampfern (…). Diese Dampfer, welche für die Aufnahme von

ca. 2.500 Zwischendecks-Passagieren her­gerichtet werden können und bei voller Ausnutzung ihrer Räume annähernd 7.500 Tons Schwergut zu laden vermögen, sind durch Verwerthung der neuesten bezüglichen Verbesserungen und Erfindungen in ihrem Betriebe so öconomisch, daß uns eine Geschwindigkeit von 13 Meilen per Stunde bei einem Kohlen-Consum von nur 55 resp. 60 Tons pro Tag garantiert ist.«

Die vier neuen Schiffe trugen die Namen »Prussia«, »Phoenicia«, »Persia« und »Patria«. Ein Jahr später wurde noch die »Palatia« nachbestellt. Es handelte sich um Kombischiffe, die Ladung und Passagiere transportieren konnten. Ballin griff also auf seine bewährte Idee aus dem Jahr 1881 zurück, setzte sie jedoch dieses Mal mit weiterentwickelten Doppelschrauben-Dampfern um, die sich in den Jahren zuvor bei der Hapag bereits in der Passagierfahrt bewährt hatten. Dies war ein voller Erfolg. Vor allem wegen ihres niedrigen Kohleverbrauches wurden die »P-Dampfer« schnell zur neuen Haupteinnahmequelle der Hapag.

Die erfolgreiche Geschäftsidee wurde 1897 mit den »großen ­P-Dampfern« »Pennsylvania«, »Pretoria«, »Patricia« und »Graf Waldersee« ausgebaut. Bei diesen handelte es sich um vier kombinierte Fracht- und Passagierdampfer, die eine Geschwindigkeit von 14 kn erreichten und mit 13.000 Bruttoregistertonnen seinerzeit die größten Schiffe der Welt waren. Johannes Merck, seit 1896 Ballins Vorstandskollege bei der Hapag, bemerkt dazu in seinen Erinnerungen: »Mit keiner einzigen Klasse von Schiffen, weder vorher noch nachher, hat Ballin so den Vogel abgeschossen, wie mit dieser.«

1910 forcierte Ballin erneut einen Wandel in der Schiffbaupolitik der Hapag. In diesem Jahr begann der Bau von Riesenschiffen der Imperator-Klasse. Am 23. Mai 1912 lief der »Imperator« (52.000 BRT), erbaut auf der Hamburger Werft des Vulcan, vom Stapel, am 3. April 1913 die »Vaterland« (54.000 BRT) und am 20. Juni 1914 die »Bismarck« (56.000 BRT), beide von Blohm & Voss hergestellt. Alle drei waren Vierschrau­benturbinenschiffe. Ihre Tonnage, die mit der von Containerriesen der 1980er Jahre vergleichbar ist, verdeutlicht, welche Entwicklung die Hapag seit ihrer Gründung genommen hatte: 1848 hatte sie mit der »Deutschland«, einem Segler von 538 BRT, ihren Liniendienst eröffnet.

Wichtiges Motiv für den erneuten Kurswechsel Ballins war, dass die britische White Star Linie 1907 damit begonnen hatte, moderne Schnelldampfer mit rund 45.000 BRT zu bauen. Ihre Namen »Olympic«, »Titanic« und »Gigantic«, ebenso wie die ihrer deutschen Pendants, verdeutlichen, dass die Schiffe als Symbole nationaler Größe und technischen Fortschritts angesehen wurden. Ballin selbst war sich der Bedeutung der Schiffsnamen durchaus bewusst. Er wollte das neue Flaggschiff der Hapag eigentlich »Europa« nennen; Wilhelm II. bestand jedoch auf den Namen »Imperator«. Entgegen den üblichen Gepflogenheiten hieß der Dampfer dann auch »der« und nicht »die Imperator« und war damit das einzige Schiff männlichen Geschlechts, das damals die Weltmeere befuhr.

Innerhalb der Hapag war der Bau der Riesendampfer nicht unumstritten: Vor allem der Aufsichtsratsvorsitzende Max Schinckel – der die Geschäfte der Norddeutschen Bank, der Hausbank der Hapag, führte – und Johannes Merck – im Vorstand der Hapag u. a. für die Buchhaltung zuständig – kritisierten das Finanzgebaren Ballins. 1913 hatte die Hapag für die Neubauten der Imperatorklasse mit 70 Mio. Mark fast die Hälfte ihres gesamten Aktienkapitals investiert.

Für Ballin war jedoch entscheidend, mit den neuen Schiffen die Spitzenposition der Hapag gegenüber der englischen Konkurrenz zu festigen. Rückendeckung erhielt er dabei von seinem engen Freund Max Warburg, dem Seniorpartner des bekannten Familienbankhauses in Hamburg, der seit 1911 dem Aufsichtsrat der Hapag angehörte. Und tatsächlich: Der Bau der Dampfer war das Produkt einer korrekten Markteinschätzung. Dass kurz darauf der Erste Weltkrieg Ballins Plänen einen Strich durch die Rechnung machte, kann als Gegenargument hier nicht angeführt werden – es basiert auf dem Wissensvorsprung der Nachgeborenen.

Ungeachtet der internen Diskussionen bei der Hapag war der Stapellauf des »Imperators« am 23. Mai 1912 ein Ereignis von ­nationaler Bedeutung. Noch am selben Tag brachte der »Hamburgische Correspondent« in seiner Abendausgabe die vorherrschende Stimmung mit folgenden Worten zum Ausdruck: »Ein glänzender Festtag für Hamburg, ein Tag des Triumphes für den deutschen Schiffbau ist angebrochen. Das größte Schiff der Welt, ein Ozeanriese von nie geahnten Dimensionen, soll seinem Element übergeben werden. Und der Kaiser selbst ist gekommen, dem stolzen Dampfer den Namen zu geben.«

Die Hapag als Tourismus-Anbieter

In den Herbst- und Wintermonaten waren die Passagierschiffe schlecht ausgelastet und nicht rentabel[ds_preview]. Dies ist damals sicherlich vielen aufgefallen. Es war jedoch Ballin – und hier zeigt sich wieder das Moment des »schöpferischen Unternehmers« –, dem der Gedanke kam, Schiffsreisen anzubieten, die nicht mehr der Beförderung, sondern der Erholung, der Bildung und dem Vergnügen gelten sollten. Was ihm vorschwebte, war eine »Lustfahrt« mit gut organisierten Landausflügen in verschiedenen Häfen. Im Januar 1891 war es dann soweit. Auf der »Augusta Victoria« versammelten sich 241 »kühne Reisende«, wie Ballin sie nannte: betuchte Passagiere aus dem In- und Ausland, darunter 67 – überwiegend englische – Damen. In Deutschland galten damals noch für Frauen längere Touren, oder gar derartige Bildungsreisen, als körperlich und geistig zu anspruchsvoll. Ballin teilte diese Ansicht offenbar nicht, denn seine Gattin Marianne war ebenfalls an Bord. Dass er selbst an der Reise teilnahm und sie auch persönlich leitete, trug erheblich zum Erfolg des ganzen Unternehmens bei.

Die »Augusta Victoria« wurde zum ersten Kreuzfahrtschiff überhaupt und Ballin hatte wieder einmal eine Marktlücke entdeckt. Die Hapag bot fortan regelmäßig »Lustfahrten« an, neben Mittelmeer- und Orient- auch Westindien- und Nordlandreisen. Gerade letztere waren im Kaiserreich sehr populär – schließlich kreuzte auch Wilhelm II. auf der kaiserlichen Yacht »Hohenzollern« jeden Sommer vor der norwegischen Küste. Die Kreuzfahrt nahm in den folgenden Jahren immer mehr Ressourcen in Anspruch, so dass sie die Hapag schon bald nicht mehr allein mit den aus der ­Linienfahrt herausgezogenen Dampfern bewältigen konnte. 1900 lief deshalb die »Prinzessin Victoria Luise« vom Stapel, das erste speziell für diese Art von Fahrten gebaute Luxusschiff.

Ballin erfand nicht nur die moderne Kreuzfahrt. Er war es auch, der die Hapag von einer reinen Reederei zu einem Tourismusanbieter ausbaute. Hierfür reichte es nicht, sich nur auf das Segment der wohlhabenden Kreuzfahrtpassagiere zu konzentrieren. Ballin »demokratisierte« deshalb den Luxus auf älteren Hapag-Schiffen, die nicht mehr höchsten Ansprüchen genügten. Deren erste Klasse wurde nun auch weniger wohlhabenden Passagieren zugänglich gemacht.

Vor allem begann die Hapag, andere Sparten des Tourismus auf- und auszubauen. Ihr Jahresbericht für 1904 schildert dies in folgender Weise: »Eine Ausdehnung uns n uns gepflegtes Gebiet haben wir durch die Errichtung eines Allgemeinen Reisebureaus vorgenommen. Der große Erfolg, dessen sich die von uns veranstalteten Vergnügungsreisen zur See zu erfreuen hatten, legte uns den Gedanken nahe, unsere Tätigkeit auch auf die Veranstaltung von Gesellschaftsreisen zu Lande, auf die Vermittlung des Verkaufs von Eisenbahn-Fahrkarten, insbesondere Rundreise-Billets, kurz, auf alle, der Förderung des Reiseverkehrs dienenden Geschäfte zu erstrecken.«

Entscheidend war für Ballin der Aspekt der Unternehmenskonzentration. Um dies realisieren zu können, betrieb er 1905 die Übernahme des Reisebüros von Carl Stangen, seinerzeit das größte und bedeutendste im Deutschen Reich. Seit 1910 verkauften die Reisebüros der Hamburg-Amerika Linie, wie die Hapag jetzt auch genannt wurde, exklusiv die Tickets für die Luftschiffe des Grafen Zeppelin – bis 1914 rund 42.000 Stück. Ballin wurde dadurch auch zu einem der geschäftlichen Pioniere der zivilen Luftfahrt.

Ausdehnung der Hapag-Fahrtgebiete

Als Ballin 1886 zur Hapag kam, unterhielt die Reederei einen Postdampferdienst von Hamburg nach New York und eine West­indisch-mexikanische Linie. Am Vor­abend des Ersten Weltkrieges hatte sich diese Zahl auf insgesamt 67 Linien erhöht. Sie verbanden Hamburg mit verschiedenen Häfen in Nord-, Mittel- und Südamerika, in Süd- und Ostasien, am Persischen Golf und in Afrika. Daneben gab es einen Seebäderdienst sowie diverse Küstenlinien und Hapag-Routen, die Hamburg nicht berührten. Die Reederei besaß nicht nur in Hamburg, sondern auch in Cuxhaven, New York und auf der Karibikinsel Saint Thomas eigene Kaianlagen, um ihr globales Liniennetz betreiben zu können. Der entscheidende Knotenpunkt war der Hamburger Hafen: 1898 war die Hapag mit der Hansestadt übereingekommen, dass auf dem südlichen Elbufer, dem Kuhwärder, neue ausgedehnte Hafenanlagen gebaut und zu einem großen Teil der Reederei verpachtet werden sollten. 1903 wurden sie eingeweiht. Die Hapag verfügte nunmehr über ein Viertel des gesamten überdachten Lagerraums des Hamburger Hafens.

Der Ausbau des Hapag-Liniennetzes ging mit einem enormen Konzentrationsprozess einher, in dessen Verlauf die meisten Hamburger Reedereien unter Ballins Einfluss gerieten. Die Hapag übernahm viele kleinere Linien und entwickelte sich zu einem trustartigen Gebilde. Innerhalb der Führungsgremien der Hapag stieß Ballins Expansionspolitik nicht auf ungeteilte Zustimmung. Wiederum gehörten Johannes Merck und Max Schinckel zu Ballins schärfsten Kritikern. Schinckel vertrat die Ansicht, dass spezielle Gebiete befahrende Reedereien ihren Aktionären bessere Erträge bieten würden als eine monopolisierende Riesengesellschaft. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Hapag unter Ballins Führung permanent riesige Gewinne erzielte (sieht man einmal von den Cholera-Jahren 1892 und darauf ab).

So konnte Albert Ballin am Vorabend des Ersten Weltkrieges auf eine eindrucksvolle Bilanz zurückblicken: Als er 1886 als Abteilungsleiter in die Hapag eingetreten war, stand diese in der Rangfolge der weltweit größten Linien auf dem 22. Rang. Dank Ballins ausgeprägter Fähigkeit, Chancen zu erkennen, die der Markt bot, gelang es ihm, eine Trendwende herbeizuführen.

1897, zum 50-jährigen Bestehen der Hapag, war diese unter Ballins Leitung zur größten Reederei der Welt geworden und blieb es bis 1914. In den Jahren zwischen 1885 und 1913 stieg die Zahl der Hapag-Dampfer durch Neubauten, Ankäufe und Verschmelzung mit anderen Linien von 23 auf 194, die Tonnage von knapp 55.000 auf über 1,3 Mio. BRT und das Aktienkapital von 15 auf 180 Mio. Mark. Der Höhepunkt des Aufstiegs war erreicht.

Die »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«

Die griffige Formulierung »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« stammt vom amerikanischen Diplomaten und Historiker George F. Kennan. Dieser umschreibt damit den Ersten Weltkrieg als eine Epochenwende. Kennans Urteil trifft nicht nur allgemein auf den spektakulären Moment des Kriegsausbruchs im Juli 1914 zu. Genauso lässt es sich auch auf die Person Albert Ballins beziehen, dessen Lebenswerk, die Hapag, dadurch zerstört wurde.

Während der Kriegsjahre sah sich Ballin mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert, die den Anhänger des Laissez-faire-Prinzips zu einem Getriebenen machten, der staatliche Förderungspolitik nicht mehr ablehnen konnte. Neben der Frage nach der Unterbringung der rund 25.000 Hapag-Beschäftigten trieb ihn vor allem die Sorge um die Schiffe der Reederei um. Nur 80 der 175 Hapag-Dampfer befanden sich bei Kriegsbeginn in deutschen Häfen; einige von ihnen übernahm die Marine als Hilfskreuzer oder Versorgungsschiffe. Ballin versuchte zunächst, die im neutralen Ausland liegenden Schiffe der Reederei zu verchartern, später dann, sie zu verkaufen (diejenigen, die in den Häfen der Entente-Länder lagen, waren sofort beschlagnahmt worden). Seine Bemühungen scheiterten allerdings zumeist am Widerstand des Admiralstabes, der seine ablehnende Haltung damit begründete, dass ein Verkauf der Schiffe zu einer Vergrößerung der Handelsflotte der Entente führe. Nach und nach mussten deshalb die meisten dieser Schiffe abgeschrieben werden.

Vor diesem Hintergrund sind Ballins Bemühungen um ein Kriegsentschädigungsgesetz zugunsten der Schifffahrt zu sehen, für das er sich seit August 1915 einsetzte. Zwar bekam die Hapag schon zuvor von der Regierung monatlich 2 Mio. Mark als Darlehen. Dies reichte jedoch nur aus, um die laufenden Kosten zu decken – verlorene Schiffe konnten damit nicht ersetzt werden.

Regierung und die Marine waren gegen Ballins Vorhaben eingestellt, er fand jedoch im Reichstag Unterstützung. Dort setzte sich vor allem sein Freund Gustav Stresemann für die Interessen der Reedereien ein. Nach endlos langen Verhandlungen trat am 7. November 1917 das »Gesetz über die Wiederherstellung der deutschen Handelsflotte« in Kraft. Dieses sah billige, teils auch zinslose Kredite in Höhe von 50 Mio. Mark vor. Es wurde also keine Gesamtentschädigung gewährt, wie sie die Reedereien eigentlich gewünscht hatten, sondern Beihilfen, die zur Wiederbeschaffung von Handels­schiffen dienen sollten.

Die Existenz der Hapag war vorerst gesichert – der Frieden jedoch immer noch in weiter Ferne. Ballin setzte fortan seine ganze Kraft dafür ein, bei Militärs, Diplomaten, Politikern und Fürsten auf diesen hinzu­wirken, durch politische Lobbyarbeit, durch Briefe, Eingaben und Memoranden. Allein, es war ein Kampf gegen Windmühlen. War er bereits im Juli 1914 mit seinem Versuch, einen Ausgleich zwischen London und Berlin zu vermitteln, gescheitert, so hatte er auch jetzt keinen Erfolg. Die radikalen Elemente gewannen zunehmend an Gewicht, das Deutsche Reich entwickelte sich seit 1916 immer mehr zu einer Militärdiktatur unter maßgeblicher Führung des Ersten Generalquartiermeisters Erich von Ludendorff. Hier mit Maßstäben für politisches Handeln zu kommen, die auf einem ökonomischen Fundament basierten – wie Ballin es tat –, war hoffnungslos. Entscheidend für solche Personen war allein die Kategorie des Prestiges.

Erst als alles schon verloren war, wurde Ballin Anfang November 1918 gebeten, die Friedensverhandlungen für das Deutsche Reich zu führen. Sein Kommentar dazu: »Ich habe (…) sagen lassen, dass ich nicht kneifen würde, aber jedem anderen es lieber gönnte.« Schon lange war der außergewöhnliche Mensch und Unternehmer nicht mehr die gewinnende Persönlichkeit, die er vor Kriegsbeginn gewesen war. Der Journalist Theodor Wolff traf ihn im Oktober 1918 und berichtete: »Ballin war wie eingesponnen in Schwermut, er sah schlecht aus, die früher so frische braune Gesichtsfarbe war (…) schon seit langem abgeblasst, die Furchen hatten sich vertieft.« Dennoch arbeitete Ballin unermüdlich weiter. Selbst als der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat am 8. November einen Teil des Hapag-Gebäudes besetzen ließ, nahm er dies äußerlich gefasst auf. Dann jedoch versagten ihm die Nerven. Als er sich am späten Nachmittag des Tages in seine Hamburger Villa in der Feldbrunnenstraße zurückzog, ließ er sich in den Stunden der Dämmerung ein Glas Wasser bringen und schluckte eine übergroße Dosis Beruhigungsmittel. Schon seit langem war er von Brom, Veronal und anderen Drogen abhängig.

Der anarchistische Schriftsteller Theodor Plievier hat Ballins Ende in seinem dokumentarischen Roman »Der Kaiser ging, die Generäle blieben« in folgende Worte gefasst: »Und von der gewaltigen Perspektive Ballins auf die Schlüsselstädte der fünf Meere, auf die Schifffahrtslinien seiner Gesellschaft, die wie ein Netz den Erdball umspannen, bleibt nichts weiter als ein letzter blinzelnder Blick auf das Wasserglas, das er gewissenhaft an seinen Platz zurückgestellt hat. Dann erlischt auch das in dem Glas gefangene Licht.«

Noch bei Bewusstsein und unter starken Schmerzen wurde Ballin von seinem Diener und einem eilig herbeigerufenen Arzt in die Privatklinik Wünsch am Mittelweg 144 geschleppt, wo ihm der Magen ausgepumpt wurde. Dennoch fiel er noch vor Mitternacht ins Koma und verstarb am 9. November 1918 um 13.15 Uhr. Die Frage, ob Ballin Selbstmord begangen hat oder nicht, ist vielfach diskutiert worden. Eine Obduktion der Leiche fand nicht statt. Manche Zeitgenossen bezweifelten einen Suizid Ballins, viele andere wiederum zeigten sich hierüber nur wenig verwundert. Eduard Rosenbaum von der Handelskammer Hamburg, einer der letzten Menschen, mit denen Ballin vor seinem Tod sprach, kommt zu folgender Einschätzung, für die einiges spricht: »(…) he took more than the normal dose of his sleeping tablets because he was undecided whether he wanted a long or an eternal sleep.«

Ballins Begräbnis fand am 13. November auf dem Ohlsdorfer Friedhof statt. Am Vorabend entwarf sein Freund Max Warburg einen Nachruf: »Albert Ballin war eine Kraftnatur. Kraftvoll war in ihm der Wille, und kraftvoll und groß sein durchdringender Verstand, und warm und stark schlug das Herz. Ein genialer Kaufmann, begabt mit einer nahezu seherischen Kraft und großer Phantasie. Er war mehr Künstler als Rechner, mehr Maler als Zeichner. (…) Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten dreißig Jahre kann man sich in Deutschland ohne Albert Ballin nicht vorstellen. Unter den vielen Helfern, die uns beim Wiederaufbau des Deutschen Reiches fehlen werden, und auf die wir stark rechneten und rechnen durften, steht sein Name an erster Stelle!«

Autor:

Dr. Johannes Gerhardt

Geschäftsführer der Hamburgischen

Wissenschaftlichen Stiftung und Verfasser der Biographie »Albert Ballin«, die als Band 6 der Reihe »Mäzene für Wissenschaft« 2009 bei der Hamburg University Press erschienen ist

 

Johannes Gerhardt