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… dargestellt am Beispiel der Simulation

Praxis, Ausbildung, Training, Fortbildung und Forschung auf dem Gebiet der Schiffsführung sind seit Jahrzehnten, wenn nicht länger, an Wirtschaftlichkeit und[ds_preview] Sicherheit orientiert. Das Hauptaugenmerk gilt der Vermeidung von Gefahren, die bei der Erfüllung des Transportauftrages drohen. Die Widerspiegelung dieser Orientierung findet man u.a. in der Entwicklung von Schiffsführungssystemen, die, liest man die Produktbroschüren der Hersteller, immer effizienter und sicherer werden sollen. Einige Beispiele lauten:

The result is more efficient bridge management, enhanced safety at sea, and reduced training requirements for watchstanders.

Safe and efficient vessel operation enhanced via uniform presentation of menus and screens across all functional modes.

Interactive Conning Information Display offers faster response to situations enhancing safety margins.

Tailor-made solutions assist the crew in collision avoidance, route planning and track control and therefore enhance navigational safety.

Having everything available at a single workstation maximizes situational awareness for each bridge watchkeeper, increasing safety, enhancing navigation performance, and enabling reduced manning.

Weder Hersteller noch Betreiber verfügen gegenwärtig über Messverfahren für die Bestimmung der Prozessqualität an Bord, die mit ihren Geräten erreicht werden soll. Aussagen über die Qualität beziehen sich in der Regel auf Produkte selbst bzw. das Qualitätsmanagement in einem Unternehmen. Es sind die Nutzer selbst, die sich wegen schlechter Qualität in der Prozessführung verantworten müssen. Die Qualität technischer Systeme scheint bis auf Ausnahmen unantastbar. Als Begründung haben wir den »human error« geschaffen und es gelingt uns, diesen Fehler in 70–80 % (?) der Unfallursachen »nachzuweisen«.

Angesichts dieser Sachverhalte ist es nicht ungewöhnlich, dass auch in der Simulation von Schiffsführungsprozessen Lücken in der qualitativen Bewertung von Prozesszuständen und Zustandsfolgen auftreten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Hersteller von Schiffsführungssimulatoren bis auf Ausnahmen kaum standardisierte Aufgaben und hochwertige Bewertungsprogramme für Qualität und Kompetenz anbieten und Instrukteure, mitunter zu Recht, derartigen rechnergestützten Programmen mit großen Vorbehalten begegnen.

Ein Wandel in der Prozessführung wird dann eintreten und sich in den Produkten, in der Ausbildung und in der Forschung widerspiegeln, wenn sich die »Philosophie des Schiffsführens« nicht vorrangig an der Vermeidung von Gefahren, sondern an der Gestaltung der Prozessqualität nach den modernen Kriterien einer »guten Seemannschaft« orientiert und eben diese Gestaltung zum schöpferischen Inhalt der Arbeit des Nautikers auf See macht.

Im folgenden Beitrag wird eine Lösung für die Ermittlung der Qualität von Prozesszuständen und Situationsfolgen sowie die Bewertung der Kompetenz der Trainierenden an einem Simulator in Auszügen vorgestellt.

Bewertungsprobleme in der Simulation

Das Training an Simulatoren hat sich längst zu einem wertvollen Bestandteil der Aus- und Fortbildung entwickelt. Mit der Verfügbarkeit über immer leistungsfähigere Anlagen einerseits und der Entwicklung des Seeunfallgeschehens andererseits, haben sich die Anforderungen an die Qualität der Szenarien und an die Vergleichbarkeit ihrer Inhalte erhöht. Die Entwicklung standardisierter Übungen mit differenzierten Inhalten und Schwierigkeitsgraden, die u.a. Erscheinungsformen des »human error« zu provozieren in der Lage sind, erweisen sich als notwendiger qualitativer Baustein für die Gewährleistung eines hohen Trainingsniveaus. Um verallgemeinerungsfähige Schlussfolgerungen aus den Trainingsergebnissen ziehen und den Wissenszuwachs der Trainierenden beurteilen zu können, sind neben der nicht zu ersetzenden subjektiven Leistungseinschätzung durch erfahrene Instrukteure aussagefähige Verfahren zur objektiven Bewertung von Qualität und Kompetenz in der Durchführung einer Trainingsaufgabe erforderlich.

Bis heute gibt es dafür keine ausreichenden praktikablen, verallgemeinerungsfähigen und vergleichbaren Lösungen. Dieser unbefriedigende Zustand hat sich auch mit der Indienststellung immer leistungsfähigerer und auf die Bedürfnisse des Reeders zugeschnittener Simulatoren nicht geändert. Vergleiche zwischen Situationen unter-schiedlichen Schwierigkeitsgrades und zwischen Probanden mit differenzierten Bildungsvoraussetzungen bzw. praktischen Erfahrungen sowie Nachweise eines Zuwachses an Fertigkeiten basieren in der Regel auf einer technisch leistungsfähigen Bild- und Datenaufzeichnungsmaschine, mit deren Hilfe das Entscheidungsverhalten aus der subjektiven Sicht der Lehrer / Ausbilder / Analysatoren bewertet wird. Allenfalls werden Checklisten verwendet, um einen vollständigen Fragenkatalog mit differenzierten Bewertungsstufen abzuarbeiten.

In der Simulation ist das Ergebnis dieses Mangels die unzureichende Effektivität der teuren »Simulationsmaschine«. Man arbeitet verschiedene Fallbeispiele ab und hofft, dass die Probanden nunmehr einen merklichen Erkenntniszuwachs haben. Die Praxis, d. h. nicht nur die Ausbildungseinrichtungen, sondern auch die Reeder, haben dieses Problem längst erkannt und fordern von den Herstellern eine die Übungen begleitende Kompetenz- bzw. Qualitätsbewertung.

Ob die von der Firma Transas entwickelten Werkzeuge geeignet sind, verlässliche Bewertungen vorzunehmen und eine gehörige Akzeptanz bei Betreibern und Nutzern besitzen, muss die Praxis beweisen. Vielversprechend ist der Hinweis schon: »Transas has designed a system that makes assessment automatic and easy. The Transas Evaluation and Assessment System (TEAS) allows objective assessment of an exercise fulfilled by a trainee on a navigational simulator. It is possible to compare individual exercise fulfilment scores with other exercise results. Results can be averaged with other runs or with the results of other trainees.« (s. Abb. 1)

Schiffsführungs-kompetenz und Qualität

Unter »Schiffsführungskompetenz« versteht man die Fähigkeit, den komplexen Prozess der Steuerung der Bewegung des Schiffes (»die Zustandsänderungen über die Zeit«) während einer vorgegebenen Zeitdauer und in einem vorgegebenen Raum nach den Kriterien guter Semannschaft zu führen und dabei vorgegebene Zielparameter für die Qualität der Aufgabenerfüllung einzuhalten.

Dabei sind der Charakter und die Wirkungsart und -tiefe personeller Ressourcen und technischer Mittel, die organisationellen Bedingungen des Seetransportes sowie die umgebungs- und funktionsbedingten Beanspruchungen zu berücksichtigen. Alle Ressourcen der Prozessführung auf See sind so einzusetzen, dass auch bei der Zunahme von Komplexität, Kompliziertheit und Dynamik von Ereignissen, Ereignisfolgen bzw. Situationen die Stabilität des Systems gewährleistet bleibt.

Für die Erkennung von Systemzuständen (auch: Situationen, Situationsfolgen, Ereignisketten) und die Vorausschau möglicher Entwicklungen ist ein Komplex von Wissen, Erfahrungen und berufsspezifischen Fertigkeiten erforderlich, der es ermöglicht, die geplanten und gewollten Qualitätsparameter mit der aktuellen Situation zu vergleichen, Abweichungen vom Sollzustand zu erkennen und die Art und den Zeitpunkt möglicher Handlungen (Prozesseingriffe) nach der Art und Höhe der Differenzen zu priorisieren (Problemerkennung und -lösung). Dabei fasst man »Kompetenz« als Einheit ihrer vier Bestandteile Fach- und Methodenkompetenz, personale Kompetenz, sozialkommunikative Kompetenz und Handlungs- oder Aktivitätskompetenz auf und trägt damit den komplexen Tätigkeitsmerkmalen des Nautikers im Schiffsführungsprozess Rechnung. Die Kompetenz bezieht sich immer auf ein konkretes Problem bzw. eine spezifische Aufgabenstellung, die durch technische und nichttechnische Parameter beschrieben wird und kann nur auf der Grundlage von Prozessergebnissen bewertet werden.

Die geplante »Prozessgüte« ist im Rahmen des aktiven Gestaltungsauftrages des Nautikers abhängig von allgemeingültigen Regeln guter Semannschaft, ergänzt oder spezifiziert durch Vorgaben des Reeders oder des Kapitäns, die Lehrmeinung für den Trainingsinhalt oder / und die Zertifizierung von Trainingsabläufen.

Qualität wird laut der EN ISO 9000:2008, als »Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt«, definiert. Die Qualität gibt damit an, in welchem Maße ein Produkt (Ware oder Dienstleistung) den bestehenden Anforderungen entspricht. Die Benennung »Qualität« kann zusammen mit Adjektiven wie schlecht, gut oder ausgezeichnet verwendet werden. Inhärent bedeutet im Gegensatz zu »zugeordnet« einer Einheit innewohnend, insbesondere als ständiges Merkmal. Nicht inhärent sind subjektiv zugeordnete Beschreibungen wie »schön« oder auch der Preis, weil diese eben nicht objektiv messbar sind. Der Preis oder ein persönliches Urteil sind also nicht Bestandteil der Qualität.

Durch die Definition einer Zielgruppe und Meinungsumfragen kann das subjektive Empfinden dieser Zielgruppe ermittelt, ein inhärentes Merkmal definiert und damit »messbar« und Bestandteil der Qualität werden. Dieser Sachverhalt bildet einen der Hintergründe für die »wissensbasierte« Berechnung der Qualität von Schiffsführungsprozessen. Er weist auf die Möglichkeit der Verwendung von Expertenwissen für die Zustandsbewertung hin.

Nach der IEC 2371 ist Qualität die Übereinstimmung zwischen den festgestellten Eigenschaften und den vorher festgelegten Forderungen einer Betrachtungseinheit.

… Qualität ist die Übereinstimmung von Ist und Soll, also die Erfüllung von Spezifikationen oder Vorgaben (Fulfilment of a specification) im Gegensatz zu der Erfüllung von Erwartungen und Zielen als dem übergreifenden Qualitätsanspruch (Fitness for Purpose). In der Produktion werden hierbei heute Kennzahlen zur Qualität über rechnergestützte Systeme bestimmt.« (http://de.wikipedia.org/wiki/Qualit%C3%A4t)

Messverfahren zur Qualitäts-bestimmung im Schiffsführungsprozess

Grundlagen

Das Verfahren für die Qualitätsbestimmung von Schiffsführungsprozessen geht von folgenden Thesen und daraus abgeleiteten Aufgabenstellungen aus:

1. Als charakteristische Spezifik der Schiffsführung haben sich Prozesse der Informationsverarbeitung herausgebildet. Signale und Daten, in zunehmendem Maße von technischen Systemen erzeugt und angeboten, kennzeichen Art, Größe und Dimension physikalisch-technischer Parameter. Funktional geordnet, sollen sie die Wahrnehmung von Situationen in partiellen Bereichen erleichtern und insbesondere Änderungen, einschließlich der Implementierung von Grenzwerten, erkennen lassen.

2. Die Bewertung der Signale bzw. die Erkennung ihrer Bedeutung einschließlich der wechselseitigen Wirkungen obliegt allein dem menschlichen Operateur mit seinen individuellen Leistungseigenschaften. Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, aktuell abrufbare Erfahrungen und die augenblickliche Leistungsbereitschaft bzw. -fähigkeit bestimmen die Güte des Informationsverarbeitungsprozesses und damit die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit, die Qualität eines komplexen und dynamischen Prozesses.

3. Fehler in der Handlungsregulation beruhen in erster Linie auf Schwächen in der Informationsverarbeitung und dadurch entstehendem mangelhaften Situationsbewusstsein in Verbindung mit fehlenden oder nicht rechtzeitigen oder falschen Entscheidungen in Gestalt von Qualitätsmängeln.

4. Anstrengungen der Hersteller, Signale und Daten immer vollständiger, genauer und besser strukturiert anzubieten, die Funktionalität integrierter Brückensysteme, ihre ergonomische Gestaltung und arbeitsorganisatorischen Anordnung zu verbessern sowie den Zugriff auf Informationen, die Menüführung, die grafische und prozessnahe Präsentation zu optimieren, haben zu keinen nachhaltigen Veränderungen in der Verlässlichkeit geführt. Der Anteil des »human error« am Unfallgeschehen weist nachdrücklich auf diesen Mangel hin.

5. Die Vereinheitlichung des internationalen Ausbildungsniveaus von nautischen Schiffsoffizieren und die durch internationalen Konventionen gesetzten Standards erfüllen seit Jahren nicht mehr die Veränderungen im Berufsbild des Nautikers und tragen zu weiteren Bildungsverlusten und zu Qualitätsmängeln in der Prozessführung bei.

6. Die Intensivierung und quantitative Erweiterung der Ausbildung und des Trainings an Simulatoren, das bridge team management u. a. m. sind nicht ausreichend, die existierenden Mängel zu beseitigen bzw. die biologischen Eigenschaften des menschlichen Gehirns zu verändern. Auch in Zukunft ist nicht zu erwarten, dass sich Wirtschaftlichkeit und Sicherheit von Schiffsführungsprozessen dadurch nachhaltig verbessern. Qualitative Messgrößen für den Nachweis des Trainingserfolges und den Leistungsvergleich fehlen.

7. Qualitative Prozesskenngrößen haben das Ziel, den erreichten Prozesszustand aktuell zu ermitteln und zu bewerten, den Operateur von der Aufnahme und Selektion vieler Einzelsignale und ihrer Zuordnung zu entlasten und ihm die Auswertung bewerteter Zustände als vorrangige intelligente Aufgabe zu überlassen.

8. Die Ermittlung von Prozessqualität, Kompetenz und Komplexität beruht gegenwärtig weitgehend auf der subjektiven Bewertung aufgezeichneter mathematisch physikalischer Kenngrößen und weiterer Merkmale im Handlungs- und Entscheidungsprozess des einzelnen Operateurs bzw. einer Gruppe von Operateuren.

Der nautische Fahrprozess ist komplex, zeitvariant, nichtlinear, hat Zufallscharakter und zeichnet sich durch eine Vielzahl interaktiver Wechselwirkungen (informationelle, strukturelle und funktionelle Kopplungen) der Systemkomponenten und der Störereignisse aus. Daraus ergibt sich die Charakteristik eines unscharfen Entscheidungsproblems: Es sind mehrere Lösungsalternativen vorhanden, die durch (unscharfe / unsichere) Attribute beschrieben werden können. Der Entscheider muss mit seinen Präferenzen und Zielen für einzelne Ausprägungskombinationen diejenige Alternative finden, die er für optimal hält.

Diese Prozessmerkmale scheinen den Einsatz von Bewertungsprogrammen für das Verhalten von Trainierenden zu verzögern und die Bewertungskompetenz der Instrukteure zu begründen. Abhilfe kann deshalb nur geschaffen werden, wenn Bewertungsprogramme entwickelt werden, die möglichst exakt die kognitiven Stufen der Informationsverarbeitung durchlaufen und den Instrukteur in die Lage versetzen, die erhaltenen Resultate »menschlich« zu interpretieren.

Nicht selten machen wir es uns in der Rekonstruktion von Prozessabläufen zu einfach. Es gelingt sehr gut, technische Daten zu einer »Ablaufkette« des Geschehens zusammenzufügen und daraus zu schließen, dass eigentlich alle Informationen für ein situationsgerechtes Handeln zur Verfügung gestanden hätten und es unerklärlich sei, dass eine richtige Handlung nicht, nicht rechtzeitig oder eine falsche Handlung eingeleitet worden sei. Es ist ein entscheidender, wenn nicht der entscheidende Mangel in Praxis und Simulation, dass in bisher entwickelten »integrierten Systemen« keine risikobasierten bewerteten (operativen) Steuerungsgrössen existieren und dass die auf der Grundlage diskreter Zustandsbe-schreibungen vermittelten Abbilder der objektiven Realitat fast ausschließlich subjektiv interpretiert, zusammengefügt und mit den eigenen, momentan verfügbaren subjektiven Vorstellungen über Risiko oder Gefahr (innere Modelle, bestimmt durch Wissen, Erfahrungen) verglichen werden.

Prozesstypische Bewertungsprogramme in der Simulation – keine »hochwertigen Datenaufzeichnungsmaschinen« allein – sind wirksame Hilfen für den Instrukteur, den »Bewerter« hochkomplexer Informationsverarbeitungsvorgänge: die Handlungsregulation des Menschen erfolgt durch die Vorwegnahme des Resultates der Handlung, des Ablaufes der Tätigkeit und der für die Handlung wichtigen Bedingungen. Entsprechend erarbeitete Aktionsprogramme können als Handlungsplanung verstanden werden. Sie bilden das interne Modell des Operateurs, nach dem er seine Tätigkeit organisiert. Handlungen sind gedanklich vorweggenommen und auf die Erreichung gesteckter Ziele ausgerichtet. Den einzelnen Handlungsphasen entsprechen psychische Regulationprozesse, die nicht direkt beobachtbar sind. Darunter fallen kognitive Prozesse wie die Aufnahme, Speicherung und Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt (Wahrnehmung, Erlernen, Denken), emotionale Prozesse (Bedürfnisse und Gefühle) und motivationale Prozesse (Motive). »Die bewusste Handlung geht aus einem geordneten Zusammenwirken kognitiver, emotionaler und motivationaler Prozesse hervor, wobei insbesondere ein Abwägen verschiedener Motive bzw. zu erwartender Handlungsfolgen (Konsequenzen) stattfindet.« (vergl.: http://www.medizinpsychologie.de/OL/glossar/body_handlungsregulation.html) Und schließlich: Handlungsresultat ist immer die geplante, u. U. auch die erreichbare Qualität des Schiffsführungsprozesses, aus der sich ein Abbild der Kompetenz des Operateurs erarbeiten lässt.

Prozessindikatoren

Mit welchen Kenngrößen kann die Qualität abgebildet werden ? Welche Daten und Signale werden gesammelt und zusammengeführt, die der Aufgabenstruktur (Art, Inhalt, Aktualität / Priorität) entsprechen und zu einer integrierten (ganzheitlichen) Bewertung partieller Aufgaben bezüglich ihrer Differenz zu den Zielvorgaben (eigenen oder fremden) führen ?

Der Prozess »Schiffsführung« muss analytisch immer aufgabenorientiert, ganzheitlich und an die Betriebsbedingungen angepasst betrachtet werden. Nur so sind qualitative Aussagen über den Erfüllungsstand partieller Aufgaben zu gewinnen. Der »AIT«-Lösungsansatz von Kersandt [1], [2], [3] versteht unter diesen drei Begriffen:

• Adaptive: anpassungsfähig … an die Betriebszustände, das Informationsangebot, den Menschen, die Aufgabe, den Prozesszustand, die Situation

• Integrated: ganzheitlich … die Betrachtung und Gestaltung eines Mensch-MaschineSystems (des integrierten Brückensystems) in seiner Gesamtheit mit dem Ziel seiner Verlässlichkeit unter Berücksichtigung von Fehlhandlungen durch Mängel in der Informationsverarbeitung

• Task oriented: aufgabenorientiert … entsprechend der Prozesshierarchie, der Aufgabenstruktur, der Zielgerichtetheit nach qualitativen Kriterien für Sicherheit und Wirtschaftlichkeit

Pozessindikatoren müssen in der Lage sein, eine aufgabenstrukturierte, betriebszustandsabhängige, möglichst einfache, fachlich verständliche, ganzheitliche, qualitative Abbildung der Schiffsführung zu ermöglichen. Man unterscheidet zwischen Gestaltungsindikatoren und Einflussindikatoren. Während die Gestaltungsindikatoren die beeinflussbaren Qualitätskenngrößen repräsentieren, bringen die Einflussindikatoren vorrangig die operativen Prozessbedingungen zum Ausdruck, unter denen die Schiffsführung stattfindet. Beide Indikatorengruppen bilden eine Einheit, weil sie für die Definition bzw. Standardisierung der Prozessbedingungen und für die Berechnung der Qualität der untere diesen Bedingungen erbrachten Ergebnisse / Leistungen erforderlich ist (s.a. Abb. 3).

Gestaltungsindikatoren (GInd)

Collision Avoidance (CA): Andere Fahrzeuge / Objekte in sicherem Abstand passieren

Anti-Grounding (AG): Grundberührungen vermeiden und Geschwindigkeit den natürlichen geografischen Bedingungen anpassen

Track Keeping (TK): Operative Bahnbreite einplanen und einhalten

Met.-Hyd. Environment (EV): Natürliche meteorologisch-hydrologische Umweltbedingungen bei Kurs- und Fahrtgestaltung berücksichtigen

Voyage Economy (VE): Wirtschaftliche Aufgabenstellung der Reise erfüllen (Geschwindigkeit, Zeit, Kosten)

Einflussindikatoren (EInd)

Availability Main Engine & Stearing Gear (AV): Technischer Zustand / Verfügbarkeit von Hauptmaschine und Ruderanlage

Traffic Conditions (TC): Verkehrsbedingungen im Seegebiet

Human Capability (HC): Menschliche Leistungseigenschaften und –besonderheiten in der Seewache, Brückenbesetzung

Met.-Hyd. Environment Conditions (EC): Natürliche meteorologisch-hydrologische Umweltbedingungen

Komplexität

Die Zuverlässigkeit (Verlässlichkeit) eines Mensch-Maschine-Systems wird durch die Fähigkeit zur Erhaltung verlangter Qualitäten unter den Bedingungen einer möglichen Komplizierung der Situation bestimmt. Eine Situation wird um so schwerer beherrschbar, je komplexer der Prozess wird, d. h. je größer die Anzahl der gleichzeitig zu erfassenden und zu bewertenden Signale in unterschiedlichen Aufgabenbereichen wird, je mehr Wechselwirkungen (Rückkopplungen) stattfinden und je dynamischer (linear und nichtlinear) sich die Prozesse entwickeln. Steht der Nautiker vor einfachen Aufgaben und hat er genügend Zeit für die Lösung zur Verfügung, werden nur geringe Reaktionszeiten benötigt. Wenn aber Komplexität und Dynamik wachsen, wird die Schere zwischen verfügbarer und benötigter Reaktionszeit immer größer. Es entstehen Zeit- und Handlungsdruck, die das Potential für Fehler in sich tragen. Ändern sich die Situationen dynamisch, müssen immer wieder neue Modelle entwickelt und Lösungen angepasst werden.

Neben der Komplexität des Gesamtprozesses ist auch die partielle Komplexität in einer Aufgabe zu betrachten.

Geht man davon aus, dass sich bei einer als Problem abzeichnenden Aufgabenerfüllung der Einsatz des Nautikers für die Informationsverarbeitung im weitesten Sinne, also auch für das Finden einer Lösung und die Beachtung der Wirkungen auf andere partielle Prozesse, gefragt ist, beginnt die Komplexität zuzunehmen, was u.a. mit einer höheren Verarbeitungszeit verbunden ist. Bildet man den Quotienten aus Komplexitätsgrad und Verarbeitungszeit, erhält man den »Beherrschbarkeitsgrad« einer Aufgabe bezogen auf die Lösung durch eine Person.

Für die Berechnung der Komplexität werden nur die partiellen Prozesse berücksichtigt, die eine vorgegebene Qualitätsgrenze (der »guten Seemannschaft«) erreicht oder überschritten haben.

Anwendungsbeispiele aus dem Verfahren QUASNAV

QUASNAV ist ein echtzeitfähiges System, das den Nautiker bei der Verarbeitung von Informationen unterstützt. Es ordnet die ankommenden Signale und Daten dem Inhalt der Aufgaben auf der Brücke zu. Im Gegensatz zu herkömmlichen Brückensystemen werden Daten nicht nur dargestellt (Anzeigegeräte, Displays usw.), sondern qualitativ bewertet. Nach der Bewertung von einzelnen Inputs (z. B. cpa) erfolgt ihre Fusion zu einer Aussage über die Höhe der Qualität der Aufgabenerfüllung einer spezifischen Teilaufgabe der Schiffsführung (z. B. Kollisionsverhütung). Die partiellen Bewertungen können zu einer Gesamtaussage über die Qualität des Schiffsführungsprozesses zusammengefasst werden. Die Betrachtung der Qualität über bestimmte Zeiträume lässt Aussagen über die Güte des gesamten Mensch-Maschine-Systems bzw. die Kompetenz der Operateure zu. Im folgenden Beispiel werden die aufgeführten und weitere Möglichkeiten (z. B. Bestimmung der Komplexität, Ableitung von Handlungsempfehlungen; Definition von Prozess-Störungen / Einflüssen) des Systems vorgestellt.

Die verwendeten Abbildungen der ECDIS und des RADARS wurden dem Navigationstrainer von TRANSAS entnommen. Die hinzugefügten Bewertungen lieferten die Programmbausteine von QUASNAV. Reiseabschnitt 12:00–12:20 Uhr; Beispiel einer Prozesszustandsbewertung von 12:02 Uhr.

Erklärung der Aussagen des Rechners (QUASNAV): Die Höhe der Qualität der Aufgabenerfüllung in den partiellen Prozessen betrug um 12:02 Uhr: Collavoid: 0,23 / Track-Keep: 0,29 / Antigrou: 0,47 / Envir: 0,59 / Voyeco: 0,23. Insgesamt weist die Qualität ernsthafte Mängel auf (Totqua: 0,0); »Accident«. Die schlechte Qualität in partiellen Prozessen führt zu einem Anstieg der Komplexität auf 9,37 (»very high complexity«); die Beherrschbarkeit der Situation ist schlecht; sie erfordert eine Mindestzeit von 57 Sekunden. QUASNAV schätzt ein, dass die wirtschaftliche und sichere Führung des Schiffes »außerordentlich stark gefährdet« sind. In Bezug auf die Kriterien einer »guten Seemannschaft« wird um 12:02 Uhr ein Qualitätsniveau von 0 % erreicht. Diese Bewertung gilt auch für den Vergleich mit einem alternativen Schiff, das diesen Reiseabschnitt unter den gleichen Bedingungen absolviert hat (0 %) »serious quality lack in summery«.

Die Qualität in der Kollisionsverhütung ist völlig unzureichend. In allen Phasen des Reiseabschnittes bleibt sie weit hinter der »guten Seemannschaft« zurück. Im zweiten Abschnitt treten erhebliche Mängel in der Bahneinhaltung auf. Die Aufgabe Anti-Grounding wird weitgehend in unzureichender Qualität erfüllt.Die wirtschaftliche Aufgabe bleibt meistens unterhalb der Anforderungen und verbessert sich am Ende der Reise nur leicht.

Die Komplexität wächst mit der Anzahl der zu bearbeitenden part. Aufgaben, die die Grenzen guter Seemannschaft übersteigen. Neben der schlechten Qualität der Aufgabenerfüllung bei der Kollisionsverhütung wirken auch die Prozesse Bahneinhaltung und Vermeidung von Grundberührungen komplexitätserhöhend.

Sehr hohe Wirkungen gehen von Störungen durch den Verkehr bis zur 15. Minute aus. Probleme in der Verfügbarkeit der Ruderanlage bzw. der Hauptmaschine in der 7. Minute beeinflussen die Schiffsführung. Die Einflüsse durch die met.-hyd. Umwelt verlaufen im oberen bis mittleren Wirkungsbereich. Die Besetzung der Brücke ist ab der 2. Minute regelgerecht.

Die Komplexität wächst mit der Anzahl der zu bearbeitenden Zustandsgrößen, die die Grenzen guter Seemannschaft übersteigen. Zum Beispiel ist in der 7. Minute der Zusammenhang zwischen der Störung im Bereich Availability und der wachsenden Komplexität deutlich erkennbar.


Diethard Kersandt