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Am 17.12.2009 hat der Bundestag das Mandat für den Einsatz deutscher Kräfte am Horn von Afrika im Rahmen der durch die Europäische Union (EU) geführten Operation Atalanta um ein weiteres Jahr verlängert. Seit 8. Dezember 2008 operieren Kriegsschiffe der EU am Horn von Afrika zum Schutz der dortigen Seeschifffahrt. Seit dem 19. Dezember 2008 beteiligt sich Deutschland auf Grundlage eines Bundestagsmandates mit Seestreitkräften an dieser ersten Seeoperation der EU. Das Mandat folgt der »Gemeinsamen Aktion« der EU vom 10. November 2008, welche sich wiederum in der Aufgabenstellung am Text der Resolutionen 1814, 1816 und 1838 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (VN) orientiert.

Resolutionen und Mandate stellen den Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms (WEP) in den Vordergrund. Schiffe des Welternährungsprogramms der VN haben[ds_preview] allein in den ersten zwölf Monaten der Operation Atalanta mehr als 300.000 t Hilfsgüter in somalische Häfen befördert, um das Leiden der rund 3,5 Mio. hungernden Somalis zu lindern.

Der Auftrag lautet in priorisierter Reihenfolge:

• Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms

• Schutz »anderer« gefährdeter Schifffahrt

• Durchführung von Maßnahmen zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von Akten der Piraterie oder bewaffneten Raubüberfällen.

Deutschland stellt für die Operation eine Fregatte mit zwei Bordhubschraubern und einem Vessel Protection Detachment (VPD). Dieses zehnköpfige Team von Marineinfanteristen kann auf gefährdeten Handelsschiffen zu deren Schutz eingeschifft werden, so denn ein Flaggenstaatsabkommen und ein Abkommen mit der Reederei bzw. dem Kapitän vorliegen.

Das deutsche Mandat erlaubt die Entsendung von bis zu 1.400 Soldaten in die Operation Atalanta. Absicht dahinter ist, die Option auf Unterstellung anderer deutscher Einheiten im Seegebiet unter das besonders robuste Mandat Atalanta offen zu halten.

Neben Deutschland beteiligen sich Spanien, Frankreich, Griechenland, Italien, Schweden, Norwegen, Niederlande, Belgien und sogar Luxemburg mit Schiffen und Flugzeugen an der Operation. Das Operation Headquarter (OHQ) in Northwood / UK selbst betreibt im Kampf gegen die Piraterie das Schifffahrtskoordinierungszentrum »Maritime Security Centre Horn of Africa« (MSCHOA).

Die Schutzarten am IRTC

Der Operationsplan sieht drei grundsätzliche Schutzarten für Handelsschiffe vor, die durch das OHQ bzw. durch MSCHOA koordiniert werden:

• Scheduled Group Transits werden mehrfach täglich pro Richtung im »Internationally Recommended Transit Corridor« (IRTC, 450 Seemeilen lang) angeboten und durch entlang des Korridors operierende Kriegsschiffe überwacht.

• Im Rahmen von Escorted Group Transits werden nahezu täglich pro Richtung durch unter nationaler Führung operierende Kräfte Russlands, Chinas, Japans und Indiens Handelsschiffe entlang des IRTC geführt.

• Individuial Escorts werden für Schiffe des WEP sowie für Schiffe von Amisom (African Union Mission in Somalia angeboten.

Stärken und Schwächen der Operation

Das Mandat für die Operation Atalanta beinhaltet die bislang weitreichendsten Einsatzregeln (»Rules-of-Engagement«) in der Geschichte internationaler Einsätze der Deutschen Marine, zu denen Deutschland keine nationalen Einschränkungen vorgenommen hat. Seit März 2009 gibt es ein Abkommen zwischen Kenia und der EU, seit Oktober 2009 zwischen den Seychellen und der EU, welches die Strafverfolgung Piraterieverdächtiger durch nationale Gerichte regelt. EU-Einheiten haben in 2009 insgesamt 75 Piraterieverdächtige in Gewahrsam genommen und an Kenia übergeben. Amerikanische, britische, französische und russische Einheiten haben unter nationaler Führung etwa ebenso viele Piraten in Gewahrsam genommen.

Zum Teil müssen Piraterieverdächtige auch wieder freigesetzt werden, da die Beweiskette nicht lückenlos vom angegriffenen Handelsschiff bis zum aufgebrachten Skiff (bevorzugter Bootstyp der Piraten) zurückverfolgt werden kann. Die Chance, hier einen richterlichen Haftbefehl zu erhalten, ist in einem solchen Fall nicht gegeben. Ein genaueres Hinsehen der Angegriffenen (mit entsprechender Zeugenaussage) beziehungsweise fotografische Dokumentation – so sie denn für die Handelsschiffbesatzungen gefahrlos möglich ist – sind für die spätere Strafverfolgung essentiell.

Eine zusätzliche, enorme Herausforderung besteht in den geografischen Dimensionen des Einsatzgebietes. Der britische Befehlshaber brachte die Herausforderungen, vor denen seine wenigen Einheiten stehen, auf den Punkt: »The Terror of Distance«. Das Operationsgebiet erstreckt sich in der Ausdehnung auf mehr als 2.500 mal 500 Seemeilen, also fünf Seetage Transit in Nord-Süd-Ausdehnung und mehr als einen Seetag Transit in Ost-West-Richtung.

Wie wirksam ist Atalanta?

Ein Vergleich der Überfälle der letzten Jahre in reinen Zahlen, ließe den Schluss zu, die Anwesenheit der Kriegsschiffe zeige keine Wirkung. So gab es zum Beispiel in 2009 mehr als dreimal doppelt so viele Überfälle als noch in 2008. Jedoch blieb die Zahl der Entführungen 2009 in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Die Statistik zeigt auf: Endeten in 2008 noch etwa 40 % aller Piratenüberfälle in einer Schiffsentführung, ging diese Zahl in 2009 auf unter 20 % zurück. Die Maßnahmen der Länder und Organisationen unter den diversen UN-Sicherheitsresolutionen zum Schutze der Schifffahrt am Horn von Afrika zeigen Wirkung (Die in den Statistiken der verschiedenen Organisationen (IMB, EU, NATO,etc.) zu Grunde gelegten Zahlen weichen voneinander ab, zeigen aber eine klare Tendenz auf. Für 2008 wurde die Statistik IMB verwendet. Diese zeigt insgesamt 111 Überfälle mit 42 Schiffsentführungen für den Golf von Aden und das Seegebiet vor Somalia auf. Für 2009 wurde die durch den Autor geführte Statistik des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr zu Grunde gelegt, die insgesamt 224 Überfälle mit 44 Schiffsentführungen am Horn von Afrika (einschl. Seegebiet Seychellen) verzeichnet.).

Nach der Entführung zweier Handelsschiffe unter deutscher Flagge im Januar und April 2009 – die beide weder bei MSCHOA gemeldet waren noch irgendwelche Präventionsmaßnahmen ergriffen hatten – verstärkte Deutschland seinen Beitrag zu Atalanta. Anfang Mai standen drei Fregatten, zwei Versorgungsschiffe und ein Seefernaufklärer der deutschen Marine unter EU Kommando am Horn von Afrika.

Fazit: Nicht ein Mehr an Kriegsschiffen kann die Piraterie eindämmen, sondern nur ein Mehr an Prävention in Planung und Durchführung einer Passage. Reeder, die dies erkannt haben, haben in enger Kooperation mit den deutschen Behörden in 2009 eine Vielzahl auch von verwundbaren Schiffen, sogenannten »Goldenen Gänsen«, erfolgreich und ohne Zwischenfälle durch das Seegebiet gebracht.

Prävention ist die Lösung – hier ist Mitarbeit der Reeder und Kapitäne gefragt

Aber weshalb werden noch immer Schiffe am Horn von Afrika entführt? Die Antwort ist relativ einfach: In fast allen Entführungsfällen seit Januar 2009 fehlte es an Prävention auf Seiten des Reeders oder des Kapitäns. Anders gesagt: Kein Schiff, welches bei MSCHOA für eine Passage gemeldet war und sich strikt an die dort veröffentlichten, mit der International Maritime Organisation (IMO) und der Industrie abgestimmten »Best Management Practice« gehalten hat, ist bislang in die Hände der Piraten gefallen. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze:

Erstens: Im Golf von Aden nutzen Handelsschiffe den als Reaktion auf die Piraterie eingerichteten Transitkorridor (IRTC). Hier gilt der »Golden-20-Minutes«-Richtwert: Schafft es ein Handelsschiff bei einem Angriff, ein An-Bord-Kommen der Piraten für etwa 20 Minuten zu verhindern, ist die Chance groß, dass Sicherheitskräfte den Angriff stoppen können. Deren Dislozierung entlang des Korridors erlaubt in der Regel ein zeitnahes Eingreifen. Ein solches Verzögern um circa 20 Minuten lässt sich zum einen über das Verhalten von Kapitän und Besatzung, aber auch durch einfache Maßnahmen an der Reling oder am Schiffskörper erreichen. Sind die Piraten erst an Bord und haben ein Besatzungsmitglied als Geisel genommen, können die Sicherheitskräfte aus Rücksicht auf Leib und Leben der Geiseln nicht mehr einschreiten.

Zweitens: Das Somali Basin gilt es zu meiden. In diesem riesigen Seegebiet lässt sich – anders als im Golf von Aden – eine lückenlose Überwachung nicht realisieren. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, und die betreffen hauptsächlich Fischereifahrzeuge, gibt es unter Berücksichtigung der hohen Pirateriegefahr dort keinen vernünftigen Grund für eine Passage durch das bzw. den Aufenthalt im Somali Basin.

Drittens: Bislang galt das Seegebiet östlich von 60° Ost und südlich von 7° Süd als sicher, für Passagen nach Mombasa oder Daressalam wurde empfohlen, diesen Umweg in Kauf zu nehmen. Seit Herbst 2009 jedoch fanden bereits zahlreiche Überfälle und Entführungen auch jenseits dieser Linien statt– und teilweise auch außerhalb des mandatierten Einsatzgebietes (!). Die Piraterie migriert, oder – wie es andere Stimmen kolportieren – »Piracy goes global«.

Es gilt also, nicht nur 20 Minuten Widerstand zu leisten, sondern grundsätzlich zu verhindern, dass Piraten an Bord kommen können. IMO, MSCHOA und die United Kingdom Maritime Trade Organisation (UKMTO) halten hier Lösungsansätze bereit, die individuell für jedes Schiff in ihrer Realisierbarkeit untersucht werden müssen. Hilfestellung erhalten deutsche Reeder von der Bundespolizei.

Dass Präventionsmaßnahmen erfolgreich sein können, belegt der Fall »BBC Togo«. Jenes Schiff passierte im November 2009 das Seegebiet, es war ordnungsgemäß bei MSCHOA angemeldet worden. Trotzdem wurde es von Piraten angegriffen. »BBC Togo« war aber so gut präpariert, dass die Piraten ihr Vorhaben ohne weiteres Zutun von dritter Seite abbrachen. Das Schiff war unter anderem mit zwei komplett umlaufenden Rollen von so genanntem NATO-Draht ausgerüstet, der Wohnaufbau war in gleicher Weise geschützt. Einige Außenschotten waren von innen verblockt worden, vor den Fenstern war zusätzliches Rundeisen angebracht worden. Der rein zeitliche Aufwand von acht Manntagen für die Errichtung der Schutzvorkehrungen – nebst vergleichsweise geringen Materialkosten – hat in diesem Fall vereitelt, dass die Piraten an Bord gelangten. Die Reederei hat bei dem Angriff wichtige Erfahrungen gesammelt und wird ihre Maßnahmen zum Schutz von Schiff, Besatzung und Ladung noch ausweiten.

Die Industrie muss ins »Team«

Deutsche Reeder betreiben mit ca. 4.500 Schiffen, davon etwa 500 unter Bundesflagge, die drittgrößte Handelsflotte der Welt, die vitale Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Im- und Export ist hinlänglich bekannt. Tatsächlich ist Deutschland in der aktuellen Statistik des International Maritime Bureau Kuala Lumpur das am meisten von der Piraterie am Horn von Afrika betroffene Land.

Der Schlüssel zur Lösung des weltweient und vermutlich zunehmenden Piraterieproblems liegt bei der Handelsschifffahrt: Prävention durch Nutzung aller angebotenen Hilfestellungen der Behörden bei Vorbereitung und Durchführung von Reisen sowie bauliche beziehungsweise konstruktive Anpassungen an den gefährdeten, langsamen und niedrigbordigen Schiffen können dazu beitragen, Schiffsentführungen zu vermeiden. Noch sind die deutsche Handelsschifffahrt und ihre Verbände nicht ausreichend organisiert, um der Piratengefahr am Horn von Afrika mit der erforderlichen Geschlossenheit entgegenzutreten – und die Erfolgsquoten der Piraten auch noch deutlich unter 19 % zu drücken.

Auch die deutsche Tourismusbranche ist betroffen: Jeden Monat passieren mehrere tausend deutsche Urlauber auf Kreuzfahrtschiffen den Golf von Aden. Man stelle sich vor, eines dieser Schiffe mit Hunderten deutschen Urlaubern an Bord geriete in die Hände der Piraten.

Bundespolizei, Bundeswehr, Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie sowie das Bundeskriminalamt haben deshalb die Industrie über den Verband Deutscher Reeder (VDR) eingeladen, sich in den Arbeitskreis Piraterieprävention einzubringen. Zur Erleichterung für die Handelsschifffahrt wurden die Strukturen innerhalb der Behörden optimiert, um nach außen hin mit einem einzigen Ansprechpartner für alle Fragen der Piraterieprävention auftreten zu können. Durch die Teilnahme des Bundes­kriminalamtes (BKA) an diesem Arbeitskreis ist die Thematik Krisenbewältigung ebenfalls abgedeckt (siehe Kasten links).

Verfasser:

Fregattenkapitän Andreas Uhl

Einsatzführer in der Einsatzgruppe

Maritime Operationen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr


Andreas Uhl