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Maritimer Koordinator Hans-Joachim Otto beim Schifffahrtsessen des Nautischen Vereins zu Hamburg: »Kein Tabu« bei der Prüfung von Gegenmaßnahmen«

»Bei den Überlegungen zum Schutz gegen die an Dramatik gewinnende Piraterie darf es kein Tabu geben.« Das sagte der Koordinator[ds_preview] der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft, Hans-Joachim Otto, als Festredner des Schifffahrtsessens 2011 des Nautischen Vereins zu Hamburg (NVzHH) am 1. Februar. Dies gelte weder für den Einsatz bewaffneter Kräfte an Bord von Handelsschiffen noch für den Vorschlag, rund um das Kap der Guten Hoffnung zu fahren. Das sei zwar kein Patentrezept, doch sollte auch darüber gesprochen werden.

Risiken werden größer

Derzeit würden fast 700 Seeleute als Geiseln von skrupellosen Piraten festgehalten, so Otto. Allein im letzten Jahr habe es vor der somalischen Küste 231 Piratenüberfälle mit 72 Entführungen gegeben. »Es droht eine Spirale, die Risiken, Gefahren und nicht zuletzt auch die Kosten für Besatzung und Reeder immer größer werden lässt«, sagte Otto mit Verweis auf die zunehmende Aufrüstung der Piraten und die zuletzt an den Tag gelegte Gewalttätigkeit im Fall der »Beluga Nomination«. Da der weltweite Handel, die Güterproduktion und Versorgung der Konsumenten behindert werden, sei eine reibungslose Seeschifffahrt für eine exportorientierte Nation wie Deutschland nicht zuletzt aus diesen Gründen elementar. Dabei gelte die größte Sorge vor allem den Seeleuten, die sich in Lebensgefahr begeben oder schon heute von Piraten festgehalten werden.

Weitergehende Maßnahmen gefordert

Auch wenn die Piraterie ein weltweites Phänomen ist, seien doch vor allem die Küstenregionen rund um das Horn von Afrika betroffen, wo 90 % aller Überfälle registriert werden, führte Otto aus. Ursache seien das praktische Fehlen staatlicher Autorität in Somalia, aber auch Armut und Perspektivlosigkeit der Bevölkerung. Das langfristige Konzept der Bundesregierung sehe daher eine Vielzahl von Maßnahmen zur Stabilisierung dieser Region vor – auf der Ebene der EU und der Vereinten Nationen –, doch müsse auch mittel- und kurzfristig etwas getan werden. So habe die Bundesregierung im Dezember die Antipiraterie-Operation »Atalanta« verlängert, die den Steuerzahler allein jedes Jahr 50 bis 60 Mio. € koste. Zwar würden noch weitergehende Maßnahmen wie bewaffnete hoheitliche Kräfte – seien es Soldaten oder die Bundespolizei – an Bord von Handelsschiffen gefordert, aber neben den damit verbundenen rechtlichen und logistischen Problemen dürften die Regelungen des Seerechtsübereinkommens der UN und das Flaggenstaatsprinzip nicht übergangen werden. So hätten hoheitliche Kräfte keine oder nur beschränkte Befugnisse bei Schiffen, die nicht unter deutscher Flagge fahren. Zudem sei ein Einsatz deutscher Soldaten zum Schutz von Handelsschiffen außerhalb der Operation Atalanta nicht zulässig. Otto erinnerte in diesem Zusammenhang an die Zusammenkunft einer rechtsübergreifenden Expertengruppe mit Vertretern der Reeder und Seeleute, zu der er Ende Januar nach Berlin eingeladen hatte. Die dort besprochenen Maßnahmen müssten nun rasch angegangen werden, so Otto, der weitere Treffen dieser Art ankündigte. Dabei denke er an Maßnahmen der prioritär selbst für ihren und den Schutz ihrer Leute zuständigen Reeder wie die Optimierung technischer und operativer Sicherheitsvorkehrungen einschließlich der Umfahrung der gefährdeten Gebiete. Doch gehe es auch um staatliche Maßnahmen. So sollte beispielsweise die landseitige Mission der Afrikanischen Union zur Stabilisierung Somalias (AMISOM), deren Personal erst kürzlich von 8.000 auf 12.000 aufgestockt worden sei, im Hinblick auf die Pirateriebekämpfung besser mit den seeseitigen Aktivitäten wie Atalanta vernetzt werden. Dies erfordere allerdings einen langen Atem.

2011 Rückenwind für maritime Wirtschaft

Für die deutsche maritime Wirtschaft sieht Otto auch in diesem Jahr »große Herausforderungen«, doch gebe es von Seiten der Konjunktur Rückenwind. Nachdem Deutschland im internationalen Vergleich hervorragend aus der Krise herausgekommen sei und 2010 ein Wirtschaftswachstum von 3,6 % vorweisen konnte, habe auch die maritime Wirtschaft vom Aufschwung profitiert. Der mit 7 % prognostizierte Anstieg des Welthandelsvolumens für 2011 knüpfe an das durchschnittliche Niveau der Vorkrisenjahre und biete hervorragende Aussichten. Auch von dem im Bereich der Offshore-Windenergie erwarteten erheblichen Wachstum – bis 2030 werden 100 Mrd. € Umsatz und rund 10.000 Arbeitsplätze erwartet – könnten Werften, Zulieferer, Dienstleister, Häfen Logistikunternehmen und die Umwelt profitieren. Allein in Deutschland sollen bis 2030 Offshore-Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 25 Gigawatt erreichtet und in Europa 600 bis 800 Anlagen pro Jahr installiert werden. Sein Hauptziel sei es, so Otto, dass dieser frische Wind auch die deutschen Werften erreicht, denen immer noch Aufträge für eine gesunde Auslastung fehlten. Um die ambitionierten Ziele der Energieversorgung erreichen zu können, werden Otto zufolge zahlreiche Errichterschiffe, Kabelleger und Wartungsschiffe benötigt. Die über Offshore-Erfahrungen verfügenden deutschen Werften seien technologisch in der Lage, sehr spezifische Anforderungen zu erfüllen. Nachdem in den letzten beiden Jahren Errichterschiffe von deutschen Unternehmen an einheimischen Werften vorbei im Ausland bestellt worden seien, könnten Aufträge wie die Order eines Transport- und Installationsschiffes der niederländischen Van-Oord-Gruppe (inklusive Option für einen Nachbau) bei Sietas in Hamburg sowie kürzlich bei den P+S Werften in Stralsund und den Nordic Yards in Warnemünde platzierte Bestellungen ein Signal für weitere Aufträge deutscher Werften sein.

Ziel ist der Klimaschutz ohne Wettbewerbsverzerrung

Auch wenn die Seeschifffahrt mit einen Anteil von nur 4 % am weltweiten CO2-Ausstoß ein besonders energieeffizienter und umweltverträglicher Verkehrsträger sei, müsse und wolle sie alle Anstrengungen unternehmen, um auch ihrerseits den Ausstoß an Treibhausgasen weiter zu reduzieren. Deutschland beteilige sich maßgeblich an den entsprechenden Verhandlungen in der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO sowie innerhalb der UN-Klima­rahmenkonvention. Dabei gelte es vor allem, so Otto, weltweit gültige Standards durchzusetzen, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Derzeit werde die stufenweise Absenkung des Schwefelgrenzwertes für Schiffstreibstoffe auf 3,5 % ab 2012 und 0,5 % ab 2020 diskutiert. In den Schwefelemissionsüberwachungsgebieten (SECAs) wie Nord- und Ostsee gelten deutlich niedrigere Grenzwerte von derzeit 1,0 % bzw. 0,1 % ab 2015. Befürchtungen, dass sich dadurch die Seeschifffahrt unverantwortlich verteuern und möglicherweise Kurzstreckenseeverkehre auf die Straße verlagert werden könnten, würden von der Bundesregierung und ihm persönlich ernst genommen, versicherte Otto. Sollten die dazu derzeit untersuchten Studien die Bedenken bestätigen, müssten entsprechende Schritte unternommen werden, stellte er klar. Entscheidend sei, dass man eine internationale (IMO)-Regelung der europäischen Schwefelrichtlinie vorziehe. Im Übrigen hätten auch die USA und Kanada den überwiegenden Teil ihrer Küstengewässer als Emissionüberwachungsgebiete mit strikten Grenzwerten ausweisen lassen, wodurch die Schwefelgrenzwerte in den europäischen SECAs zusätzliche Unterstützung erhielten. Doch dürfe es nicht nur um die Nord- und Ostsee gehen: Die EU-Kommission lasse derzeit in einer Studie prüfen, ob eine Ausweisung von SECAs im Mittelmeer und Schwarzen Meer sinnvoll sein könnte. »Auch dafür wird sich Deutschland stark machen«, sagte Otto. Als maritimer Koordinator werde er sich jedoch für eine Lösung einsetzen, die einerseits einen effektiven Umweltschutz gewährleiste und andererseits eine Verlagerung des Kurzstreckenseeverkehrs auf die Straße vermeide.

Schifffahrt hat sich überraschend schnell erholt

»Die Erholung der Seeschifffahrt hat sich überraschend schnell eingestellt«, freute sich der Vorsitzende des NVzHH, Walter Collet, bei der Begrüßung der 330 Gäste aus der maritimen Wirtschaft, Schifffahrtsverwaltung, Lotsen, Schiffsbanken, Emissionshäusern, Verbänden und Institutionen. Die Auflieger seien wieder aus den Häfen verschwunden und die Reeder hätten zusammen mit Werften, Banken und Charterern Lösungen gefunden. Die Weltkonjunktur habe sich erholt, die Schiffe seien wieder voll und die Seehäfen würden für das abgelaufene Jahr von zweistelligen Zuwachsraten berichten. Zwar hätten einige deutsche Reeder 2010 sogar als das beste Jahr ihrer Firmengeschichte bezeichnet, doch gehörten Trampschiffs- und Charterreedereien nicht dazu. Bis Mitte letzten Jahres sei es mit den Frachtraten rasant berauf gegangen, doch sei dieser Schwung in der zweiten Jahreshälfte verpufft und man höre, dass inzwischen einige Segmente der maritimen Industrie bereits wieder unter Druck geraten seien, so Collet. Wie sich die Situation angesichts der zu erwartenden Neubauten in diesem Jahr entwickeln werde, bleibe abzuwarten. Ernst zu nehmende Studien gehen Collet zufolge für 2013 bereits wieder von einer Knappheit des Frachtraumes aus – allerdings auf Basis eines moderaten Wachstums und der Annahme, dass Slow Steaming und andere Sparmaßnahmen beibehalten werden. Die Banken hätten und machten indes immer noch Sorgen, so Collet: »Die Finanzierung eines Frachtschiffes zu bekommen ist alles andere als leicht.« Von der Bankenseite erhoffe er sich auch 2011 Geduld und Verständnis im Interesse eines gemeinsamen Agierens mit Reedereien und Emissionshäusern.

Qualifizierung und Ausbildung des Nachwuchses wichtiges Anliegen

Eine positive Bilanz konnte Collet zur Ausbildung und Qualifizierung des Nachwuchses ziehen, dem der NVzHH besondere Bedeutung zumisst. Zwar sei aus der Qualifikation zum »Hamburger Schiffahrts-Betriebswirt« im Januar 2010 der »Bachelor of Shipping Trade and Transport« (BSc) geworden, doch sei das Konzept gleich geblieben: Erst Ausbildung, dann Studium, Die Ausbildung decke vier Semester Studium ab, wobei lediglich das letzte Jahr – also zwei Semester – berufsbegleitend abends und samstags geleistet werden. Ziel sei es, die gute duale Ausbildung zu stärken. Da 90 % der Azubis in der Schifffahrt Abitur haben, würden sonst viele an die Unis abwandern und den Unternehmen nicht mehr zur Verfügung stehen – gute Fachkräfte seien dann weg. Die Teilnehmer seien zwar Studenten der London Metropolitan University und dort immatrikuliert, studierten aber in Hamburg an der HST Akademie GmbH. Bereits im ersten Jahr hätten mehr als 20 Teilnehmer mit dem Titel BSc abgeschlossen. Der zweite Studiengang sei bereits von 23 Teilnehmern gebucht, zeigte sich Collet zufrieden.

Förderpreis für die jahrgangsbesten Azubis zum Schifffahrtskaufmann

Auch in diesem Jahr konnte Collet wieder die beiden Jahrgangsbeste der Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann an der Berufsschule Berliner Tor mit dem aus einer Urkunde und einem Scheck bestehenden Förderpreis des Nautischen Vereins zu Hamburg auszeichnen. Der erste Preis ging an Nicole Ritter von der Reederei Claus-Peter Offen. Die 21-Jährige, die nach dem Abitur ihre zweieinhalbjährige Ausbildung absolviert hat und jetzt als Assistentin in der Nautischen Inspektion der Hamburger Reederei tätig ist, erreichte 469 von 500 möglichen Punkten. Mit den Worten »Leistung lohnt sich und das möchtern wir honorieren«, gratulierte Collet der engagierten Preisträgerin, die zu ihrer weiteren Qualifizierung im Sommer das berufsbegleitende Studium zum Bachelor Shipping, Trade and Transport an der HST aufnehmen will. Ihre Begeisterung für die Schiffahrt war seinerzeit durch ein Praktikum beim Hamburger Seemannsclub »Duckdalben« der Seemannsmission geweckt worden. Der zweite Preis ging an Philipp Caspar Tomczak von Maersk Deutschland. Für die 2012 stattfindende Honorierung der nächsten beiden Jahrgangsbesten konnte bei der anschließenden Tellersammlung das Rekordergebnis von 5.060 € erzielt werden.

Kapitänsrede einer »Exotin«

»Frauen in der Seefahrt sind auch im 21. Jahrhundert noch immer ein bisschen besonders«, resümierte Daniela Ebner von der Buxtehuder Reederei NSB in einer launigen Kapitänsrede ihre Erfahrungen. »In der Zeit meiner Ausbildung in den Neunzigern war ich mir ziemlich sicher, dass Frauen in der Seefahrt bald schon zu einer ganz normalen und alltäglichen Erscheinung werden. Die Hoffnung hat sich bisher nicht erfüllt, Veränderungen dauern deutlich länger, als ich mir damals träumen ließ«, sagte sie. Als Frau Kapitän habe man auch heute noch einen »Exotenstatus«. Ebner hatte 1995 ihre Karriere mit der Ausbildung zum Schiffsmechaniker beim Wasser- und Schifffahrtsamt Cuxhaven begonnen und war dort als erste Frau auf dem Tonnenleger »Scharhörn« eingesetzt worden. Beim Erwerb des Kapitänspatents an der Hochschule in Bremen waren nur drei der insgesamt 60 im Studiengang Nautik eingeschriebenen Studenten Frauen. Für Überraschung und gute Laune in vielen Häfen habe die Tatsache gesorgt, dass ihre Beförderung zum Kapitän 2007 auf einem besonderen Schiff, dem als »Pink Lady« bekannt gewordenen pinkfarbenen 1.700-TEU-Containerfrachter »Contship Germany«, erfolgte. Die seit nunmehr drei Jahren als Kapitän auf Containerschiffen von NSB zur See fahrende Seefrau konnte von überlieferten Vorurteilen sowie zahlreichen skurrilen und erheiternden Begegnungen berichten. So erschienen beispielsweise beim Erstanlauf in Karatschi die Agenten mit einer großen Begrüßungstorte an Bord, und der Lotse in Acajutla machte ihr bereits kurz nach der Begrüßung in der Brückennock einen Heiratsantrag. Bei ihrem letzten Anlauf von Singapur habe es eine besondere Situation gegeben, als sich das Brückenteam mit einer Lotsin, einer Kapitänin und einer Dritten Offizierin sogar aus drei Frauen – und einem philippinischen Rudergänger – zusammensetzte. Bei NSB werde auf die Ausbildung allgemein und speziell auch von Frauen noch heute großer Wert gelegt und derzeit 17 Nautikerinnen und drei Technikerinnen beschäftigt, führte Ebner aus. Insgesamt seien aber von den 1.438 aktiven Kapitänen auf Schiffen unter deutscher Flagge gerade erst zehn weiblich, so Ebner, die sich wünscht, »dass Frauen an Bord in naher Zukunft nicht mehr als Exoten gelten«.

Der als »alte Schachtelfahrerin« bisher bei NSB in der Containerfahrt tätigen Seefrau stehen in diesem Jahr spannende Änderungen bevor: In Zusammenarbeit mit RWE wird ihre Reederei künftig zwei Neubauten von Windkraftanlagen-Errichterschiffen (Jack-up-Schiffen) betreuen, wobei sie in dieses Projekt eingebunden wird. »Das wird für mich eine ganz besondere Erfahrung, wenn sie hochgejackt als Inseln auf dem Meeresboden stehen, denn hoch und trocken ist eigentlich ein Zustand, den man mit Containerschiffen normalerweise meidet«, freut sie sich auf die neue Aufgabe.


JM