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Das Ende des maritimen Standorts Deutschland könnte Wirklichkeit werden, wenn jetzt nicht gegengesteuert wird

Manche Untergänge geschehen überraschend. Neumodisch würde man nach der Lektüre des gleichnamigen Bestsellers von Nassim Nicholas Taleb sagen, das sei[ds_preview] dann gleichsam der Schwarze Schwan als Black Friday. Wenn wir eines Tages feststellen, dass der maritime Wirtschaftsstandort Deutschland, das Schifffahrts-Cluster, der Vergangenheit angehört, werden wir die schwarze Metapher lieber nicht bemühen. Denn wenn das eintritt, ist der Schwan weiß, dann ist das Ereignis ein weißer Schimmel, nur zu vorhersehbar, herbeigeredet, herbeigehandelt. Von vielen. Auch durch Untätigkeit. Überraschend wäre dieser Untergang nicht.

Überall hört man die Untergangsgesänge. Zum x-ten Mal stirbt das deutsche KG-System, sagen viele; nicht wenige davon mit dem besserwisserischen Unterton derjenigen, die sich schon bei ihren letzten Prophezeiungen in selbiger Sache geirrt hatten. Neu ist, und das macht die Lage grundsätzlich anders und prekär, dass es jetzt auch darum geht, ob es zukünftig noch nennenswerte Schiffsfinanzierer in Deutschland gibt. Es geht auch um die Frage, ob die deutschen Reedereien, die so maßgeblich von den nationalen Finanzierungssystemen abhängen, dann noch prosperieren oder, sagen wir es etwas ungeschminkter, auch nur überleben können. Fremdkapital aus China und Eigenkapital aus New York: Das dürfte so manches mittelständische Reedereikontor überfordern.

Der maritime Standort Deutschland ist bedroht, keine Frage. Die Probleme der Emissionshäuser, die massive Zurückhaltung der Anleger sind unübersehbar. Ebenso die Probleme der schiffsfinanzierenden Banken, viele davon Landesbanken, denen der Umbau ihres Systems unmittelbar bevorsteht. Wie zu hören ist, soll es bis Ende des Jahres einen Plan für die Neuordnung der Landesbanken geben. Vielen Reedereien geht es kaum besser. Dass die wenigen inländischen Linienreeder gut verdienen, weil die Schiffseigner wenig verdienen, ändert an dem Bild nichts. Last, but not least, stehen die wenigen verbliebenen deutschen Werften mit noch weniger deutschen Eigentümern vor einer schwierigen Zukunft, die oft noch schwärzer geredet wird als die des KG-Systems.

Es steht eine Menge auf dem Spiel. Erstaunlicherweise scheinen sich alle irgendwie in das Unabwendbare fügen zu wollen. Kein Gegenplan, nirgends. Viele Emissionshäuser propagieren nun Immobilien- und Flugzeugfonds. Über neue chinesische Eigner der HSH Nordbank wird offen auf dem Jungfernstieg palavert, die aufgrund der EU-Vorgaben angestrengten Darlehensrückforderungen als »usual business« verklärt. Die Reedereien kämpfen mit ihren Problemen und finden über den VDR kaum noch Zugang zur entscheidenden Politik, weder in Berlin noch in Hamburg, Hannover oder Bremen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat bisher wenig Interesse an einem wirklichen Rettungsplan für das maritime Cluster gezeigt, der Weinbau scheint manchem wichtiger. Auch die beiden am meisten betroffenen Städte Hamburg und Bremen haben sich nicht gerade überanstrengt, wenn es um die Zukunft ihrer maritimen Wirtschaftszweige geht. Wenn man einmal an die die Autoindustrie rettende Abwrackprämie oder die Lobbykraft der Energie- und Pharmaunternehmen denkt, könnte man fast neidisch werden. Nachdenklich sollte einen das allemal machen.

Es geht um viel. Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor langer Zeit den Fortbestand der deutschen Handelsflotte rechtlich den wichtigen Gemeinschaftsgütern zugerechnet. Auch mit diesem Tatbestand wurde 1998 die Einführung der Tonnagesteuer gerechtfertigt. (Deutscher Bundestag, Drucksache 13/10271) Schon damals konnten Politiker auf das europäische Umland verweisen. Im selben Jahr führte Italien eine Besteuerung von 7,5 % auf Schiffsgewinne ein. In den Niederlanden und in Norwegen war die Tonnagesteuer bereits zwei Jahre früher, also 1996, eingeführt worden, in Griechenland schon 1975. Selbst die FDP, die sich mit der Staatshilfe für Hapag Lloyd sehr schwer tat (um es freundlich zu formulieren), beurteilte – so wörtlich in der Drucksache – »die Pläne zur Unterstützung der deutschen Seeschifffahrt als entscheidendes Signal an die deutschen Reeder, dass sie in Deutschland als Rückgrat der maritimen Wirtschaft erwünscht seien«. Das war vor 12 Jahren, und Weinbau gab es damals auch schon. Sind wir ganz sicher, dass die Parteien im Jahr 2010 noch Gleiches sagen würden?

Heute sind laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mehr rund 400.000 Arbeitskräfte in Deutschland in der maritimen Wirtschaft einschließlich maritimer Dienstleister tätig. Der Gesamtumsatz dieser Industrie liegt bei 75 Mrd. € im Jahr. Der größte Sektor ist dabei der Gesamtbereich der Seeschifffahrt mit ca. 65.000 Beschäftigten auf See und 22.000 an Land (davon ca. 30.000 deutsche Beschäftigte) und einem Umsatz von mehr über 30 Mrd. € in 2008. Der zweit- und drittgrößte Sektor sind die maritime Zulieferindustrie mit über 70.000 Beschäftigen und ca. 13 Mrd. € Umsatz sowie der Schiffbau mit immer noch rund 21.000 Beschäftigten und einem Umsatz von knapp. 6 Mrd. €. Wichtig dabei ist, dass sich die Bedeutung des maritimen Sektors nicht allein auf die Küstenregionen beschränkt, denn die Zulieferindustrie ist vor allem auch in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen angesiedelt. Die Zukunft des maritimen Standorts Deutschland ist also nicht nur eine Frage für »Fischköppe«. Gleichwohl täte Hamburg gut daran, sich mehr als in den letzten beiden Krisenjahren mit Hafen und Schifffahrt zu beschäftigen. Denn insgesamt sind in der Metropolregion Hamburg allein etwa 166.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt vom Hafen abhängig. Das sind auf Hamburger Gebiet rund 13 % aller Arbeitsplätze. Keine Peanuts.

Die maritime Wirtschaft hätte diese Bedeutung niemals erlangen können, wenn es nicht das in dieser Form weltweit einzigartige Finanzierungssystem über Schiffsfonds und starke deutsche Schiffsbanken gegeben hätte. Die Weltflotte umfasste Ende 2009 rund 102.000 Schiffe. Rund 3.500 sind davon in deutschem Besitz. Von den insgesamt 4.669 Containerschiffen gehörten 1.742, also rund 35 %, deutschen Eignern. Damit liegt Deutschland in diesem Segment bekanntermaßen auf Platz 1. Bei den Tankern belegt Deutschland mit einem Anteil von 4,4 % oder 425 Schiffen Platz 4, bei den Bulkern mit 3,1 % oder 271 Schiffen nur Platz 7. Insgesamt umfasst die deutsche Handelsflotte zum 1.1.2010 3.548 Schiffe mit 76 Mio. BRZ. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2009 hatten deutsche Reeder 120 Neubauten mit 2,7 Mio. BRZ in Dienst gestellt. Das entspricht einem Investitionsvolumen von 4,2 Mrd. US$. Deutsche Werften waren daran allerdings nur mit 12 Schiffen, 184.500 BRZ und einem Investitionsvolumen von 350 Mio. US$ beteiligt. Seit 1990 wuchs die deutsche Flotte von damals 1.410 Schiffe um rund 240 %. Bezogen auf die BRZ betrug das Wachstum von 7,5 Mio. in 1990 auf 76 Mio. heute sogar das Zehnfache.

Diese expansive Flottenpolitik war nur möglich, weil es Fremd- und Eigenkapital in Deutschland in ausreichendem Maß gab. Lag das Kreditvolumen deutscher Banken im Jahr 1998 noch bei insgesamt 24,2 Mrd. Euro, so betrug es zehn Jahre später im Jahr 2008 116,5 Mrd. €. Das Neugeschäft stieg in der gleichen Zeit von 8,5 Mrd. auf 31,1 Mrd. €. Those were the days.

Parallel dazu gaben immer mehr Anleger deutschen Reedern Eigenkapital zum Aufbau der Flotten. Im Jahr 1998 – um einen vergleichbaren Zeitraum zu betrachten – hatten die Anleger kumuliert bereits 10,1 Mrd. € Eigenkapital bereit gestellt und damit ein Investitionsvolumen von 26,6 Mrd. € finanziert. Zehn Jahre später lag das kumulierte Eigenkapitalvolumen bei 33,1 Mrd. und das kumulierte Investitionsvolumen bei 84,3 Mrd. €. In dieser Dekade brachte das deutsche KG-System 23 Mrd. € neues Eigenkapital auf. Those were the days.

Nach einer Untersuchung des Verbandes geschlossener Fonds (VGF) wurden rund 1.800 der insgesamt rund 3.500 deutschen Handelsschiffe von privaten Kapitalanlegern über geschlossene Fonds finanziert. Das entspricht einem Anteil von gut 50 %. Von den 1.742 deutschen Containerschiffen gehören rund zwei Drittel den Anlegern. Insgesamt dürften laut VGF rund 385.000 deutsche Anlegerinnen und Anleger in Schiffsfonds investiert sein. Rechnet man die ca. 21 Mrd. € Eigenmittel und die darauf entfallenden rund 30 Mrd. € Bankendarlehen zusammen, so beträgt das Investitionsvolumen aller derzeit noch aktiven Schiffsfonds rund 51 Mrd. €.

Vor der Industrie liegt noch ein Berg von Problemen; vielleicht sollten wir lieber sagen: eine Masse Stahl. Anfang Juli 2009 befanden sich 1.197 Handelsschiffe mit 41,6 Mio. BRZ für deutsche Reedereien in Bau oder Auftrag. Diese Schiffsneubauten haben einen Anschaffungswert von rund 57,2 Mrd. US$. Ein großer Teil dieser Tonnage wurde gemeinsam mit Emissionshäusern in Auftrag gegeben. Nachdem der KG-Markt für Schiffsfonds Ende 2008 kurz nach der Lehman-Pleite abrupt zum Stillstand gekommen war, zeitgleich praktisch alle deutschen Reedereien massive Umsatzeinbrüche verkraften mussten und die Schiffswerte aufgrund der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise nach unten rauschten, spiegelten sich die Bestellprobleme 1:1 in den Bilanzen der finanzierenden Banken wider, die so bei vielen Neubauten dem »LTV« (loan to value) angesichts faktischer 100 %-Finanzierung keine übermäßige Bedeutung mehr zumessen konnten. Jetzt ging es eher darum, mit neuer Rechenformel langfristige Werte gegen den Ad-hoc-Niedergang zu behaupten.

In solchen Zeiten haben diejenigen Hochkonjunktur, die mit Schuldzuweisungen in alle Richtungen schnell bei der Hand sind. Oft werden solche auch mitten aus dem Glashaus heraus publiziert. Also der Reihe nach:

• »Die Emissionshäuser sind an allem schuld, sie haben künstlich die Orderbücher nach oben getrieben, weil sie – ›gierig‹ – Umsatz machen wollten.« Diese These übersieht, dass die meisten der bestellten Schiffe eine oft langfristige Charter hatten, die Linienreeder diese Schiffe also benötigten. Die deutschen Bestellungen in der Containerschifffahrt lagen mit etwas mehr als der Hälfte der vorhandenen TEU-Kapazität im weltweiten Durchschnitt. Besteller von anderen Standorten wie Frankreich, China, Griechenland haben wesentlich mehr Schiffe bestellt. Die marktsteuernde Bedeutung der Emissionshäuser wird oft überschätzt.

• »Die Banken sind an allem schuld, sie wollten – ›gierig‹ – nur immer mehr Neugeschäft machen.« Natürlich standen die Banken zur Finanzierung der Neubauvolumina zur Verfügung, in Deutschland wie andernorts. Jahrzehntelang war Schiffsfinanzierung ein lukratives und sehr sicheres Kreditgeschäft. Ausfälle waren die absolute Ausnahme. Darin glichen die Schiffskredite übrigens den Eigenkapitalien der Schiffsfonds, die ebenso über Jahrzehnte praktisch keine Ausfälle zu verzeichnen hatten. Man saß in einem Boot, und das schwamm gut.

• »Die Reeder sind an allem schuld, denn sie haben – ›gierig‹ – am Markt vorbeibestellt.« Wer so erfolgreich von der Globalisierung profitierte, wie es viele Reeder (übrigens weltweit) in von 2003 bis 2008 getan haben, der zieht leicht Kritik auf sich. Tatsache aber ist, dass – siehe oben – in den meisten Fällen gute Chartern für die bestellten Schiffe vorlagen.

Die Lage soll nicht beschönigt werden. Es wurden natürlich – das wissen wir heute –zu viele Schiffe bestellt. Fehler wurden von allen gemacht. Natürlich haben Reedereien, Emissionshäuser und Banken zu sehr auf das anhaltende Wachstum des Marktes, die fortdauernde Kraft der Globalisierung vertraut. Dabei wurden Risikosysteme außer Acht gelassen. Auf allen Seiten. Aber: Noch haben kluge Wirtschaftsweise keine Alternative zum ewigen Schweinezyklus gefunden, »modesty« ist kein Paradigma in Aufbruchszeiten, wie wir sie in der globalen Welt seit der Jahrtausendwende erlebt haben. Das kann einen betrüben, doch Systeme sollten mit Bescheidenheit und Zurückhaltung nicht rechnen.

Für Deutschland ist die Lage besonders heikel, allemal für die Küstenländer. Deutschlands maritime Wirtschaft war eine Erfolgsgeschichte. Sie war es auch deshalb, weil es in diesem Cluster eine hochmoderne Kombination aus innovativer Dienstleistungsindustrie, moderner Technologie (Kreuzfahrtschiffe, Motoren, etc.) und zeitgerechten Finanzierungssystemen für Fremd- und eben auch Eigenkapital gab. Das steht jetzt auf dem Spiel. Die Landesbanken, allen voran die HSH Nordbank, haben angekündigt, ihre Kreditportfolien dramatisch zu reduzieren. So bitter das auch sein mag, so unausweichlich scheint es. Aber nirgends gibt es einen Plan, wer diese Kredite übernehmen könnte. Dafür wird von chinesischen Übernahmen im Bankenbereich gesprochen; manchmal klingt es fast sehnsuchtsvoll. Wer sich um einen Kredit bewirbt, der steht meistens recht weit hinten in der Schlange oder wird lieber gleich auf den Flughafen verwiesen: Man hole sich das Geld doch in Fernost … Als ob chinesische Banken nur darauf warteten, das maritime Cluster in Deutschland zu retten. Die haben anderes zu tun. Alles klingt wie weiland Lübke: »Ich sage nur China, China, China!« Gleichzeitig klingt wieder das alte Lied: »Jetzt ist der KG-Markt aber wirklich am Ende.« Nicht wenige legen die Platte auf. Doch man kann den Untergang eines Clusters auch herbeireden.

Der maritime Wirtschaftsstandort Deutschland wird nicht von der Regierung Chinas, nicht von dessen Banken gerettet. Das müssen wir schon selbst tun. Dafür bedarf es einer ziemlichen Kraftanstrengung. Wir brauchen das KG-System, wir brauchen die Schiffsbanken, wir brauchen die Reedereien. Ja, und wir brauchen auch die Werften und die wichtige Zulieferindustrie, die eher in Süddeutschland sitzt. In den nun fast genau zwei Jahren seit Ausbruch der Krise hat die Schifffahrtsbranche weltweit eine erstaunliche Stabilität durch Flexibilität bewiesen. CSAV wurde gerettet, die im Austausch gegen Charterreduktionen ausgegebenen Aktien haben heute einen Wert, der die Verluste kompensiert. Die große Konkurswelle, von allen befürchtet, blieb aus. Die unter Liquiditätsnot leidenden Schiffsfonds haben es in den meisten Fällen geschafft, die erforderliche neue Liquidität von eigenen oder neuen Anlegern aufzubringen, auch hier bewährte sich das System in einem erstaunlichen Maße. Banken haben gestundet und prolongiert, so gut es ging. Banken, Emissionshäuser und Reedereien haben in der Not viele Vereinbarungen geschlossen, und wahrscheinlich ist es gut, dass die meisten davon gar nicht bekannt werden.

Jetzt wäre es an der Zeit, dass sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen, um die Zukunft nicht zu verspielen. Die Initiative kann von den Küstenländern ausgehen, vom Bund oder vom VDR. Einer muss jetzt den Startschuss geben. Gebraucht wird eine konzertierte Aktion zur nachhaltigen Zukunftssicherung des maritimen Clusters in Deutschland. Der Schifffahrtsstandort Deutschland hat mit seinen grundsätzlich geeigneten, aber nötigenfalls anpassungsbedürftigen Rahmenbedingen eine Zukunft: Wenn sich die hiesigen Banken nicht aus dem Neugeschäft zurückziehen. Wenn nicht doch noch in steigenden Märkten reihenweise Schiffsfonds in die Notverkäufe bei Verlust des Eigenkapitals getrieben werden. Wenn die Emissionshäuser innovative Fondsstrukturen entwickeln und die Reedereien bei den Fonds auch wieder mehr ins Eigenkapital gingen. Wenn die Werften sich anstrengen und ihre Chancen im Spezialschiffsbau sowie im »Green Shipping« nutzen. Die deutsche Industrie ist weltweit führend in der Umwelttechnologie, übrigens dank massiver staatlicher Förderung. Wieso sollte es den einheimischen Werften nicht gelingen, daran anzuknüpfen und sich eine neue Innovationsführerschaft zu erkämpfen?

Die Interessen der maritimen Wirtschaft in ihrer Komplexität und Vielfältigkeit können zukünftig nur noch von einem schlagkräftigen Verbund aller Cluster-Teilnehmer durchgesetzt werden. Dann braucht der maritime Koordinator auch nicht mehr Einzeleinladungen an heterogene Kreise abzuschicken. Es ist an der Zeit, den »Maritimen Verband Deutschland« zu gründen, in dem alle Beteiligten vertreten sind: Werften, Zulieferer, Reedereien, Hafen- und Terminalbetreiber, Emissionshäuser, Schiffsbanken. Nur eine solche gemeinsame Interessenvertretung würde den Anforderungen gerecht. Manche mögen die Aufgabe des Liebgewonnenen beklagen. Aber es ist Zeit auch für eine Konsolidierung der Verbände.

Es ist Zeit für neue Ideen – auf allen Ebenen. Anleger wollen nach den Erfahrungen der Vergangenheit – ebenso wie die Banken- mehr Sicherheit für ihre Investments. Da wäre es sinnvoll, einmal darüber nachzudenken, die Anwendung der Tonnagesteuer auch auf Einkünfte aus der Bareboat-Vercharterung von Schiffen zu erweitern . Auch dann müsste das Schiffsmanagement von Deutschland aus erfolgen. Die Arbeitsplatzeffekte wären dieselben wie bei der schon heute einbezogenen Zeit-Vercharterung. Ein großer Teil der Anleger würde eine solche Finanzierungsstruktur, die dem operativen Leasing bei Flugzeugen ähnelt, durchaus begrüßen. Ebenso könnte die Tonnagesteuer auf Einkünfte aus der Bereederung der Schiffe von Reedern aus aller Welt angewendet werden, ohne wie heute eine Beteiligung des Bereederers zu verlangen. Davon könnten nicht nur die sehr wettbewerbsfähigen deutschen Bereederer und die deutschen Schiffsfinanzierer profitieren, sondern das gesamte maritime Cluster.

Zurzeit ist kein Zuckerschlecken. Wahrscheinlich gibt es Licht am Ende des Tunnels, Sonne am Horizont. Es ist gut möglich, dass es in 2012 und 2013 wieder Charterraten wie 2005 oder vielleicht sogar wie 2007 gibt. Noch kann niemand plausibel beweisen, warum Schiffspreise nie wieder das Niveau von 2007 erreichen sollen. Das »Nie wieder« in Wirtschaftsfragen war noch nie eine kluge und bestandskräftige Aussage für die Zukunft. Doch ist längst nicht sicher, ob der maritime Standort Deutschland dann noch genauso stark sein wird, wie er es in der Vergangenheit war. Möglich ist dies. Die deutschen Reeder werden nicht aufhören, ihre Erfahrungen und Dienstleistungen weltweit erfolgreich anzubieten. Das deutsche KG-System wird auch zukünftig Eigenkapital in substantiellem Ausmaß einwerben können. Das wird dann vielleicht etwas anders als in der Vergangenheit aussehen, aber die Nachfrage nach Investitionen in Schifffahrt wird wiederkommen. Banken werden ohne Neugeschäft nicht leben wollen. Auch wenn Fragezeichen bleiben. Wie sieht die Landesbankenzukunft aus? Wird die KfW nur noch nach Hermes-Bürgschaften fragen?

Sicher ist eines: Wir brauchen bis zum Ende der Krise die gleiche Energie zur gemeinsame Lösung der Probleme, wie es sie in den letzten 24 Monaten gab. Und eher noch mehr. Denn jetzt geht es um die Zukunftsgestaltung. Nur wenn das gelingt, wird das Cluster überleben. Leider gibt es Anzeichen von Rissen im System. Wir müssen aufpassen, was passiert, wenn vielleicht erstmals in der KG-Geschichte Schiffsfonds von den Banken zwar nicht in die Insolvenz, wohl aber in die durch Notverkäufe in Kauf genommene Eigenkapitalvernichtung getrieben werden. Der langfristige Schaden für das maritime Cluster würde den kurzfristigen Nutzen der Bilanzbereinigung bei weitem übersteigen. Wehret den Anfängen! Das Eigenkapital der Schiffsfonds ist ein zentraler Dominostein, Wenn ein Dominostein fällt, wackelt das ganze System.

Unsere Branche könnte von anderen Industrien viel lernen. Wir müssen uns nun auf den Weg machen, das maritime Cluster vor einem durchaus möglichen Niedergang zu schützen. Das geht nicht ohne die Politik in Berlin. Sie soll die Wettbewerbsbedingungen der Schifffahrt so fortentwickeln, dass eine bisher sehr erfolgreiche Branche auch in Zukunft den globalen Wettbewerb am deutschen Standort meistern kann. Zeit für einen Aufbruch. Das »Maritime Bündnis« steht vor einer Herkulesaufgabe.

Dr. Torsten Teichert