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Ermittlung und grafischen Darstellung in einem Simulationszyklus

1. Einführung

Es sind »gestandene« Männer, mit denen wir es zu tun haben. Ihre Charakter-eigenschaften haben sich[ds_preview] voll herausgebildet und gefestigt. Sie sind so bunt und vielfältig wie das Leben. Und nun sollen diese Männer, ohne Unterschied, die gleiche Aufgabe lösen: ein Schiff sicher und wirtschaftlich über See führen. Wir haben ihnen dafür den Simulator geschaffen, der ihre natürliche Arbeitswelt abbilden soll. Sie sollen begreifen und die Kenntnisse festigen, wie ein Team auf der Brücke zu führen ist bzw. wie man als Glied eines Teams seine spezielle Aufgabe erfüllen kann.

Die Männer »liefern sich den Instruktoren aus« – im guten Sinne –, vertrauen ihnen und setzen, unbewusst, die Gesamtheit ihrer persönlichen Eigenschaften ein, um besser zu werden, um Anforderungen des Reeders zu erfüllen und um vor sich selbst zu bestehen. Gemessen wird die Erfüllung der Aufgaben an der Qualität der Prozesse, in denen sie allein oder im Team handeln. Wer aber bestimmt dieses »Qualitätsmaß«? Wer ist in der Lage, die Erfüllung der Anforderungen an eine »gute Seemannschaft« zu messen? Haben die »gestandenen« Männer nicht einen Anspruch auf eine weitgehend objektive Bewertung ihrer Leistungen?

Sind es die erfahrenen Instruktoren ihren Berufskollegen nicht schuldig, die Ursachen mangelhafter oder aber hervorragender Leistungen zu ergründen? Nur wenn das gelingt, hat der Verweis auf gute oder schlechte Leistungen (aus Fehlern und Erfolgen lernen) einen tiefen, verändernden Sinn.

Instruktoren sollen keine Psychologen werden. Aber sie müssen neben der objektiven Leistungsbewertung (s. QUASNAV – Quality Assessment in Navigation, vergl. HANSA, Oktober 2010) die richtigen »Werkzeuge« einsetzen, um die so außerordentlich wichtigen Persönlichkeitsmerkmale zu erfassen.

Das im Weiteren vorgestellte Verfahren zur Ermittlung und grafischen Darstellung von Persönlichkeitsmerkmalen im Simulationsprozess soll das Verfahren zur Qualitätsabschätzung in der Schiffsführung ergänzen. Es begleitet einen Simulations-

zyklus, wird im Verlaufe des Trainings bzw. am Ende erstellt und dient einer abschließenden Bewertung der in den einzelnen Aufgaben erreichten Qualität in Verbindung mit den Persönlichkeitsmerkmalen.

Als »Zulieferer« einer Datenbank eines Simulatorbetreibers liefert es die Systematik und Struktur der Persönlichkeitsmerkmale, bildet die Basis für die Erkennung von Korrelationen zwischen Qualität und Persönlichkeit und für die Lokalisierung von Schwachstellen und Leistungsspitzen.

Sollen im Bridge Team Management tatsächlich nachhaltige Wirkungen erzielt werden und soll es nicht bei der technischen Erfüllung von Standards und deren Zertifizierung bleiben, müssen moderne Werkzeuge der Qualitätsmessung und der Erfassung und Auswertung von Persönlich-

keitsmerkmalen zum methodischen Gerüst eines jeden Simulatorbetreibers gehören. Derartige Verfahren dienen letztlich der Qualität des Trainings selbst, sind Quelle neuer Erkenntnis im Zusammenspiel von Mensch und Maschine, lassen Schlussfolgerungen auf die Gestaltung von technischen Systemen zu und bilden für den Reeder, der das schließlich alles bezahlt, eine wesentliche Grundlage für die Auswahl und Zusammensetzung von leistungsfähigen Teams auf der Brücke.

Die Anforderungen an Technik und Personal sind gewaltig. Technisch hat man die Probleme »in den Griff bekommen«. Leistungsfähige Simulatoren gehören heute zum Ausbildungs- und Trainingsstandard in fast allen Ländern. Erfahrene Instruktoren haben sich bemüht, die technischen Möglichkeiten in ein praxisnahes Training umzusetzen. Mit immer besseren Aufzeichnungssystemen gelang es, eine Unmenge von technischem Datenmaterial herzustellen und es für die Übungsbegleitung bzw. die Auswertung der Leistungen zu nutzen.

Das außerordentlich schnelle Wachstum der technischen Systeme an Bord und ihre ständigen Erneuerungen trugen in Verbindung mit rechtlichen und organisatorischen Anforderungen in der internationalen Schifffahrt dazu bei, die Schere zwischen technischen Möglichkeiten und einer kognitiv objektiv begrenzten Leistungsfähigkeit der Nautiker rasch und bemerkbar zu vergrößern. Diesem negativen Trend wurden viele Versuche zur Erhöhung der Bildungsqualität und der Konzentration der Wissenschaft und Forschung entgegengesetzt. Nicht alle waren erfolgreich.Was blieb in dieser Situation übrig, die Schiffe wirtschaftlich und sicher zur See fahren zu lassen? Nicht überraschend war und ist der Versuch, die Fähigkeiten des Menschen an die gegebene Technik und Organisation anzupassen: das »Bridge Team Training« bzw. das »Bridge Resource Management«. Der Verfasser ist nach wie vor der Meinung, dass dieser Weg nur bedingt richtig ist. Zu wünschen wäre die umgekehrte Herangehensweise: die Anpassung der Technik an die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen. Dazu aber fehlt ein gemeinsamer Lösungsansatz. Die Technik ist zu stark (materiell, finanziell, wirtschaftliche Zwänge), um sich nach dem Menschen zu richten. Der Mensch ist zu schwach (Bildung, Wissenschaft, Forschung in der Schiffsführung), um seine Bedürfnisse geltend zu machen. Angesichts dieser Situation sind die vom Verfasser entwickelten »Werkzeuge« zur Qualitätsbestimmung im Schiffsführungsprozess und zur Ermittlung und Darstellung der Persönlichkeitsmerkmale ein Versuch, über diesen Weg die Einheit von Mensch und Maschine zu fördern, neue Erkenntnisse zu gewinnen und in Praxis und Theorie umzusetzen.

Die »Kunst« des Instruktors besteht darin, zwischen den beiden Schwerpunkten »Qualität« und »Persönlichkeit« eine plausible, fachlich nachvollziehbare und anschauliche (darunter sind auch grafische Darstellungen zu verstehen) Verbindung zu erkennen, zu kommentieren und im Dialog mit den Trainierenden zur Verbesserung der »Schiffsführungskompetenz« beizutragen. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die u.a. den Einsatz moderner Bewertungsverfahren als Hilfsmittel für den Instruktor erfordert.

Kommt es in der Schiffsführung zu einer ernsthaften Störung der Handlungsregulation, muss vorrangig nach Ursachen für das Interaktions- oder Kommunikationsversagen des Mensch-Maschine-Systems gesucht werden. Angestrebte verlässliche Schiffsführungssyteme, die die Gesamtheit von Mensch und Technik zum Gestaltungsgegenstand haben, sind ein möglicher Ausweg. Messbar wird ein solches Versagen erst durch die Bewertung von Prozesszuständen mit dem Ziel, die Differenzen zwischen der aktuellen Situation und dem angestrebten Ziel zu ermitteln und die Höhe der Differenz zum handlungsregulierenden Prozesseingriff und zum Gegenstand auch der Kompetenzbewertung zu machen.

Unter »Schiffsführungskompetenz« soll die Fähigkeit oder der Sachverstand zur Steuerung eines Mensch-Schiff-Umwelt-Systems vom Ausgangs- zum Zielpunkt verstanden werden. Dabei werden die organisatorischen (auch rechtlichen) Bedingungen des Seetransportes, umgebungs- und funktionsbedingte Beanspruchungen, technische Charakteristika der Arbeitsmittel sowie die psychischen und physischen Einflussfaktoren auf die menschliche Arbeitskraft während einer vorgegebenen Zeitdauer und in einem vorgegebenen Raum unter Berücksichtigung vorgegebener Zielparameter für Wirtschaftlichkeit und Sicherheit (Qualität) beachtet und genutzt. Alle Ressourcen in der Führung eines Schiffes über See werden so eingesetzt, dass auch bei Zunahme von Komplexität, Kompliziertheit und Dynamik von Ereignissen, Ereignisfolgen bzw. Situationen die Stabilität des System (seine Funktion) im Rahmen der qualitativen Zielvorgaben gewährleistet bleibt.

Nach der IEC 2371 ist Qualität die Übereinstimmung zwischen den festgestellten Eigenschaften und den vorher festgelegten Forderungen einer Betrachtungseinheit.

Die Kompetenz bezieht sich immer auf ein konkretes Problem bzw. eine spezifische Aufgabenstellung. Die vom Nautiker (vom Trainierenden) erkannten Differenzen zum Sollzustand drücken im Verlauf ihrer Bewertung die Höhe der Gefahr für das Erreichen der geplanten (gegebenenfalls auch vorgegebenen) Qualität der zu erfüllenden Aufgaben (Ziel) aus. Das frühe, möglichst vorausschauende Erkennen und Bewältigen der »Störungen« des geplanten Prozess­ablaufes bestimmen die Kompetenz.

Letztlich bleibt das Ergebnis eines Handlungsprozesses der Hauptgegenstand jeder Bewertung: die Qualität der partiellen Aufgabenerfüllung in der Kollisionsverhütung, der Vermeidung von Grundberührungen, der Bahneinhaltung, der Beachtung der meteorologisch-hydroligischen Umwelt und der Wirtschaftlichkeit der Reise.

Der Bridge Resource Management Guide versteht unter »Bridge Resource Management«: »Bridge Resource Management (BRM), or as it is also called Bridge Team Management (BTM), is the effective management and utilization of all resources, human and technical, available to the Bridge Team to ensure the safe completion of the vessel’s voyage.

BRM focuses on bridge officers’ skills such as teamwork, teambuilding, communication, leadership, decision-making and resource management and incorporates this into the larger picture of organizational and regulatory management. BRM addresses the management of operational tasks, as well as stress, attitudes and risk. BRM recognizes there are many elements of job effectiveness and safety, such as individual, organizational, and regulatory factors, and they must be anticipated and planned for. BRM begins before the voyage with the passage plan and continues through the end of the voyage with the passage debrief.« (Quelle: Focus on Bridge Resource Management From Ecology’s Spill Prevention, Preparedness, and Response Program Bridge Resource Management Guide.

(Quelle: http://www.ecy.wa.gov/pubs/991302.pdf)

2. Ermittlung und grafische

Darstellung von Persönlichkeitsmerkmalen

Das Verfahren beruht auf der prozessbegleitenden Beobachtung eines Trainierenden im Handlungsprozess während eines ganzen Simulationszyklusses. Es verwendet eine Reihe von »unscharfen« Einzelmerkmalen, die dann zunächst mittels mathematischen Methoden zu Untermerkmalen vereinigt werden. Alle Untermerkmale werden zu sechs Hauptmerkmalen aggregiert, die eine zusammenfassende Übersicht der Persönlichkeitsmerkmale erlauben (Abb. 1).

Über eine Tabelle der Einzelmerkmale werden die Eigenschaften in ihrer Ausprägung markiert. Die roten Zahlen entsprechen der Beobachtung des Instruktors (Tabelle 1).

Die Qualitätsbewertung am Ende einer Trainingseinheit wird von QUASNAV (s.a. Abb. 2) hinzugefügt, z.B.: COLLAVOID 62.5 % / ANTIGROU 45.5 % / TRACKEEP 44.5 % / ENVICONS 39.0 % / VOYECON 31.5 %

Die weiteren Berechnungen liefern zunächst eine grafische Übersicht über alle bewerteten Einzelmerkmale (Abb. 3) und den ihnen zugeordneten verbalen, linguistischen Variablen.

3. Merkmalsstruktur und mathematische Fusion

Die 42 Einzelmerkmale werden mathematisch zu Unter- und Hauptmerkmalen fusioniert. Inhalt und Strukturierung sind notwendig, um zusammengefasste, verallgemeinerungsfähige Schwerpunkte zu erkennen und zu bezeichnen sowie diese mit qualitativen Prädikaten zu belegen. Diese ermöglichen das Verständnis für die Bewertungen und die Kommunikation zwischen Instruktoren sowie Trainierndem und Instruktor (allgemeiner Sprachgebrauch). Man erhält das in Tabelle 3 dargestellt Ergebnis.

Die sechs Hauptmerkmale werden in einem Kreisdiagramm dargestellt (Abb. 6). Natürlich lässt diese Darstellung noch keine Tiefenanalyse zu. Dazu müssen die Hauptmerkmale anlysiert werden (Beispiele: Abb. 7 bis 9). Der Verallgemeinerung der Bewertung dient die Strukturierung der Untermerkmale mit ihren »Ursachen«, den Einzelmerkmalen (Tabelle 2 und Abb. 5); Beispiele zeigen die Abb. 10 bis 15.

4. Schlussaussage des Verfahrens

Der Trainierende hat eine Aufgabe innerhalb eines Simulationszyklusses in der in Tabelle 4 dargestellten Qualität absolviert / Ergebnis von QUASNAV. Aus den Berechnungen erhält man leicht »zu lesende« Kreisdiagramme (Abb. 16 und 17).

Auf der Grundlage des vorgestellten Verfahrens – der Berechnung der Prozessqualität durch QUASNAV, der subjektive Einordnung der Persönlichkeitsmerkmale durch den Instruktor und deren rechnerunterstützte Weiterverarbeitung – ergibt sich die in Abb. 18 zusammengefasste Einschätzung.

Diese kurze, präzise Beschreibung ist der Ausgangspunkt für weitere, detaillierte »Nachfragen«, die das Programm zu liefern imstande ist und die vorstehend aufgeführt wurden. Wie angestrebt, lassen sich Zusammenhänge ableiten und Erkenntnisse gewinnen, die schließlich zur Erhöhung der Qualität des Simulatortrainings, zur Aufspürung von Schwachstellen bei Mensch und Technik sowie zu belegbaren Schlussfolgerungen für die Gestaltung eines verlässlichen Schiffsführungssystems beitragen können.

Unerlässlich sind weitere und kontinuierliche Untersuchungen zur Wirksamkeit des Verfahrens im praktischen Simulatorbetrieb. Solche Forschungsaufgaben sind notwendiger Bestandteil der Arbeit eines jeden Simulatorbetreibers und, was das Verfahren zur Qualitätsmessung anbetrifft, auch der Hersteller, wenn wir die »gestandenen« Männer, mit denen wir es zu tun haben, ernst nehmen und im Interesse der Reeder die Schiffsführung wirtschaftlicher und sicherer machen.


Diethard Kersandt