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Mit dem Klimawandel werden in der Regel negative Ereignisse wie abschmelzende Polkappen, Wirbelstürme und Überschwemmungen in Zusammenhang gebracht. Der internationalen Handelsschifffahrt könnte der Klimawandel dagegen eine bisher unzugängliche Verbindung zwischen Asien und Europa öffnen: die Nordostpassage.

Welthandel, treibende Kraft des Seeverkehrs.

Im Welthandel und damit auch im Welt-Seehandel, war über die vergangenen Jahre[ds_preview] eine dynamische Entwicklung zu beobachten. Die Wachstumsraten des Weltcontainerumschlags übertrafen jahrelang deutlich diejenigen der Weltwirtschaft, des Welthandels und des seewärtigen Welthandels. Der Transport von Waren mit Containerschiffen bildete dabei das Rückgrat des seewärtigen Welthandels. Alle einschlägigen Prognosen gingen dabei davon aus, dass – wie in der Vergangenheit auch – das zukünftig Wachstum weiterhin sehr dynamisch ausfallen wird.

Laut dem aktuellen Jahresbericht der Welthandelsorganisation (WTO) bewegte sich das jährliche Wachstum des Welt-BIP in den vergangenen Jahren bei rund 2.9 % (2007: 3.5 %). Im Krisenjahr 2008 betrug es lediglich noch 1.7 %. Im gleichen Jahr wuchs auch der Welthandel nur noch um 2 %. Gegenüber den 6 % Zuwachs im Vorjahr ein drastischer Einbruch. Unmittelbar sichtbar wurde die Krise dann im seewärtigen Welthandel, die im Durchschnitt in den vergangenen zehn Jahren jährliche Zuwächse von rund 4 % verbucht hatte. Im Jahr 2008 wurde hingegen nur noch ein Wachstum von 2 % erreicht (2007: 8 %). Trotz allem bewältigt der seewärtige Welthandel aber immer noch rund 95 % des interkontinentalen Warenaustausches. Auch hat sich durch die Krise an der Bedeutung des Containers als treibende Kraft des seewärtigen Welthandels nichts geändert.

Dem momentan getrübten Bild bleibt hinzuzufügen, dass sich aus heutiger Sicht weder die langfristig prognostizierte Weltbevölkerungsentwicklung, noch die bisher gültigen weltwirtschaftlichen Verknüpfungen grundlegend ändern werden. So werden im Jahr 2050 laut den Vereinten Nationen (UN) mehr als 9 Mrd. Menschen die Erde bevölkern, heute sind es 6.8 Mrd. Ein weiterhin dynamischer Anstieg der Nachfrage nach Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Konsumgütern etc. kann vor diesem Hintergrund auch zukünftig angenommen werden. Die einzelnen Volkswirt-

schaften werden dabei gezwungen sein selbst zu produzieren, um mit der entsprechenden Wertschöpfung die eigene Versorgung bezahlen zu können. Und auch der Konsumwunsch nach hochwertigen Gütern wird durch die aktuelle Wirtschaftskrise langfristig nicht gestoppt werden. Gerade hochwertige Konsumgüter können aber in abgeschirmten oder abgeschotteten Märkten aufgrund der fehlenden oder zu kleinen Absatzmärkte nicht produziert werden. Diese Güter werden heute in der Regel für die Welt produziert, und je höher der Warenwert ist, je internationaler ist deren Kundschaft. Als Beispiel seien hier nur die Schweizer Uhren oder Deutsche Automobiltechnik genannt.

Die Prognos AG geht bis zum Jahr 2030 von einem durchschnittlichen Wachstum des BIP der industrialisierten Länder in Höhe von 1.4 % p.a. aus. Die Wirtschaft wird aber in den einzelnen Regionen der Erde sehr unterschiedlich wachsen. So geht man beispielsweise für China und die Entwicklungsländer von dynamischen Wachstumsraten von etwa 6.5 % p.a. bzw. 4.9 % p.a. aus, hingegen bei der Europäischen Union von nur schätzungsweise 1.3 % p.a.

Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass der Handel in Zukunft langfristig weiter zunimmt. Damit wird zwangsläufig auch die Globalisierung zunehmen und mit ihr die Verflechtung von Produktion und Konsum. Ein Zurück zu abgeschotteten, lokalen Märkten ist undenkbar; allein schon die existierenden Produktionsprozesse und deren räumliche Verflechtungen sind unumkehrbar. Der Trend zu internationaler Arbeitsteilung, Produktionsverlagerungen in Niedriglohnländer und zunehmend globalisierte Beschaffungs- und Absatzverflechtungen werden den Welthandel dynamisch wachsen lassen. Die dadurch weiter zunehmende Verknüpfung der Welthandelspole Asien (Ostasien und Südostasien), Europa (Ost- und Westeuropa) und Nordamerika und der damit verbundenen Aufkommenszuwachs im Güterverkehr wirft die Frage auf, wie diese Transportströme auch in Zukunft bewältigt werden können.

Wenn heute von den globalen Güterströmen zwischen Asien und Europa die Rede ist, wird gemeinhin davon ausgegangen, dass die Handelsgüter per Seeschiff Nordeuropa über den Ärmelkanal – also von Südwesten kommend – erreichen. Le Havre ist demnach, gefolgt von Antwerpen, den englischen Häfen sowie Rotterdam und Amsterdam der erste Hafen, der von Frachtschiffen angelaufen werden kann. Die weiter östlich an der Nordrange gelegenen deutschen Seehäfen Bremerhaven und Hamburg werden in der Regel erst danach angesteuert. Hamburg und Bremerhaven sind in den Fahrplänen der Reedereien damit der Wendepunkt der Umläufe.

Welche Bedeutung die geographische Lage der Seehäfen hat, verdeutlichen die Einzugsgebiete der einzelnen Nordseehäfen. Während die Westhäfen zu ihrem Kerneinzugsgebiet Großbritannien, Benelux, Frankreich und Westdeutschland zählen, sind die Zielregionen der Nordrange-Osthäfen Nord- und Ostdeutschland, Osteuropa, Westrussland sowie als Feedermärkte Skandinavien und das Baltikum. Rotterdam und Antwerpen sind damit erste Anlaufhäfen für das Aufkommen der wirtschaftsstärksten Ballungsregion Europas, der sogenannten »Blauen Banane«. Hamburg hingegen verfügt über eine hervorragende Lage zu den wachsenden Märkten der »Gelben Banane« des mittel- und osteuropäischen Raums. Im Zusammenspiel mit dem Ostseeraum ist dies eine der wirtschaftlich dynamischsten Regionen Europas.

Neue Route am Horizont

Ein Blick in die Arktis zeigt, dass sich an dieser Aufteilung in Zukunft etwas ändern könnte. Das fortschreitende Schmelzen der eisbedeckten Regionen der Erde sind Schreckens- und Sensationsmeldungen zugleich. Die negativen Effekte, welche die Klimaerwärmung für die Umwelt mit sich bringt, werden dabei selten in Frage gestellt. Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit, dass sich auf See neue Transportwege auftun, die für Gütertransporte interessant sein könnten.

Die Nordostpassage ist von der Distanz her die kürzeste Schifffahrtsverbindung zwischen den europäischen Häfen der Nordrange und den ostasiatischen Häfen. Die Distanzersparnis kann im besten Fall gut ein Drittel der Suezroute betragen. Allerdings zählt die Nordostpassage bis heute zu den am schwierigsten zu befahrenden Schifffahrtsrouten. Das Fahrwasser des Nördlichen Seewegs ist durch flaches Wasser gekennzeichnet, da sich große Teile der Meerestraße auf dem russischen Kontinentalschelf befinden, dessen Tiefgangsrestriktionen an den seichtesten Stellen bis unter 10 m reichen. Zudem sind im Verlauf der Route mehrere schmale und durch schwierige Eisverhältnisse gekennzeichnete Meerengen zu passieren.

Zahlreiche Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Klimaerwärmung langfristig den Weg durch die Nordostpassage frei machen wird. So werden aus heutiger Sicht die Luftemperaturen in der Arktis weiter ansteigen. Aufgrund dessen werden sich die atmosphärischen Trends der vergangenen Jahre mit mehr Bewegung und damit Unstetigkeit sowie die sich verändernden Muster der ozeanographischen Zirkulation fortsetzen. Als Folge davon wird die Eisdecke der Arktis in Zukunft jünger, dünner und damit anfälliger auf äußere Einflüsse sein. Die freigeschmolzenen Flächen (Wasser) werden nicht mehr die gleich hohe Reflektionseigenschaften (Albedo) aufweisen wie die Sonnenstrahlen reflektierenden Eis- und Schneeflächen, die im Gegensatz zu Wasserflächen (10 %) rund 30 bis 40 % respektive 50 bis 95 % der Einstrahlung reflektieren. Der Verlust von festen Eisflächen wird zu mehr lockerem Eis und damit zu einem vermehrten Auftreten von Eisbergen in den Gewässern der Arktis führen. Die kleinere und vor allem dünnere Eisbedeckung wird mehr in Bewegung sein als bisher. Aufgrund der zunehmenden eisfreien Flächen werden den Wellen längere Anlaufwege zur Verfügung stehen, was sich wiederum in einem höheren Wellengang niederschlägt. Zusammenfassend kann wohl davon ausgegangen werden, dass in Zukunft die Arktis nicht mehr ganzjährig von Eis bedeckt sein wird, sondern sich im Sommer zu einem weitgehend eisfreien Ozean entwickelt. Die Navigationsperiode wird sich damit ausdehnen, wobei die nautischen Bedingungen auf dem Seeweg durch Eisberge, Treibeis und ähnlichem schwierig bleiben werden.

Diese Annahme belegen auch wissenschaftliche Modellberechnungen vom Arctic Climate Impact Assessment (ACIA) zur zukünftigen Navigationssaison des Nördlichen Seewegs, die ergaben, dass bei einer Reduktion der Eiskonzentration von 25 % die Saison für die Navigation von heute etwa 20 Tagen im Jahr, auf knapp 80 Tage im Jahr 2100 ansteigen könnte. Würde sich die Eiskonzentration um 50 % bzw. 75 % reduzieren, würde die Anzahl der Navigationstage weit höher ausfallen, nämlich 120 bzw. knapp 170 Tage im Jahr.

Interessant für die deutschen Seehäfen wäre der Schiffsverkehr über die Nordostpassage insofern, als dass sich dann die zahlreichen asiatischen Importwaren nicht mehr von Südwesten sondern von Nordosten dem kontinentalen Festland nähern würden. Für die europäischen Exportgüter mit Ziel Ostasien gilt auf der umgekehrten Relation natürlich gleiches. Die deutschen Seehäfen würden bei der teilweisen Umkehr der An- und Ablaufrichtung der Handelsströme zwischen Europa und Asien in ein neues Licht rücken, mit entsprechenden Chancen. Entscheidende Faktoren wie Transportdistanz und Transportdauer würden sich beispielsweise für den Hafen Hamburg gegenüber den Westhäfen spürbar verbessern und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit des Umschlagplatzes an der Elbe.

Aktuelle Potenzialberechnungen

Trotz zahlreicher Forschungsvorhaben fehlen bisher detaillierte und aktuelle Aussagen zum künftigen Nutzungspotenzial der Nordostpassage, welche sich aus den globalen Handelsströmen ergeben könnten. In der Forschungsarbeit »Potenziale der Nordostpassage bis 2050« der Universität Basel wurde nun mit Hilfe von Modellberechnungen die Potenziale für die Einzugsgebiete der Nordostpassage bis zum Jahr 2050 abgeschätzt. Das Rechenmodell zur Abschätzung der Transportaufkommen bis zum Jahr 2050 für die potenziellen Einzugsgebiete der Nordostpassage besteht aus einer Methodenmischung von ökonometrischen und qualitativen Verfahren. Die Abschätzung der Aufkommen fußt auf ökonometrischen Analysen von Zusammenhängen zwischen den sozioökonomischen Rahmendaten und den Außenhandelsdaten der beteiligten Länder für die Vergangenheitsentwicklung. Geeignete Zusammenhänge wurden anschließend bis zum Jahr 2050 fortgeführt und zur Quantifizierung der Handelsströme verwendet.

Die Modellberechnungen wurden für ausgewählte Regionen bzw. Länder durchgeführt, die zuvor aufgrund deren Lage zur Nordostpassage und deren Handelsaufkommen auf der relevanten Relation bestimmt worden waren. Die Ergebnisse der Modellberechnungen beinhalten die Entwicklung des Außenhandelsaufkommens auf der Handelsrelation zwischen Europa und Asien / Ozeanien / Australien. Unter Berücksichtigung der bestimmenden Faktoren für die Routenwahl interkontinentaler Seeverkehre konnten auf der Basis der Außenhandelsaufkommen die Potenziale der Nordostpassage abgeleitet werden. Zu den bestimmenden Faktoren wurden hier neben der Distanz die alternativen Transportrouten, logistische Aspekte, infrastrukturelle Anforderungen, ozeanographische und klimatische Aspekte, technische Anforderungen, Sicherheitsaspekte, Versicherung, Behörden und Recht sowie die Kosten gezählt. Aufgrund des Einflusses der Distanzen auf den verschiedenen Relationen konnte das Potenzial auf die ostasiatischen Handelspartner Europas eingegrenzt werden (Japan, Südkorea, China, Hong Kong und Taiwan).

Im Ergebnis zeigte sich, dass die Nordostpassage grundsätzlich großes Potenzial besitzt, allerdings müssen die Bedingungen für deren Nutzung stimmen. Heute können die Bedingungen, zur Befahrung des Seewegs in größerem Stil, jedenfalls noch nicht den Anforderungen der potenziellen Kunden gerecht werden. Das mögliche Aufkommen auf der Nordostpassage in Ost-West-Richtung, also im europäischen Import aus Ostasien (Japan, Südkorea, China, Hong Kong und Taiwan), wird für das Jahr 2050 auf gesamthaft gut 300 Mio. t geschätzt.

In der Gegenrichtung (europäische Exporte nach Ostasien) könnten rund 130 Mio. t anfallen. Diese zusammen gut 430 Mio. t sind ein maximaltheoretisches Potenzial für den Schifffahrtsweg. Realistischerweise wird davon nur ein Teil über die Nordostpassage verkehren. Dies betrifft vor allem das Containeraufkommen, da hier aufgrund der Beilademärkte wie Indien und der Mittlere Osten immer ein Teil über die Suezroute laufen wird. Die Berechnungen zeigen weiter, dass das Verhältnis von Massengütern zu Containergütern / Fahrzeugen 2050 auf beiden Relationen in etwa bei einem Viertel Massengut zu drei Vierteln Containergütern/Fahrzeugen liegen wird.

Die Vermutung liegt nahe, dass es mit Blick auf die Einsparpotenziale nicht lange dauern dürfte, bis die Reedereien ihre angestammten Routen verlassen und die neue Meeresstraße entlang der Arktis nutzen werden. Bei voller Fahrt (20 kn, entspricht 37 km/h) würde ein mittelgroßes Containerschiff 3,5 Tage Fahrtzeit gegenüber der Suezroute einsparen. Werden Charterraten von 20.000 bis 50.000 US$ pro Tag für ein Schiff angenommen, kommen dadurch substanzielle Beträge zusammen. Die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti ließ bereits vermelden, dass russische Politiker inzwischen die unkontrollierte Nutzung der Nordostpassage durch die zivile Schifffahrt fürchten.

Ob der Nordostpassage zukünftig tatsächlich eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Warenströme zwischen Europa, Asien und Nordamerika zukommen kann, hängt jedoch nicht nur von der Entfernung und dem Klima ab, sondern vor allem auch von dem potenziellen Transportaufkommen und den Rahmenbedingungen zur Nutzung des Seewegs.

Die Nordostpassage als Alternative? Herausforderungen

Welche Herausforderungen müssen aber angegangen werden, damit die Nordostpassage in Zukunft eine alternative Transitroute werden kann? Abgesehen von den klimatischen Voraussetzungen müssten für die Nutzung die folgenden zentralen Rahmenbedingungen, die heute eben noch nicht gegeben sind, ganz oder zumindest teilweise erfüllt sein:

• Erforschung des Seewegs: Der Seeweg muss vollständig erforscht sein, sowohl ozeanographisch als auch klimatologisch.

• Professionelle Eisbeobachtung und -vorhersage: Eine professionell betriebene Eisbeobachtung und -vorhersage müssen für den Seeweg aufgebaut werden.

• Eis-Navigationshilfen: Elektronische Hilfsmittel für die Navigation durch Eis müssen entlang der Route vorhanden sein.

• Such- und Rettungsinfrastrukturen: Die nötigen Such- und Rettungsinfrastrukturen entlang der Route müssen vorhanden sein.

• Katastrophenschutz: Ein Mindestmaß an Katastrophenschutz, zum Beispiel für Unfälle mit Tankschiffen, muss entlang der Route gegeben sein.

• Umweltschutz: Parallel zur Erschließung des Seewegs müssen präventive Umweltschutzmaßnahmen umgesetzt werden.

• Bergungsinfrastruktur: Infrastruktur für Bergung und Abschleppung von beschädigten Schiffen muss vorhanden sein.

• Eisbrecher: Der Service von Eisbrechern muss garantiert sein, falls er benötigt wird.

• Vorschriften und Gebühren: Die Vorschriften müssen für die Nutzer praktikabel und die Gebühren müssen marktfähig sein.

• Rechtliche Rahmenbedingungen: Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen für die Nutzer definiert sein. Es müssen Verbindlichkeiten hergestellt werden.

• Schiffstypen: Die Entwicklung von arktistauglichen Schiffstypen, die im Notfall alleine operieren können, muss vorangetrieben werden.

• Versicherung: Prämien für Versicherungen müssen marktfähig sein.

• Schiffspersonal: Für die Befahrung der Route muss ausreichend gut ausgebildetes Schiffspersonal vorhanden sein.

Hauptproblem wird jedoch zunächst sein, dass die Nordostpassage grundsätzlich verstärkten Schiffsverkehr benötigt, damit sich überhaupt Investitionen in die zentralen Support-Systeme wie Eisbrecher, Schiffsverkehrskontrollsysteme, Navigationssysteme, Hafeninfrastruktur und andere Infrastrukturen rechnen können.

Für diese Verkehre könnten in den kommenden Jahren die lokal generierten Transporte im Zusammenhang mit der Rohstoffgewinnung in der Barentssee und der Karasee sorgen und somit als Türöffner für die weitere Entwicklung des Seewegs dienen. Vor allem für Transporte von Öl, Gas, Kohle, Holz, Nickel usw. von Russlands Norden nach Europa birgt der Nördliche Seeweg in den kommenden Jahren große Potenziale, die wohl auch genutzt werden. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass zurzeit alle fünf direkten Anrainerstaaten der Arktis (Dänemark, Kanada, Norwegen, Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika), Gebietsansprüche in der Arktis anmelden. Dass es dabei um die Sicherung von Rohstoffen geht, liegt auf der Hand. Um wie viel es dabei geht, wurde deutlich, als im Sommer 2008 die aktuellsten Schätzungen der U.S. Geological Survey (USGS) zu den Öl- und Gaslagern im arktischen Raum veröffentlicht wurden, in denen bekannt gegeben wurde, dass rund 22 % der unentdeckten, aber technisch erreichbaren Öl- und Gasvorkommen der Erde sich nördlich des Polarkreises befinden. Dies würde in etwa einem Viertel der weltweiten Mineralrohstoffvorkommen entsprechen. Die Rede ist von 90 Mrd. Barrel unentdecktem Öl, das sind rund 13 % der weltweit unentdeckten Ölreserven. Die wichtigsten potenziellen Fördergebiete sind neben Alaska, das Kanadabecken und Gebiete in Ostgrönland. In diesen drei Regionen liegen in Summe mehr als die Hälfte der vermuteten Öllagerstätten der Arktis. Neben den Ölreserven werden zudem auch außergewöhnlich große Gasvorkommen in der Arktis vermutet. Es handelt sich dabei um rund 50 Mrd. m3 Gas, das sind rund 30 % der weltweit unentdeckten Gasvorkommen und ferner 44 Mrd. Barrel Flüssiggas, was rund 20 % der weltweiten unentdeckten Reserven entspricht. Bei einer Umrechnung in Öläquivalente wird deutlich, dass diese Vorkommen dreimal so groß sind wie die vermuteten arktischen Öllagerstätten. Die größten Gaslagerstätten liegen im westsibirischen Becken, dem östlichen Barents Basin und dem arktischen Alaska. Sowohl bei den Öl-, als auch bei den Gasvorkommen wird von USGS geschätzt, dass der überwiegende Teil der gesamten Vorkommen (rund 84 %) mit aufwändiger Offshore-Technik gefördert werden muss. Besondere Brisanz verleiht dem Thema, dass von diesen 84 % der Löwenanteil relativ nahe an den Küsten der Arktisanrainserstaaten liegt und sich somit auf den Kontinentalsockeln der jeweiligen Länder befindet.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die arktischen Anrainerstaaten mit allen Mitteln versuchen, ihre Grenzen über die Außchließliche Wirtschaftszone (AWZ), die bis 200 sm (370 km) vor die Küste reicht, auszuweiten.

Dieses Spannungsfeld muss berücksichtigt werden, wenn der rechtliche Status des Nördlichen Seewegs diskutiert wird. So ist die Passage zwar seit dem 01. Juli 1991 für ausländische Schiffe geöffnet, abgesehen von den exportorientierten Rohstofftransporten, Versorgungschiffen und einigen wenigen Forschungsschiffen wurde der Seeweg bisher aber kaum genutzt. So erreichte das Transportaufkommen im Jahr 1987 mit 6.6 Mio. Tonnen seinen vorläufigen Höhepunkt, seither liegen die beförderten Tonnagen erheblich niedriger, d.h. zwischen 1.5 Mio. und 2 Mio. Tonnen.

Vom rechtlichen Standpunkt gesehen herrscht in der Wasserstraße nach Art. 8(2) der UN Seerechtskonvention (UNCLOS) das Recht auf friedliche Durchfahrt, zumindest für die zivile Handelsschifffahrt. Ob die Nordostpassage in Zukunft als Internationale Wasserstraße mit dem Recht auf Transitpassage anerkannt wird, hängt in erster Linie von deren Nutzung ab. Bis dahin wird die Nutzung der Passage mit dem russischen Gesetz »Regulations for Navigation on Seaways of the Northern Sea Route« geregelt. Darin wird vorgeschrieben, welche Voraussetzungen ein ausländisches Schiff mitbringen muss, um den Nördlichen Seeweg befahren zu dürfen. Russland beruft sich bei der Gesetzgebung auf die Arktisklausel, den Art. 234 in der UNCLOS, der besagt, dass von den Küstenstaaten in eisbedeckten Gewässern Sonderregelungen eingeführt werden können. Allerdings scheinen zahlreiche der genannten Bestimmungen gegen das Recht auf friedliche Durchfahrt zu verstoßen. Darüber hinaus erhebt Russland für die Durchfahrt des Nördlichen Seewegs derzeit auch Gebühren, allerdings werden diese nur von ausländischen Schiffen verlangt, nicht jedoch von russischen. Art. 234 der UNCLOS schreibt jedoch eindeutig fest, dass keine diskriminierenden Rechte zu Anwendung kommen dürfen, dies steht im Widerspruch zur russischen Praxis. Es ist aber dennoch davon auszugehen, dass in Zukunft für die zivile Handelsschifffahrt akzeptable Lösungen gefunden werden, da Russland auf lange Sicht wirtschaftliches Interesse an der Nutzung des Nördlichen Seewegs als Transitpassage haben wird.

Sind die zentralen Infrastrukturen erst einmal aufgebaut, könnte die Route in einem zweiten Schritt für Punkt-zu-Punkt-Transporte mit eisverstärkten Massenguttransportern und Tankschiffen im größeren Stil auf der Transitroute realistisch werden. Ebenfalls interessant könnte dann die Route für als Trampschifffahrt organisierte Stückguttransporte der Kategorie »High & Heavy« werden. Für die Linienschifffahrt bzw. die Containerschifffahrt wird die Route jedoch auch in den kommenden Jahren keine ernsthafte Alternative sein. Diese benötigen stabile Verhältnisse (garantierte Zeitfenster), sonst können die straffen Zeitpläne nicht eingehalten werden. Verspätungen oder Ausfälle aufgrund von schwierigen Wetter- und Eisbedingungen kann sich im Besonderen die Containerschifffahrt nicht leisten.

Auch ist anzunehmen, dass in naher Zukunft trotz möglicher Eisfreiheit die Assistenz der Eisbrecher weiterhin erforderlich sein wird. Die Kosten hierfür belaufen sich auf 30.000 bis 50.000 US$ pro Tag. Die Schiffe müssen zudem wegen des Treibeises deutlich langsamer fahren. Schon alleine deswegen ist die Route für Linien- und Containerreeder in den kommenden fünf bis zehn Jahre nicht interessant.

Aufgrund der Tiefgangsbeschränkung von teilweise 10 bis maximal 12,5 m auf der küstennahen Routenvariante werden wohl auch erst kleinere Schiffe eingesetzt werden können. Für Tanker beispielsweise würde die AfraMax-Klasse die maximal mögliche Schiffsgröße sein. Das Maximum für ein Transitschiff wäre auf der küstennahen Route ein 50.000 dwt oder ein HandyMax-Schiff. Größere Schiffe im Transit, wie »­Large Dry Bulk Vessel« kommen nicht in Frage, da die Tiefgänge zu gering sind. Diese Schiffe könnten die Nordostpassage erst dann nutzen, wenn die Transitroute, die näher zum Nordpol liegt und damit nicht mehr auf dem flachen Kontinentalschelf verläuft, befahrbar werden würde.

Es scheint zudem wahrscheinlich, dass aufgrund der unsicheren Eisverhältnisse in den kommenden Jahren der Bau von speziellen Schiffen (NSRMax) notwendig sein wird, die nur für diese Route konzipiert sind und nur dort eingesetzt werden. Allerdings ist das Risiko, das die Reeder mit der Anschaffung solcher Schiffstypen eingehen, immens. Zum einen macht der Reeder sich abhängig von einer Route, zum anderen muss damit gerechnet werden, dass beispielsweise die Suez Canal Authority bei verstärkter Nutzung der Nordostpassage ihre Tarife senken könnte, womit die Wirtschaftlichkeit der Spezialschiffe der Nordostpassage in Frage gestellt sein könnte.

Russland hat es in der Hand. Ob das skizzierte Aufkommen tatsächlich auf der Route transportiert werden kann, hängt in erster Linie vom Engagement der russischen Regierung ab. Sie allein kann den Seeweg fördern. Wenn Russland in den kommenden Jahren dafür sorgt, dass die Risiken zu dessen Nutzung minimiert werden, würde wohl so mancher Akteur seine Routenwahl zwischen Asien und Europa überdenken und vielleicht sogar Verkehre verlagern. Dazu müsste Russland aber in die Infrastrukturen wie Häfen oder Eisbrecher investieren, die Nutzungsgebühren auf einem marktfähigen Niveau festsetzen und praktikable Vorschriften zur Befahrung des Seewegs schaffen. Gelingt all dies, könnte der Seeweg bereits bis 2030 an Bedeutung gewinnen.

Die Auswirkungen dieser möglichen Verlagerungen dürften auch die Diskussion um den Ausbau der deutschen Seehäfen sowie von deren Zufahrten und Hinterlandanbindungen betreffen. Denn neben der rein geographischen Entfernung sowie den Kapazitäten und damit der Effizienz beim Umschlag, spielt die Erreichbarkeit der einzelnen Häfen beim Wettbewerb um die Einzugsgebiete Europas eine zentrale Rolle.

P. Leypoldt