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In den vergangenen 17 Jahren, in denen ich mich mit dem Thema Schiffsbeteiligungen beschäftigt habe, gab es Aufschwünge und Abschwünge, wie es halt im Marktumfeld unternehmerischer Beteiligungen an der Tagesordnung ist. Die Zyklen betragen zwischen anderthalb und vier Jahren, aber sie sind in ihrer Vielfalt omnipräsent. Begleitet wurden wir in der Schifffahrt über viele Jahre von wirklich namhaften Institutionen, die auch die Basics, also auch Fundamentaldaten aus der Ableitung wissenschaftlicher Daten prognostiziert haben und deren Vorausschauen marktbegleitend immer wieder die richtigen Trends dargelegt haben, auf die man sich verlassen konnte. Zu diesen Marktbegleitern gehörten Institutionen wie z. B. Howe Robinson, Clarkson Research oder auf deutscher Seite das ISL Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, federführend für den maritimen Bereich Prof. Dr. Burkhard Lemper.

Aber auch andere Institutionen haben sich im Bereich der Schifffahrt etablieren können, wie beispielsweise die Analysehäuser FondsMedia, unter der Führung[ds_preview] von Peter Kastell, oder das Analysehaus Scope, das unter der Führung von Florian Schoel­ler ebenfalls eine gute Analysearbeit für den den Bereich Schifffahrt leistet. Völlig frei von jeglicher Denkmalserrichtung möchte ich nur daran erinnern, dass ich selbst sehr kritische Analysen – unter anderem als erster für den Bereich Leistungsbilanzen von Schiffsemissionshäusern bereits vor zehn Jahren – durchgeführt und zur Etablierung gewisser Standards in der Branche der Schiffsemissionen beigetragen habe. Nicht zufällig schreibe ich seit vielen Jahren gern mal mit spitzer Feder an dieser Stelle.

In diesem Jahr wurde die Branche nun auch von Roland Berger entdeckt – oder haben frustrierte und verunsicherte Banker Roland Berger als Heilsbringer für die Schifffahrt entdeckt? Die Frage wird sicherlich ebenso unbeantwortet bleiben, wie die Frage nach dem Ei und dem Huhn, die obligatorisch lautet, wer war eigentlich zuerst da? Fest steht, dass die Roland Berger Strategy Consultants in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren nicht gerade durch essentielle Beiträge im Bereich der Schifffahrt von sich Reden gemacht haben.

Umso mehr überrascht eine sogenannte Studie aus dem August 2010 mit der Überschrift »Schiffahrtsstudie 2010, Aufschwung in Sicht? Aktuelle Entwicklungen nach dem Krisenjahr 2009«. Nach eingehender Beschäftigung mit dieser Studie möchte ich dazu einige allgemeine Anmerkungen machen. Der Begriff Studie für die Betitelung der Ausarbeitung aus dem Hause Roland Berger ist zunächst einmal irreführend. Für die vielfältigen Arten von Studien kommen im Zusammenhang mit der Ausarbeitung aus dem Hause Berger nur zwei Begriffsdefinitionen zur Anwendung.

Entweder soll es sich um eine Fallstudie handeln, die im Rahmen der empirischen oder qualitativen Forschung zur Anwendung kommt, oder um eine Multimomenthäufigkeits-Studie (MMH). Letztere wird als ein Stichprobenverfahren definiert, das statistisch abgesicherte Aussagen über die zeitliche Struktur beliebiger Vorgänge zulässt. Die MMH-Studie ist somit ein Verfahren zur direkten Informationsbeschaffung durch Beobachtungen in Zeitabständen. Die Beurteilung der Signifikanz der erzielten Ergebnisse erfolgt mittels Statistik, die Beurteilung der Wahrscheinlichkeiten mithilfe der Stochastik (Wahrscheinlichkeitsrechnung).

Beides kann sicherlich aufgrund des kurzfristigen Erscheinungsbildes auf der Bühne der Schifffahrt nicht von Relevanz sein für die Bezeichnung des Papiers aus dem Hause Roland Berger Strategy Consultants. Aber was ist es dann? Ein Blick in die Definitionen vieler fachlicher Begriffe bei Wikipedia verdeutlicht schnell, worum es eigentlich geht. Der Begriff »Meinungsforschung« bezeichnet die Ausarbeitung, die immerhin 42 Seiten umfasst, wohl am treffendsten. Die Meinungsforschung (auch: Demoskopie oder Umfrageforschung) dient der Ermittlung von Meinungen, also Einsichten, Einstellungen, Stimmungen oder Wünschen der befragten Personen. Für die Meinungsforschung werden durch Befragungen auf der Basis eines repräsentativen Querschnitts der zu untersuchenden Grundgesamtheit Primärdaten gesammelt und anschließend interpretiert. Ok, jetzt wissen wir wenigstens, worum es sich bei dem Papier handelt: Es ist eine demoskopische Untersuchung, zu deren Zweck Umfragen bei verschiedenen, in der Schifffahrt involvierten Unternehmen durchgeführt wurden und deren Ergebnisse nach Fallgruppen zusammengefasst wurden.

Etwas unglücklich ist die Aufmachung der »Studie«, weil bereits auf der Titelseite ein Bild eines Schiffes verwendet wird, das 1987 gebaut wurde und seit nunmehr drei Jahren gar nicht mehr fährt, weil es aufgrund von Schäden nicht mehr eingesetzt werden kann. Sollte das Bild Symbolcharakter für die »Studie« haben? Nach einigen einleitenden Allgemeinplätzchen zu der »Studie« wird dann unterteilt in vier befragte Marktteilnehmergruppen. Dies sind die Charterreedereien, die Linienreedereien, die Emissionshäuser und die Banken.

Insgesamt wurden nach Ausführungen in der »Studie« über 200 Marktteilnehmer in den Monaten Juli und August 2010 befragt. Die Rücklaufquote betrug 32,5 %. Also haben lediglich rd. 65 Marktteilnehmer auf die Befragung reagiert. Da keine Aussagen dazu gemacht wurden, wieviele Teilnehmer aus welchen Gruppen sich an der Umfrage überhaupt beteiligt haben, stellt sich die Frage, wie repräsentativ das Umfrageergebnis tatsächlich ist?

Das in meinen Augen gravierendste Manko dieser »Studie« sind jedoch die Aussagen über die Einschätzung der Krise in der Zusammenfassung der allgemeinen Markterwartungen. In diesen Einschätzungen zur Krise heißt es: »Die Mehrzahl der Studienteilnehmer hält einen erneuten Rückgang der Charter-Raten innerhalb der nächsten zwölf Monate für wahrscheinlich (im Schnitt mehr als 75 % der Befragten), Risiko insbesondere hoch bei Bulkern und MPV (Multi Purpose Vessels), aber auch bei Containerschiffen und Tankern«. In den Einschätzungen zur Markterholung heißt es dann: »Markterholung auf Vorkrisenniveau wird von den Marktteilnehmern erst ab Mitte 2011 (MPV), Anfang 2012 (Container und Tanker) und Ende 2012 (Bulker) erwartet.«

Was soll denn nun wirklich passieren? Erholung oder Stagnation? Bei den Containerschiffen haben wir 2010 eine Verbesserung der Raten bis Anfang Oktober gesehen. Aktuell verzeichnen wir einen leicht fallenden Seitwärtstrend und hoffen, dass es nach Chinese New Year wieder nach oben geht. Aber wer spricht eigentlich vom Vorkrisenniveau und was ist damit gemeint?

Wenn wir vom Vorkrisenniveau sprechen, dann meinen wir Höchststände im Bereich der Baupreise von Schiffen und dem höchsten Charterratenniveau, das wir je in der Schifffahrt gesehen haben. Ob und wann wir das jemals wieder erreichen, sei dahingestellt, aber es dürfte noch lange dauern. Wenn aber die Charterraten wieder ein Niveau erreichen, auf dem Kapitaldienste und Ausschüttungen an die Anleger wieder dargestellt werden können, dann sind wir auf der Siegerstraße, aber noch lange nicht beim Vorkrisenniveau. Ich kenne wirklich niemanden, der vom Erreichen des Vorkrisenniveaus spricht und ich kenne viele Leute in der Schifffahrt. Über das Thema habe ich an dieser Stelle vor kurzem schon unter der Überschrift »Wohin geht die Reise?« geschrieben.

So direkt vermag ich den Sinn nicht zu sehen, weshalb Roland Berger Strategy Consultants auf einmal in der Schifffahrt auftaucht. Zwar reden einige Banken, die gegenwärtigen selbst mit vielen Problemen in der Schiffsfinanzierung überfordert sind, immer wieder von Roland Berger und preisen ihn als den absoluten Heilsbringer und Restrukturierer der Schifffahrt an, aber irgendwie erinnert mich das an Goethes Faust: »Wohl vernehm ich diese Worte, allein mir fehlt der Glaube«.

Als »Schifffahrtsexperte« ist Roland Berger Strategy Consultants erstmals auf dem HANSA-Forum im November 2010 in Erscheinung getreten. Die dort vorgetragenen Einlassungen des Hauses Roland Berger über die Korrelation zwischen geringer Größe einer Reederei und einem fehlenden bzw. nicht wettbewerbsfähigem Geschäftsmodell haben sich den Zuhörern nicht so recht erschlossen. Auch die Darlegungen über die Notwendigkeit von Fusionen, die im Bereich der Schifffahrt seitens Berger gesehen werden, waren nicht überzeugend und insofern überraschend, als die für das eigene Haus anstehende Fusion mit Deloitte – meiner Meinung nach – sehr blamabel gescheitert ist.

Bislang ist die Schifffahrt gut ohne Restrukturierungshilfen klar gekommen und das wird sie sicherlich auch dieses Mal tun. Die beste Restrukturierungsmaßnahme in der gegenwärtigen Situation ist Zeit. Es ist die Zeit, die der Markt benötigt, um sich wieder vernünftig zu erholen. Dabei hilft weder ein Restrukturierer noch eine Schifffahrtsstudie oder sonstige käufliche Hilfen. Die Frage der Überschrift aufgreifend möchte ich kon­statieren, dass die Worte des Journalisten Jürgen Dobert treffend sind, es wurde an und mit der Schifffahrt Geld verdient! Braucht Roland Berger vielleicht die Schifffahrt?

www.mira-anlagen.de
Michael Rathmann