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Das Meer ist – entgegen der landläufigen Meinung – keine freie, unberührte Fläche. Es befindet sich verstärkt in einem Spannungsfeld zwischen verschiedenen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Aktivitäten sowie Aspekten des Schutzes als wertvoller Naturraum. Neben den traditionellen Nutzungen wie Schifffahrt und Fischerei finden auf dem Meer zunehmend weitere Nutzungen statt, wie bspw. die Gewinnung von Gas sowie Sand und Kies, militärische Übungen, die Verlegung von Rohrleitungen und Seekabeln sowie die Entwicklung von Offshore-Windenergie, die in jüngster Zeit besonders an Bedeutung gewonnen hat und im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Diese vielfältigen Nutzungsansprüche können zu Konflikten untereinander bzw. mit den Zielen des Umwelt- und Naturschutzes führen.

1. Raumordnung auf dem Meer

Um die Bedürfnisse aller Raumansprüche in Einklang zu bringen und zu einer nachhaltigen[ds_preview], ausgewogenen Ordnung, Entwicklung und Sicherung des Raums zu gelangen, bedarf es einer integrativen, umfassend abwägenden und vorausschauenden Planung, Lenkung und Sicherung. Dieses ist Aufgabe der Raumordnung, die an Land seit langen Jahren eingeführt und erprobt ist. Vor diesem Hintergrund und insbesondere der raumbedeutsamen Planungen für Offshore-Windparks wurde der Geltungsbereich des Raumordnungsgesetzes (ROG) im Jahre 2004 auch auf die nicht zum deutschen Hoheitsgebiet gehörende ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ), das Meeresgebiet jenseits der 12-Seemeilen-Grenze, erstreckt. Es ist nunmehr möglich – im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) der Vereinten Nationen – Ziele und Grundsätze der Raumordnung für folgende Bereiche aufzustellen: wirtschaftliche und wissenschaftliche Nutzung, Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit der Seeschifffahrt und Schutz der Meeresumwelt.

Diese für den Meeresbereich neue Aufgabe der Entwicklung von Raumordnungsplänen für die deutsche AWZ in Nord- und Ostsee wurde dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) übertragen. Im Rahmen des Aufstellungsverfahrens der Raumordnungspläne umfassten die Aufgaben des BSH die Erstellung der Entwürfe dieser Raumordnungspläne sowie die Durchführung der strategischen Umweltprüfung (inkl. Umweltbericht zu den voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen der Durchführung des Raumordnungsplans auf die Umwelt). Das BSH führte ebenfalls die Öffentlichkeitsbeteiligung durch.

Nach Bekanntgabe der allgemeinen Planungsabsichten durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im Jahre 2005, erfolgte anschließend seitens des BSH eine Abfrage bei Behörden und Verbänden zu den in der AWZ stattfindenden Aktivitäten, Nutzungen und Interessen, um angesichts der Küstenentfernung einen umfassenden Überblick für die Bestimmung der raumplanerischen Ausgangsposition zu erhalten, die im Laufe des Verfahrens verfeinert wurde. Ebenfalls im Jahr 2005 wurde auf einem Termin mit Behörden und Verbänden der Untersuchungsumfang für den zu erstellenden Umweltbericht diskutiert.

Die Planentwürfe und der Umweltbericht wurden im Folgenden in Abstimmung mit dem BMVBS erarbeitet. Nach öffentlicher Auslegung dieser Dokumente und Einholung von Stellungnahmen der Behörden und Verbände wurden Erörterungstermine zum ersten Planentwurf im Herbst 2008 in Rostock für die AWZ in der Ostsee und Hamburg für die AWZ in der Nordsee durchgeführt. Nach weiterer Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen und der Diskussionen auf den Erörterungsterminen wurde der Planentwurf überarbeitet. Die zweite Beteiligungsrunde mit erneuter Öffentlichkeitsbeteiligung ist im Juni 2009 abgeschlossen worden. Nach Abschluss des Beteiligungsverfahrens hat das BMVBS, das die grenzüberschreitende Beteiligung mit den Anrainerstaaten durchgeführt hat, für die deutsche AWZ in Nord- und Ostsee Ziele und Grundsätze der Raumordnung hinsichtlich der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Nutzung, hinsichtlich der Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit der Seeschifffahrt sowie zum Schutz der Meeresumwelt als Raumordnungsplan festgelegt. Die Raumordnungspläne sind am 26.09.2009 (Nordsee-AWZ) bzw. am 19.12.2009 (Ostsee-AWZ) in Kraft getreten (Verordnungen des BMVBS über die Raumordnung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee vom 21.09.2009 (BGBl. I S. 3107) bzw. in der Ostsee vom 10.12.2009 (BGBl. I S. 3861)).

2. Die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ)

Bei der AWZ handelt es sich um das sich seewärts des Küstenmeeres (12-Seemeilen-Zone) anschließende Meeresgebiet, welches bis maximal zur 200-Seemeilen-Grenze reicht. Sie gehört im Gegensatz zum Küstenmeer nicht zum Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die AWZ wurde von der Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) mit Wirkung vom 1. Januar 1995 für die Nord- und Ostsee eingerichtet. Gemäß SRÜ stehen dem jeweiligen Küstenstaat in seiner AWZ souveräne Rechte zum Zweck der Erforschung und Ausbeutung, Erhaltung und Bewirtschaftung der lebenden und nichtlebenden natürlichen Ressourcen der Gewässer über dem Meeresboden, des Meeresbodens und seines Untergrunds sowie hinsichtlich anderer Tätigkeiten zur wirtschaftlichen Erforschung und Ausbeutung der AWZ wie der Energieerzeugung aus Wasser, Strömung und Wind zu. Darüber hinaus hat der Küstenstaat Hoheitsbefugnisse in Bezug auf die Errichtung und Nutzung von künstlichen Inseln, von Anlagen und Bauwerken, die wissenschaftliche Meeresforschung und den Schutz und die Bewahrung der Meeresumwelt.

Die AWZ der Bundesrepublik Deutschland ist ca. 33.100 km² groß (Nordsee: ca. 28.600 km², Ostsee ca. 4.500 km²). Ver­glichen mit dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland umfasst sie ein knappes Zehntel der Fläche. Die AWZ grenzt in der Nordsee an die ausschließlichen Wirtschaftszonen des Königreichs Dänemark und des Königreichs der Niederlande sowie im äußersten Nordwesten an den durch das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland genutzten Meeresbereich. Die westlich von Helgoland im Gebiet der AWZ gelegene und von ankernden Schiffen genutzte Tiefwasserreede gehört rechtlich zum deutschen Hoheitsgebiet und nicht zur AWZ. In der Ostsee grenzt die deutsche AWZ an die AWZ des Königreichs Dänemark sowie an die des Königreichs Schweden und der Republik Polen. Darüber hinaus trifft die deutsche AWZ an der Grenze zur 12-Seemeilen-Zone – welche zugleich die Hoheitsgrenze der Bundesrepublik Deutschland darstellt – auf die Küstengewässer der Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein sowie Mecklenburg-Vorpommern.

3. Besonderheiten der Raumordnung in der AWZ

Die Raumordnung in der AWZ zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass es sich bei dem Planungsraum um ein Ökosystem handelt, bei dem – verglichen mit den Verhältnissen an Land – mögliche Auswirkungen auf die Umwelt und Wechselwirkungen nicht vollständig bekannt sind. Die Bestimmung von Gebieten sowie die weiteren Festlegungen für einzelne Nutzungen sind somit auch abhängig von den zur Verfügung stehenden Daten und Informationen.

Die AWZ der Nord- und Ostsee wurde zum ersten Mal mit einer Raumordnung belegt, so dass zunächst eine Bestandsaufnahme bestehender Nutzungsansprüche sowie für den Umweltbericht eine Beschreibung und Bewertung der Meeresumwelt erstellt werden musste. Erfahrungen, auf die man bei der Erarbeitung des Planes zurückgreifen konnte, lagen demzufolge nur in einem sehr eingeschränkten Maße aus den Fachplanungen, bspw. aus dem Bereich der Windenergieverfahren, vor. Zudem stellt die Raumordnung in der AWZ eine einstufige Planung dar, d. h. sie wird nicht auf nachfolgenden Ebenen in Teilräume ausdifferenziert und in kleinerem Maßstab vertieft beplant. Daraus können sich andere Anforderungen hinsichtlich der Regelungsdichte gegenüber einer Planung auf dem Land ergeben. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es in der AWZ kein Raumordnungsverfahren oder sonstige Beurteilung der Raumverträglichkeit gem. § 15 ROG gibt, welche die Raumverträglichkeit einzelner Maßnahmen untersucht und ggf. sicherstellt.

Auch hinsichtlich der Beschaffenheit des Planungsraumes ergeben sich bei einer Beplanung des Meeres andere Anforderungen gegenüber einer Planung auf dem Land. So gibt es hier keine hergebrachten planerischen Bezugsgrößen wie bspw. Siedlungsraum, Freiraum und Infrastruktur. Vielmehr ist das Meer gekennzeichnet durch Weite, Offenheit und Barrierefreiheit, wodurch es wenig Orientierungspunkte in der Fläche gibt. Hierdurch sind Gebietsabgrenzungen für einzelne Nutzungen in der räumlichen Wahrnehmung in der Regel nicht erfassbar. Daher ist für die Planung in der AWZ eine Verortung der einzelnen Nutzungen anhand von Koordinaten notwendig. Darüber hinaus werden die entsprechenden Nutzungen auf dem Meer häufig großflächiger ausgeübt, als dieses auf dem Land der Fall ist, was entsprechend großflächige Gebietsausweisungen nach sich ziehen kann. Die Dreidimensionalität des Planungsraums im Meer ist vielschichtiger ausgeprägt als an Land. Die verschiedenen Ebenen Meeresoberfläche, Wassersäule, Meeresboden, Meeresuntergrund sowie Luftraum weisen jeweils spezielle Nutzungsmöglichkeiten und Schutzerfordernisse auf. Dieses erhöht das Potenzial der Unverträglichkeit einzelner Nutzungen, zugleich erhöhen sich jedoch auch die Möglichkeiten planerischer Festlegungen, indem für verschiedene Ebenen z.T. verschiedene Regelungen getroffen werden können.

In der küstenfernen AWZ haben Beteiligungsverfahren – verglichen mit entsprechenden Verfahren an Land, in denen Gemeinden und Private ein besonderes Gewicht haben – einen anderen Schwerpunkt. Da die Meeresumwelt keine administrativen Grenzen kennt und die voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen der Durchführung der Raumordnungspläne auf Nachbarstaaten zu prüfen sind, hat die grenzüberschreitende Beteiligung im Verfahren einen hohen Stellenwert. Ebenso fand verfahrensbegleitend eine formelle Beteiligung und Abstimmung der Festlegungen mit den Bundesländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern statt. Vorhandene Planungen, wie das Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen und das Landesraumentwicklungsprogramm Mecklenburg-Vorpommern, die beide Festlegungen zum Küstenmeer treffen, sowie Landesraumordnungsberichte wurden berücksichtigt. Eine Abstimmung zwischen den Planungen in der AWZ und in den Bundesländern ist umso wichtiger, weil für einige Nutzungen eine Anbindung an Land unbedingt notwendig ist, wie z.B. für die stromabführenden Kabel von Windenergieanlagen.

4. Übersicht zu den Raumordnungsplänen für die AWZ

4.1 Fünf Leitlinien zur nachhaltigen räumlichen Entwicklung der AWZ

In dem Raumordnungsplan werden fünf Leitlinien zur nachhaltigen räumlichen Entwicklung formuliert. Die erste Leitlinie beschäftigt sich mit der Sicherung und Stärkung des Schiffsverkehrs. Bei der Exportnation Deutschland werden viele Güter über den Seeweg transportiert, die maritime Wirtschaft ist eine entsprechend wichtige Branche. Nord- und Ostsee sind von großer Bedeutung für den internationalen Transitschiffsverkehr und gehören zu den am stärksten befahrenen Meeresgebieten der Welt. Dieser wirtschaftlichen Bedeutung und der völkerrechtlichen Vorrangstellung der Schifffahrt tragen die Raumordnungspläne Rechnung, indem wichtige Schifffahrtswege als Vorrang- und Vorbehaltsgebiete Schifffahrt festgelegt werden, die das Grundgerüst des Raumordnungsplans bilden, an dem sich die anderen Nutzungen zu orientieren haben. Leitlinie zwei hat die Stärkung der Wirtschaftskraft durch geordnete Raumentwicklung und Optimierung der Flächennutzung zum Ziel. Durch die Einführung einer Raumordnung in der AWZ ergibt sich die Möglichkeit, ggf. konkurrierende Nutzungen in einer Gesamtschau zu betrachten und zu koordinieren und so einen Interessenausgleich zu schaffen. Diese geordnete Raumentwicklung ist eine wichtige Grundlage für die künftige wirtschaftliche Entwicklung (Investitionssicherheit) und berücksichtigt die Bedeutung der einheimischen Rohstoffe sowie die der Fischerei. Leitlinie drei beschäftigt sich mit der Förderung der Offshore-Wind­ener­gienutzung entsprechend der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Eine Grundlage der Raumordnungspläne ist die im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedete »Strategie der Bundesregierung zur Windenergienutzung auf See« vom Januar 2002. Sie verfolgt das Ziel, die Rahmenbedingungen für eine möglichst schnelle Erschließung der Potenziale der Offshore-Windenergie zu setzen. Nach dem Integrierten Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung vom Dezember 2007 soll die Offshore-Windenergie im Küstenmeer und in der AWZ maßgeblich zu den Klimaschutzzielen und den Vorgaben für den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung beitragen (bis zu 25.000 MW bis zum Jahr 2030). Die im Jahr 2005 ausgewiesenen besonderen Eignungsgebieten für Windenergie nach § 3a Seeanlagenverordnung (SeeAnlV) wurden nach Einbeziehung weiterer Belange und abschließender Abwägung auch auf Ebene der Raumordnung als Vorranggebiete festgelegt. Zur Förderung der Offshore-Windenergienutzung wurden weitere Vorranggebiete festgelegt und Regelungen zur Ableitung des in der AWZ gewonnenen Stroms getroffen. In Leitlinie vier wird die langfristige Sicherung und Nutzung der besonderen Eigenschaften und Potenziale der AWZ durch Reversibilität von Nutzungen, sparsame Flächeninanspruchnahme sowie Priorität für meeresspezifische Nutzungen thematisiert. Das Meer ist ein besonderer Planungs- und Lebensraum, welcher insbesondere durch Weite, Offenheit und Barrierefreiheit gekennzeichnet ist. Meeresoberfläche, Wassersäule, Meeresboden, Meeresuntergrund sowie der Luftraum unterliegen ggf. unterschiedlichen Schutzanforderungen und Nutzungsansprüchen. Es gilt, dass ortsfeste Nutzungen reversibel sein müssen, d.h. dass bauliche Anlagen nach Aufgabe der Nutzung zurückzubauen sind. Für die langfristige Sicherung und Nutzung der Potenziale der AWZ ist ein sparsamer Umgang mit Flächen anzustreben, ggf. sind Mehrfachnutzungen (Synergien) anzustreben. Des Weiteren darf es nicht zu einer Verlagerung von problematischen Nutzungen vom Land auf das Meer kommen; gleichzeitig sollen Nutzungen, die auf das Meer angewiesen sind, Priorität genießen. Leitlinie fünf beschäftigt sich mit der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen durch die Vermeidung von Störungen und Verschmutzungen der Meeresumwelt. Zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen in Verantwortung für künftige Generationen sind die Erhaltung, der Schutz sowie die Förderung natürlicher Funktionen, Systeme und Prozesse anzustreben. Störungen und Verschmutzungen des Ökosystems Meer und der darauf bezogenen natürlichen Funktionen, Systeme und Prozesse sind zu vermeiden; die biologische Vielfalt ist zu fördern und zu erhalten. Meere sind für die Lebenserhaltung unersetzlich und müssen in einem nationalen und internationalen Kontext gesichert werden. Um diesem Umstand gerecht zu werden, ist es Aufgabe der Raumordnung, Naturräume zu sichern und weitere Beeinträchtigungen der Meeresumwelt zu minimieren. Dieses Vorgehen trägt zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie bei, die den Rahmen dafür vorgibt, spätestens bis zum Jahr 2020 einen guten Zustand der Meeresumwelt zu erreichen oder zu erhalten.

4.2 Festlegungen der Raumordnungspläne

Beide Raumordnungspläne beinhalten Ziele bzw. Grundsätze der Raumordnung für Schifffahrt, Rohstoffgewinnung, Rohrleitungen und Seekabel, wissenschaftliche Meeresforschung, Energiegewinnung (insbesondere Windenergie), Fischerei und Marikultur sowie Meeresumwelt. Die Festlegungen berücksichtigen auch die Belange der militärischen Verteidigung, für die derzeit keine eigenständigen Festlegungen getroffen werden können. Die Raumordnungspläne legen insbesondere Vorranggebiete für Schifffahrt, Windenergie sowie Rohrleitungen und Seekabel fest, in denen andere Nutzungen unzulässig sind, sofern sie mit den vorrangigen Nutzungen nicht vereinbar sind. Vorbehaltsgebiete werden für die Nutzungen Schifffahrt, Rohrleitungen und Forschung festgelegt, denen bei der Abwägung mit konkurrierenden raumbedeutsamen Nutzungen besonderes Gewicht beigemessen wird.

Die Festlegungen von Vorrang- und Vorbehaltsgebieten für die Schifffahrt basieren auf einer Auswertung der aktuellen Verkehrsströme, die von den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen auf der Grundlage von AIS-Daten erstellt wurde. Die so ermittelten Hauptschifffahrtsrouten stellen das Grundgerüst der Raumordnungspläne dar, die von anderen Nutzungen zu beachten sind. Die Vorranggebiete sind von allen unvereinbaren Nutzungen, insbesondere Hochbauten wie Offshore-Windenergieanlagen (WEA), freizuhalten. Dies entspricht einer Vorgabe des SRÜ, wonach künstliche Inseln, Anlagen und Bauwerke nicht dort errichtet werden dürfen, wo dies die Benutzung anerkannter und für die internationale Schifffahrt wichtiger Schifffahrtswege behindern kann. Hervorzuheben ist, dass durch die Gebietsfestlegungen für die Schifffahrt keine neuen Schifffahrtswege begründet werden. Dafür wäre allein die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) zuständig. Mit den Festlegungen sind auch keine nautischen Vorgaben verbunden.

Eine weitere großräumige Regelung stellt die Festlegung von Vorranggebieten für die Windenergie dar, mit der der Gewinnung von Windenergie Vorrang vor anderen raumbedeutsamen Nutzungen eingeräumt wird. In den Vorranggebieten, die in der Nordsee-AWZ 880km² bzw. 130 km² in der Ostsee-AWZ aufweisen, sind 809 WEA (Nordsee-AWZ) bzw. 240 WEA (Ostsee- AWZ) genehmigt worden (Stand: Juni 2010). Für weitere Windparks in den Vorranggebieten mit geplanten 544 WEA bzw. 61 WEA liegen dem BSH Anträge vor. Auf dieser Grundlage ergibt sich in allein für die Vorranggebiete ein Realisierungspotenzial von 1.654 WEA mit einer rechnerischen Leistung von 8.270 Megawatt (MW) bei Verwendung von 5-MW-Anlagen. Somit können die Vorranggebiete zusammen mit den bereits genehmigten 801 Windenergieanlagen mit einer rechnerischen Leistung von 4.005 MW (5 MW pro Anlage) außerhalb dieser Gebiete einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der kurz- bis mittelfristigen Ausbauziele der Bundesregierung leisten. Mit Blick auf das Ziel »25.000 MW bis zum Jahr 2030« bleibt die Errichtung von Windenergieanlagen außerhalb der Vorranggebiete möglich. In den Natura-2000-Gebieten (Vogelschutzgebiete, Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Gebiete) sind Windenergieanlagen hingegen unzulässig, wodurch in der AWZ in der Nordsee ca. 28 % und in der AWZ in der Ostsee ca. 56 % von der Nutzung durch Windenergieanlagen freigehalten werden.

Die Belange der Fischerei und der Verteidigung, für die derzeit keine eigenständigen räumlichen Festlegungen möglich sind, sowie der Schutz von Kulturgütern sollen bei Planung, Betrieb und Bau von Anlagen zur Energiegewinnung berücksichtigt werden. Dieser quellenbezogene Ansatz hinsichtlich der Belange der Fischerei, der Verteidigung sowie des Kulturgüterschutzes gilt entsprechend und, soweit fachlich anwendbar, auch bei den Festlegungen für Rohstoffgewinnung, Rohrleitungen und Seekabel und wissenschaftliche Meeresforschung.

Bei allen Festlegungen zu den Nutzungen in den Raumordnungsplänen gilt der quellenbezogene Grundsatz, dass nachteilige Auswirkungen auf die Meeresumwelt, insbesondere die natürlichen Funktionen und die ökosystemare Bedeutung des Meeres vermieden werden sollen. Dabei sollen die beste Umweltpraxis sowie der jeweilige Stand der Technik berücksichtigt werden.

Die Raumordnungspläne treffen weitreichende raumplanerische Festlegungen zum Schutz der Meeresumwelt. Die Belange der Meeresumwelt, die einen umfassenden großräumigen Schutzanspruch darstellen, werden zum einen, wie oben dargestellt, durch Bestimmungen zugunsten der Meeresumwelt quellenbezogen bei den Festlegungen zu den einzelnen Nutzungen, zum anderen durch eigenständige Bestimmungen zum Meeresumweltschutz gesichert. So soll die AWZ als Naturraum in ihren jeweilig typischen, natürlichen Ausprägungen und mit ihren Austauschbeziehungen und Wechselwirkungen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt dauerhaft gesichert und entwickelt werden.

4.3 Umweltberichte

Bei der Aufstellung der Raumordnungspläne ist begleitend bzw. integriert erstmalig eine strategische Umweltprüfung für einen großräumigen, küstenfernen Meeresbereich durchgeführt worden. Die vom BSH erstellten Umweltberichte befassen sich schwerpunktmäßig mit der Beschreibung und Bewertung der voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen der Durchführung der Raumordnungspläne auf die Meeresumwelt, zudem werden die Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfungen bezüglich der FFH- und Vogelschutzgebiete dargestellt. Die Raumordnungspläne basieren auf der vorangegangenen umfassenden Umweltprüfung. Die im Umweltbericht erörterten voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen der einzelnen Nutzungen führten zu allgemeinen sowie quellenbezogenen Festlegungen in den Raumordnungsplänen zur Vermeidung und Verminderung dieser Auswirkungen. Somit ist sichergestellt, dass die Durchführung der Raumordnungspläne keine erheblichen Auswirkungen auf die Meeresumwelt, insbesondere die Schutz- und Erhaltungsziele der FFH- und Vogelschutzgebiete, hat. Als Maßnahme zur Überwachung etwaiger erheblicher Auswirkungen auf die Meeresumwelt ist ein Monitoring vorgesehen.

5. Aktuelle Entwicklungen in der AWZ

Der Windpark »alpha ventus« mit zwölf Windenergieanlagen ist 2009 als Testfeld der deutschen Industrie als erster deutscher Offshore-Windpark errichtet worden. Der Antrag für dieses Projekt wurde 1999 beim BSH gestellt und 2001 genehmigt; die für die Kabelanbindungen erforderlichen Genehmigungen (AWZ und Küstenmeer) folgten 2004. 2010 wurde die Realisierung des sehr viel größeren Vorhabens »BARD Offshore I« mit 80 Windenergieanlagen in der Nordsee ca. 90 km nördlich von Borkum in Angriff genommen; die hierfür notwendige Kabelanbindung (Transformerstation offshore und Stromkabel bis an die Küste und in das terrestrische Netz) wurde 2009 bereits genehmigt und errichtet. Genehmigt wurden vom BSH bis Ende Juni 2010 26 Windparkvorhaben (23 Nordsee, drei Ostsee) auf einer Gesamtfläche von ca. 1.070 km². Insgesamt sind mittlerweile 95 Anträge für die Errichtung und den Betrieb von Offshore-Windparks in der AWZ gestellt und in der laufenden Bearbeitung. Diese verteilen sich auf 78 Projekte in der Nordsee und 17 in der Ostsee. Bereits die 1.850 genehmigten einzelnen WEA umfassen mehr als 9.000 MW Nennleistung, wobei rechnerisch von 5 MW je Einzelanlage ausgegangen wird.

Neben den Planungen der Offshore-Windparks inklusive der zugehörigen Kabelverbindungen in das deutsche Höchstspannungsnetz gibt es zunehmend Überlegungen zu Transitleitungen, die die Netze verschiedener Länder verbinden und über den Stromaustausch stabilisieren sollen. Die Entwicklung eines nordseeweiten »Super-Grids«, mit dem die Anrainerstaaten der Nordsee ihren offshore produzierten Strom je nach Bedarf ableiten wollen, genießt hohe politische Bedeutung.

6. Fazit

Die Seegebiete vor unserer Küste sind entgegen der landläufigen Auffassung keine »freien Flächen«, sondern werden in zunehmendem Maße wirtschaftlich genutzt. Eine gänzlich neue Form der Nutzung sind Offshore-Windparks in der deutschen AWZ, deren Planung nicht nur Konfliktpotenzial hinsichtlich konkurrierender Nutzungen und Schutzansprüchen, sondern auch Kenntnislücken über den Naturraum »Meer« offenlegen. Kenntnisse über die belebte Meeresumwelt, insbesondere Meeressäuger und Vögel, konnten bereits in substanziellem Umfang erweitert werden. Mit der Einführung einer Raumordnung in der AWZ wurde der Verordnungsgeber der Notwendigkeit einer abgestimmten Planung auf dem Meer gerecht, die wirtschaftliche Interessen und Meeresumweltschutz zusammenführt und dabei künftigen Generationen Raum für eine weitere Entwicklungen lässt. Die Raumordnungspläne lösen insbesondere das Konfliktpotential zwischen der Schifffahrt als traditionellem und bedeutendem Nutzer und der im Zuge des Klimaschutzes geförderten Offshore – Windenergie, indem die Hauptschifffahrtsrouten von Bebauung freigehalten werden. Die Raumordnungspläne kommen den klimapolitischen Vorgaben der Bundesregierung nach, indem Vorranggebiete für die Windenergie bereitgestellt werden, für die nach den Ergebnissen der strategischen Umweltprüfung nicht mit erheblichen Auswirkungen für die Meeresumwelt zu rechnen ist. Durch die Unzulässigkeit von WEA in Natura-2000-Gebieten wird dem Gedanken der naturverträglichen Produktion erneuerbarer Energien zusätzlich Rechnung getragen.

Für die Raumordnungspläne ist keine generelle Regelung für eine zeitlich festgelegte Überprüfung vorgesehen; das ROG sieht eine mittelfristige Änderung im Bedarfsfall vor. Bis spätestens Mitte 2011 ist bezüglich der Windenergieanlagen eine Überprüfung des Vollzugs des Plans vorgesehen, um auf die wirtschaftliche Entwicklung reagieren und sowohl steuernd als auch investitionssichernd eingreifen zu können

Weiterführende Informationen zu den Planungen in der deutschen AWZ sowie aktuelle Karten (System CONTIS) und die Raumordnungspläne finden sich auf der Website des BSH (www.bsh.de).

Verfasser:

Dr. Nico Nolte

Bundesamt für Seeschiffahrt und

Hydrographie


Nico Nolte