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Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), Klaus Heitmann, über die Lage nach der Krise, den Hoffnungsträger Offshore-Logistik und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur angesichts knapper Kassen

HANSA: Nach dem Krisenjahr 2009 profitierten die deutschen Seehäfen im vergangenen Jahr von der überraschenden starken Erholung des Welthandels[ds_preview]. Gehören alle Sorgen damit der Vergangenheit an?

Klaus Heitmann: Die deutsche Hafenwirtschaft hat sich erfreulicherweise früher und kräftiger als erwartet von der Krise erholt. Der Umschlag zieht in unseren Seehäfen wieder deutlich an. Unsere Überzeugung, dass der Globalisierungsprozess nicht umkehrbar ist, hat sich damit als richtig erwiesen. Die deutsche Hafenwirtschaft hat die Krise zwar überwunden, aber die Folgen werden uns noch länger begleiten. Dies gilt insbesondere für die Auslastung unserer Anlagen im Containerbereich. Die Krise hat hier zu Überkapazitäten geführt. Einzelne Ausbaupläne der öffentlichen Hand verschärfen die Lage zusätzlich. Zudem hat die Krise auch Strukturveränderungen zur Folge. So haben sich im Autoumschlag die Importe nicht wieder erholt, die aufgrund zusätzlicher Dienstleistungen im Hafen hohe Wertschöpfung hatten. Nach der Krise ist damit nicht vor der Krise.

HANSA: Wann rechnen Sie damit, dass im Gesamtumschlag wieder das Vorkrisenniveau erreicht wird?

Heitmann: Beim landseitigen Umschlag konnte schon wieder Anschluss an das frühere Wachstum gefunden werden. Im Hinterlandverkehr wurde das Vorkrisenniveau schon wieder erreicht. Wasserseitig ist die Umschlagentwicklung im Transhipment allerdings noch etwas schwächer. Daher ist es wichtig, jetzt in den Ausbau der Hinterlandanbindungen der Seehäfen zu investieren und nicht in die terminalbezogene Hafeninfrastruktur.

2011 erwarten wir ein Wachstum des deutschen Seegüterumschlags um etwa 3 % auf 284 Mio. t. Damit würde das bisherige Rekordergebnis aus dem Jahre 2008 noch um 10 % verfehlt.

HANSA: Häfen wie Bremerhaven, Cuxhaven oder Brunsbüttel versprechen sich viel von der Offshore-Windenergieanlagen-Logistik. Die Erwartungen erscheinen angesichts der relativ geringen und unregelmäßigen Umschlagsfrequenzen ziemlich hoch. Zum anderen: Wäre es nicht besser, die Häfen würden im Offshore-Geschäft enger kooperieren?

Heitmann: Es besteht ein erheblicher Bedarf an logistischen Dienstleistungen bei der Errichtung von Offshore-Windparks. Nach der Zielsetzung der Bundesregierung sollen bis 2020 Offshore-Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 10 Gigawatt vor der deutschen Küste errichtet werden. Das Investitionsvolumen der möglichen Betreiber dieser Offshore-Windparks beläuft sich auf insgesamt 35 Mrd. €, das heißt im Durchschnitt 3,5 Mrd. € pro Windpark. Hinzu kommen die Investitionen für die Netzanbindung dieser Anlagen. Dabei besteht erheblicher Optimierungsbedarf im Bereich der Logistik. Hiervon werden die deutschen Seehäfen profitieren.

Das Engagement im Rahmen der Offshore-Logistik bietet gute Möglichkeiten für standortübergreifendes Denken und Kooperationen. Ein Beispiel ist die »Hafen­kooperation Offshore-Häfen-Nordsee SH«. Dabei handelt es sich um ein Hafenkonzept zur Vernetzung der Häfen im Bereich Basis- und Servicehäfen in Schleswig-Holstein für die geplanten Windparks im »Helgoland Cluster« und »Sylt Cluster«. In der Nordwest-Region ist die Verknüpfung der Standorte zu einem Offshore-Network unter Nutzung intelligenter Shuttle-Systeme vorgesehen.

Das auf uns zukommende Volumen im Rahmen der Offshore-Windenergieanlagen kann von keinem Hafen allein bewältigt werden. Davon können viele Seehäfen profitieren. Wir liegen im Zentrum der Windenergiebranche.

HANSA: Die Anforderungen an die Häfen steigen: Die internationale Konkurrenz schläft nicht, das Wettrüsten hin zu immer größeren Schiffsklassen im Containerverkehr geht weiter, und die Frachtkunden erwarten noch bessere Logistikketten bis tief ins Hinterland. Wie fit ist die deutsche Hafenwirtschaft, um auf diese Herausforderungen zu reagieren?

Heitmann: Die deutsche Hafenwirtschaft ist und bleibt Qualitätsführer im Seehafenzu- und -ablaufverkehr. Auf die neuen Anforderungen ihrer Kunden hat sie mit innovativen Technologien und integrierten Dienstleistungsangeboten reagiert. Sie passt auf der Wasserseite ihre Anlagen der Schiffsgrößenentwicklung bedarfsgerecht an – dabei ist es wichtig, dass sich Fahrrinnenanpassungen nicht weiter verzögern – und baut im Hinterlandverkehr ihre maritime Logistik weiter aus.

Dabei ist es unser Ziel, die deutschen See- und Binnenhäfen zu einem kombinierten Verkehrssystem auszubauen. Gemäß dem Nationalen Hafenkonzept arbeiten wir mit dem Bundesverband Öffentlicher Binnenhäfen an einer konzeptionellen Vernetzung unserer Häfen. Darüber hinaus haben HHLA und Eurogate die gemeinsame Kooperationsgesellschaft Inland Port Network gegründet. Ziel ist es, neutrale KV-Terminals für die maritime Container-Logistik der deutschen Seehäfen sowie für kontinentale KV-Operateure aufzubauen. Dabei soll eine integrierte Strategie für maritime Hinterland-Terminals gemäß dem Nationalen Hafenkonzept entwickelt und umgesetzt werden.

HANSA: Geht der im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur für den Hinterlandverkehr der Seehäfen angesichts knapper Kassen ausreichend voran?

Heitmann: Es reicht jedenfalls nicht aus, die als dringend erkannten Infrastrukturprojekte in einem Nationalen Hafenkonzept festzuhalten. Es müssen auch Taten folgen und zwar in Form von verbindlichen Finanzierungszusagen.

Im Rekordjahr 2008 stieß das Wachstum des deutschen Seegüterumschlags im Zu- und Ablaufverkehr an seine Kapazitätsgrenzen. Im Hinterlandverkehr haben wir das Vorkrisenniveau bereits wieder erreicht. Von der 7. Nationalen Maritimen Konferenz Ende Mai in Wilhelmshaven erwarten wir daher ein politisches Signal, die Hafenanbindungen als einen Investitionsschwerpunkt rasch auszubauen. Sobald Baurecht für einzelne Projekte vorliegt, muss mit den Arbeiten begonnen werden.

HANSA: Das Beispiel Stuttgart 21 hat deutlich gemacht, dass große Infrastrukturprojekte immer schwerer umzusetzen sind. Proteste aus der Bevölkerung kann die Politik nicht mehr einfach ignorieren. Drohen bei der Elbvertiefung oder dem Bau der Y-Trasse ähnliche Szenarien?

Heitmann: Beim Ausbau der seewärtigen Zufahrten und Hinterlandanbindungen der deutschen Seehäfen handelt es sich um Projekte, die für die außenhandelsorientierte deutsche Volkswirtschaft von nationaler Bedeutung sind. Im Hinblick auf Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Steueraufkommen in Norddeutschland sind diese Projekte zudem von außerordentlicher Wichtigkeit. Es steht daher viel auf dem Spiel. Um die Wachstumschancen der deutschen Seehäfen zu nutzen, sind diese Projekte unverzichtbar. Dies muss möglichen Kritikern im Rahmen eines sachlichen Dialogs deutlich gemacht werden.

HANSA: Die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sieht vor, die Seewege und Hafenzufahrten in Vorrangwasserstraßen, Hauptwasserstraßen sowie sonstige Wasserstraßen zu kategorisieren. Der ZDS hat diese Pläne kritisiert. Welche Folgen hätten sie für die deutsche Hafenwirtschaft?

Heitmann: Nach der vorgeschlagenen Kategorisierung würden nur die Außen- und Unterelbe sowie die Außenweser und der Nord-Ostsee-Kanal zu den Vorrangwasserstraßen zählen. Die seewärtigen Zufahrten zu den übrigen deutschen Seehäfen würden unter die Kategorien Hauptwasserstraßen oder sonstige Wasserstraßen fallen und angesichts der knappen Finanzmittel bei notwendigen Maßnahmen kaum berücksichtigt werden. Damit würde auch der Ausbau der Hinterlandanbindungen dieser Seehäfen zur Disposition stehen.

Für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen ist ihre seewärtige Erreichbarkeit von entscheidender Bedeutung. Wir halten es daher dringend für erforderlich, die seewärtigen Zufahrten der deutschen Seehäfen auf Dauer in die Kategorie Vorrangwasserstraßen aufzunehmen.

HANSA: Sie haben sich für Entlastungen bei der Stromsteuer eingesetzt – und wurden von der Politik nicht erhört. Ist die von Ihnen geforderte Harmonisierung der Abgabe auf EU-Ebene damit endgültig vom Tisch?

Heitmann: Keineswegs. Es besteht weiterhin Harmonisierungsbedarf gegenüber ausländischen Wettbewerbshäfen. Die Bundesregierung sollte daher bei nächster Gelegenheit von der Möglichkeit des EU-Rechts Gebrauch machen, energieintensive Betriebe insgesamt von der Stromsteuer zu entlasten.

2012 läuft die Stromsteuerermäßigung für das Produzierende Gewerbe sowie die Land- und Forstwirtschaft in Deutschland aus. Von künftigen Stromsteuerentlastungen, die die Bundesregierung in Brüssel neu notifizieren müsste, sollten daher auch Seehafenbetriebe profitieren.

Auch die geplante Ermäßigung der Steuer auf Landstrom, die auf den EU-Mindeststeuersatz von 0,50 € je Megawattstunde gesenkt werden soll, wird von uns begrüßt. Bisher ist in Deutschland für Landstrom der Regelsteuersatz von 20,50 € je Megawattstunde zu zahlen. In bestimmten Fällen kann die Landstromversorgung eine sinnvolle Lösung sein, um die Abgasbelastung in Seehäfen zu reduzieren. Sie darf aber nicht verpflichtend für alle Häfen und Schiffe vorgeschrieben werden.

HANSA: Eine Studie der EU-Kommission empfiehlt, dass Hamburg, Bremerhaven und Rostock unter insgesamt 57 europäischen Seehäfen in das künftige Kernnetz des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN) aufgenommen werden sollen. Wilhelmshaven und Lübeck beispielsweise wurden nicht berücksichtigt. Wie ist Ihre Position hierzu?

Heitmann: Vom Vorschlag der EU-Kommission zur Revision der TEN-Leitlinien erwarten wir, dass die wichtigen deutschen Seehäfen ins Hafenkernnetz aufgenommen werden. Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer hatte auf der letzten informellen Ratssitzung bereits deutlich gemacht, dass hierzu auch die Häfen Lübeck und Wilhelmshaven zählen.

Bei der Aufnahme der Seehäfen in das Kernnetz müssen quantitative und qualitative Kriterien berücksichtigt und die Umschlagentwicklung nach ihrer Wertschöpfung dynamisch betrachtet werden. Sobald der Vorschlag der Kommission vorliegt, werden wir unser Anliegen gegenüber dem Rat und dem Europäischen Parlament gegebenenfalls nochmals deutlich machen.
nis