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Ausgangssituation

Die im Jahre 2008/2009 über die Weltwirtschaft hereingebrochene Finanz- und Wirtschaftskrise hat insbesondere der maritimen Industrie[ds_preview] extrem zugesetzt. Dabei hatte gerade diese Industrie in den Vorjahren wie kaum eine andere von der Globalisierung der Arbeitsprozesse profitiert, und über Jahre hinweg waren die Wachstumsraten in dieser Industrie extrem hoch. Verglichen mit dem Wachstum des Bruttosozialproduktes ist gerade die maritime Industrie besonders stark gewachsen, was die starke Bedeutung dieses Industriezweiges unterstreicht. Dies gilt ganz besonders für den Seeschiffbau, denn hier waren dauerhaft besonders starke Zuwachsraten zu verzeichnen.

In der Tat waren bis etwa Anfang 2008 die Werftbauplätze weltweit derartig knapp, dass Schiffe auf Werften bestellt wurden, die es noch gar nicht gab und die eigens für die­se Bestellungen hätten errichtet werden müssen. In dieser Zeit waren auch die deutschen Seeschiffswerften voll ausgelastet, es herrschte ebenfalls ein Mangel an freien Bauplätzen und vor allem an qualifiziertem Fachpersonal. Schiffbauingenieure waren extrem knapp und am freien Personalmarkt praktisch nicht verfügbar, Vergleichbares galt sicherlich auch für qualifizierte Facharbeiter. Obwohl der starke Aufschwung grundsätzliche strukturelle Mängel der Branche verdecken konnte – davon wird unten noch zu reden sein – hatte die Gesamtsituation gerade für den deutschen (und europäischen) Schiffbau eine ganz wichtige Begleiterscheinung: Es wurde vielen Beteiligten gerade in der Politik allmählich klar, dass die maritime Industrie keine sterbende Industrie ist, die mühsam mit staatlichen Subventionen am Leben erhalten werden muss, sondern dass sie eine hoch innovative und strategisch wichtige Industrie ist (zu vergleichbaren Erkenntnissen gelangte man etwa bei der Stahlindustrie sowie beim Rohstoffabbau). Das führte langfristig dazu, dass sich die allgemeine Einstellung zur maritimen Industrie gewandelt hatte: Wurden noch bis in die neunziger Jahre hinein direkte Subventionen gezahlt, wandelte sich die Unterstützung mehr hin zur Forschungs- und Innovationsförderung. Das BMBF/BMWI-Forschungsprogramm »Schifffahrt und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert« gibt über den geschilderten Paradigmenwechsel einen guten Aufschluss. Besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass die EU- Kommission gerade der Schiffbauindustrie eine zentrale Rolle in ihrem EU-Grünbuch für die zukünftige Entwicklung der maritimen Industrie eingeräumt hat [3]. Dort heißt es auf S. 9: »Die Werftindustrie bietet ein gutes Beispiel dafür, wie ein traditioneller maritimer Wirtschaftszweig Europas dem zunehmenden Druck des globalen Wettbewerbs, insbesondere aus Asien, begegnet. In den letzten zehn Jahren hat der europäische Schiffbau 36 % seiner Arbeitsplätze verloren, doch 43 % an Produktivität gewonnen. Dies führte dazu, dass sich der Wirtschaftssektor auf den Bau hoch entwickelter Schiffe spezialisiert hat.«

Um so härter hat die gegen Ende 2008 einsetzende Wirtschaftskrise die maritime Industrie getroffen. Als immer schon globale Industrie ist sie wirtschaftlichen Verwerfungen besonders ausgesetzt, und in der Folge der Wirtschaftskrise brach zunächst die Beschäftigung für die allzu zahlreich bestellten Schiffe massiv ein. Daraus resultierte ein extremer Verfall der Fracht- und Charterraten, der sich mit unglaublicher Geschwindigkeit ausbreitete. Als Folge davon wurden viele Aufträge storniert, und praktisch die gesamte Bestelltätigkeit kam zum Erliegen. So waren im Jahre 2009 kaum Projekte im Markt, und es gelang nur sehr vereinzelt, überhaupt Neubauaufträge zu kontrahieren. Gerade die deutschen Seeschiffswerften hatten unter dem Bestellrückgang und den Auftragsstornierungen besonders zu leiden, weil sie oftmals erheblich risikoreichere Finanzierungsmodelle mit geringeren Anzahlungen angeboten haben. So kam es in der Folge im Jahre 2009 zu vielbeachteten Konkursen und Werftschließungen im deutschen Schiffbau. Daraus hat sich nun die Frage entwickelt, ob der deutsche Schiffbau überhaupt wettbewerbsfähig sei, und ob es nicht insgesamt sinnvoller wäre, die Werften zu schließen oder sie auf andere Produktlinien – wie z. B. Windkraftanlagen – auszurichten und den Schiffbau damit in Deutschland großflächig abzuwickeln. Denn viele Akteure glauben nicht mehr – oder wollen es bewusst nicht glauben –, dass es in einem Hochlohnland möglich sein kann, erfolgreich Schiffe bauen zu können. Dabei haben die unzweifelhaft vorhandenen Probleme im Schiffbau nach Auffassung des Autors nur wenig mit der Frage des Lohnniveaus zu tun, ob man wettbewerbsfähig Schiffe bauen kann oder nicht. Denn zwei extrem erfolgreiche Schiffbauländer – Japan und Korea – lassen sich nicht als Billiglohnländer abtun, und von daher müssen die Ursachen an anderen Stellen gesucht werden. Schiffe sind – beispielsweise im direkten Vergleich mit Windkraftanlagen – auch für technische Laien erkennbar komplexe Investitionsgüter, und sie bieten auch sehr viel Innovationspotential. Daher gibt es keinen sinnvollen Grund zu vermuten, dass man in einem Hochlohnland zwar Windkraftanlagen (um einmal bei diesem derzeit populären Beispiel zu bleiben) erfolgreich entwickeln, bauen und wettbewerbsfähig vermarkten kann, nicht aber Schiffe. Vielmehr geht es nach Auffassung des Autors mehr um die zentrale Frage, welche strategischen Fehlentwicklungen der letzen Jahre genau dazu geführt haben, dass gerade die Schiffbauindustrie – also der maritime Kernakteur – immer wieder zur Disposition gestellt wird, obwohl eigentlich klar sein müsste, dass bei komplexen technischen Gesamtsystemen eigentlich der Systemhersteller strategisch wichtig ist (heute würde man ihn »systemrelevant« nennen). Und es darf die Frage erlaubt sein, welche produzierende Industrie der Realwirtschaft als nächste den Weg gehen wird, den der Seeschiffbau bis heute schon gegangen ist, wenn es nicht gelingt, hier grundsätzlich gegenzusteuern.

Zur exponierten Situation der Schiffbauindustrie

Im Folgenden soll versucht werden, einmal herauszuarbeiten, warum ausgerechnet die Schiffbauindustrie international derartig stark umkämpft ist, dass es zu den oben kurz angerissenen Verwerfungen kommt. Denn als Argument dafür, den Schiffbau in Deutschland (und Europa) abzuwickeln, wird immer wieder angeführt, dass sich die­se Industrie angeblich nicht für ein Hochlohnland eigne und in Billiglohnländern viel effizienter zu betreiben sei. Es hat sich aber – nach Kenntnis des Autors – noch niemand ernsthaft mit der Frage beschäftigt (oder beschäftigen wollen), was eigentlich die Gründe dafür sind, dass jedes Schwellenland den Anschluss an die Industrienationen genau über den Schiffbau sucht, und gleichzeitig gerade diese Industrie so extrem hartnäckig verteidigt (wie man genau in der Asienkrise sehen konnte). Dies wird im Folgenden kurz angedeutet: Etwa 70 % der Oberfläche unseres Planeten sind mit Wasser bedeckt. Daher gibt es zum weltumspannenden Transport von Gütern schlichtweg keine technische Alternative. Die einsetzende Industrialisierung der Luftfahrt hat zwar den größten Teil des Passagieraufkommens von der Schifffahrt abgezogen, trotzdem wird heute der weitaus größte Teil des Welthandels mit Schiffen abgewickelt. Das war prinzipiell (bis auf die Passagierluftfahrt) schon immer so, und es gibt aus der Geschichte genügend Belege dafür, dass genau die Nationen das Weltgeschehen beherrscht haben, die in der Lage waren, technisch führende Schiffe herzustellen und zu betreiben. Das gilt sowohl für den zivilen als auch für den militärischen Schiffbau. Der Aufstieg Asiens zur wirtschaftlich dominierenden Macht wäre ohne den begleitenden Aufbau einer leistungsfähigen Schiffbauindustrie nicht denkbar gewesen. Nicht umsonst hat China das Primärziel ausgegeben, die führende Schiffbaunation werden zu wollen. Daher sind diese Länder zum Wohle ihrer langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung bereit, erhebliche Anstrengungen zum Aufbau einer leistungsfähigen Schiffbauindustrie zu unternehmen. Dabei geht es nicht nur um Investitionen in Anlagen oder direkte Subvention von Bauaufträgen, sondern auch um erhebliche Anstrengungen in Bildung, Forschung und Entwicklung (davon wird unten noch zu reden sein). Auf diese Weise haben sich Japan und Korea einen Spitzenplatz bei den Schiffbaunationen gesichert, und Länder wie China, Vietnam oder Indien werden definitiv folgen. Dabei ist der Schiffbau – neben seiner grundsätzlichen strategischen Bedeutung – auch noch aus folgenden Gründen besonders attraktiv:

• Weil Schiffbau komplexeste Systemtechnik ist, lassen sich die dort gemachten Erfahrungen leicht auf andere, vergleichbare Industrien übertragen.

• Wer den Schiffbau bestimmt, dominiert den Welthandel und beeinflusst damit direkt den Import von wichtigen Industrierohstoffen und den Export seiner Produkte.

• Aufgrund besonderer Umstände, die so nur für den Schiffbau gelten, ist das benötigte technische Wissen weltweit verfügbar und wird den sich anbietenden Schwellenländern ohne Einschränkung zur Verfügung gestellt. Dadurch wurde langfristig erreicht, dass die eigentlichen Hersteller des Gesamtsystems »Schiff« nahezu beliebig austauschbar sind. Davon wird weiter unten noch zu reden sein.

Durch diese aus strategischem Kalkül in den Schwellenländern durchgeführten Maßnahmen ist nicht nur der Schiffbau, sondern in der Folge die gesamte produzierende Industrie in den westlichen Ländern massiv unter Druck geraten. Daraus hat man in den westlichen Ländern – sicherlich auch geprägt durch die angelsächsische Wirtschaftsphilosophie – den extrem voreiligen Schluss gezogen, dass produzierende Industrien in Hochlohnländern nicht dauerhaft wettbewerbsfähig sein können. In vielen Fällen hat man gehofft, stattdessen Dienstleistungen erbringen zu können. Allzu oft musste man dann aber feststellen, dass auch (oder gerade?) Dienstleistungen durch die Entwicklungen der Informationstechnik an jeden Ort der Welt verlagert werden können. Gerade im technischen Bereich hat sich zusätzlich herausgestellt, dass man nicht dauerhaft wettbewerbsfähige technische Dienstleistungen anbieten kann, wenn man die entsprechenden Produkte nicht selbst herstellt (eigentlich eine Binsenweisheit). Anders als in anderen Branchen kommt aber gerade im deutschen Schiffbau neben den oben angesprochenen Aspekten ganz erschwerend hinzu, dass das Bestellverhalten der wesentlichen Akteure in Deutschland die Austrocknung des deutschen Schiffbaus ganz erheblich mit zu verantworten hat, weil über Jahre durch die Politik die falschen finanziellen Anreizsysteme am Markt etabliert wurden. Und das zeigt sich wiederum in den Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftskrise, von der die deutschen Reedereien und Schiffsfinanzierer ja ganz besonders betroffen sind.

Strukturelle Ursachen

Betrachtet man die gegenwärtige Situation der deutschen Schiffbauindustrie einmal genauer, dann lässt sich eindeutig folgender Befund ausmachen: Insgesamt teilen sich die Werften in zwei Lager mit einer sehr unterschiedlichen Ausgangssituation und Überlebensperspektive: Das eine Lager hat versucht, im Bau von Standardtonnage zu überleben. Dabei versuchte man, die Produktionsprozesse zu verbessern, hat aber – auch wegen der Kundenstruktur – nie auf echte Produktinnovationen gesetzt. Weil die Finanzierung solcher Schiffe in der Vergangenheit kein Problem darstellte, kamen als Kunden im Wesentlichen Emissionshäuser in Betracht, die aufgrund der Finanzierungsmodelle nur geringe technische Anforderungen an die Schiffe gestellt haben. Dadurch waren Konzeption, Bau und Ablieferung der Schiffe ein zwar solides, aber relativ schlichtes technisches Handwerk. Der Boom der vergangenen Jahre hat dabei verschleppt, dass dieses Geschäftsmodell eigentlich keine Zukunft bieten konnte, vor allem nicht im Wettbewerb mit den hochproduktiven Werften in Korea oder Japan. Von daher verwundert es nicht, dass die meisten Konkurse in diesem Lager stattfanden. Im Gegensatz dazu befindet sich das andere Lager der Werften in einem angesichts der Krise relativ gesunden Zustand, allerdings wird das (bewusst?) nicht so kommuniziert: Diese Werften haben frühzeitig auf Produktinnovationen gesetzt und dafür in erheblichem Maße in Forschung und Entwicklung investiert. Folgerichtig haben diese Werften nach Produktnischen gesucht, und auch stabile Beziehungen zu Kunden für diese Produkte aufgebaut. Dabei handelt es sich jeweils um hochspezialisierte Produkte, die für Kunden mit ganz besonderen technischen Anforderungen und Kompetenzen maßgeschneidert konzipiert und gebaut werden. Dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, werden diese Schiffe im Folgenden »Spezialschiffe« genannt (vgl. auch das EU-Grünbuch dazu), eine genaue Definition dazu wird später gegeben. Diese Werften haben noch einen gewissen Auftragsbestand und eine Auslastung, die im Rahmen der gegenwärtig schwierigen Verhältnisse als gut bezeichnet werden kann. Nach Einschätzung des Verfassers werde sie die gegenwärtige Krise auch überstehen. Betrachtet man nun die Werft-Kundenbeziehungen dieses Werftenlagers, dann stellt man fest, dass diese Werften in der überwiegenden Anzahl der Fälle für ausländische Kunden bauen. Damit steht man vor der schizophrenen Situation des deutschen Schiffbaus, dass viele der erfolgreichen deutschen Werften überwiegend nicht für deutsche Besteller bauen, und dass umgekehrt die heimischen Reeder überwiegend dem deutschen Schiffbau keine Zukunftsperspektive zubilligen und ihre Schiffe im Ausland bestellen. Es scheint dem Verfasser nötig, diesen Befund zu diskutieren. Es hat sich im Laufe der Zeit das Verhalten der Märkte nämlich sehr stark verändert, und zwar vor allem zum Nachteil der gerade genannten Werftengruppe (und auch der systemrelevanten Zulieferer). Denn diese stellen Produkte her, die sich durch ein hohes Maß an innovativer Systemtechnik auszeichnen. Die Stärke dieser Systemtechnik kommt besonders dort zum Tragen, wo die Integration von Einzeltechniken für den Entwurf und die Optimierung von Gesamtsystemen genutzt wird. Nun ist in den letzten Jahren ein eindeutiger Trend zu verzeichnen, dass gerade diese innovativen Produkte von den Märkten bewusst nicht nachgefragt worden sind. Dies liegt an drei wesentlichen Gründen:

• Der Ansatz der Lebenszykluskostenbetrachtung wurde von den Märkten insgesamt nicht aufgenommen. Daher wurde die verfügbare Technik nur dann angenommen, wenn damit keine höheren Erstbeschaffungskosten oder verlängerte Beschaffungszeiten verbunden waren.

• Es war grundsätzlich attraktiver, die gerade benötigten Techniken (oder Teilmengen davon) direkt den fernöstlichen Wettbewerbern zur Verfügung zu stellen. Dieser Trend wurde von wesentlichen Akteuren massiv gefördert.

• Die durch aggressive Finanzierungsmodelle künstlich erzeugte hohe Nachfrage nach Schiffen führte zur Bildung von großen Schiffsserien ohne Berücksichtigung anwendungsspezifischer Unterschiede im Schiffsbetrieb.

Dass die genannten Gründe so in den Vordergrund getreten sind, liegt nach Ansicht des Verfassers an einer Eigenart gerade der deutschen Finanzierungsmodelle, und zwar betrifft dies vor allem die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Schiffsfinanzierungen. Damit geht es letztlich um die Verwendung von Steuergeldern. Obwohl es sich bei Schiffen eigentlich um komplexe Investitionsgüter handelt, deren Betrieb mit erheblichen technischen und auch wirtschaftlichen Risiken verbunden ist, fand (und findet) bei der Erstellung der meisten Finanzierungsmodelle keine langfristige, auf technischen Grundlagen beruhende Risiko- und Kostenbewertung statt. Dies betraf besonders die Lebenszykluskosten, und dabei vor allem die Brennstoffkosten. So gerieten schon vor Ausbruch der Krise viele Betreibermodelle in eine wirtschaftliche Schieflage, als kurzfristig die Brennstoffkosten extrem anstiegen. Weil es wegen der durch die Politik eingeführten wirtschaftlichen Anreizsysteme gerade in Deutschland extrem einfach war, an Kapital für Schiffsfinanzierungen zu gelangen, wurden durch die finanzierenden Institute sehr große Kapitalmengen zur Finanzierung zu günstigen Konditionen bereitgestellt, ohne dass diese an besondere Bedingungen geknüpft wurden (z. B. eine technische Plausibilitätsprüfung). Die so finanzierten Schiffe wurden dem Chartermarkt zur Verfügung gestellt, so dass der eigentliche Besteller der Schiffe kaum einen Sinn darin sah, ein anderes Differenzierungsmerkmal zu bevorzugen, außer einem möglichst attraktiven Neubaupreis. Eine wirtschaftliche Verbesserung der Schiffe – beispielsweise eine Maßnahme zur Verringerung des Brennstoffverbrauches – hätte nun den Baupreis erhöht, ohne dass der Charterer dieses besonders vergütet hätte (oft konnte er das auch gar nicht bewerten), und damit war eine solche Maßnahme für den Besteller des Schiffes im Wesentlichen uninteressant. Dies gilt auch für alle Maßnahmen, die eine Verbesserung der Schiffsicherheit zu Folge hätten. Es ist nun grundsätzlich zu beobachten, dass komplexere technische Verbesserungen an Schiffen praktisch nur von den großen Linienreedereien vorgenommen werden, die ihre Schiffe auch selbst betreiben und damit selbst für die Kosten (und damit für ihre Rendite) verantwortlich sind [5]. Ähnlich denken nur sehr wenige deutsche Reedereien, die dann auch in besonderen Marktsegmenten tätig sind: »Bei Aufträgen an China dagegen sieht … [die Reederei] das Know-how der Reederei in Gefahr. Würden wir dort beispielsweise vier Schiffe bestellen, bauen die vielleicht zehn und geben die sechs anderen an die Konkurrenz …«) [6]. Die Wirklichkeit der Chartermärkte sieht dagegen völlig anders aus: Weil viele Finanzierungsmodelle auf relativ kurze Laufzeiten ausgelegt waren (und noch sind), spielte der reale Wiederverkaufswert der Schiffe kaum eine Rolle, und damit konnte auch das Argument besserer Produktqualität gegenüber Billiganbietern nicht punkten. Im Gegenteil, die aggressive und extrem spekulative Bestellpolitik gerade der deutschen Besteller führte wegen der vielen zu bearbeitenden Neubauaufträge zu einer massiven Verknappung an kompetentem technischen Aufsichtspersonal, so dass es zu einer bemerkenswerten Erosion der Sicherheits- und Qualitätsstandards kam. So zitiert der Spiegel [2] Schiffbauexperten des Germanischen Lloyds mit der Aussage, dass etwa 30–40 % der von chinesischen Werften gelieferten Schiffe massive Qualitätsprobleme haben, und dass »dadurch die letzten 15 Jahre in der Entwicklung sicherer Schiffe gefährdet [seien]«. Auch in anderen Bereichen wird extrem schlechte Qualität aus China bemängelt [1]: »Risse im Stahl, mangelhafte Schweißnähte, gebrochene Lukenschienen – die China-Kaskos sind tickende Zeitbomben für europäische Wasserstraßen … Es stellte sich nun heraus, dass die betroffenen Schiffe alle ohne irgendeine Bauaufsicht entstanden sind. Das Klassifikationsbüro in China führte demnach nur in fünfzehn Fällen Inspektionen durch und kontrollierte die Zertifikate der Schweißer …«. Dabei wurden nicht nur die genannten Fertigungsmängel offensichtlich, auch die Schiffe besser entwickelter Werften zeichneten sich oft durch Mängel im Entwurf aus, die zu teuren, aber im Prinzip leicht vermeidbaren Nachbesserungen führten [8]. Als Folge dieser Bestellpolitik wurde der Markt mit technisch- wirtschaftlich suboptimalen Schiffen von teilweise mangelhafter Qualität (und Sicherheit) regelrecht überschwemmt, bis dann in Folge der Finanzkrise der unausweichliche Zusammenbruch kam und diese Schiffe heute massenhaft aufliegen. In einem derartigen Umfeld, das nur geringe Anforderungen an die langfristige Wirtschaftlichkeit oder Zuverlässigkeit des Investitionsgutes stellt, ist es für die letztgenannte Werftengruppe praktisch nicht möglich, langfristig auskömmlich zu arbeiten. Genau aus diesem Grund bauen sie für Linienreeder, die bereit sind, für das insgesamt wirtschaftlichere Schiff auch etwas höhere Anfangsinvestitionen zu tätigen und die diese genau und langfristig bewerten. Aber auch diese Besteller werden zunehmend durch die teilweise minderwertigen Schiffe von Billiganbietern massiv unter Druck gesetzt. Damit ergibt sich ganz automatisch auch die Antwort auf die Frage, was denn nun ein Spezialschiff ist: Es ist ganz einfach ein technisches Investitionsgut, welches ein Betreiber für einen ganz bestimmten, von ihm wohl durchdachten Zweck bestellt, an das er genaue und spezifische Anforderungen hat und das er zu einem vernünftigen Preis zu einer vernünftigen Qualität haben möchte. Kurz gesagt: Ein Schiff, das jemand bestellt, weil er es wirklich für einen bestimmten Zweck braucht.

Während nun in der Krise Rufe laut werden, den deutschen Schiffbau wegen angeblich mangelnder Wettbewerbsfähigkeit abzuwickeln, wird genau für die Verursacher der Probleme nach staatlicher Hilfe gerufen. Da es dabei letztlich um die Verwendung von Steuergeldern geht, möchte der Verfasser in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es auch die fehlerhafte Verwendung deutscher Steuergelder war, die zu der gegenwärtigen prekären Situation des deutschen Schiffbaus geführt hat. Ursprünglich wurden nämlich den Werften sogenannte Auftragsbeihilfen zum Ausgleich von fernöstlichen Dumping-Praktiken gezahlt, diese blieben aber nicht bei den Werften hängen, sondern dienten indirekt den Bestellern als Neubausubvention. Später wurden Steuervergünstigungen für den Bau von Schiffen in Korea und China vergeben, und damit wurde letztlich der Abbau von deutschen sowie der Aufbau von fernöstlichen Werftarbeitsplätzen mitfinanziert. Als das System in Asien gegen Mitte der neunziger Jahre dann schließlich zusammenbrach, wurden gerade die koreanischen Werften indirekt mit frischen IWF-Geldern (also auch Steuergelder im weiteren Sinne) reanimiert, was dazu führte, dass diese ihre aggressive Preispolitik dann in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre mit dem frischem Geld weiter fortsetzen konnten. Es folgten dann ab etwa 2000 weitere finanzielle Anreizsysteme, die wieder nicht der deutschen Schiffbauindustrie zugute kamen, sondern die das extrem spekulative Bestellen von technisch unausgereiften Schiffen weiter befeuerten. Und dieses Konzept der Schiffsfinanzierungen führte schnurgerade und für jeden Fachmann vorhersehbar in die aktuelle Krise. Dass von einigen Akteuren laut darüber nachgedacht worden ist, deutsche Staatshilfen möglicherweise für die Abnahme exzessiv bestellter Schiffe von asiatischen Werften bereitzustellen, ist nach Auffassung des Autors schwer vermittelbar und der maritimen Industrie auch nicht dienlich. Trotz dieser hausgemachten Probleme stünde der deutsche Schiffbau sicherlich nicht schlecht da, wenn nicht noch zwei wesentliche weitere Aspekte mit hineinspielen würden, die so nur im Schiffbau vorhanden sind.

Die Rolle der internationalen Regelwerke und der Klassifikationsgesellschaften

Mit der zunehmenden Industrialisierung des Schiffbaus erkannte man, dass es technische Regelwerke geben muss, um eine ausreichende Sicherheit der Schiffe zu gewährleisten. Dazu mussten bestimmte Mindeststandards gesetzt werden, auch schon deswegen, um die Versicherungsrisiken für die Schiffe kalkulieren zu können. Diese Entwicklungen führten gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Gründung von unabhängigen Klassifikationsgesellschaften. Deren Aufgabe bestand darin, technische Regelwerke zu entwickeln, nach denen die Schiffe klassifiziert werden sollten. Gleichzeitig setzte eine stürmische Entwicklung des Schiffbaus ein – gerade im sich entwickelnden Deutschen Reich – und man erkannte, dass insgesamt nicht ausreichend viele technische Experten vorhanden waren, um den Bau der Schiffe abwickeln zu können. Daraus entstand dann der Ansatz, die technischen Regelwerke der Klassifikationsgesellschaften durch geschickte Kennzahlenbildung auf so einfache mechanische Grundprinzipien herunterzubrechen, dass man zur Konstruktion der Schiffe keine technischen Experten mehr benötigte, weil das gesamte Wissen über Schiffe in diesen Regelwerken enthalten war. Dabei wurde der einfachen Handhabung oft der Vorzug vor der korrekten Abbildung der Physik gegeben, und die sich entwickelnden Erkenntnisse der naturwissenschaftlich orientierten Technik fanden nur zögerlich Eingang in die Regelwerke, weil man Berechnungen gegenüber Erfahrungswerten eher für unzuverlässig hielt (vgl. dazu auch [9]). Das gleiche Grundprinzip wurde später nach Gründung der IMO auf die internationalen Sicherheitsregelwerke angewendet, und es gilt bis heute noch genau in der gleichen Form. Die heutigen Klassebauvorschriften und IMO-Regeln sind sehr einfach gehalten und ohne besondere Grundkenntnisse leicht anzuwenden, so dass man im Prinzip ohne technisches Know-how ein sogenanntes Kochbuch- Schiff entwickeln und bauen kann, das alle Abnahmedokumente erhält und in Fahrt gehen darf. Ein solches Schiff ist natürlich sehr weit vom aktuellen Stand der Technik entfernt, es darf aber an den Märkten partizipieren. Dieses Kochbuch-Wissen ist international leicht verfügbar, und gerade dadurch erhält der Schiffbau für Schwellenländer eine sehr hohe Attraktivität. Für die hoch industrialisierten Volkswirtschaften entstehen daraus aber erhebliche Wettbewerbsnachteile:

• Forschungsergebnisse, welche die hoch entwickelten Volkswirtschaften mit ihren Ressourcen erarbeitet haben, finden international nur dann eine Akzeptanz, wenn sie in einfach anwendbare Regeln transformiert werden, die dann besonders den Schwellenländern zugute kommen. Auf diese Weise finanzieren die forschenden Länder die Verbesserung der Schiffe in Billiglohnländern direkt mit und bauen damit ihre eigenen Arbeitsplätze ab.

• Will eine hochentwickelte Werft einen höheren Standard einführen, der aber nicht zu den Regeln passt, ist dies den genehmigenden Institutionen oftmals unwillkommen (es gibt aber Ausnahmen). Denn daraus resultiert ein höherer Aufwand in der Genehmigung, der gerade vor dem Hintergrund der massenhaften Bestellungen der Schiffe sowie wegen der extrem knappen Margen oft nicht akzeptiert wird.

• Weil die genehmigenden Institutionen für Folgeschäden nicht in Haftung gehen müssen, wird das technische Risiko nicht angemessen bewertet, was dazu führt, eben genau Schiffe zu bevorzugen, die sich exakt an die Kochbuch-Regeln halten. Weil diese Regeln oft als Stand der Technik angesehen werden, ist es im Schadensfalle extrem schwierig nachzuweisen, dass ein Schaden möglicherweise gerade wegen der Unzulänglichkeit der Regelwerke eingetreten ist.

Diese Situation hat dazu geführt, dass auf einigen Gebieten des Schiffbaus der aktuelle Stand der Wissenschaft nachweislich bis zu 50 Jahre weiter ist als der aktuell angewendete Stand der Technik. Aus dieser Sicherheitskultur resultiert zunächst für die entwickelten Volkswirtschaften ein extremes Innovationshemmnis, weil Erfolge in Forschung und Wissenschaft nur schwer in Produkte umsetzbar sind, soweit die Regeln betroffen sind. Gleichzeitig findet über die­se Regelwerke eine extreme Wettbewerbsverzerrung statt, weil weniger entwickelte Länder über diese Regelwerke und deren Anwendung einen deutlichen Know-how- Zugewinn erfahren, der manchmal den industriellen Schiffbau überhaupt erst möglich macht. So wird in [7] die Rolle der Klassifikationsgesellschaften in Schwellenländern folgendermaßen beschrieben: »Den Klassifikationsgesellschaften kommt in Ländern wie Vietnam, wo sich der Schiffbau gerade entwickelt, die wichtige Rolle zu, einen Qualitätsstandard einzuführen, der auch technisch auf dem aktuellen Stand ist.« [7]. Gleichzeitig kann die Situation deshalb wettbewerbsverzerrend sein, weil zwar die (IMO-)Regeln internationales Recht sind (Legislative), die Ausführung der Regeln (Exekutive) aber den einzelnen Flaggenstaaten überlassen bleibt, die diese delegieren dürfen. So kommt es durchaus vor, dass eine Regel z. B. vorschreibt, eine wasserdichte Tür einzubauen, diese Tür aber extrem unterschiedlich ausgeführt werden kann, je nachdem, wie der jeweilige Flaggenstaat (oder dessen Erfüllungsgehilfe) nun die Frage bewertet, was denn jeweils unter wasserdicht zu verstehen ist. In den westlichen Ländern ist zudem die Anzahl der Werften stark zurückgegangen, und folglich herrscht dort ein erkennbarer Mangel an werfterfahrenen Prüfingenieuren. Nur durch diese Strukturen ist es überhaupt zu erklären, warum so viele Schiffe mit derart massiven Qualitätsmängeln auf den Markt kommen konnten [1], [2].

Weiterhin ist zunehmend eine besorgniserregende Entwicklung dahingehend zu beobachten, dass sich neu entwickelte Regelwerke mehr an der politischen Durchsetzbarkeit als an der zugrundeliegenden Physik orientieren. So wurden bzw. werden technische Regelwerke in Kraft gesetzt, bei denen eindeutig eine Verletzung bekannter physikalischer Gesetzmäßigkeiten (z. B. Energieeffizienzindex EEDI, [10]) oder eine nachvollziehbare Absenkung des Sicherheitsstandards (z. B. SOLAS 2009 für bestimmte RoRo-Fahrgastschiffe, [11]) festgestellt werden kann. Aus dieser Situation kann gerade für die Industrie in den hoch entwickelten Volkswirtschaften ein Haftungsproblem entstehen, weil sie natürlich auch nach den Regeln bauen muss, aber gleichzeitig über die technischen Erkenntnisse verfügen kann, dass die Regeln eigentlich nicht funktionieren. Damit bestraft die Unzulänglichkeit der Regelwerke im Grunde genommen genau denjenigen, der über die Voraussetzungen verfügt, diese Unzulänglichkeiten auch erkennen zu können. Solange sich diese Situation nicht grundlegend ändert, haben die Werften in Europa in dieser Sicherheitskultur nur schwerlich eine Überlebenschance. Dabei würde gerade die EU als mächtiger Wirtschaftraum die Möglichkeit haben, regional höhere und physikalisch plausible Standards einzufordern (Port of Call-Prinzip) und zu überwachen, dass diese Standards auch eingehalten werden. Denn es würde der maritimen Wirtschaft insgesamt helfen, wenn allzu schlechte Schiffe aus Europa ferngehalten werden könnten. Dass das im Prinzip möglich ist, haben die EU-Staaten mit der Beibehaltung der Wasser-an-Deck-Regeln für Fähren bewiesen.

Die Rolle von Forschung und Ausbildung

Im globalen Wettbewerb der Gesellschaften spielt die Erarbeitung von Wissen eine entscheidende Rolle. Nur wer technische Prozesse intellektuell beherrscht, kann sich auf Dauer in einem stark umkämpften Markt behaupten. Diese Erkenntnis haben gerade die Volkswirtschaften in Fernost sehr genau verstanden, und sie wenden erhebliche Anstrengungen auf, um Erfolge in Bildung und Forschung zu erzielen. Dies konnte der Verfasser selbst eindrucksvoll an der Entwicklung in Korea nachvollziehen: Vor noch etwa zehn Jahren war es so, dass auf den wichtigsten internationalen Schiffbaukonferenzen technisch- wissenschaftliche Beiträge aus Korea sehr selten waren, und dann waren sie oft von zweifelhafter Qualität. Heute ist es dagegen so, dass fast alle strategisch wichtigen Themengebiete wie Strukturmechanik, Hydrodynamik und Fertigungstechnik eindeutig von Beiträgen aus Korea dominiert werden, und zwar vor allem aus der Industrie. Die Beiträge sind extrem professionell und von sehr hoher Qualität, wohingegen die deutsche Schiffbauforschung nur noch sporadisch vertreten ist und Industriebeiträge fast gar nicht mehr kommen. Es wird zwar oft behauptet, dass die deutsche Schiffbauindustrie einen erheblichen Know-how- Vorsprung habe, aber das kann der Verfasser aufgrund der gemachten Erfahrungen nicht generell bestätigen. Zumal die Schiffbauindustrie auf den wichtigen internationalen Konferenzen nicht vertreten ist und es ihr daher schwerfallen dürfte, einzuschätzen, wieweit die Wettbewerber in realiter sind. Gleichzeitig ist festzustellen, dass zunehmend gute Beiträge aus China kommen, und man erkennt, dass eine sehr hohe Motivation und sehr hoher Druck dahinter stehen. In Deutschland hingegen ist Forschung und Entwicklung rückläufig, wie z. B. Lehmann [4] ausführt: »Die gefährlichste Schwachstelle ist allerdings unser Gesamtengagement im Bereich Forschung und Entwicklung. Die FuE-Aktivitäten in den OECD-Ländern wurden seit Mitte der 90er Jahre stark vorangetrieben, abgeschwächt nur zur Jahrtausendwende durch eine FuE-Stagnation in den USA. Weltwirtschaftlich beinahe gewichtiger ist der ›Überholkurs‹ seitens aufstrebender, wachstumsstarker Schwellenländer wie China und Indien. Diese Länder haben ihre FuE-Kapazitäten erheblich aufgestockt, auch in Israel, Singapur, Taiwan und vor allem Korea wird ausgesprochen FuE-intensiv produziert. Diese Länder haben seit Mitte der 90er Jahre über ein Drittel aller zusätzlichen FuE-Ausgaben in der Welt bestritten. Deutschland hingegen liegt auf diesem Gebiet seit längerer Zeit nicht mehr in der Spitzenposition … Damit vergibt der Staat die Chance einer entscheidenden Hebelwirkung. Als Faustregel gilt nämlich: Die FuE-Finanzierungshilfe des Staates erbringt zusätzlich mindestens denselben Betrag an FuE im privaten Sektor.« Generell ist die Schiffbauforschung in Deutschland beim BMWI im Rahmen des Programmes Schifffahrt und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert noch relativ gut aufgestellt, aber den Anstrengungen der aufstrebenden Schwellenländer haben wir insgesamt zu wenig entgegenzusetzen. Da ist es ein schwacher Trost, dass zumindest diejenigen Werften vermutlich relativ gut durch die Wirtschaftskrise kommen werden, welche in der Vergangenheit stark an den nationalen FuE-Programmen partizipiert haben. Damit ist zumindest der kausale Nachweis erbracht, dass Anstrengungen in FuE tatsächlich helfen, das Überleben zu sichern. Beinahe noch kritischer als der Bereich FuE scheinen dem Verfasser die Entwicklungen im Bereich der Bildung zu sein. Bisher war die Ingenieursausbildung in Deutschland international allgemein anerkannt, beruhte sie doch auf zwei wesentlichen Säulen: Ein ausreichendes Maß an theoretischen Grundlagen, kombiniert mit einem ausreichenden praktischen Verständnis für Problemlösungen. Genau dieser Ingenieurstyp wird von der Schiffbauindustrie benötigt, denn der überwiegend mittelständische Charakter der Industrie, gepaart mit der Konstruktion von Unikaten bringt es mit sich, dass die Berechnungen eines Ingenieurs sofort in die Produktion gehen und Geld verdienen. Dafür werden breit und gut ausgebildete Ingenieure benötigt. Nun hat vermutlich kaum ein Studienzweig so sehr unter der Umstellung auf das angelsächsisch geprägte Bachelor / Master-System gelitten wie die deutschen Ingenieurswissenschaften, und hier leidet ganz besonders der oben beschriebene Ingenieurstypus, der aber von den Werften dringend benötigt wird. Während die aufstrebenden Schwellenländer ihre technischen Kompetenzen aufbauen, bauen wir dieselben erschreckend schnell ab, und dauerhaft kann das nicht gutgehen. Hier sieht der Verfasser ernsthaft die Zukunft des deutschen Schiffbaus bedroht, weil es schwer sein wird, in Zukunft ausreichend kompetente Fachleute (in auch noch ausreichender Zahl) bereitzustellen.

Schlussfolgerungen –

was wäre zu tun ?

Grundsätzlich gilt für den Schiffbau das, was für jede andere produzierende Industrie in einem Hochlohnland gilt: Wer überleben will, muss so viel besser sein, wie er teurer ist. Für die deutsche Schiffbauindustrie gilt daher, dass erheblich mehr Anstrengungen in Forschung und Entwicklung geleistet werden müssen als bisher, denn es muss ein nachvollziehbarer Wettbewerbsvorteil gegenüber den teilweise hocheffizient arbeitenden Werften in Fernost entstehen. Diese können erfolgreich Serienprodukte herstellen, in der Unikatfertigung wären sie aber bei gegenwärtigen Strukturen nicht wettbewerbsfähig, einfach weil der enorme Durchsatz mit Unikaten in Entwurf und Konstruktion nicht zu schaffen wäre. Hier liegt eine erhebliche Chance für deutsche Werften, wenn es gelingt, die Marktchancen für Unikate (oder Klein­serien) weiter zu erhöhen und deren Baukosten weiter zu senken. Dazu muss aber flankierend ein Umdenken in der Politik stattfinden: Es muss deutlich werden, dass die eigentlich systemrelevanten Akteure in der maritimen Industrie die leistungsfähigen Handelsschiffswerften sowie deren Hauptzulieferer sind, denn hier wird im Verbund mit Hochschulen das systemrelevante technische Wissen generiert. Von daher darf es nicht sein, dass mit staatlicher Unterstützung finanzielle Anreizsysteme am Markt existieren, die gerade den nicht technisch kompetenten Mitspielern die meisten Vorteile bieten und diese besonders fördern. Bau und Betrieb technischer Investitionsgüter mit hohen technischen und finanziellen Risiken bedürfen gewisser Mindeststandards, insbesondere vor dem sich abzeichnenden Klimawandel, und staatliche Unterstützung (wenn diese überhaupt gewährt wird) darf generell nur dem zuteilwerden, der nachweislich diese Standards vorantreibt. Sonst würde langfristig die gesamte produzierende Industrie völlig ausgehöhlt werden, und wir haben ja in der Finanzkrise gut beobachten können, wie stark gerade die Volkswirtschaften in Mitleidenschaft gezogen worden sind, die eben keine leistungsfähige produzierende Industrie (mehr) haben. Weiterhin muss der ständige Know-how-Abfluss durch die internationalen Regelwerke konsequent unterbunden werden. Dies kann am besten dadurch geschehen, dass innerhalb der EU höhere Standards durchgesetzt und konsequent überwacht werden, die sich am verfügbaren Stand der Wissenschaft orientieren müssen. Auf diese Weise würde es den kompetenten Mitspielern durch intellektuelle Durchdringung ihrer Prozesse und Produkte gelingen, langfristig eine höhere Rendite zu erzielen als solche, die das Geschäft eben nicht beherrschen, und die daraus resultierende Marktbereinigung wäre in der Tat sinnvoll. Wer komplexe technische Systeme und Prozesse besser beherrscht, muss daraus in einer vernünftig strukturierten Welt einen Vorteil ziehen können. Weiterhin müssen die staatlichen FuE-Förderprogramme für die Schiffbauforschung aus- und nicht zu Gunsten vermeintlich innovativerer Industrien abgebaut werden, und es muss ganz besonders darauf geachtet werden, besonders den Know-how-Aufbau der Seeschiffswerften und deren wesentlicher Zulieferer zu stärken. Denn alleine deren Überleben sichert in Deutschland eine zukunftsfähige maritime Industrie. Schließlich wäre es wünschenswert, im Interesse der maritimen Industrie die Auswüchse der Fehlentwicklungen im Bildungssystem zumindest zu lindern, denn nur durch qualifizierte Ingenieure ist dauerhaft ein überlebensfähiger Schiffbau zu gewährleisten. Und die essentiellen Zukunftsfragen wie Schutz von Menschenleben und unserer Umwelt, Energiesicherheit und Klimawandel sowie erneuerbare Energien können überhaupt nur von qualifizierten Ingenieuren gelöst werden.


Prof. Dr.-Ing. Stefan Krüger