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Ausbildungen in Ost und West vor der Wiedervereinigung

Motivation für diesen Artikel

Fragen Sie sich gerade, warum nach so langer Zeit zu diesem Thema ein Artikel[ds_preview] in der HANSA erscheint?

Dieses Jahr werden wir als Deutsche seit 20 Jahren vereinigt sein. Auch auf Behörden­ebene ist »zusammengewachsen, was zusammen gehört«. Mit Beginn der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 wurde das Bundesamt für Seeschiffahrt und hydrographie (BSH) nach Maßgabe des Einigungsvertrages auch für den Bereich der neuen Bundesländer zuständig. Die den BSH-Aufgaben vergleichbaren Aufgaben der vormaligen DDR-Institutionen gingen unmittelbar auf das BSH über. Vom Seehydrographischen Dienst, dem Seefahrtsamt, der Wasserwirtschaftsdirektion Küste, dem Meteorologischen Dienst und der Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei wurden 200 Mitarbeiter übernommen. Mit den Befähigungsnachweisen der Seeleute hatte das BSH damals noch nichts zu tun.

Freiheit hat ihren Preis, Demokratie ist nicht immer einfach. Wir sind ein Land mit vielen, weit gefächerten Zuständigkeiten. Dies führt leider manchmal auch zu Kompetenzgerangel, selbst bei den staatlichen Aufgaben und insbesondere bei Aus-, Fort- und Weiterbildung. Ich habe manchmal den Eindruck, dass alle mitreden wollen und es jeder besser weiß. Der Blick zurück lohnt sich. Er lohnt sich deshalb, weil Deutschland im Bereich seiner maritimen Strukturen immer noch sehr zerrissen und aufgeteilt ist. Vielleicht lernen wir aus der Rückschau für die Zukunft.

Es ist im Folgenden dabei nicht meine Absicht, die Details der Ausbildung von Seeleuten mit den Unterschieden zwischen Ost und West nachzuzeichnen; da gibt es mindestens ein gutes Werk: Die Berufsbildung der Seeleute im 20. Jahrhundert ist – in Verbindung mit vielen Detailangaben und Tabellen – in dem Buch »Matrosen – Schiffsmechaniker – Schiffsoffiziere, Berufsbildung der Seeleute im 20. Jahrhundert« von Hans Wilhelm Hoffmann (2006, Verlag Dr. Köster, Berlin) beschrieben worden.

Ein Beispiel

KS beschreibt seinen Werdegang in Stichworten:

Ausbildung zum Vollmatrosen der Handelsschifffahrt, Spezialisierung Maschine und zum Einsatz der sogenannten Komplexbrigade an Bord für Arbeiten an Deck und in der Maschine (Chef der Komplexbrigade war damals der Chief Ing.).

Im ersten Halbjahr Berufsschule in Rostock mit Theorie in der Seemannschaft sowie in Metall und Motorenkunde, Dünnblechschweißen und Brennen, Gesundheitsschutz, Feuerschutz, Rettungsmittel, Leck Wehr, Sport mit Kutterrudern, Schwimmen, Russisch und Englisch.

Im zweiten Halbjahr Reisen auf dem Lehrschiff mit Unterricht in den o. g. Fächern mit praktischer Ausbildung Deck und Maschine, Brückendienst.

Im dritten Halbjahr Reisen auf den Frachtschiffen der Flotte weltweit, mit praktischer Ausbildung in Seemannschaft, Brückendienst und für mich in der Spezialisierung im Maschinenbereich, mit als Wachgänger, Arbeiten in der Maschinenwerkstatt. Ab zehn Lehrlingen war oft ein Lehrbootsmann an Bord oder die Lehrlinge hatten dann einen Lehr-Motorenwärter (Spezialisierung Maschine) an ihrer Seite , bzw. einen Lehr-Matrosen (Matrosenausbildung).

Im vierten Halbjahr Reisen auf den Frachtschiffen der Flotte weltweit. Spezialisierung Maschine und abschließend praktische Facharbeiterprüfung, z. B. Bericht über Funktion eines Separators und dessen Wartung; praktisch war der Separator zu zerlegen und zu reinigen und dann wieder in Betrieb nehmen. So in der Art wurde für alle Aggregate, die an Bord waren, vorgegangen. In der Prüfungskommission waren Lehr-Motorenwärter oder Lehr-Bootsmann, der Kapitän und der Chief.

Eine Anmerkung zur Ausbildung: Man wollte eine flexible Ausbildung für den Einsatz im Decks- oder Maschinenbereich haben. Dadurch ist alles auch für beide Bereiche vermittelt worden. Die speziellen Fachkenntnisse fehlten aber doch, da zwei Lehrjahre für das Programm zu kurz waren. Viele Dinge wie Drehen, Metallhandwerk und spezielle Überholungstätigkeiten habe ich mir erst während der Fahrzeit als Motorenwärter aneignen können (oder ich kann es bis heute nicht …).

Danach bin ich als Facharbeiter »Motorenwärter« auf verschiedenen Schiffen gefahren. Nach einer dreijährigen Fahrzeit als Motorenwärter war die Zulassung zum Studium möglich. Studium an der Fachschule zum Ingenieur für Schiffsbetriebstechnik (heute Fachhochschule), Studiendauer sechs Semester, davon zwei Semester an der Seefahrtsschule in Wustrow, Grundlagen wie Deutsch, Russisch, Kunst und Kultur, Englisch, technische Mechanik, technisches Zeichnen und Grundlagenfächer, drei Semester fachspezifisches Studium an der Seefahrtsschule in Warnemünde mit Maschinen-Labor, E-Labor, Kessellabor, Feuerschutz-Labor, Lecksicherheitslabor, Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz; im letzten Semester war die Abschlussarbeit zu schreiben und zu verteidigen. Dann folgte das Praktikum als Offiziersanwärter auf den Schiffen der Flotte im Maschinenbereich. Abschluss der Fachschule als Ingenieur für Schiffsbetriebstechnik mit Befähigungszeugnispatent C.

Vorteil des Studiums: Voraussetzung zum Studium war, dass eine Fahrzeit als Facharbeiter von 24 Monaten nachgewiesen werden musste. Dadurch waren die nötigen praktischen Erfahrungen vorhanden. Jeder wusste somit auch, was er wollte. Das Kennenlernen der Fachrichtung war überflüssig. Man musste nicht herausfinden, ob einem dies liegt oder nicht. Die Seminargruppen wurden nach Betrieb zusammengestellt, d. h. Fischerei oder Handelsschifffahrt. Damit erfolgte auch die Betreuung durch die Betriebe. Das Studium war eine sogenannte Delegierung vom Betrieb und war »anwartschaftssteigernd« bei der Betriebszugehörigkeit. Positiv war die praxisbezogene Ausbildung wie z. B. in den Laboren an der Ing. Schule, das Praxissemester als O-Anwärter und Schreiben der Abschlussarbeit.

Unschwer zu erkennen, nicht nur der Wortwahl und an den Ausbildungsort, sondern vor allem an den Inhalten, dass es sich um den Werdegang eines Seemanns der DDR handelt – weil die Ausbildungen unterschiedlich waren. Wo lagen die Unterschiede?

Die Zeit vor der Aufteilung

Wenn wir uns mit dem Thema »Ausbildung von Seeleuten in Deutschland Ost und West« beschäftigen, müssen wir die Ausgangslage bei der Gründung der beiden Staaten (1949) betrachten.

Bei den Mannschaftsdienstgraden bestand die Ausbildung im Leben und Arbeiten an Bord, ein sogenannter Erfahrungsberuf. Befähigungen brachte das Leben an Bord bei, mit nachgewiesenen Fahrzeiten und nur zwei Befähigungsnachweisen kam man weiter. Für die Entwicklung dieser wichtigen Befähigungsnachweise muss man weit zurück gehen – bis zum Untergang der »Titanic«. Ihre Kollision 1912 mit einem Eisberg führte zum Tod von mehr als 1.490 der über 2.200 Passagiere. In Folge gab es die Convention for the Safety of Live at Sea, das SOLAS-Übereinkommen vom 20.01.1914. Admiral Behm, der damalige Leiter der Deutschen Seewarte – einer Vorgänger-Institution des heutigen BSH – gehörte mit zur deutschen Delegation, die Seine Majestät den Kaiser von Deutschland bei der Erarbeitung des Übereinkommens vertrat. Im Artikel 54 des Übereinkommens wird vorgeschrieben: »There must be, for each boat or raft required, a minimum number of certified life-boatmen«. Damit gab es die Forderung nach einem Nachweis für den Rettungsbootsmann. In den zugehörigen Regeln werden die Anforderungen zusammengefasst und es muss die Flaggenstaatverwaltung den Befähigungsnachweis ausstellen. Auch der Befähigungsnachweis für den Feuerschutzmann hat hier seinen Ursprung. Zunächst fand diese Ausbildung in Deutschland aber nicht »geordnet« statt; vielmehr wurde unter anderem in der Hansa 1926 (Jahrgang 63, Nr. 20) festgestellt, dass in Deutschland eine systematische Ausbildung in der Handhabung von Rettungsbooten kaum stattfand.

Es dauerte immerhin bis 1930, bis es von der See-Berufsgenossenschaft erstmalig Grundsätze für die Prüfung als Rettungsbootsmann gab. Weitere fünf Jahre später, 1935, folgten die Grundsätze für den Feuerschutzmann auf Fahrgastschiffen. Die See-Berufsgenossenschaft nahm diese Prüfungen auch ab. Weitere Ausbildungsvorgaben gab es aber nicht. Bis zu den Bemannungsrichtlinien von 1934 gab es für die »Schiffsleute« an Deck nur die pauschale Forderung, dass ein Schiff »gehörig bemannt« sein sollte. In den Richtlinien von 1934 wurden erste Regelungen für »Schiffsleute des Decksdienstes« und für »Schiffsleute des Maschinendienstes« festgeschrieben. In dieser Richtlinie wurden die Begriffe Decksjunge, Jungmann, Leichtmatrose und Bestmann verwendet, klare Ausbildungsvorschriften gab es jedoch hierfür nicht. Ausschlaggebend waren und blieben weiterhin im Wesentlichen die Seefahrzeiten.

Bei der Suche nach eigenständigen staatlichen Ausbildungsregelungen führt H. W. Hoffmann einen weiteren Artikel aus dieser Zeitschrift an. In ihrem 75. Jahrgang in Nr. 39 ist das Wesentliche festgehalten, denn dort ist eine Rede des zwischenzeitlich für Seeschifffahrtsausbildung zuständigen Admirals a. D. O. Schultze abgedruckt.

Schultze schreibt zur Ausbildung des seemännischen Nachwuchses: »Der wichtigste Teil der Lehre liegt … im praktischen Dienst an Bord.« Und weiter: »Die praktische Bordlehre wird in der Regel drei Jahre dauern. Am Schluss des ersten Jahres wird der Junge zum Jungmann und nach dem zweiten Lehrjahr zum Leichtmatrosen befördert. Die dreijährige Ausbildung wird dann durch eine Matrosenprüfung abgeschlossen, nach deren Bestehen das Befähigungszeugnis als Vollmatrose ausgestellt wird.«

Die vollständige Rede zeigt den politischen Hintergrund bei der Personalauswahl mit auf, die damaligen Machthaber hatten durchaus ein Interesse an einer durch sie gesteuerten Vorauswahl der jungen Seeleute. Vielleicht ist es unter diesen Gesichtspunkten ganz gut, dass das angedachte Regelwerk seinerzeit nicht vollendet wurde und auch nicht in Kraft getreten ist.

Wenden wir uns den Offizieren zu, finden wir wesentlich bessere Regelungen. Zunächst wurde Ausbildung der Offiziere durch die Reeder oder in von ihnen gegründete Einrichtungen durchgeführt. Bei Steuermann und Kapitän regelte seit 1931 die Schiffsbesetzungsordnung die Ausbildung zum Steuermann und Kapitän und die entsprechenden Befähigungsvoraussetzungen in der Handelsschifffahrt gleich mit. Die Patente A1 bis A6 bzw. B1 bis B6 sowie C1 bis C6 wurden eingeführt. Damit gab es für die nautischen Offiziere in der Handelsschifffahrt und der Hochseefischerei sowie für die Schiffsingenieure Regelungen, zu denen auch die entsprechenden Lehrgänge und Prüfungen eingeführt wurden.

Ausgangslage für die Ausbildung in Ost und West

Damit beginnen Ost und West ihre Ausbildungsgänge für die Offiziere auf der Basis von brauchbaren und erprobten Regelungen, aber an Deck mit einem lediglich auf Fahrzeiten, praxisorientierten Berufseinstieg und Lernen im Alltag vorgegebenen, nicht festgelegten Weg.

Im Osten zeigt schon unser Beispiel, dass auch der Mannschaftsbereich klaren Regelungen unterworfen war. Schon 1953 wurde die Matrosenausbildung durch eine Verordnung für die Ausbildungsberufe geregelt, denen weitere Verordnungen für die Facharbeiterausbildung folgten. Es gab staatliche Lehrpläne für den theoretischen und den berufspraktischen Unterricht. Die Verordnungen trugen dann auch den internationalen Übereinkommen Rechnung.

Als zentral regiertes System, ohne aktive Tarifparteien, ohne föderale Konstrukte konnten die aus der Weimarer Republik übernommenen Regelungen für Offiziere im Vergleich zur Bundesrepublik schneller und einfacher weiterentwickelt werden.

Ich will die Systemsteuerung des Seeleutebedarfes und der Ausbildung sowie des Einsatzes der Seeleute unter politischen besonderen Bedingungen nicht unerwähnt lassen. Die politische Ausnutzung des Seefahrtsbuches als Machtmittel ist ein Beispiel für unerträglichen Missbrauch.

Im Westen ist die Ausbildungssituation für die Mannschaftsdienstgrade zunächst völlig ungeklärt. Dies verwundert nicht, denn, entsprechend dem föderalen System der Bundesrepublik, reden in der Ausbildung viele mit und vertreten ihre Interessen. Es haben Bundesländer (mit Verkehrs- und Bildungsbehörden) und Bund (vertreten mit Verkehr, Arbeit und Soziales und später Bildung und Wissenschaft) Zuständigkeiten und Kompetenzen, und es sind die Reederverbände und Seeleute-Gewerkschaften beteiligt.

So wird denn der »Verein zur Förderung des seemännischen Nachwuchses e. V.« gegründet, der die Ausbildungsberufe der Seeleute in der Seeschifffahrt in den Griff bekommen soll. Mitglieder im Verein sind alle Beteiligten, von der Reederschaft, vertreten durch ihr Verbände, den Gewerkschaften, den Küstenländern bis zum Bund. Der Verein schreibt auf seinen Internetseiten (http://www.berufsbildung-see.de):

Mit dem Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte ab 1950, sollten die ungelösten Ausbildungsprobleme wieder aufgenommen werden. Um das Ziel, eine geregelte Ausbildung und Prüfung zum Matrosen zu erreichen, gründeten Bund und Küstenländer, Reederverbände und Seeleute-Gewerkschaften am 18. Februar 1954 den Verein zur Förderung des seemännischen Nachwuchses e. V. (Verein), der 1980 den Namen »Berufsbildungsstelle Seeschiffahrt« erhielt.

In den ersten zwei Jahren seines Bestehens befasste sich der Verein mit den Entwürfen der »Verordnung über die Eignung und Befähigung der Schiffsleute des Decksdienstes auf Kauffahrteischiffen« (Eignungsverordnung). Die Eignungsverordnung beschränkte sich letztlich im Wesentlichen auf die Einrichtung eines drei­monatigen seemännischen Vorausbildungslehrgangs, auf die Festlegung der Seefahrtzeiten von insgesamt 33 Monaten als Decksjunge, Jungmann und Leichtmatrose und auf die Durchführung einer Matrosenprüfung. Ein Berufsschulunterricht wurde nicht eingeführt; die Berufsschulpflicht sollte durch die Teilnahme am Vorausbildungslehrgang erfüllt werden.

Bei dieser Ausgangslage ist das später Erreichte besonders anzuerkennen, aber es muss festgehalten werden, dass der Weg dahin verschlungen und lang war.

Die mit der Ausbildungsteilung in Deck- und Maschinenbereich auseinanderlaufenden Entwicklungen der Ausbildungsgänge erzwangen große Besatzungsstärken. In dieser bereits nicht einfachen Ausgangslage spielten auch noch unterschiedliche Entwicklungen im Decks- und Maschinenbetrieb ein Rolle an die Anforderungen an das Bordpersonal. Hinzu kamen Wirtschaftsinteressen. Der Kostendruck im internationalen Wettbewerb zwang zur Kostenminimierung. Hieraus entstand der Wunsch nach möglichst kleinen Besatzungsstärken. Hierfür ist die Einführung des Ausbildungsberufes »Schiffsmechaniker« mit der Ausbildungsverordnung von 1983 der entscheidende erste Schritt gewesen, dem mit der Schiffsbesetzungsordnung von 1984 der notwendige zweite Schritt folgte.

Es ist schon früh zu erkennen gewesen, dass die internationale Seeschifffahrt einheitliche Regelungen für die Befähigung der Seeleute braucht. Die Aufgabenaufteilung zwischen dem Bund und den Ländern war (und bleibt) hierbei eine echte Herausforderung. Der eine, der Bund, hat nach dem Seeaufgabengesetz das Recht, Anforderungen an die Ausbildung und an die Prüfung zu stellen. Die anderen, die Küstenländer, sind für die Ausbildung zuständig, und, durch die Kulturhoheit im Prinzip frei, dies länderspezifisch umzusetzen.

Je mehr Mitspieler es gibt, desto wichtiger ist die Abstimmung untereinander. Innerhalb der Schulen, die ja in der Kulturhoheit der Bundesländer betrieben werden, muss natürlich auch eine Abstimmung erfolgen. Die zuständigen Kultusministerien der norddeutschen Küstenländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gründen hierfür 1962 die »Ständige Arbeitsgemeinschaft der Küstenländer für das Seefahrtbildungswesen«, der 1991 auch Mecklenburg-Vorpommern beitrat.

Um der Abwanderung von Schiffen aus der deutschen Flagge, die von 1975 bis zur Wiedervereinigung stetig zunahm, entgegenzuwirken, wurde nach Lösungen gesucht, auch auf Schiffen unter deutscher Flagge im Mannschaftsbereich kostengünstiges Personal aus Drittländern einzusetzen. Mit der Entschließung des Bundestages am 09.12.1988 zum Gesetz zur Einführung eines internationalen Schiffsregisters wurde dies erreicht. Nur wenige Monate später folgte dann die Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung, die sicherstellte, dass Arbeitsplätze für die Inhaber deutscher Befähigungsnachweise für einen großen Teil des Führungspersonals und für Schiffsmechaniker sowie Ausbildungsplätze erhalten blieben.

Versuch einer Würdigung

Grob vereinfacht sind beide Systeme mit dem Ausbildungsregelungswerk des Dritten Reiches angetreten. Die Vorgaben des »Internationalen Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten« (STCW-Übereinkommen 1978) haben beide Staaten umgesetzt.

Im Ergebnis sehe ich den Beginn einer unterschiedlichen Entwicklung und den (einzigen) größeren Bruch zwischen Ost und West mit der Erfindung des Schiffsmechanikers. Letztlich waren es die wirtschaftlichen Interessen, die das System der Bundesrepublik immer wieder geändert und vorangetrieben haben. Im Osten war die Beschäftigung der Seeleute systemimmanent kein Problem, im Westen war der Zwang zum Personalabbau ein Dauerthema.

Zwei Systeme, zwei Ausbildungssysteme, ein Ergebnis: Sehr gute Ausbildungen mit Unterschieden, in jedem Fall aber eine Erfüllung der Vorgaben des STCW-Übereinkommens, wenn auch in der Vergangenheit nicht immer ohne Zeitverzug. Zwischenzeitlich gibt es im Befähigungsbereich einen weiteren Mitspieler, die EU-Kommission. Eine wesentliche Aufgabe im gesamten maritimen Sektor Deutschlands bleibt es, die vielen Mitspieler zu konzertierten Maßnahmen zu bewegen und nicht immer mehr, sondern immer bessere und, falls irgend möglich, auch weniger Regelungen zu treffen.

Wenn diese Ausgabe der HANSA erschienen ist, werden die Grundsätze für die abgeschlossene Überarbeitung des STCW-Übereinkommens in einer Diplomatischen Konferenz der IMO in der Woche 21.–26.06.2010 erfolgreich umgesetzt worden sein; es sind dies:

• die Struktur und Zielsetzung des STCW-ÜE in der Fassung von 1995 beibehalten

• die Mindeststandards nicht herabsetzen

• das Übereinkommen im Artikelbereich unverändert lassen

• Unstimmigkeiten werden beseitigt

• die Kommunikationsstandards (bordintern, Schiff-Schiff, Schiff-Land) werden verbessert

• das Übereinkommen wird hinsichtlich technischer Weiterentwicklungen zukunftsfähig gemacht

• die besonderen Bedingungen für küstennahe Reisen sowie die Offshore-Industrie werden berücksichtigt

• die Anforderungen an die Seeleute zur Gefahrenabwehr werden einbezogen (ISPS-Code)

Deutschland kann dann erneut zeigen, dass es die Vorgaben für die Befähigung der Seeleute schnell und zügig umsetzt. Im Herbst, beim EMSA-Audit des deutschen STCW-Systems, werden wir unsere Qualität zeigen können.

Was nicht vergessen werden darf

Jede Ausbildung in einem »Erfahrungsberuf« hängt wesentlich auch von den Geräten ab, mit denen die Praxis arbeitet, und die im doppelten Wortsinn auf See erfahren wird. Hier sind die Schulen besonders gefordert, zur Flexibilität zu erziehen, da nicht jedes aus der Ausbildung vertraute System an Bord wieder angetroffen wird.

Zum Schluss möchte ich auf das ISM-System hinweisen: Dort, in der Verantwortung des Reeders und der Aufsicht der Dienststelle Schiffssicherheit der BG Transport und Verkehr, ist sicherzustellen, dass die notwendigen Systemkenntnisse der aktuellen Bordeinrichtungen, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme privatwirtschaftlicher Einrichtungen, vermittelt werden.

Verfasser:

Christoph Brockmann

Vizepräsident und Leiter der Schifffahrts-Abteilung des BSH

Christoph Brockmann