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Der Ratssaal der Stadt Haren musste geöffnet werden, damit alle Teilnehmer am Freitag, den 25. Juni 2010 den Vorträgen auf dem 15. Harener seeschifffahrtstag folgen konnten. Der seit 1983 in regelmäßigen Abständen stattfindende Harener Seeschifffahrtstag stand dieses Jahr unter dem Motto: »Erhaltung des maritimen Standorts Deutschland«. Der Bürgermeister der Stadt Haren, Markus Honnigfort, eröffnete die Veranstaltung, die mit einer Podiumsdiskussion unter der Moderation von Rolf Nagel, dem Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder, ihren fachlichen Abschluss fand.

In seiner Begrüßungsansprache unterstrich der Bürgermeister Markus Honnigfort die Bedeutung, die dieser Schifffahrtstag als mittlerweile tradiertes Forum und Impulsgeber für[ds_preview] die maritime Wirtschaft hat. Er hob die Notwendigkeit eines umfassenden Diskurses aller in der maritimen Wirtschaft Tätigen gerade in wirtschaftlich angespannter Zeit hervor. Die Stadt Haren und mit ihr die gesamte Ems-Achse mit den weiteren Seeschifffahrtsstandorten Leer und Papenburg sei in den letzten Jahrzehnten zu einem der wichtigsten Schifffahrtstandorte Deutschlands geworden.

Mit gespannter Aufmerksamkeit wurde angesichts der bundespolitisch diskutierten Sparpläne der Eröffnungsvortrag von Hans-Joachim Otto, dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie und Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft, erwartet. Zur Entspannung aller stehen die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen der maritimen Wirtschaft zurzeit nicht auf der Agenda des politischen Tagesgeschehens.

»Die Einladung der Stadt Haren (Ems) und der hier ansässigen Reedereien sowie Schifffahrtsverbände zum ›Seeschifffahrtstag 2010‹ habe ich gerne angenommen.

Die Reedereiwirtschaft an der Ems – und hier insbesondere in Haren – hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt. Allein die in Haren (Ems) beheimateten Schifffahrtsbetriebe bereedern eine Flotte von über 300 modernen Seeschiffen. Damit gehört die Stadt zu den größten Schifffahrtsstandorten in Deutschland.

Der Seeschifffahrtstag – nun schon der Fünfzehnte seit der Auftaktveranstaltung 1983 – ist eine Erfolgsgeschichte. Er ist inzwischen zu einem anerkannten und wichtigen Impulsgeber für die gesamte deutsche Seeschifffahrt geworden. Erinnert sei nur an den letzten Seeschifffahrtstag. Die damalige ›Harener Vereinbarung‹ zur Rückflaggung hat ganz wesentlich zur Bekräftigung des Maritimen Bündnisses [Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung in der deutschen Seeschifffahrt] beigetragen.

1. Maritime Politik der Bundesregierung

Der ›Erhalt des maritimen Standortes Deutschland‹ ist das Motto dieses Schifffahrtstages. Das eher defensiv formulierte Motto verrät, vor welch enormen Herausforderungen die maritime Wirtschaft steht, um ihre Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit langfristig zu sichern.

Die Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben die maritime Wirtschaft besonders hart getroffen. Gemeinsam wollen wir auf dem heutigen Seeschifffahrtstag über Wege aus der Krise und die Zukunftsaussichten der deutschen maritimen Wirtschaft sprechen. Und ich möchte wichtige Handlungsfelder und Ziele der maritimen Politik der Bundesregierung skizzieren.

Eines will ich eingangs ganz deutlich sagen: Der Erhalt eines starken und zukunftsfähigen maritimen Clusters ist für unser außenhandelsorientiertes Land von strategischer Bedeutung und daher unverzichtbar. Umso erfreulicher ist es, dass die maritime Branche gegenwärtig wieder an Fahrt aufnimmt. Die konjunkturelle Talsohle ist überwiegend wohl durchschritten. Seefrachtaufkommen, Tonnagenachfrage und Hafenumschlag steigen. Wichtige maritime Bereiche wie der Seeverkehr und die Hafenwirtschaft sind nach dem Krisenjahr 2009 bereits wieder deutlich im Aufwind.

In den zurückliegenden Monaten wurde das Bild in wichtigen maritimen Bereichen überwiegend durch rezessive Entwicklungen geprägt. Daraus resultieren gegenwärtig die dringendsten Probleme unserer Werften und Reeder: Fehlende Schiffsfinanzierungen und teilweise gravierende Liquiditätsengpässe. Deshalb stehen gegenwärtig Maßnahmen zur aktuellen Krisenbewältigung noch ganz oben auf der Agenda der maritimen Politik der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat im Rahmen der Konjunkturpakete I und II Kredit- und Bürgschaftsprogramme aufgelegt, die auch für die maritime Wirtschaft zur Anwendung kommen.

Es geht vor allem um die Lösung von Finanzierungsproblemen und die Überbrückung akuter Liquiditätsengpässe bei Werften und Reedern. Das Ziel ist, irreparable Schäden und strukturelle Verwerfungen insbesondere in den zumindest teilweise strukturschwachen Küstenregionen zu vermeiden.

Zur Lösung aktueller Liquiditätsfragen in der maritimen Wirtschaft habe ich mit Vertretern von Bund, Ländern, maritimen Branchen und Schiffsfinanzierern einen Maßnahmenkatalog vereinbart, der das weitere Vorgehen festlegt und den Weg aus den Finanzierungsproblemen aufzeigt.

Es bestand Einigkeit, dass privatwirtschaftliche Lösungen vorrangig und große Branchenlösungen nicht möglich sind. Bund und Länder werden aber mit Banken und KfW gemeinsam prüfen, wie die Spielräume der Instrumentarien der Schiffsfinanzierung ausgeschöpft werden können. Anfang Juli dieses Jahres werden wir die Ergebnisse der Evaluierung beraten. Das ist allerdings nur ein Schritt aus der Krise.

Den zweiten Schritt muss die maritime Wirtschaft machen. Sie muss sich auch den sich abzeichnenden weltweiten Marktentwicklungen und veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Die Bundesregierung unterstützt die Unternehmen dabei.

2. Seeschifffahrt

Der Schifffahrtsstandort Deutschland hat sich in den letzten Jahren dank der aktiven Gestaltung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen dynamischer entwickelt als andere Schifffahrtsstandorte.

Ich nenne nur die Stichworte: Tonnagesteuer; Lohnsteuereinbehalt; Zuschüsse zur Senkung der Lohnnebenkosten, Ausbildungsplatzförderung.

Wir wollen an diesem Kurs auch in den schwierigen Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise festhalten und ihn stabilisieren. Deshalb hat die Fortführung und Weiterentwicklung des Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung in der deutschen Seeschifffahrt [Maritimes Bündnis] hohe Priorität.

Die Vereinbarungen zu Fragen der Ausbildung und Beschäftigung von Seeleuten oder auch zum Thema Ein-/Rückflaggungen, dient dem maritimen Standort Deutschland als Ganzes. Die Bundesregierung steht zu ihren Zusagen im Rahmen des Maritimen Bündnisses.

An der Tonnagesteuerregelung und der Möglichkeit des Lohnsteuereinbehalts, Senkung der Lohnnebenkosten sowie der Ausbildungsplatzförderung wird grundsätzlich festgehalten. Ich bin überzeugt, dass auch die Bündnispartner alles tun werden, um ihre Beiträge zu leisten.

In diesem Zusammenhang ist die neuerliche Initiative der deutschen Reeder vom Mai dieses Jahres ausdrücklich zu begrüßen, die ihrerseits gegebenen Zusagen im Bündnis (Rückflaggung und Ausbildung) einhalten zu wollen.

Für den Schifffahrtsstandort Deutschland ist es wichtig, dass die deutschen Reeder ihre Zusage erfüllen, und die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge im internationalen Verkehr bis Ende 2010 nachhaltig erhöhen [mindestens 600 Schiffe].

Mir ist bewusst, dass dies in der gegenwärtigen Krisensituation eine anspruchsvolle Zielstellung ist. Das zeigt nicht zuletzt die zur Zeit eher rückläufige Entwicklung des so genannten Monitoringschiffsbestandes. (Ende April 2010 waren 446 Schiffe unter deutscher Flagge in der internationalen Fahrt eingesetzt. Anfang 2009 waren es noch 508 Schiffe.) Die wirtschaftliche Situation für die Reeder hat sich im Vergleich zum Zeitpunkt der Bündnisabsprachen ja gravierend verändert.

Zur Sicherung des maritimen Know-hows für den deutschen Standort und für Ausbildung und Beschäftigung sollte aus meiner Sicht dennoch alles daran gesetzt werden, dass etwa jedes sechste Schiff der deutschen Handelsflotte unter deutscher Flagge fährt. Ich erwarte auch vom diesjährigen Harener Seeschifffahrtstag dahingehend ein positives Zeichen.

Im Rahmen der maritimen Koordinierung werde ich auch den Fragen der Ausbildung und Beschäftigung deutscher Seeleute einen hohen Stellenwert beimessen. Ein Blick auf die Flottenentwicklung und Altersstruktur der Seeleute macht deutlich, dass bei den Ausbildungsanstrengungen nicht nachgelassen werden darf. 2009 war die Zahl der Auszubildenden zum Schiffsmechaniker zwar etwas geringer als in den Vorjahren, bewegte sich aber immer noch auf hohem Niveau (2009: 837 Azubis; 2008: 887; 2007: 894).

Die Zahl der ausbildenden Reedereien beläuft sich derzeit auf 97. Ich sage: Es müssen sich deutlich mehr deutsche Schifffahrtsunternehmen an der Ausbildung von seemännischen Nachwuchs beteiligen als bisher, um die schifffahrts-politischen Ziele zu erreichen.

3. Häfen

Auch die deutschen Seehäfen leiden ebenso wie die Schifffahrt unter den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Im vergangenen Jahr verringerte sich der Güterumschlag um etwa 18 % von 318 auf 261 Mio. t. Die Talsohle im Hafenumschlag scheint inzwischen aber durchschritten. Bereits 2010 wird wieder mit einem moderaten Wachstum beim Güterumschlag um etwa 4,5 % gerechnet (gleitende Mittelfristprognose des BMVBS). Auch mittel- und langfristig sind in den Seehäfen nach allen Einschätzungen deutliche Umschlagsmengenzuwächse (um durchschnittlich jährlich 4,6 %) zu erwarten. Die deutschen Seehäfen bleiben somit wichtige Drehscheiben im Welthandel.

Die gegenwärtige Wachstumsdelle muss deshalb als Chance genutzt werden, die Seehafenanbindungen bedarfsgerecht auszubauen und die Infrastruktur zu modernisieren. Mit dem Nationalen Hafenkonzept für die See- und Binnenhäfen verfügt die Bundesregierung dafür über einen strategischen Leitfaden für die kommenden zehn Jahre. Dieses Konzept gilt es jetzt zügig umzusetzen.

Die Beseitigung von Engpässen bei der see- und landseitigen Anbindung der Seehäfen in Hamburg, Bremen und Wilhelmshaven hat dabei hohe Priorität.

Die Küstenländer haben mit ihrem Konzept zur Verbesserung der Seehafenanbindungen ein Bündel von insgesamt 19 dringend zu realisierenden Infrastrukturmaßnahmen vorgelegt (sog. ›19+-Liste‹ oder ›Ahrensburger-Liste‹).

Jetzt ist es wichtig, die finanziellen Mittel bereitzustellen und die Planungsverfahren zu beschleunigen, um die Projekte vorrangig zu realisieren. Insgesamt hat die Bundesregierung die Investitionsmittel für die Verkehrs-infrastruktur deutlich aufgestockt. Für 2010 stehen rund 12 Mrd. € zur Verfügung.

4. Schiffbau

Für den deutschen Schiffbau – mit der Meyer-Werft befindet sich eines der bedeutendsten Schiffbauunternehmen hier in der Region- heißt es: Neue Aufträge mit gesicherter Finanzierung hereinzuholen, die Bauprogramme neu auszurichten und Strukturverbesserungen zu erreichen. In einer Krisensituation wie der gegenwärtigen ist das eine besondere Herausforderung.

Aber eine nachhaltige Zukunftssicherung geht nicht ohne die Fortsetzung und Intensivierung der Investitionen der Unternehmen in schiffbauliche Forschung, Entwicklung und Innovation.

Die aktuelle Marktentwicklung zeigt deutlich, dass bei hoher Flexibilität eine noch stärkere Orientierung der deutschen Werften hin zum anspruchsvollen, innovativen Spezialschiffbau erreicht werden muss. Dazu bedarf es auch einer Weiterentwicklung der Zukunftsstrategie ›LeaderSHIP Deutschland‹ des deutschen Schiffbaus und entsprechender politischer Weichenstellungen.

Mit der jetzt von Bundestag und Bundesregierung beschlossenen verbesserten Förderung schiffbaulicher Innovationen wurde für die Branche bereits ein wichtiges Zeichen gesetzt.

5. Schluss

Die maritime Wirtschaft ist eine innovative und zugleich zukunftsfähige Branche. Ihre Wertschöpfungsketten haben einen entscheidenden Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland.

Wir müssen das enorme Potenzial und die Wachstums- und Beschäftigungschancen in der maritimen Wirtschaft nutzen. Die Bundesregierung legt hierauf seit Jahren einen besonderen Schwerpunkt in der maritimen Politik.

Trotz guter Fortschritte bleibt noch einiges zu tun. Das zeigen uns gerade die Folgen der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise. Es kommt jetzt darauf an, Kurs zu halten und die noch offenen Fragen sowie Strukturanpassungen zügig in Angriff zu nehmen.«

Im Anschluss an diese Rede zog Dr. Oliver Liersch, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft und Verkehr, an den Vortrag von Hans-Joachim Otto anknüpfend den Schulterschluss mit der maritimen Wirtschaft.

Volker Hellmeyer von der Bremer Landesbank zeichnete in seinem Fachvortrag eine positive Entwicklungstendenz auf. ­Dies geschah mit einem deutlichen Seitenhieb auf die augenblicklich »herrschende« Volkswirtschaftslehre.

Der Ausbruch der globalen Finanzkrise Mitte des Jahres 2007 wurde von den Eliten der Wissenschaft (volkswirtschaftliche Abteilungen der Zentralbanken, IWF, OECD und den führenden nationalen Instituten) nicht ansatzweise erwartet. Sie wurde ignoriert oder klein geredet. Im Gegensatz hierzu erfolgte im ersten Quartal 2008 eine aggressive Anpassung der Wachstumsprognosen nach oben. Der sich bereits vor der Lehmann-Pleite abzeichnende konjunkturelle Einbruch stand nicht auf der Agenda dieser Eliten. Für 2009 wurden dann die Prognosen eilig »nach unten geschraubt«.

Die sich deutlich abzeichnende Konjunkturerholung ab Mitte 2009 fand in der mathematisierten »Anamnese« des kranken Patienten keine Berücksichtigung. Die Folge dieser falschen Diagnose war u.a. der Abbau der Lagerbestände und eine verminderte Investitionstätigkeit. Demzufolge wurden alle Industrienationen »auf dem falschen Fuß erwischt«. Hellmeyer forderte deshalb den mathematischen Reduktionismus in der Volkswirtschaftslehre zu überdenken. Die augenblicklich stattfindende Eindämmung der Staatsschulden in der Eurozone wurde begrüßt, die zügellos weitergehende Staatsverschuldung der USA dagegen kritisch angemerkt.

Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der USA hätten jedoch nicht mehr die Bedeutung, die sie in der Vergangenheit hatten. Der eigentliche wirtschaftliche Motor der Zukunft seien die sog. Schwellenländer (z. B. Brasilien, Russland, China).

Im Anschluss an Hellmeyers Vortrag diskutierten die Vortragenden und Reeder Bernd Sibum als Vorsitzender der Interessengemeinschaft Harener Reeder (IHR) unter der Moderation von Ralf Nagel die augenblicklichen Finanzierungsprobleme der mittelständischen Reedereien.

Insbesondere wurde die Problematik der Anschlussfinanzierung bei auslaufenden Schiffshypothekendarlehen angesprochen. Man komme sogar dann bzw. gerade dann in Schwierigkeiten, wenn der Verkehrswert des Schiffs die vorhandenen Verbindlichkeiten abdecke. Hier sei die Politik mit der Möglichkeit der Einflussnahme auf die Landesbanken gefordert.

Am Ende des Fachteils freuten sich alle zu Recht auf den anschließenden Branchentalk bei einem guten Essen und einem kühlen Bier im Harener Hotel Greive.

Verfasser:

Klaus Voß, Fachanwalt für Steuerrecht

www.kanzlei-voss.de

Dipl. oec. Wilfried Wübben

Volksbank Emstal e.G., Lathen


Klaus Voß, Wilfried Wübben