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Der Boom im brasilianischen Schiffbau steckt noch in seinen Anfängen. Trotzdem sollten deutsche Zulieferer beizeiten tragfähige Positionen für die Zukunft aufbauen.

Lorenz Winter

Lange Projektlisten wurden einer Delegation deutscher Schiffsausrüster, die Mitte 2010 eine Offshore-Fachmesse und verschiedene Werften[ds_preview] in Rio besuchten, zum Beweis für den Boom im brasilianischen Schiffbau vorgelegt. Doch Delegationsleiter Hauke Schlegel vom VDMA warnte nach seiner Rückkehr vor übereilter Euphorie. Gewiss, so räumt der für die Offshore-Branche zuständige Geschäftsführer des Verbands ein, seit seiner Visite vom Jahr zuvor seien »viele Projekte nunmehr vom Papier gekommen«. Noch immer aber sei es für deutsche Zulieferer, die mit brasilianischen Kunden ins Geschäft kommen möchten, ratsam, sich an Ort und Stelle ein Bild davon zu machen, welche Vorhaben tatsächlich im Terminplan lägen. Denn sonst seien Enttäuschungen vorprogrammiert.

Brasilianischer Überschwang verwechselt eben oft vorhandenen Bedarf mit (noch) nicht erteilten Aufträgen und hält bloße Vorhaben schon für wirtschaftliche Realität. Beispielsweise benötigt Brasilien in den nächsten Jahren vermutlich sechs bis acht neue Großwerften. Ob sich aber rasch genügend Investoren finden, die dafür schätzungsweise 10 Mrd. Dollar aufzubringen bereit sind, steht auf einem anderen Blatt. Und noch ein weiteres Zahlenpaar beleuchtet die Diskrepanz zwischen Erwartung und Wirklichkeit. Allein die Mineralöl- und Reedereigruppe Petrobras / Transpetro beziffert ihren Bedarf an Tankern, Bohrinseln und Versorgungsschiffen für eigene Offshore-Aktivitäten im nächsten Jahrzehnt auf mehr als 500 Einheiten. Der gesamte Auftragsbestand aller brasilianischen Werften machte Ende 2010 aber erst ein Viertel davon aus und die festen Orders von Trans­petro gerade mal 7 %. Besonders krass war die Differenz in der Klasse der Versorgungsschiffe: Petrobras / Transpetro brauchen 200 davon, die Werften hatten im zweiten Halbjahr 2010 aber nur 19 in Arbeit. Eile mit Weile ist im Schiffbau also angesagt.

Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, dass Brasilien seit dem Niedergang seines Schiffbaus in früheren Jahrzehnten international gewaltig aufgeholt hat. Sieben Jahre waren vor 2004 ohne eine einzige Auftragsvergabe verstrichen und davor weitere zehn, in denen lediglich Altorders abgearbeitet wurden. »Dabei waren wir noch in den 1970er Jahren, gemessen am Auftragsbestand, nach Japan die zweitgrößte Schiff-baunation der Welt«, erinnert Sérgio Machado, Vorstandsvorsitzender der Trans­petro-Reederei. Inzwischen sei sein Land aber wieder auf Platz 4 dieser Weltrangliste vorgerückt, übertroffen nur von Südkorea, China und Japan. Bei den vorhandenen Kapazitäten ist der Abstand zwischen Asien und Brasilien dagegen größer. Immerhin aber könnte die Gesamtbeschäftigung der Werften des südamerikanischen Landes demnächst mit rund 50.000 Mitarbeitern erstmals wieder das Niveau der 1970er Jahre erreichen.

Über einheimische Werften zu verfügen und Handelsschifffahrt unter eigener Flagge zu betreiben, sei für Brasilien wichtig, betont der Transpetro-Manager, weil 95 % seines Außenhandels auf dem Wasserweg abgewickelt werden, Schiffscharterungen also Devisenverluste in Milliardenhöhe bedeuten. Seine Reederei betreibt nach Angaben von Machado heute insgesamt zwar 180 Schiffe, davon aber nur 52 eigene. Und weil viele Einheiten dieser Flotte überaltert sind, »würden wir ohne das 2004/05 von uns aufgelegte Programm zur Flottenmodernisierung (Promef) in drei Jahren nur noch über 108 Einheiten verfügen, davon ganze 20 in Eigenbesitz.«

Promef, derzeit in der zweiten Phase befindlich, brachte die Trendwende für den brasilianischen Schiffbau, weckte aber zugleich auch manch überzogene Erwartungen an das Tempo des Wiederaufschwungs. Von 49 in 2004 geplanten Schiffen hatte Transpetro bis Mitte vorigen Jahres zwar 46 ausgeschrieben und davon wiederum 38 fest geordert, doch gingen in 2010 erst vier Einheiten zu Wasser, und die letzte der 49 soll (mit Glück) 2014 getauft werden. Neben Transpetro trat nach seiner Privatisierung in den 1990er Jahren später auch der Rohstoff-Konzern Vale do Rio Doce über seine Reedereitochter als Auftraggeber für Massengutfrachter auf den Plan. Darüber hinaus ist Brasiliens Schiffbau jedoch noch wenig diversifiziert.

Außer durch den Fonds zur Entwicklung der Handelsmarine des Landes (FMM) stützt sich Promef finanziell auf einen öffentlichen Garantiefonds zugunsten der brasilianischen Werften (FGCN). Seit 2007 bildet der Schiffbau zudem ein prioritäres Kapitel des allgemeinen Konjunkturförderhaushalts (PAC) der brasilianischen Bundesregierung. An Geld für seinen Wiederaufschwung fehlt es ihm also nicht. Nur könnten die Werften drüben es an Geschwindigkeit und Kosteneffizienz wahr-scheinlich noch auf Jahre hinaus nicht mit dem Wettbewerb in Asien aufnehmen, vermutet VDMA-Geschäftsführer Schlegel. Denn es fehlt ihnen an qualifiziertem Personal, ihre technischen Prozesse sind oft noch rudimentär und Stahlkäufe in Brasilien selber waren bisher so teuer, dass sie sich lieber im Ausland eindeckten, auch wenn das ihren Logistikaufwand hochtrieb.

Immerhin gibt es eine Handvoll eindrucksvoller Beispiele für die Fortschritte im brasilianischen Schiffbau. So kann etwa Estaleiro Atlântico Sul (EAS) im Hafen von Suape bei Recife auch nach internationalen Maßtäben durchaus als Großwerft gelten. Auf einer Fläche von 160 ha wurden dort mehr als eine halbe Mrd. € in den Bau von zwei Kais mit 700 bzw. 350 m Länge sowie Brücken und Krane hauptsächlich südkoreanischer Herkunft investiert. EAS verarbeitet nach Auskunft von Vorstandsvorsitzer Angelo Bellelis derzeit 72.000 t Stahlblech und Profile pro Jahr und besitzt genug Kapazitätsreserven, um dieses Volumen mittelfristig zu verdoppeln. Die Werft gewann im Vorjahr eine Promef-Ausschreibung über 22 Schiffe und kam dadurch auf einen Auftragsbestand von 3,5 Mrd. Dollar. Sobald die zweite Phase des Promef-Programms in Suape richtig in Fahrt kommt, »werden wir mit dem Bau von Schiffen beginnen, die bei jeder Windrichtung und Meeresströmung automatisch ihre Position halten bzw. den Kurs korrigieren können«, versichert Bellelis. Ebenso stolz wie auf diesen technischen Fortschritt ist der EAS-Chef auf die ersten Bestellungen nichtbrasilianischer Kunden für Offshore-Gerät.

Auf den Trockendocks von EAS entstand auch der im Frühjahr 2010 vom Stapel gelaufene Öltanker »João Cândido« als eines der erwähnten 49 Schiffe der Transpetro-Reederei. Der 274 m lange Tanker vom Typ »Suezmax« befördert 1 Mio. Barrel (137.000 t) Rohöl, was fast der Hälfte der Tagesförderung Brasiliens von 2010 entspricht. Zumindest in den ersten Jahren ihres Linienbetriebs wird die »João Cândido« allerdings nur in der Küstenschifffahrt verkehren, obwohl das Schiff an sich hochseetauglich ist.

Keiner der übrigen Werftbetriebe Brasiliens, wie zum Beispiel Mauá oder RioNave in Niteroi (auf der anderen Seite der Hafenbucht von Rio) oder Brasfels in Angra (120 km westlich der Stadt am Zuckerhut), kann es an Größe und Kapazität vorläufig mit der Anlage von EAS aufnehmen. Jedoch plant die Firma OSX, die zum Konglomerat des Industriekapitäns Eike Batista gehört, im Hafen von Açu (140 km nordöstlich von Rio) für 1,7 Mrd. Dollar einen ähnlichen Komplex, mit dessen Bau sie schon Mitte 2011 beginnen möchte. Klappt das, könnte die neue Werft etwa im ersten Quartal 2013 ihre Arbeit aufnehmen. Den derzeitigen Engpass bei Offshore-Ausrüstungen würde zudem die Wiederaufnahme der Produktion auf der ehemaligen Werft der japanischen Ishibras-Gruppe im Hafen von Rio aufbrechen helfen. Die Anlage ist heute unter dem Namen Inhaúma an Petrobras verpachtet. Das Unternehmen will die Werft nach Beilegung eines Steuerstreits mit dem Bundesland Rio demnächst neueröffnen und dort 5.000 Mitarbeiter beschäftigen.

Daneben können auch manche kleinere Werften mit Erfolgen aufwarten. So lieferte zum Beispiel Brasfels im vorigen Oktober ein für die Offshore-Branche bedeutsames Gewerk ab: die Produktionsplattform P-57. Sie soll künftig im Bohrfeld »Jubarte« bei Campos Dienst tun und täglich 180.000 Barrel (2.465 t) Rohöl durchsetzen. Obwohl P-57 kein Untersalzfeld anzapft, hat sie für den Petrobras-Konzern strategische Bedeutung, weil die Bohrinsel von ihren Ausmaßen her als Modell für Anlagen zur Tiefsee-Exploration gelten kann. Der Rumpf von P-57 stammt von einem in Singapur umgerüsteten Tanker, auf den dann in Brasilien die technischen Einrichtungen zur Förderung, Reinigung und Zwischenlagerung des in der Bucht von Campos entdeckten Rohöls aufgesetzt wurden. Durch eine Zweitausschreibung des Projekts konnte Petrobras den Preis der Anlage von ursprünglich verlangten zwei auf 1,2 Mrd. Dollar senken. Und trotz des Rohbaus in Singapur erzielte der Konzern bei P-57 einen »local content« von 68 % – 15 Punkte über der im Geschäftsplan zunächst angesetzten Quote.

»Local Content«-Klauseln schreckten die Mitglieder seines Verbands nicht, versichert Schlegel vom VDMA. Denn an solche Vorschriften sei man von Aufträgen in anderen Weltregionen her gewohnt. In Brasilien bezieht sich die Forderung nach einer bestimmten einheimischen Fertigungstiefe zudem auf den Gesamtwert eines Auftrags und nicht auf einzelne Komponenten. Damit bleibt für deutsche Schiffsausrüster genügend Manövrierraum zur Nutzung von Marktnischen für ihre Spezialangebote. Einfach aufschnappen könnnen sie solche Nischen trotz des sich künftig abzeichnenden Booms im brasilianischen Schiffbau freilich nicht. Vorher müssen sie erst einmal tragfähige Positionen am Markt aufbauen: durch systematisches Studium von Ausschreibungen sowie durch die Suche nach Geschäftskontakten und die Entwicklung von Partnerschaften.


Dr. Lorenz Winter