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Im Versuchsbecken des Instituts Seefahrt Leer der neu gegründeten Fachhochschule Emden-Leer wurde zu Lehr- und Forschungszwecken ein berührungslos und mit hoher Genauigkeit arbeitendes optisches Messsystem installiert. Es wurde speziell an maritime Problemstellungen angepasst, um das Verhalten von Schiffsmodellen bei unterschiedlichem Wellengang und variabler Strömung aufzunehmen und zu analysieren.

Das Messsystem basiert auf Verfahren der Photogrammetrie für die dreidimensionale Vermessung von Objekten nach Lage und Form. Dabei erfolgen die[ds_preview] Messungen nicht direkt am Objekt, sondern indirekt in Bildern des Objekts. Das Objekt wird dazu aus insgesamt vier unterschiedlichen Richtungen aufgenommen. Für die Bestimmung der 3D-Koordinaten der Objektpunkte genügen zwei zeitgleich aufgenommene Bilder. Die Aufnahmen lassen sich durch die feste Installation der Kameras und deren Kalibrierung mit dem Verfahren der Bündeltriangulation in einem photogrammetrischen Verband realisieren. Ein optisches Messsystem mit mehreren Kameras ermöglicht die gleichzeitige Bestimmung der 3-D Koordinaten von nahezu beliebig vielen Punkten im zeitlichen Verlauf. Es können sehr einfach unterschiedliche Schiffsmodelle untersucht werden, da keinerlei Sensorik im Modell installiert werden muss. Zudem sind durch die berührungslos arbeitende Messtechnik Einflüsse auf das Verhalten von Schiff oder Wellen ausgeschlossen.

Erste Versuche haben bereits das Potenzial des Messsystems aufgezeigt. Um die Genauigkeit der innovativen Versuchsapparatur festzustellen, wurde im Rahmen einer studentischen Tätigkeit in einem ersten Schritt ein Referenzexperiment an einem Versuchsobjekt durchgeführt. Hierbei handelte es sich um ein zum Schwingen angeregtes Masse-Feder-System, dessen Schwingungsperiodendauer unter der Annahme, dass keine Reibung vorliegt, leicht zu berechnen und somit zu prognostizieren war.

Vergleicht man die berechnete gemittelte Schwingungsperiodendauer mit der photogrammetrisch gemessenen (Tab. 1), zeigt sich, dass die experimentell erhaltene Schwingungsperiode in sehr guter Übereinstimmung mit dem theoretisch berechneten Wert war. Daher sind zuverlässige Messungen des Zeitverhaltens physikalischer Größen mit der Photogrammetrieapparatur realisierbar.

Im Anschluss an diese Untersuchungen hinsichtlich der Messgenauigkeit der Anlage wurden Betriebskrängungs- und Rollzeitversuche zur Ermittlung stabilitätsrelevanter Parameter eines institutseigenen Modellschiffes durchgeführt. So konnte beispielsweise erfolgreich der Rollzeitbeiwert, der das wirksame polare Massenträgheitsmoment eines Schiffes um seine Rollachse ausdrückt, bestimmt werden1.

Die erhaltenen Messungen der Lage- und Formveränderung des Schiffsmodells dienen dazu, zukünftig Vorgänge wie das Gieren, Stampfen, Rollen, Tordieren und Biegen abzubilden sowie das hydrodynamische Verhalten in Abhängigkeit von der Form des Schiffsrumpfes aufzunehmen. Zur Durchführung dieser Messungen werden dazu auf dem Schiffsmodell kleine Messmarken angebracht, deren gezielte Verteilung die nachträgliche Rekonstruktion der Kontur des Schiffsrumpfes inklusive Aufbauten erlaubt und somit eine Einbindung in CAD-Programme zur Darstellung des virtuellen Schiffes zulässt. Auf der Wasseroberfläche befindliche kleine Schwimmkörper (sog. Tracer) werden mit aufgenommen und fungieren als Hilfsmittel für die Bestimmung von Strömung und Wellencharakteristika (Abb. 1). Frei in ihrer Höhe bewegliche Wellenmesser liefern Daten über die Wellenhöhe in Abhängigkeit von der Zeit, womit auch weitere die Welle beschreibende Größen bestimmt werden können. Positioniert man diese Wellenmesser auf zuvor festgelegten Schnittpunkten eines auf die Wasseroberfläche erdachten Gitters (Abb. 2), lässt sich der Wellengang aus den photogrammetrisch ermittelten Daten der Wellenmesser dreidimensional darstellen. Auf diese Weise kann das Schiffsverhalten mit der Wellencharakteristik in Verbindung gebracht werden.

In Abb. 3 ist beispielhaft die experimentelle Anordnung zur Aufnahme der Vertikalbewegung eines kugelförmigen Wellenmessers gezeigt. Durch Festlegung eines ortsfesten Koordinatensystems, das mit den entlang der Versuchsstrecke angebrachten Referenzmessmarken korrespondiert, lassen sich auf diese Weise die Wellenhöhen an jeder beliebigen Stelle im Versuchsbecken ermitteln und mit der Höhenänderung bestimmter Punkte auf einem Modellschiff vergleichen. Infolge dieser Anordnung wird der Einfluss einer Welle auf unterschiedliche Bereiche des Schiffes messbar, woraus nachträglich die Berechnung der vorherrschenden mechanischen Belastung des Objektes ermöglicht wird.

Aus der Wellenhöhenmessung lässt sich die Entwicklung des Wellengangs im Versuchsbecken zeitlich bestimmen. Dies wird in Abb. 4 deutlich, in der die Höhenänderung (z-Koordinate) des Wellenmessers als Funktion der Zeit jeweils für den Schiffsbug und den Wellenmesser dargestellt ist. Wie aus Abb. 3 zu entnehmen, läuft die Welle von rechts nach links durch das Versuchsbecken. Infolgedessen wird der Wellenmesser zuerst von der ankommenden Welle erreicht. Aus diesem Grund kommt es zu einer zeitlichen Verschiebung der in Abb. 4 gezeigten Messkurven. Dass Wellenmesser und Schiff von der gleichen Welle beeinflusst werden, wird durch Angabe der Zeitdifferenzen ti (i = 1, 2, 3) zwischen den drei Maxima der Kurven deutlich. Der Zeitversatz ist in allen Fällen gleich. Vergleicht man die Zeitdifferenz zweier aufeinander folgender Maxima innerhalb derselben Messung miteinander, ergibt sich, dass das Zeitintervall vom ersten bis zum zweiten Maximum größer ist als das zwischen dem zweiten und dem dritten Maximum. Dieses Verhalten tritt sowohl bei der Datenaufnahme des Schiffsbugs als auch des Wellenmessers auf und kann durch das Vorliegen unterschiedlicher Wellen zum Zeitpunkt der Messung, die durch Reflexionen und Überlagerung von Wellen erzeugt wurden, erklärt werden. Jedoch bleibt festzuhalten, dass die zeitlichen Differenzen vom ersten zum zweiten Maximum bzw. vom zweiten zum dritten Maximum bei jeder Messung gleiche Werte ergaben, d. h. t1,W = t1,S (W: Wellenmesser, S: Schiffsbug) sowie t2,W = t2,S. Hierdurch werden die hohe Messgenauigkeit und Reproduzierbarkeit der mittels der photogrammetrischen Apparatur aufgenommen Daten deutlich.

Als weiteres Beispiel für die photogrammetrische Messung der Schiffsbewegung sei das dynamische Verhalten eines Modellschiffes gezeigt, das unter dem Einfluss von Wellen stand, die durch den institutseigenen Strömungsgenerator erzeugt wurden. Um ein zu starkes Driften des Schiffes aus der Messfläche des Photogrammetriesystems zu verhindern, wurde an Bug und Heck ein dünnes Seil befestigt, das das Schiff in Position hielt, jedoch weiterhin alle Freiheitsgrade der Bewegung zuließ. Abb. 5 illustriert die von dem Photogrammetriesystem gemessene Ortsveränderung der beobachten Messpunkte, die sich auf Deckshöhe im Bereich des Vorstevens (Messpunkt 101) und des Hauptspants (Messpunkt 102) befanden. Die Veränderung des z-Wertes, die die Höhenänderung des Schiffes infolge des Wellengangs charakterisiert, ist in Abhängigkeit des x-Wertes dargestellt. x bezieht sich auf die Veränderung der x-Koordinate der Messpunkte auf dem bewegten Schiff in Richtung der Längsachse des Versuchsbeckens. Es wird deutlich, dass das Schiff einem Wellengang ausgesetzt war, dessen maximale Wellenhöhe z ca. 140 mm betrug. Der Wellengang führte somit zu einem erheblichen Stampfen des Schiffes. Während der Messpunkt 101 sehr viel stärker auf den Wellengang reagierte, war aufgrund der Position des Messpunktes 102 im Bereich des Hauptspantes ein weniger ausgeprägtes Stampfverhalten zu erwarten, was messtechnisch verifiziert werden konnte.

Greift man sich beispielsweise den Augenblick heraus, in dem eine ankommende Welle unter den Bug und daraufhin unter die Kielplatte gelangt, so erkennt man, dass der Bug innerhalb kürzester Zeit sehr stark angehoben wird, die Kielplatte sich jedoch nur allmählich auf die Welle aufschiebt. Der daraus resultierende unterschiedlich ausgeprägte Gradient d( z)/d( x) für den Bereich des Vorstevens und den des Hauptspants führt unweigerlich zu einem auftretenden Biegemoment im Schiffskörper und damit zu einer Belastung des Materials. Herrscht ein Wellengang vor, so unterliegt der Schiffskörper ständigen Verformungen, wie aus Abb. 5 zu interpretieren ist, da der Positionsabstand z von Messpunkt 101 zu Messpunkt 102 in Abhängigkeit des zeitlichen Verlaufs der Wellen variiert.

Die Möglichkeit der Photogrammetrieapparatur, die Ortsveränderung der Messpunkte als 3-D Koordinaten aufzunehmen, ist in Abb. 6 gezeigt. Um eine gezielte Analyse der jeweiligen Verschiebung vornehmen zu können, wurden die Daten auf die xy-, xz- und yz-Ebene projiziert. Betrachtet man die Positionsveränderung von Messpunkt 101 (Abb. 6, a), der sich gemäß Abb. 5 im Bereich des Vorstevens befindet, so erkennt man, dass dieser Ort des Schiffes neben einer Höhenvariation auch einem ständigen Versatz ( y ~ 500 mm) entlang der y-Achse des Wasserbeckens unterworfen war, was durch eine entsprechende Ruderlage des Schiffes im Vorfeld des Versuches verursacht wurde. Vergleicht man die Ergebnisse von Messpunkt 101 mit denen von Messpunkt 102 (Abb. 6, b), der im Bereich des Hauptspants gewählt war, wird deutlich, wie gering die Drift des Schiffes entlang der y-Achse war, die sich lediglich auf y ~ 200 mm belief.

Die Photogrammetrieapparatur des Institut Seefahrt Leer ist somit in der Lage, die Bewegung eines Schiffes positionsgenau zu bestimmen und dessen zeitliches Verhalten zu messen. Das Schiffsverhalten kann mit der Wellencharakteristik in Verbindung gebracht werden, so dass wichtige mechanische Größen wie z. B. Torsion und Biegung oder auch hydrodynamische Effekte untersucht werden können. Dadurch ist eine Grundlage geschaffen, zukünftig gemeinsame Projekte mit anderen Instituten im Bereich der Schiffsdynamik und Festigkeitslehre durchzuführen.

Weitere Informationen: Fachhochschule Emden-Leer, Institut Seefahrt Leer, Prof. Dr. Jürgen Göken, Tel.: 0491/928 17-5021 oder -5010, E-Mail: juergen.goeken@fh-oow.de


Jürgen Göken, Bernd-Michael Wolf, Stephan Luker, Ellen Meenken