Seeversicherer, Havarie, X-Press Pearl, Symbolbild für Havarien
© Sri Lanka Navy via Twitter
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Obwohl die Schifffahrt weltweit mehr Risiken ausgesetzt ist, erreicht die Zahl der Havarien einen neuen Tiefststand. 

Während vor 30 Jahren noch etwa 200 große Schiffe pro Jahr havarierten, waren es 2023 nur noch 26. Dieses Rekordtief entspricht einem Rückgang mehr als einem Drittel gegenüber 2022 (41) und mehr als 70 % im Vergleich zu 2013 (729). Der aktuelle Safety and Shipping Review von Allianz Commercial zeigt jedoch auch, dass die Branche vor zahlreichen Herausforderungen steht. Dazu gehören die Gefahren durch Kriege und geopolitische Spannungen, die Folgen des Klimawandels sowie der zunehmende Druck zur grünen Transformation der Flotten. [ds_preview]

»Konflikte wie im Gazastreifen und in der Ukraine verändern die globale Schifffahrt und wirken sich auf die Sicherheit von Besatzung und Schiffen, Lieferketten und Infrastruktur und sogar auf die Umwelt aus. Die Piraterie ist vor allem am Horn von Afrika auf dem Vormarsch, während anhaltende Störungen durch die Dürre im Panamakanal zeigen, wie sich der Klimawandel auf die Schifffahrt auswirkt. Diese zusätzlichen Risiken kommen zu einer Zeit, in der sich die Branche ihrer größten Herausforderung, der Dekarbonisierung, stellen muss«, sagt Kapitän Rahul Khanna, Global Head of Marine Risk Consulting, bei Allianz Commercial.

Höchstes Risiko für Havarien in Südostasien

In den letzten zehn Jahren wurden 729 Gesamtausfälle gemeldet. Die Seeregion Südostasien ist sowohl im letzten Jahr als auch im letzten Jahrzehnt mit 184 Havarien der globale Hotspot. Auf sie entfiel fast ein Drittel der im letzten Jahr verlorenen Schiffe (8). An zweiter Stelle stehen das östliche Mittelmeer und das Schwarze Meer mit sechs Ausfällen. Hier ist die Zahl im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Auf Frachtschiffe entfielen wiederum über 60 % der 2023 weltweit ausgefallenen Schiffe. Mit einem Anteil von 50 % waren gesunkene Schiffe die Hauptursache für alle Gesamtverluste. Extreme Wetterbedingungen waren für mindestens acht Schiffsverluste weltweit verantwortlich, wobei die Dunkelziffer wahrscheinlich höher ist.

Die Zahl der weltweit gemeldeten Havarien ist im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen (2.951 gegenüber 3.036), wobei die Britischen Inseln die höchste Zahl (695) verzeichneten. Auch die Zahl der Brände an Bord von Schiffen ging zurück: Im Jahr 2023 wurden 205 Brandfälle gemeldet. Mit 55 Totalverlusten in den letzten fünf Jahren sind Brände jedoch weiterhin ein zentrales Sicherheitsproblem auf größeren Schiffen.

Schifffahrt zunehmend anfällig für geopolitische Konflikte

Jüngste Vorfälle wie der Krieg im Gazastreifen verdeutlichen nach Einschätzung der Allianz die zunehmende Anfälligkeit der weltweiten Schifffahrt gegenüber geopolitischen Konflikten. Allein im Roten Meer seien als Reaktion auf den Konflikt mehr als 100 Schiffe von militanten Huthi-Rebellen angegriffen worden. »Die Beeinträchtigung der Schifffahrt in der Region wird in absehbarer Zukunft bestehen bleiben. Zunehmende Angriffe somalischer Piraten sind ein weiterer Grund zur Sorge«, heißt es.

»Drohnen sind als neue Technologie eine zunehmende Bedrohung für die Handelsschifffahrt. Sie sind billig, einfach herzustellen und ohne Schutz der Kriegsmarine schwer abzuwehren«, sagt Khanna. »Weitere technologiegestützte Angriffe auf die Schifffahrt und Häfen sind durchaus denkbar. Die Berichte über GPS-Störungen auf Schiffen nehmen zu, insbesondere in der Straße von Hormus, im Mittelmeer und im Schwarzen Meer.«

Schattenflotte von 600 bis 1.400 Schiffen

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die schrittweise Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen russische Öl- und Gasexporte zum Wachstum einer beträchtlichen »Schattenflotte« von Tankschiffen beigetragen. Diese umfasst mittlerweile zwischen 600 und 1.400 Schiffe, die bis heute in mindestens 50 Zwischenfälle verwickelt waren, darunter Brände, Maschinenausfälle, Kollisionen, Kontrollverlust und Ölverschmutzung.

»Es handelt sich zumeist um ältere, schlecht gewartete Schiffe, die außerhalb der internationalen Vorschriften und oft ohne angemessene Versicherung betrieben werden. Dies birgt ernsthafte Umwelt- und Sicherheitsrisiken«, sagt Justus Heinrich, Leiter der Schifffahrtsversicherung in Deutschland und der Schweiz bei Allianz Commercial. »Die Kosten dieser Vorfälle fallen oft den Regierungen oder den Versicherern der anderen Schiffe zur Last.«

Längere Wege = mehr Risiken

Die Angriffe auf die Schifffahrt in den Gewässern des Nahen Ostens haben auch den Transitverkehr auf dem Suezkanal und den Handel stark beeinträchtigt. Dieser ist seit Anfang 2024 um mehr als 40 % eingebrochen. Kurz nach den anhaltenden Störungen durch die Dürre im Panamakanal kommt dies einem doppelten Schlag für die Schifffahrt gleich. Globale Lieferketten stehen damit vor einer weiteren Belastungsprobe, weil sich unabhängig von den alternativen Routen lange Umwege und höhere Kosten ergeben. Ein Beispiel: Die Umgehung des Suezkanals über das Kap der Guten Hoffnung verlängert die Fahrzeit um mindestens 3.000 Seemeilen (über 5.500 Kilometer), was etwa zehn Tagen entspricht.

Die Umwege haben zudem Auswirkungen auf die Risikolandschaft und die Umwelt. Stürme und raue See können für kleinere Schiffe, die normalerweise Küstengewässer befahren, eine größere Herausforderung darstellen. Infrastrukturen zur Unterstützung, falls die größten Schiffe beteiligt sind, wie ein geeigneter Nothafen, stehen möglicherweise nicht zur Verfügung. Um den Zeitverlust durch den Umweg zu minimieren, erhöhen die umgeleiteten Schiffe ihre Geschwindigkeit. Das wiederum führt zu höheren Emissionen: Umleitungen aufgrund der Situation im Roten Meer werden bereits als einer der Hauptgründe für den Anstieg der Emissionen im EU-Schifffahrtssektor um 14 % in diesem Jahr genannt.

Ökologische Herausforderungen, begrenzte Werftkapazitäten

Die Schifffahrt trägt jährlich mit etwa 3 % zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei und hat sich strenge Ziele zur Reduzierung dieser Emissionen gesetzt. Um diese Ziele zu erreichen, ist ein Mix aus verschiedenen Strategien erforderlich, darunter Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, die Einführung alternativer Kraftstoffe sowie innovative Schiffskonstruktionen und Antriebsmethoden.

Dementsprechend stellt die Dekarbonisierung die Branche vor verschiedene Herausforderungen: Sie muss eine Infrastruktur entwickeln, die den Betrieb von Schiffen mit alternativen Kraftstoffen unterstützt und gleichzeitig fossile Kraftstoffe auslaufen lassen. Zudem gebe es potenzielle Sicherheitsprobleme für Hafenbetreiber oder Schiffsbesatzungen beim Umgang mit alternativen Kraftstoffen, die giftig oder hochexplosiv sein können, meint die Allianz.

»Die Erhöhung der Werftkapazitäten wird von entscheidender Bedeutung sein, da die Nachfrage nach umweltfreundlicheren Schiffen zunimmt. Diese Kapazitäten sind derzeit durch lange Wartezeiten und hohe Baupreise begrenzt«, sagt Heinrich. Bis 2050 müssen jährlich über 3.500 Schiffe gebaut oder umgerüstet werden, doch die Zahl der Werften hat sich zwischen 2007 und 2022 mehr als halbiert. »Kapazitätsengpässe auf den Werften können sich auf Reparaturen und Wartung auswirken. Bei beschädigten Schiffen kann es daher zu langen Verzögerungen kommen.« Maschinenschäden oder -ausfälle sind die häufigste Ursache für Schiffsunfälle und machen im Jahr 2023 weltweit mehr als die Hälfte der Unfälle aus (1.587).