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Warenströme verändern sich durch Produktionsverlagerung und neue Lieferanten in den Schwellenländern

Abermillionen Fahrzeuge werden jedes Jahr mit Auto-Carriern zwischen den Kontinenten hin- und hertransportiert. Auch die Zahl an Standardcontainern, die[ds_preview] mit Teilen und Modulen für Autowerke irgendwo in der Welt befüllt werden, reicht wohl in die Millionen. Kein Zweifel: Für den Seeverkehr ist die Autobranche ebenso eine Schlüsselindustrie wie für Beschäftigung und Wertschöpfung an Land. Bei den positiven Prognosen für die weltweite Fahrzeugproduktion rechnen Logistiker mit weiteren Zuwachsraten auch im Seeverkehr. Allerdings dürften sich Kundenbeziehungen und Warenströme durch den Aufholprozess in den asiatischen Staaten wandeln.

Viele reden von Erholung, trotzdem nimmt die Zahl der Krisenopfer unweigerlich zu: Erst meldet der Motorblockhersteller Honsel Insolvenz an, keine zwei Wochen später geht auch dem Dichtungsspezialisten Saargummi Ende Oktober das Geld aus. Trotz gefüllter Auftragsbücher in Folge des Autoexportbooms werde die Liste der insolventen Automotive-Lieferanten nächstes Jahr wohl noch länger werden, befürchten Marktforscher und Branchenmanager. »Die Erwartung, dass OEMs (Original Equipment Manufacturer/Autokonzerne) und Lieferanten nach der Krise enger und partnerschaftlicher zusammenarbeiten, ist nicht eingetreten. Der Kostendruck auf Tier-1- und Tier-2-Lieferanten ist unverändert groß«, warnte Thomas Steinberger, Partner bei PricewaterhouseCoopers, vor kurzem auf dem Logistics Leaders Summit in Stuttgart. So hauchdünn seien die Gewinnmargen vieler Firmen, dass sie eine Refinanzierung in den kommenden Jahren kaum stemmen könnten. »Viele Mezzanine-Finanzierungen der vergangenen sechs bis sieben Jahre sind in den nächsten zwei Jahren fällig. Zahlreiche Lieferanten werden diese Mittel kaum refinanzieren können«, führte Steinberger aus. Auch Tony Humphreys, Logistikchef für Europa, Mittelost und Afrika bei dem US-Lieferanten Delphi, sieht die Branche längst noch nicht überm Berg. »Viele Firmen, die es durch die Rezession hindurch geschafft haben, hängen am seidenen Faden. Sie haben sich weiter verschuldet, aber nicht wirklich überlebt«, sagte Humphreys. Delphi schlitterte selbst bereits 2005 in die Insolvenz und hat in den vergangenen Jahren einen dramatischen Schrumpfungsprozess durchlaufen. Humphrey prophezeite zunehmende Probleme für die westliche Zuliefererbranche um 2012, wenn die Autohersteller die Einbußen in Folge der Weltwirtschaftskrise aufgeholt haben und auf Wachstumskurs gehen. »Dann werden die OEMs ihre Lieferanten zu Investitionen bewegen müssen. Mit einer großen Schuldenlast wird es Ihnen aber nicht gelingen, solche Investitionen in Gang zu setzen«, sagte der Brite. Eine Marktbereinigung könnte auch Konsequenzen für Logistikdienstleister wie Speditionen und Reedereien haben, die sich auf die Automotive-Warenströme konzentrieren. Wenn Lieferanten in großem Stil ausgewechselt würden, dürften auch erhebliche Transport- und Kontraktlogistikleistungen neu ausgeschrieben werden. Andererseits werden sich Hersteller und Systemlieferanten wohl hüten, bestimmte Vorlieferanten Pleite gehen zu lassen, weil sonst die Versorgung der auf Jahre geplanten Montagelinien gefährdet sein könnte.

Kleinere Lieferanten folgen nach Übersee

Eine kritische Hürde für viele Lieferanten stellt laut Steinberger die zunehmende Verlagerung von Fertigungskapazitäten Richtung Asien dar. 2011 wird die Fahrzeugproduktion in den Schwellenländern außerhalb Westeuropas, Nordamerikas und Japans nach Einschätzung von PWC erstmals die Stückzahlen in den traditionellen Industriestaaten überflügeln. Vor zehn Jahren erreichte die Produktion in den Schwellenländern gerade einmal ein Viertel des Volumens in den Industriestaaten. Große Lieferanten sind den OEMs bereits in die neuen Märkte gefolgt, jetzt müssten die kleineren Unternehmen nachziehen. »Unternehmen mit Umsätzen von 50 bis 500 Mio. Euro werden von den Autokonzernen verstärkt dazu gedrängt, in den neuen Märkten zu investieren«, sagte Steinberger. Da die Autohersteller in wichtigen Absatzmärkten wie China auch unter politischem Druck stehen, den Anteil der lokalen Produkte zu steigern, kämen ihre Partner nicht um Direktinvestitionen zum Aufbau eigener Werke herum. Massenhersteller in China sollen bereits auf rund 90 % lokale Wertschöpfung kommen, weil die Belieferung der Produktion aus Übersee gar nicht kosteneffizient ist. Die Premiumhersteller wollen in den kommen Jahren nachziehen. So kündigte Daimler im Mai an, in den kommenden Jahren drei Milliarden Euro in die Motorenfertigung und andere Projekte in China zu investieren. Die Stuttgarter wollen den Autoabsatz in China dieses Jahr von 67.000 auf mehr als 100.000 Stück steigern. 2015 sollen rund 300.000 Autos abgesetzt werden. »Autos in Europa zu bauen und anschließend nach China zu verschiffen wird nicht mehr genügen, auch mit Blick auf die gesetzlichen Bestimmungen«, warnte Steinberger. Die zunehmende Lokalisierung der Produktion in China könnte den Transport und den Umschlag von Fertigfahrzeugen über See empfindlich treffen. Der Export nach Asien bildet eine wichtige Säule für die Reeder und auch für Terminalbetreiber wie BLG Logistics in Bremerhaven oder den Hafen Seebrügge – heute umso mehr noch, weil der Import aus Fernoststaaten wie Japan und Korea drastisch gesunken ist und kaum Aussicht auf eine Rückkehr zu alter Stärke bietet. Denn auch die asiatischen Hersteller setzen zunehmend auf eigene Produktionswerke in Europa statt Fertigfahrzeuge dorthin zu exportieren. Kia baut seine Autos inzwischen auch in der Slowakei, Hyundai und Toyota sind mit Werken in Tschechien vertreten. Wenn die Neuzulassungen in Westeuropa wieder anziehen, können sie die Händler günstiger und schneller mit Fahrzeugen aus Zentraleuropa versorgen statt aus den Stammwerken in Korea und Japan, meinen Experten. In Bremerhaven, wo bis zur Krise ein Großteil der Importfahrzeuge für den europäischen Markt anlandete, stellt man sich bereits auf einen Strukturwandel ein. »Die zwei Millionen werden wir wohl nie wieder erreichen«, hat BLG-Chef Detthold Aden mehrfach gewarnt. So viele Autos waren in den Boomjahren 2007 und 2008 über die Kaimer gerollt.

CKD- und Teileverschiffungen steigen noch

Auch mit Auswirkungen auf die Containerlogistik ist zu rechnen, wenn die lokale Wertschöpfung in Asien zunimmt und nicht mehr so viele Teile über lange Distanzen beschafft werden müssen. Allerdings sind die neu aufgebauten Montagewerke für Premiumfahrzeuge in China immer noch auf steigende Teilelieferungen aus Übersee angewiesen. »Die Zulieferer müssen erst einmal dorthin gebracht werden. Das ist nicht ganz einfach«, sagt Manfred Kuhr, stellvertretender Vorstandschef der BLG Logistics. Für die kommenden Jahre rechnet er deshalb mit kräftig steigenden Mengen bei der Überseeverpackung von Bausätzen und Teilen im Container. Kürzlich hat die BLG von Volkswagen einen Großauftrag für Packen und Versand von Exportteilen im Volumen von über 10.000 TEU pro Jahr erhalten. »Wir sehen noch andere Ausschreibungen für größere Volumina im Markt«, so Kuhr. Dass der »Teile-Tourismus«, von dem Reedereien und Umschlagbetriebe profitieren, einmal abreißt, kann sich der Manager nicht vorstellen. Einerseits könnten die tendenziell sinkenden Importanteile durch das absolute Wachstum der Materialmengen mehr als wettgemacht werden. Andererseits gebe es klare Gegentrends zur Lokalisierung: So würden Zulieferer von ihren neuen Standorten in Asien oder Südafrika nicht nur die lokalen Montagewerke beliefern, sondern auch zunehmend Teile in Drittstaaten exportieren. »Da entstehen ganz neue Verkehrsströme«, betont Kuhr. Auch Jeffrey Morrison, Logistikmanager von General Motors Europe, glaubt an die wachsende Bedeutung des Seeverkehrs für die Versorgung der Werke. Durch zunehmende Standardisierung der Fahrzeugmodelle auf Plattformen würden Komponenten vielseitiger einsetzbar. Einzelne Lieferanten könnten somit Werke in aller Welt mit denselben Teilen beliefern, verdeutlichte er.

Logistikdienstleister und Reedereien müssen den Daumen nur am Puls der Branche haben, damit sie die Geschäftschancen nicht verpassen. Flexible Partner, die mitdenken und pro-aktiv handeln, seien gefragt, sagte BMW-Logistikmanager Klaus Friemann auf dem Logistics Leaders Summit in Stuttgart, und empfahl: »Decken Sie sich mit Automotive-Experten ein, die die Industrie und ihre Bedarfe aus dem Effeff kennen.«