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Branche diskutiert den Ernst der Lage

Reeder Jochen Döhle rechnet zwar mit einer deutlich schnelleren Erholung »als derzeit alle meinen« – wobei das »durchaus nicht kurzfristig zu[ds_preview] verstehen« sei –, hält aber eine »deutsche Banken-Gesellschaft, die mit einem staatlichen Schutzschirm ausgestattet ist« für die kostengünstigste Lösung zum »Zwischenparken« unfinanzierter Schiffe, »bis sich die Märkte

bereinigt haben«.

Reeder Claus-Peter Offen stellte sich mit seiner Analyse dem Vorwurf des »Verzockens« und machte die Linienreedereien als Haupt-Verursacher aus. Offen: »Keine Frage. Reeder haben zuviel bestellt.« Aber die Krise wäre »handelbar« gewesen, wenn es nur um den Einbruch der Zuwachsraten gegangen wäre. Als »Brandbeschleuniger« habe gewirkt, dass es infolge der Krise zu Rückgängen des Containertransportes um 12 oder 15 % gekommen sei.

Der VSM-Vorsitzer Werner Lüken appellierte für die Werftindustrie an die deutschen Banken: »Stoppen Sie Ihre Nicht-Unterstützung! Es gibt entsprechende Orders von Vorständen.«

Auf Kollisionskurs zum KfW-Sonderprogramm (»Zu teuer für uns. Unbedingte Veränderungen erforderlich«): »Wir sehen es als industriepolitischen Flop an, wenn Schiffe, die im Ausland gebaut werden,

gefördert werden.«

Harald Kuznik: »Es ist richtig, dass sehr scharf verhandelt wird; auch die Verhandler selbst stehen unter Druck. Ich habe aber noch nicht erlebt, dass jemand an die Wand gedrückt wird.« Zu einem Kreditbestand von 31,2 Mrd. € per 30.6.09 habe die HSH Nordbank noch ein Volumen von 7,4 Mrd. € an offenen Zusagen laufen.

Der neue Schiffsbank-Chef aus der Commerzbank, Werner Weimann, zu Döhles Ruf nach dem Staat: »Ich mag den Gedanken der Staats-AG nicht. Aber der Staat muss sich fragen, was er will und ob er die Tsunami-Welle über den Hamburger Hafen hinwegrollen lässt.«

Dr. Klaus Stoltenberg: Eigenkapital sei ein die Banken beherrschendes Thema: pro Portfolio stehe ein bestimmtes Eigenkapital zur Verfügung – Basel 2 fresse wegen der verlangten EK-Bindung in der Krise Eigenkapital auf – Banken würden bei Neubauten zu unfreiwilligen Eigenkapital-Gebern. »Die Schiffsbanken werden nicht in der Lage sein, das gesamte Auftragsbuch zu finanzieren.«

Björn Nullmeyer: Die Bremer Landesbank habe zwar glücklicherweise »einige Schlaglöcher ausgelassen – zum Beispiel Subprime«, dennoch werde man, wie andere auch, »in der Schifffahrt nicht alles retten können … Das Hauptproblem, das auf die Banken zukommt, sind die nicht durchfinanzierten Schiffe.«

Nicholas Teller: Zu kritischen Äußerungen über Banken, die ihren Kunden angeblich drohten »den Hahn abzudrehen«: »Viele sind nicht darauf vorbereitet, solche Bankengespräche zu führen, wie sie jetzt in der Krise notwendig sind … Auch die Klagenden selbst sind zu hinterfragen.«

Über das Verhalten von Linienreedereien: »Man neigt zu übertriebenem Optimismus wie Pessimismus«.

Einmal mehr präsentierte sich das HANSA-Forum Schiffsfinanzierung am 12. November 2009 in Hamburgs Grandhotel Elysée als der Branchentreff des Jahres – trotz (oder wegen?) der Krise mit rund 850 Teilnehmern sogar unter erneuter Rekordbeteiligung. Alle Berufszweige der maritimen Wirtschaft sind hier vertreten – und die reichen von der traditionellen Schifffahrtsindustrie einschließlich Emissionshäusern und Consultants aller Fakultäten bis zu den Banken und freien Vertrieben im gesamten Bundesgebiet, die das lebensnotwendige Element »Eigenkapital« bisher bei Kapitalanlegern akquiriert und vermittelt haben. Der Krise geschuldet: dass unter den Gästen die Zahl der Unternehmensberater einschließlich Rechtsanwälten – darunter wurden erstmals auch Insolvenzverwalter gesichtet – gewachsen ist, während die der Anlagevermittler rückläufig war.

Als Gastgeber hatten die HANSA und Tagungsleiter Jürgen Dobert nunmehr zum 13. Mal mehr als 30 hochkarätige Experten aus allen Fachbereichen aufs Podium geladen. Unter der bewährten Moderation des Wirtschaftsjournalisten Lutz Beukert wurde der Schwerpunkt mehr noch als in den Vorjahren statt auf Referate auf die Diskussionen gelegt, um möglichst viele der aktuellen Brennpunkte der Branche anzusprechen, auszuloten, nachzuhaken, über Hintergründe und mögliche Lösungen zu informieren. »Es knisterte«, mit solchen und ähnlichen Kommentierungen quotierten Zuhörer die Spannungsgeladenheit.

Die Aufteilung in drei Panels entsprach den gegenwärtigen Fronten, an denen die Branche in der aktuellen Krise massiv zu kämpfen hat:

1. Schiffsfinanzierende Banken und Fremdkapital,

2. Beschaffung von Eigenkapital / Platzierungsgeschäft, (beide Panels stressreich verbunden mit der Finanzierung der Neubau-Pipeline von immer noch knapp 1.000 bestellten Schiffen einerseits, dem Kampf ums Überleben von Emissionshäusern und Reedereien andererseits).

3. Sicherung des Eigenkapitals in Schiffsfonds durch Restrukturierungsmodelle, die mehr und mehr die Forderung nach Nachschüssen / Neukapital / Rückzahlungen von »Ausschüttungen« einschließen. Vermeidung der Insolvenz heißt der Auftrag.

Dem in Vertriebskreisen gern und oft, mitunter auch hochmütig verachteten Wort »Krise« widersprach niemand mehr, zumindest nicht öffentlich. Von Leichtigkeit oder gar Überheblichkeit, mit der man die Krise meistern werde, keine Spur mehr. Zu ernst die Situation, zu herausfordernd die Probleme, zu nahe die allgemeine wie auch die individuelle Bedrohung, bei der nächsten Hürde doch noch ins Straucheln zu geraten … Gewiss, der Optimismus ist glücklicherweise nicht verloren gegangen: Die Linienreedereien scheinen ihren Tiefstpunkt erreicht zu haben, von leichtem Wachstum ist die Rede. Doch wenn beispielsweise Reeder Jochen Döhle in seinen Erwartungen von einer deutlich schnelleren Erholung »als derzeit alle meinen« sprach, so fügte er – wohl, um Missverständnissen vorzubeugen – hinzu, »dass dies nicht kurzfristig zu verstehen« sei. Um eine mögliche Relation anzudeuten: Wenn von Experten-Schätzungen zu lesen ist, die erst 2014 / 2015 den Ausgleich erwarten, so wäre schon 2012 sicherlich »deutlich schneller«. In diesem Sinn schloss Jürgen Dobert seine Begrüßungsrede: »Konzentrieren wir uns doch zunächst auf das Überstehen allein des einen, kommenden Jahres! Das wird schwer genug.«

Durch gemeinsame Kraftanstrengungen von Schiffsbanken, Investoren, Reedereien und Staat hat die deutsche Schifffahrt das Krisenjahr 2009 ohne dramatische Pleiten überstanden. »Nur« 13 Schiffsfonds-Insolvenzen – das klingt angesichts einer Gesamtflotte von rund 2.500 deutschen Fondsschiffen undramatisch. Ein anderes Gewicht bekommt diese Zahl, wenn man berücksichtigt, dass die Bundesregierung die bis Herbst 2008 (Lehman-Pleite) gültige Insolvenzordnung bezüglich der Überschuldung von Unternehmen kurzerhand aussetzte. Dadurch sind zahllose Schiffsgesellschaften zwar der Insolvenz entgangen – für jede nach altem Recht »überschuldete« KG muss dafür aber eine vom Wirtschaftsprüfer sanktionierte, aufwändige Fortführungsprognose erstellt werden (vgl. Martina Hertwig, HANSA 8/09, S. 82 ff.).

Geht es gar um ein Restrukturierungskonzept, so ist der Arbeits- und Zeitaufwand für Laien kaum nachvollziehbar. Wie schwer es ist, im Zuge der Vorbereitung allein schon ein Stillhalteabkommen zu erreichen, machte Rechtsanwalt Dr. Marc Riede (CMS Hasche Sigle) in seinem Kurzreferat gut verständlich (HANSA 12/09, S. 36 ff.).

Zur aktuellen Situation laufender Fonds präsentierte Jürgen Dobert dem Auditorium Ergebnisse seiner jüngsten Umfrage unter 31 Emissionshäusern (1.371 Schiffe). Danach werden 68 % aller Schiffe im Jahr 2009 keine Auszahlungen geleistet haben. Gut ein Drittel war nicht in der Lage, die Plan-Tilgungen zu zahlen (da etliche Schiffe entschuldet sind oder vorausgetilgt haben, liegt die prozentuale Fehlquote deutlich höher). Jedes zehnte Fondsschiff hat sogar die Zinszahlungen ganz oder teilweise eingestellt. Hochgerechnet auf die Gesamtflotte von rund 2.500 Schiffen sind das 250 Einheiten. Vierzehn Prozent aller Schiffe wurden als derzeit unbeschäftigt gemeldet (mindestens 185 bzw. hochgerechnet 217 Schiffe).

So werden 2010 noch einmal erhebliche Belastungen auf Reeder, Investoren und Banken zukommen, vermutlich größere als im Vorjahr. Während des 13. HANSA-Forums Schiffsfinanzierung sprachen sich führende Experten der Branche für neue Modelle bei der Lastenverteilung und die Einbeziehung weiterer Finanzierungspartner aus.

Axel Siepmann, Partner der Beratungsfirma Naves Corporate Finance, beobachtet ein steigendes Interesse bei vermögenden deutschen Privatinvestoren und internationalen Investmentgesellschaften, Risikokapital für in Schieflage geratene Einschiffsgesellschaften bereit zu stellen. So seien Finanzierungen in Planung, bei denen externe Investoren vorübergehend die Tagesverluste von beschäftigungslosen Schiffen ausgleichen. Dafür verlangten die neuen Investoren jedoch, dass sie bei einer Erholung der Märkte vorrangig vor den Altgesellschaftern mit Gewinnausschüttungen bedient werden. »Die Zinsen sind auch sportlich und liegen im unteren zweistelligen Bereich«, stellte Siepmann klar. Deutschland sei eigentlich das weltweite Zentrum der Schiffsfinanzierung, müsse sich in den kommenden Jahren aber »in einen Importeur von Kapital verwandeln«, so der Experte, weil deutsche Fonds, Reeder und Geldinstitute mit den Kapitalengpässen überfordert seien.

Bei der Finanzierung von Schiffsneubauten würden auch die asiatischen Bauwerften den deutschen Auftraggebern zunehmend unter die Arme greifen, betonte der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Stefan Rindfleisch. Die Schiffbauer hätten den Reedereien inzwischen Verkäuferkredite von zusammen über 1 Mrd. US$ eingeräumt – Tendenz steigend.

Der Hamburger Reeder Jochen Döhle, geschäftsführender Gesellschafter der Peter Döhle Schiffahrts-KG, und der auf Schifffahrt spezialisierte Steuerberater Hermann Neemann (Anchor Steuerberatung) sprachen sich für eine weitere Öffnung der staatlichen Bürgschaftsprogramme für die Schifffahrt aus.

Döhle schlug vor, dass Schiffsneubauten, die sich in Folge der Kapitalmarktverwerfungen nicht mehr finanzieren lassen, eingebracht werden sollten in eine »neue Bankgesellschaft, die mit einem staatlichen Schutzschirm ausgestattet ist«. Neemann präsentierte ein Umlagekonzept mit staatlicher Unterstützung für charterfreie, aufgelegte Schiffe. Danach sollen alle kleineren deutschen Containerfrachter, die keine Einnahmen mehr erzielen, für zwei Jahre in der Dachgesellschaft Baltic Max Feeder zusammengelegt werden. Rund 50 Reedereien müssten mitziehen und stille Beteiligungen von zusammen 185 Mio. € zeichnen, um die Schiffe durch die Krise zu bringen, so Neemann. Noch einmal gut doppelt so viel müssten Banken mit Unterstützung durch KfW- oder Landesbürgschaften dazu schießen. Das Baltic-Max-Konzept sei seit seiner ersten Vorstellung vor ein paar Monaten überarbeitet worden und werde derzeit juristisch überprüft.

Weitere Erkenntnisse aus den Diskussionen des 13. HANSA-Forums, aus Sicht der Redaktion:

Die Banken bemühen sich nach Kräften, die Schiffswerte nicht durch eigenes Zutun verfallen zu lassen (etwa durch Arrestierung und Versteigerung), werden dabei aber auf das Mitwirken aller Beteiligten angewiesen sein. Wer nichts einbringt bzw. einzubringen hat, scheidet aus. Wer die Benchmark nicht erfüllt, wird ersetzt werden durch kostengünstigere Mitbewerber. Mit zunehmend härterem, konsequenteren Durchgreifen ist zu rechnen.

Die Banken selbst sind teilweise dramatisch überfordert mit den an sie gestellten Anforderungen aus der Krise, sowohl intern als auch im Umgang mit den Kunden. Die strengen Eigenkapital-Anforderungen (Basel 2) lassen keinen bzw. nur wenig Raum sowohl für neue Schiffskredite als auch Unterstützung laufender Kredite. Hinzu kommen die Belastungen aus bereits eingegangenen bzw. zugesagten Darlehen für Neubaufinanzierungen. Nicht jeder Kunde ist »geschützt« als »too big to fail«.

Wenn Reeder und Unternehmensberater nach Unterstützung durch den Staat rufen, geht es in der Konsequenz (auch) um Unterstützung von Banken. Sie blieben sonst auf nicht gedeckten Forderungen bzw. Garantien für Eigenkapital sitzen.

Der Schiffsbeteiligungsmarkt stellt sich im Platzierungsgeschäft neuer Schiffe auf eine längere Durststrecke mehrerer Jahre ein. Der Rückgang des platzierten Volumens in 2009 dürfte mit minus 90 % noch heftiger ausgefallen sein als erwartet. Emissionshäuser weichen, wo es möglich ist, auf andere Produkte aus. Einsparungen und Restrukturierungsprogramme sind in Umsetzung resp. Vorbereitung. Auch hier gilt es, Gemeinsamkeiten aller Beteiligten zu finden.

Schiffsfonds stehen in ihrem öffentlichen Ansehen vor der Nagelprobe:

1. Weil hunderte von Schiffen zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen ein Restrukturierungsprogramm benötigen, das Opfer von allen Seiten verlangt, wenn die Bank mitziehen soll.

2. Weil dafür frisches Eigenkapital benötigt wird, das (möglichst neben den Initiatoren) entweder Alt-Anleger oder neue Gesellschafter – zu hoher Verzinsung! – aufbringen sollen (Überzeugungsarbeit).

3. Weil sich in der Krise zeigen wird, wie die Branche mit ihren wichtigsten Kunden – den Anlegern – umgeht. Anlageberater Günther Flick brachte es in Panel 3 auf den Punkt, als er sowohl schnelle und zügige Information als auch Offenheit und Klarheit in der Kommunikation verlangte: »Das wird der Lackmustest für alle dieser Branche werden. Wenn wir das nicht offen und transparent machen, werden wir das Anlegervertrauen verlieren.«

4. Weil damit zu rechnen ist, dass jede weitere Schiffsfonds-Pleite öffentlich bekannt wird und dem einst guten Image weiter Schaden zufügen würde.