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Nicht erst seit der SMM 2010 sind Green Shipping und Energy Saving Top-Themen der Branche. Die Klimaanlage ist nach dem Antriebssystem einer der Hauptverbraucher an Bord eines Schiffes. Es ist deshalb erstaunlich, in welchem Umfang Faustregeln und das Festhalten an vermeintlich Bewährtem Investitionsentscheidungen im Bereich von Kälteerzeugung, -verteilung und Klimaanlage bestimmen. Die dynamische Modellierung erlaubt es, das Zusammenspiel aller Komponenten einer Klimaanlage einer fundierten und quantitativen Analyse zu unterziehen.

Unter dem Oberbegriff Simulation wird gemeinhin die CFD (Computational Fluid Dynamics)-Simulation verstanden, die mittlerweile im Schiffbau in vielen Bereichen[ds_preview] und unter unterschiedlichsten Aufgabenstellungen Anwendung findet. So werden mittels turbulenter Strömungsmodelle Schiffskörper und Propeller optimiert oder die Wärmeabführung in einem Laderaum mit Kühlcontainern effektiv gestaltet.

Demgegenüber ist die auf der Programmiersprache Modelica basierende dynamische Simulation großer physikalischer Systeme im Schiffbau noch wenig bekannt. Sie wurde lange Zeit nur in der Autoindustrie eingesetzt und findet erst in jüngster Zeit in Form von kinetischen oder energetischen Modellen Anwendung in der Kraftwerkstechnik oder bei Robotersystemen.

Modelica ist eine sehr leistungsfähige Programmiersprache für multidisziplinäre Systeme. Die Modellierung technischer Aggregate erlaubt es, komplexe und von vielen Faktoren abhängige Prozesse in einem Rechenmodell zu implementieren und dynamisch unter Zugrundelegung realer Bedingungen durchzurechnen. Ist ein Aggregat in ausreichender Genauigkeit dargestellt, können variierende Lastprofile und Randbedingungen, unterschiedliche Konfigurationen sowie wechselnde Regelstrategien und -parameter hinterlegt und durchgespielt werden.

Ein weiterer Vorteil von Modelica liegt nun darin, dass mehrere technischer Systeme als unabhängige Modelle über definierte Schnittstellen miteinander verknüpft werden können. Diese Modelle können unterschiedliche Autoren und einen unterschiedlichen Detaillierungsgrad haben. Auf diese Weise kann die Interaktion zwischen Systemen in einem Umfang abgebildet und analysiert werden, der aufgrund der hohen Komplexität mit Hilfe herkömmlicher Methoden kaum erreichbar ist.

Anwendung Klimaanlage Schiff

Für ein Schiff, das aus einer Vielzahl auf engstem Raum nebeneinander existierender technischer Systeme besteht, die üblicherweise kaum in ihrer Gesamtheit betrachtet werden, bietet sich die dynamische energetische Simulation deshalb besonders an.

Zur Betrachtung von Systemen der Klimatechnik sind im Bereich Forschung und Entwicklung bei Imtech Deutschland in den letzten Jahren Module für alle relevanten Anlagenbestandteile entwickelt worden:

• ein Basismodell, das es gestattet, den Energiehaushalt eines Raumes, eines Gebäudes oder eines ganzen Schiffes beliebigen geometrischen Zuschnitts in Wechselwirkung mit der Umgebung und der Nutzung abzubilden

• eine Bibliothek mit Komponenten wie Kaltwassersätze, Heizwärmeerzeuger, Pumpen, Klimageräte, Umluftgeräte, Fancoil-Units, VAV (variable air volume) – Einheiten, elektrische Nacherhitzer, etc. deren Kennlinien bzw. Kennfeldern für die Abbildung des Voll- und Teillastbetriebes jeweils hinterlegt sind

• ein Kanalnetzmodell, bei dem Druckverlust und Temperaturänderung berücksichtigt werden

• Rohrleitungssysteme für Warm- und Kaltwasser unter Betrachtung von Rohrrauhigkeit und Hydraulik

• Feldgeräte wie Heiz- und Kaltwasserregelventile, Klappenstellantriebe, Temperaturfühler, CO2-Sensoren, etc.

• Regelkreise, die beliebig verknüpft und parametriert werden können

Um eine konkrete Anlage nachzubilden, müssen zunächst die zu versorgenden Räume geometrisch erfasst und mit allen thermisch maßgeblichen Details wie Decken- und Wandaufbau, Fensterbeschaffenheit, Isolierung, Beleuchtung sowie weiterer innerer Lasten dargestellt werden. Bei der Generierung der versorgenden Klimaanlage bedient man sich aus einer Bibliothek, die, wie vorstehend erläutert, alle notwendigen Bauteile und Komponenten bereithält.

So entsteht im Baukastenprinzip nach und nach die komplette Klimaanlage, die, beginnend mit den Kaltwassersätzen oder der Heizwassererzeugung, über die Kalt- oder Heizwasserverteilung, die Klimageräte, das Kanalnetz, die dezentralen Komponenten bis hin zu den Zuluft- und Abluftkästen alle Elemente einer wirklichen Anlage mit ihren maßgeblichen physikalischen Eigenschaften enthält.

Für die Berechnung einer Klimaanlage werden in der Regel – insbesondere während der Auslegungsphase – die extremen Sommer- und Winterkonditionen herangezogen, nach denen die Hauptkomponenten dimensioniert werden. Für eine realitätsnahe Betrachtung des tagtäglichen Betriebs der Anlagen sind diese eher statischen Werte jedoch wenig hilfreich. Denn im überwiegenden Teil des Jahres bewegt sich ein Schiff bei Außenkonditionen, die unterhalb der Auslegungsbedingungen liegen, und mit einer Personenbelegung, die zeitabhängigen Schwankungen unterliegt. Dies führt zu einem Teillastbetrieb der Anlagen, für den aufgrund der komplexen Abhängigkeiten kaum Prognosen möglich sind.

Zur Darstellung realistischer Außenkonditionen bedient man sich deshalb einer globalen meteorologischen Datenbank (Global Radiation Data Base), die weltweit komplette Wetterdaten eines typischen Jahresverlaufs zur Verfügung stellt. Diese Daten umfassen nicht nur Außentemperatur und Außenfeuchte, sondern liefern auch Input zu Sonnenintensität, -stand und -dauer. Damit kann für einen beliebigen Tag, für eine Woche oder ein ganzes Jahr der Betrieb der Klimaanlage dynamisch simuliert und die Betriebskosten ermittelt werden.

Der Rechenvorgang berücksichtigt somit wechselnde Außenkonditionen, schwankende innere Lasten sowie sämtliche Interaktionen, die, der implementierten Regelungsstrategie folgend, beim Zusammenspiel der Komponenten und Anlagenbestandteilen wie in einem realen System auftreten.

So kann beispielsweise ein ganzes Jahr im Lebenszyklus eines Kreuzfahrtschiffes unter Einbeziehung aller relevanten Faktoren (Fahrtgebiete, Belegung, Hafenaufenthalte, etc.) dynamisch simuliert werden. Dabei lassen sich unterschiedlichste Varianten, angefangen von der Fahrweise der Kaltwassersätze (Kaskade oder Sequenz), über kleine Investitionen wie CO2-Sensoren, bis hin zu größeren Maßnahmen wie Regelventilen an den Kühlern oder der Einsatz von Rotationswärmeaustauschern, bewerten und quantifizieren.

Zusammenfassung

Die Vorteile dieses Verfahrens liegen auf der Hand. Es erlaubt einer Reederei oder einem Investor in einer frühen Planungsphase eines Bauvorhabens

• belastbare Daten für die zu erwartenden (jährlichen) Betriebskosten zu ermitteln und so Planungssicherheit zu gewinnen

• unterschiedliche technische Konzepte zu vergleichen

• Optimierungspotentiale zur Reduktion der Betriebskosten können durch die Simulation effektiv und kostengünstig zu ermitteln

• Prognosen für Brennstoffverbrauch und Betriebskosten in verschiedenen Fahrtgebieten zu erhalten

• durch die Überprüfung von Regelkreisen und -parametern eine optimierte Regelungsstrategie zu entwickeln

• Absicherung der Funktionalität

• Alterungs- und Verschmutzungsprozesse von Komponenten nachzubilden und entsprechende Gegenmaßnahmen im Rahmen ein präventives Wartungskonzept zu entwickeln.

Aber nicht nur für Neubauten kann die dynamische Anlagensimulation zum Einsatz kommen. Für in Fahrt befindliche Schiffe könnten die an Bord installierten Konzepte überprüft und mit Varianten verglichen werden und der pay-back einer möglichen Investition ermittelt werden.

Selbstverständlich lassen sich die Ergebnisse der dynamischen Simulierung hervorragend zu Trainingszwecken der Crew verwenden, denn bekanntlich ist das beste energieeffiziente System immer nur so gut wie das Verständnis des Bedienpersonals.


Georg Bieler