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Die Hartmann Reederei in Leer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu den Großen der Branche gemausert. Von Gasen über Getreide, Container und Bohrinseln gibt es kaum Güter, für die der Konzern nicht das passende Schiff hat. Ihr stärkstes Wachstum erlebte die Firma ausgerechnet mitten in der Krise und unter neuer Führung. Seit Mitte 2008 steht der heute 35jährige Dr. Niels Hartmann, Sohn des Gründers Alfred Hartmann, an der Vorstandsspitze. Im Gespräch mit Hansa-Korrespondent Michael Hollmann zieht er Bilanz über den Generationswechsel und präsentiert seine Pläne für die kommenden Jahre.

War der Weg in die Schifffahrt für Sie vorgezeichnet?

Niels Hartmann: Nein, das stand zwar im Raum und[ds_preview] war eine Option, aber nicht vorgezeichnet. Ich habe BWL studiert, weil man sich damit nichts verbaut. Das passt für die Schifffahrt, aber auch für andere Industrien. Während des Studiums habe ich aber zahlreiche Praktika in der Schifffahrt gemacht, auch an Bord von Hartmann-Schiffen und acht Monate bei P&O Ned­lloyd in Sydney. Schifffahrt ist interessant, und ich kann mir nicht vorstellen, dass andere Bereiche mehr Spaß machen. Hier einzusteigen und ein Unternehmen mit aufzubauen, war eine wahnsinnige Chance aber auch Herausforderung. Wo bekommt man das sonst?

Lief die Nachfolge für Sie reibungslos?

N. Hartmann: Ich hatte mich zunächst im Rahmen der Gruppe mit der Hartmann Offshore selbständig gemacht. Da konnte ich unter dem Schutzmantel der Gruppe meine eigene Firma aufbauen, was eine interessante Erfahrung war. Auch im Hinblick darauf, dass mein Vater mit Mitte 50 ja noch nicht abtreten wollte. Uns war aber auch klar, dass wir uns keinen Schreibtisch teilen wollten.

War Offshore ein Experimentierfeld für Sie?

N. Hartmann: Ein bisschen Experimentierfeld war es schon. Wir hatten zuerst eine Idee, aus der etwas ganz anderes entstanden ist. Eigentlich wollten wir als Atlas Transport & Logistik (ATL) Hinterlandverkehre für Projektgut und Container anbieten. Wir sind dann davon abgekommen und schnell auf den Bereich Offshore gekommen, was seinerzeit auch mit der Neuausschreibung des Notfallschleppers Nordsee zusammen hing. Da kristallisierte sich 2004 heraus, dass Offshore ein gutes weiteres Standbein für das Unternehmen sein könnte. Wir haben dann ein eigenes Schiff mit einem norwegischen Designbüro entwickelt und zwei Jahre später in Auftrag gegeben. Alle zwölf Schiffe, die wir kontrahiert hatten, sind inzwischen in Dienst. Das muss sich alles noch etwas einspielen, aber für uns steht fest: Die Offshore-Aktivitäten sollen weiter ausgebaut werden.

Welche Stoßrichtung verfolgen Sie dabei? Offshore-Windenergie, Öl, Gas …?

N. Hartmann: Öl und Gas. Dafür sind unsere großen Ankerzieher am besten geeignet. Für Offshore-Wind-Projekte nicht unbedingt, weil es dort nicht auf große Motorleistung und Winden, sondern auf große Krane ankommt.

Als Sie 2005 damit begannen, war die Situation völlig anders. Es herrschte Boomstimmung. Sind die Annahmen von damals noch gültig?

N. Hartmann: Ja. Wir versuchen langfristig zu denken, auch wenn wir nicht vor Fehlern in der Boomzeit gefeit waren. Letztlich hat so ein Schiff eine Lebenszeit von 25 Jahren. Es gab immer Zyklen, das ist nichts Neues, obwohl dieser heftiger ist. Will heißen, wenn wir so ein Schiff planen, kalkulieren wir zwei Boomzeiten und zwei Tiefpunkte mit ein. Natürlich ist es nicht schön, wenn die Neubauten gleich in den Abschwung hinein abgeliefert werden.

Wir haben schon konservativ geplant. Dass wir an der einen oder anderen Stelle zu kämpfen haben, will ich nicht verhehlen. Aber das ist nichts, was uns von den Füßen holt.

Offshore weiter ausbauen, was heißt das konkret?

N. Hartmann: Wir haben viele Standbeine: Bulker, Shortsea, Container, Gastanker, Öltanker und jetzt Offshore. Jeder Bereich soll ein ordentliches Gewicht haben. Mit zwölf Schleppern kann man das schon rechtfertigen, aber ein paar mehr Offshore-Fahrzeuge sollten es noch werden.

Also steuert die Hartmann-Gruppe direkt aus der Krise wieder auf Wachstumskurs?

N. Hartmann: Der Schwerpunkt wird in den nächsten Jahren sicher nicht auf Flottenwachstum liegen. Sie müssen bedenken, wir haben seit Anfang 2008 70 Schiffe übernommen, davon den größten Teil während der Krise. Die Flotte umfasst jetzt 190 Einheiten, und 15 Neubauten kommen noch. Selbst ohne Krise ist das ein anspruchsvolles Wachstum, aber in diesem Tempo kann man nicht ewig weiterreiten. Wir werden sicher erst einmal Luft holen und dann eher in den Ausbau der Organisation investieren als in den Ausbau der Flotte.

Sie sagen, Sie müssen erst einmal Luft holen. So mancher Wettbewerber hätte Ihnen gar nicht zugetraut, dass Sie die 70 Schiffe trotz Krise abnehmen können …

N. Hartmann: Das mag sein. Unser Vorteil ist, dass wir breit aufgestellt sind. Denn die Schifffahrtsmärkte bewegen sich nicht parallel. Während die Containerschifffahrt in den vergangenen Jahren zu kämpfen hatte, waren die Bulker- und Tankermärkte über große Strecken noch sehr profitabel. Deshalb haben wir als Gesamtunternehmen in den letzten Jahren keinen operativen Verlust gemacht. Einzelne Bereiche aber schon, und die haben zum Teil weiter zu kämpfen. Durch die tiefe Wertschöpfungskette, die wir anbieten, inklusive Befrachtung, Crewing usw. steht das Gesamtunternehmen stabil da. Zudem sind wir nicht so stark auf den öffentlichen KG-Markt zur Kapitaleinwerbung angewiesen. Wir haben immer versucht, unsere eigene Reedereiflotte auszubauen. Das ist in den vergangenen zwei Jahren gezwungenermaßen schneller verlaufen als angedacht. Aber das war möglich, weil wir zuvor einige sehr profitable Jahre hatten.

Wieso schneller als angedacht? Sie hatten die Schiffe doch schließlich in den Boomjahren bestellt?

N. Hartmann: Ja, wir hatten aber schon projektiert, dass einige dieser Einheiten in KG-Fonds gehen. Das war in letzten zwei Jahren nicht möglich. Wir konnten das als Firma auffangen, was allerdings ein Kraftakt war.

Sie mussten Verträge für zwei Containerschiffe bei den Nordseewerken stornieren.

N. Hartmann: Das waren auch die einzigen beiden Schiffe, die wir nicht abgenommen haben.

Fiel Ihnen die Entscheidung schwer?

N. Hartmann: Es sind sehr gute Schiffe. Wir hätten sie unter anderen Umständen gern gehabt. Aber die waren aufgrund der auf Euro basierenden Verträge schwer zu realisieren. Insofern waren wir froh, da eine Lösung im Einvernehmen mit der Werft gefunden zu haben.

Zahlreiche Einschiffsgesellschaften innerhalb der Hartmann-Gruppe wurden laut Handelsregistereinträgen kürzlich liquidiert. Was verbirgt sich dahinter?

N. Hartmann: Das waren Gesellschaften, die Schiffe – vor allem kleine Bulker – in China bestellt hatten und sie nach Übernahme an andere Tochterfirmen der Gruppe in USA und in Europa verkauft haben.

Also keine Bereinigung der Flotte?

N. Hartmann: Keine Bereinigung. Im Bereich der kleinen Bulker bis 40.000 tdw ist relativ wenig gebaut worden. Da sehen wir weiter unseren Markt. Wir haben dann auch zwei Capesize-Bulker dazu übernommen und verchartert – als Beimischung zur Flotte. Wir konzentrieren uns aber weiter auf kleinere Bulker, bei denen unsere Tochtergesellschaft UBC (United Bulk Carriers) selbst die Befrachtung übernimmt. Capesize ist ein reiner Massenmarkt mit ein paar Rennstrecken. Wir versuchen hingegen, für uns Nischen zu erarbeiten, in denen man eine echte Kundenbindung erreicht, indem man sich auf eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Gut beschränkt. Bei großen Bulkern und Tankern ist das schwer möglich, weil das homogene, sehr transparente Märkte sind.

Im Bereich Breakbulk / MPP und Container-Feeder haben Sie auch neue Angebote geschaffen. Kommt da noch etwas hinzu?

N. Hartmann: Hier sind wir mehr am Verfeinern als am Ausbauen. Die Projekte sind nicht einfach, aber man kann sich differenzieren und für den Kunden Mehrwert schaffen. Unsere Teams sind beim Mehrzweck-Round-the-World-Service dabei, maßgeschneiderte Lösungen für Kunden zu entwickeln. Wir beschränken uns hier freiwillig auf die eigenen Schiffe und wollen keine Fremdtonnage einchartern.

Wie sind Ihre Erfahrungen im Container-Feeder-Bereich?

N. Hartmann: Das ist schon ein aufwendiges Geschäft. Auch hier ist es nicht leicht, sich zu differenzieren, es sei denn, man kommt an die Endkunden heran.

Die Befrachtung ist für Ihr Unternehmen von Anfang an Kerngeschäft gewesen. Viele meinen, dass der eigene Zugang zur Ladung noch wichtiger wird. Sehen Sie da tatsächlich einen Vorsprung für sich?

N. Hartmann: Wir sind da gut aufgestellt. Da gibt es in der Tat auch eine Veränderung in den Diskussionen mit den finanzierenden Banken. In der Vergangenheit war uns das negativ ausgelegt worden, dass wir Schiffe ohne Chartervertrag bestellen, weil wir sie lieber selbst befrachten. Jetzt kommen Banken auf uns mit derselben Philosophie zu, die wir schon immer vertreten haben.

Sind Sie mit den Prozessen innerhalb der Gruppe zufrieden? Einige andere Reedereien müssen ihre Abläufe heute unter dem Druck der Banken deutlich straffen und transparenter gestalten …

N. Hartmann: Die Gruppe ist in einem sehr stabilen Zustand und auch organisatorisch gut aufgestellt. Da gibt es die Holding, die alles zusammenhält. Dadurch können wir zwei Prinzipien miteinander verknüpfen. Einerseits die breite Auffächerung des Spektrums über Schiffstypen und Fahrtgebiete hinweg, mit Befrachtung und eigenem Crewing. Auf der anderen Seite sind die operativen Firmen immer relativ klein und spezialisiert. Es wäre kaum möglich, alle 190 Schiffe, die wir heute managen, von einer Firma zentral verwalten zu lassen. Das wäre zu komplex. Das Konzept mit den vier Reedereien Feederlines (Shortsea), Hartmann Schifffahrt (Gastanker, Container), Hartmann Offshore, Intership Navigation (Bulker) geht gut auf.

Dennoch sagten Sie, dass Sie in die Organisation investieren müssen. Geht es nur um zusätzliche Mitarbeiter und größere Systeme?

N. Hartmann: Es geht auch um die weitere Vereinfachung der Organisation. Da gibt es eine Reihe von Projekten zur Verbesserung der Schnittstellen. Wir sind stark gewachsen mit neuen Firmen hier und da, die man wieder ein bisschen einfangen muss. Eine Überlegung ist, die gesamte Trockenbefrachtung von Bulk, Breakbulk und Projektgut unter einem einheitlichen Namen zu bündeln, so dass man eine Schnittstelle zum Kunden hat. Da gibt es heute viele unterschiedliche Berührungspunkte. Es geht aber weniger um die Prozesse als um einen einheitlichen Markenauftritt.

Weitere konkrete Projekte für 2011?

N. Hartmann: Ein wichtiges, seit zwei Jahren laufendes Projekt ist das Risikomanagement-System für die Gesamtgruppe. Da sind wir nun mit den vorbereitenden Arbeiten durch. Das muss in den kommenden Jahren implementiert und in ein einheitliches Planungssystem für die Firmen überführt werden. Darüber hinaus versuchen wir, die Zusammenarbeit zwischen den Tochtergesellschaften weiter zu forcieren. Das klappt in vielen Bereichen sehr gut.

Was für ein Risikomanagement?

N. Hartmann: Kein qualitatives, das haben wir natürlich sowieso schon, sondern ein rein finanzielles Risikomanagement aus Holding-Sicht. Uns geht es darum, unsere Gesamtrisikoposition gut darstellen zu können, unsere Schwachstellen zu entdecken und zu sehen, wie sich ein Wachstum in bestimmten Bereichen wie der Offshore-Schifffahrt auf unser Portfolio auswirkt.

Üben die Banken Druck in diese Richtung aus?

N. Hartmann: Nein, da gibt es keinen Druck. Wir hatten das lange auf unserer Agenda und uns viele Risikomanagement-Systeme angeschaut. Jetzt haben wir ein System, das gar nicht speziell für die Schifffahrt entwickelt wurde, aber trotzdem gut geeignet ist. Da werden wir sicher zu den ersten in der Schifffahrt gehören, die das umfassend und integriert einführen, mal abgesehen vielleicht von den großen Linienreedereien.

Sie sprachen vorhin von den getrennten Schreibtischen. Viele Nachfolger stehen noch lange unter dem Einfluss der Vorgängergeneration. Wie viel Bewegungsfreiheit wurde Ihnen eingeräumt?

N. Hartmann: Ich hatte volle Bewegungsfreiheit, schon mit der eigenen Firma Hartmann Offshore. Als ich selbst 2008 in die Holding eintrat, schied mein Vater aus. Zudem wurde die Holding im Vorwege schon mit nach meinen Vorstellungen aufgebaut. Mein Vater und ich hatten gemeinsam zum Beispiel einen Finanzchef eingestellt. Dass es mal Reibungspunkte gibt, ist klar. Aber die sind nicht substanziell. Das ist sehr gut gelaufen. Mein Vater hat kurzfristig wieder die Geschäftsführung von Hartmann Schifffahrt übernommen, weil dort eine Lücke entstanden war. Aber das war eine gemeinsame Abstimmung, ein Nachfolger ist für 2011 avisiert.

Während Ihre Flotte in den vergangenen Jahren durch Neuzugänge stark wuchs, konnten Sie kaum ältere Schiffe verkaufen, um Liquidität zu generieren. Kommt mit den anziehenden Schiffswerten nun doch die große Wende? Planen Sie für 2011 mehr Verkäufe?

N. Hartmann: Wir haben 2010 nur sechs Schiffe verkauft. Eigentlich war in den vergangenen Jahren geplant, halb so viele Schiffe, wie neu hinzukommen, wieder zu verkaufen. Insofern haben wir einen Nachholbedarf bei Schiffsverkäufen. Hauptproblem ist nach wie vor: Es gibt viele Interessenten, aber nur ganz wenige, die auch eine Finanzierung zustande bringen.

Andererseits haben wir uns wegen des ungeplant hohen Wachstums auch organisatorisch so aufgestellt, dass wir die Schiffe betreiben können. Alle sind voll beschäftigt. Wir sind deshalb nicht in der Not, uns von Schiffen trennen zu müssen, weil wir sie nicht beschäftigen könnten. Wir peilen für Ende 2011 eine Flottengröße von etwa 200 Schiffen an, gegenüber 190 derzeit.

Man braucht neue Finanzierungsformen. Das ist wohl die wichtigste Erkenntnis für deutsche Reeder und Emissionshäuser nach dem Marktzusammenbruch 2009. Haben Sie Vorschläge?

N. Hartmann: Sicherlich muss man sich über alternative Finanzierungen Gedanken machen, zum Beispiel Bonds / Anleihen. Wir sind da aktiv und gucken in alle möglichen Richtungen. Es gibt aber keine konkreten Pläne. Eine unumstößliche Maxime ist, dass wir die Herren im eigenen Hause sein wollen. Und das wäre zum Beispiel schwer mit der Börse vereinbar.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hartmann.