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Ratenvolatilität und Kapazitätsengpässe in der Containerfahrt machen Verladern zu schaffen / Aufruf zu engerer Kooperation

Anspruch und Wirklichkeit drifteten mal wieder weit auseinander. Linienreedereien wie Verlader knüpften hohe Erwartungen an eine Welt ohne Linienschifffahrtskonferenzen. Nach Aufhebung der Gruppenfreistellung der Branche vom EU-Wettbewerbsrecht im Oktober 2008 sollte alles anders werden, obwohl einigen in der Schifffahrt bei dem Gedanken doch ein wenig mulmig war. Zumindest würde das Kartellverbot den Sinn der Reeder für die Bedürfnisse der Kunden schärfen. Langfristige Frachtverträge, stabile Raten und eine höhere Verfügbarkeit von Stellplätzen auch in der Hochsaison schwebten den Kunden vor. Doch die globale Rezession bereitete den Tagträumereien ein jähes Ende.

Zuerst fielen die Frachtraten ins Bodenlose und rissen ein großes, rund 20 Mrd. USD großes Loch in die Bilanzen der[ds_preview] Reeder, um dann bei drastischer Kapazitätsverknappung dieses Jahr wieder steil anzusteigen. In der Zwischenzeit wurde viel kostbares Porzellan zerbrochen. Zuerst, als der Markt abstürzte, verhandelten viele Verlader ihre Vertragsraten nach unten. Im steigenden Markt schlugen die Carrier dann den Kunden durch außerplanmäßige Preissteigerungen vor den Kopf. Viel Geschäft wurde neu platziert, eingespielte Geschäftsbeziehungen zwischen Reedern, Speditionen und Verladern auf die Zerreißprobe gestellt. So könne es auf keinen Fall weitergehen, versuchte Hellmann-Seefrachtchef Marcus Leaver die Branche auf der Global Liner Shipping Conference kürzlich in London wachzurütteln. »Um weiter zu kommen brauchen wir gemeinsame Lösungen«, betonte Leaver und ging auch mit seiner eigenen Zunft ins Gericht. »Haben die Speditionen sich wirklich anders als die Linienreedereien verhalten? Einige schon, aber andere auch nicht«, so der Experte. Vor allem große Anbieter boten immer wieder Raten unter Einstandsniveau an, um in der Krise Marktanteile dazu zu gewinnen, und beschleunigten dadurch die Preisspirale nach unten. »Ein Frachtvertrag war nicht mehr länger ein Frachtvertrag, weil die Rate schon gar keinen Bestand mehr hatte, wenn die Tinte getrocknet war«, beklagte Leaver.

Kurzfristigere Verträge

Die Grenzerfahrung der Krise hat aus seiner Sicht aber den Willen zur Kooperation und den »gegenseitigen Respekt« wieder gestärkt, so der Hellmann-Manager, der für die Disposition von mehr als 500.000 teu pro Jahr verantwortlich zeichnet. Nicht ganz so einmütig fiel das Urteil der anwesenden Verlader aus. Im persönlichen Gespräch erzürnte sich der Frachteneinkäufer einer britischen Nahrungsmittelgruppe, die jährlich 15.000 teu verschickt, über das kompromisslose Vorgehen der Carrier. Ab vergangenen Herbst seien die Kundenbetreuer der Linien verstärkt auch auf große Direktkunden zugegangen, um Raten nachzuverhandeln, die sie ihnen ein halbes Jahr zuvor aber für zwölf Monate garantiert hatten. »Mein Vertrauen ist dahin. Ich gebe nichts mehr auf das Wort eines Reedereivertreters«, so der Logistikmanager, der nicht namentlich genannt werden will. Die Laufzeiten der Frachtabkommen sind aus seiner Sicht zwangsläufig stark gesunken, »weil die Carrier für langfristige Vereinbarungen irrsinnige Aufschläge verlangen«, so der Brite. »Für uns sind Quartalsraten heute schon verhältnismäßig langfristig.«

Auch der japanische Unterhaltungselektronikkonzern Sony hat seine Frachteneinkaufsstrategie angesichts der Turbulenzen im vergangenen Jahr überdacht. »Die Schwankungen waren in den vergangenen fünf Jahren schon erheblich, aber die Entwicklung im letzten Jahr gab uns den letzten entscheidenden Anstoß«, erklärte Adam Rashid, Head of Sony Supply Chain Solutions Europe. Im März 2009 seien die Frachtraten im Fernost-Europa-Verkehr für den Konzern um 75 % gefallen, »obwohl wir uns selbst wunderten, ob die Carrier das überhaupt durchhalten können«, so Rashid. Ab Herbst hätten die Reeder dann verstärkt auf Nachverhandlungen gedrängt, und für den aktuellen Sony-Frachtenjahresvertrag hätten sich die Raten dieses Jahr schließlich verdreifacht. Statt einer fixen Verabredung für ein Jahr wie vorher kommen die Sony-Raten jetzt jedes Quartal auf den Prüfstand und werden ab einer bestimmten Differenz zum Spotniveau angepasst. »Das ist für einen Konzern wie uns schon ein sehr großer Schritt«, betonte Rashid. Trotz der kürzeren Preisbindung rechne er langfristig mit geringeren Schwankungen als früher, erklärte er. Wenn man nur einmal pro Jahr mit den Dienstleistern zusammenkommt, könne man jedes Mal mit völlig anderen Marktverhältnissen konfrontiert sein. Werden die Preise ein Jahr zu niedrig fixiert, dränge der Carrier im Folgejahr auf eine umso stärkere Anhebung, um seine entgangenen Erträge wieder aufzuholen. »Durch zeitnahe Anpassung können wir die Ausschläge dämpfen«, meint Rashid, der sich auch eine konstantere Servicequalität und ein engeres Verhältnis zu den Carriern erhofft. Die Aufhebung der Konferenzen habe allein noch zu keiner spürbaren Annäherung zwischen Linienreedern und Kunden geführt. »Es fehlt einfach an Vertrauen zwischen beiden Seiten. Das war vorher so, und das ist heute immer noch so«, kritisierte Rashid. Auch in Krisenzeiten müssten sich die Carrier an grundlegende Service-Regeln halten und die Kunden zumindest rechtzeitig benachrichtigen, wenn Fahrpläne geändert oder Schiffe umgeroutet werden. Solche Fehltritte seien in den vergangenen zwölf Monaten keine Ausnahmen gewesen.

Transitzeiten hoch, Pünktlichkeit runter

In einem Sony-Werk für Fernseher in Barcelona sei es zum Beispiel zu Produktionsengpässen gekommen, weil Reedereien die Transitzeit eigenmächtig gestreckt hatten, verdeutlichte Rashid.

Auch beim Branchenführer Maersk habe die Dienstleistungsqualität gelitten, gab der Chief Operating Officer des Unternehmens, Morten Engelstoft, zu. Ein Teil der über 200 Fahrplanänderungen im vergangenen Jahr sei vorgenommen worden »ohne die Vorankündigungsfristen, die wir unseren Kunden normalerweise zusichern«, sagte er. Allerdings müssten auch die Verlader ihre Versprechen einhalten, sonst seien keine stabilen Linienverkehre möglich. So würden die Kunden auf einigen Routen jede Woche bis zu 30 % der gebuchten Ladung gar nicht anliefern. Im Verkehr von der US-Westküste nach Asien will Maersk den Verladern durch eine Gebühr von 10 US$ pro nicht angeliefertem Container auf die Sprünge helfen. Allerdings zahlt der Konzern den Kunden im Gegenzug auch 10 US$ für jeden »gerollten« (liegen geblienen) Container. Ein Pilotversuch mit der »No Show Fee« beginnt am 1. Mai in den Häfen von Los Angeles und Oakland.

Engelstoft sprach sich ebenfalls für langfristige Verträge und engere Partnerschaften aus, »um die Volatilität zu verringern«. Große Einzelhandelsfirmen hätten bei einem Logistikkostenanteil von nur 3,2 % viel mehr davon, wenn sie sich im Frachteneinkauf auf Servicekontinuität statt auf Ratenoptimierung konzentrierten, sagte er. So aber hätten sich ihre Seefrachtkosten innerhalb kurzer Zeit halbiert und wieder verdoppelt. Wenn es der Linienschifffahrt – auch durch zuverlässigere Transportplanung der Kunden – gelänge, eine Pünktlichkeitsquote von 90 % wie im Paketgeschäft zu erreichen, wäre beiden Seiten gedient. »Wir sollten uns sogar 95 % Servicequalität vornehmen«, sagte Engelstoft, »dann ließen sich die Sicherheitspuffer und Kosten in den weltweiten Lagerbeständen ganz erheblich senken.«


mph