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1 Vorbemerkungen

1.1 Problemdarstellung

Schiffe, die im Hafenrevier mit eigener Hauptmaschine an- und ablegen, können bei sandigem oder[ds_preview] kiesigem Untergrund, infolge des erzeugten Strahls des arbeitenden Propellers an der Sohle, erhebliche Erosionen hervorrufen. Zur Vermeidung von bestandsgefährdenden Auskolkungen vor Kaianlagen werden Sohlsicherungen erforderlich. Für die ordnungsgemäße Dimensionierung derartiger Sicherungen ist die Kenntnis der zu erwartenden Strahlbelastung eine wesentliche Voraussetzung. Es muss somit bekannt sein, mit welcher Maschinenleistung bzw. mit welchen Propellerdrehzahlen derartige Hafenmanöver, insbesondere von großen Schiffen, hier in erster Linie große Containerschiffe, ausgeführt werden. Der Sohlbelastung, die dieser Propellerdrehzahl (kritische Propellerdrehzahl) zugeordnet ist, hat die Sohlsicherung auf jeden Fall stand zu halten.

1.2 Bisherige Angaben zur kritischen Propellerdrehzahl

Im Rahmen umfangreicher modelltechnischer Untersuchungen für die Sohlsicherung am Burchardkai des Hafens Hamburg [1] wurden nach Konsultationen mit dem Oberhafenamt Hamburg und der Hamburger Lotsenbruderschaft die kritische Propellerdrehzahl für ein energisches Manöver zwischen den Manöverstufen »langsam voraus« und »halbe voraus« gewählt. Die zugeordnete kritische Drehzahl lag damit bei 75 % der Nenndrehzahl, was einer Manöverleistung von 42 % der Nennleistung entspricht.

Auf der Basis dieser Untersuchungen wurde dann die Empfehlung für die kritische Drehzahl in der EAU (1996) und (2004), vgl. [2], formuliert. Parallel wurde durch den PIANC eine Guideline zur Bemessung von Hafenanlagen [3] publiziert, in der eine Manöverleistung im Hafen von 10 % der Nennleistung und davon abgeleitet eine kritische Propellerdrehzahl von 46 % der Nenndrehzahl empfohlen wurde.

Diese, in Scheffer (2000) [4] aufgezeigten, offensichtlichen Differenzen, die zu einigen Irritationen bei Fachkollegen führten, waren Anlass, das Problem der kritischen Propellerdrehzahl bei Hafenmanövern im Detail zu erörtern und zu einer Diskussion zur Überwindung dieser Differenzen aufzurufen, [6]. Leider führte dieser Aufruf nicht zu einer Lösung des Problems, was zeigt, wie differenziert die kritische Propellerdrehzahl nach wie vor betrachtet wird.

Da die PIANC Guideline [5] momentan einer Überarbeitung unterzogen wird, gewinnt die Frage nach einem einheitlichen Standpunkt zur kritischen Propellerdrehzahl, der sowohl von der EAU als auch vom PIANC getragen werden kann, eine ganz besondere Bedeutung.

Im Bemühen um eine objektive Bewertung von Hafenmanövern großer Containerschiffe wurde erneut der Kontakt zur Lotsenbruderschaft des Hamburger Hafens hergestellt. Im Ergebnis dieser Konsultation wurde eingeschätzt, dass im Normalfall Manöver derartiger Schiffe im Hafen mit einer Manöverstufe zwischen »dead slow ahead (ganz langsam voraus)« und »slow ahead (langsam voraus)« ausgeführt werden. Das entspricht einer Leistung von 10 % bis 20 % der Nennleistung bzw. einer Propellerdrehzahl von 46 % bis 58 % der Nenndrehzahl.

Darüber hinaus wurden sog. Pilot Cards von 23 Containerschiffen aus dem Hamburger Hafen zur Verfügung gestellt, in denen Hauptdaten des jeweiligen Schiffes und wesentliche Manöverdaten dokumentiert sind. Diese neuen Informationen wurden in einer Diplomarbeit analysiert und im Sinne der hier erörterten Fragestellung aufbereitet, [7].

In Abbildung 1 sind die erläuterten Ansätze der EAU und der PIANC den Daten aus den Pilot Cards, beispielhaft für das Manöver »slow ahead«, gegenübergestellt.

In der vorliegenden Arbeit werden die wesentlichen Ergebnisse dieser Analyse wiedergegeben und durch Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen zum Auftreten von Drehzahlen bei definierten Manövern ergänzt. Davon abgeleitet, werden in der vorliegenden Arbeit Vorschläge zur kritischen Propellerdrehzahl unterbreitet und dem interessierten Fachpublikum zur Diskussion gestellt.

2 Aufbereitung der Pilot Cards

2.1 Informationen aus den Pilot Cards

Die zur Verfügung gestellten Pilot Cards liefern schiffsspezifische Informationen zu Hauptabmessungen, der Tragfähigkeit, der Hauptmaschine (installierte Leistung, Drehzahl) sowie zu den Manöverhilfen (Bug- und Heckstrahler). Darüber hinaus wird die Zuordnung der Manöverstufen zu Propellerdrehzahlen angegeben. Als Beispiel zeigt die nachstehende Zusammenstellung die Angaben, die gemäß Pilot Card vermittelt werden.

2.2 Häufigkeitsverteilung der Propellerdrehzahlen

Die Angaben aus den Pilot Cards zeigen, dass die Drehzahlen, zugeordnet zu einer bestimmten Manöverstufe, nicht einheitlich sind, sondern von Schiff zu Schiff relativ stark variieren. Da es für eine generalisierende Aussage von Bedeutung ist, mit welcher Häufigkeit eine Drehzahl bei einem definierten Manöver erwartet werden kann, wurden die auf den 23 Pilot Cards angegebenen Drehzahlen einer Häufigkeitsanalyse unterzogen.

Die Verteilung der Daten in Form eines Histogramms ist in Abb. 2, beispielhaft für das Manöver »half ahead«, dargestellt.

Anhand eines Soll-Ist Vergleiches werden Datenreihen auf ihre Verteilung hin untersucht. Es wird eine bestimmte Verteilung (z. B. Normalverteilung) zugrunde gelegt und die Ist-Werte auf der Abszisse, den zu erwartenden Soll-Werten auf der Ordinate gegenübergestellt. Stammen die Messdaten aus der angenommenen Verteilung, liegen die Wertepaare ungefähr auf einer Geraden.

Die vorliegenden Daten der Pilot Cards wurden in Hinblick auf die Normalverteilung untersucht. Abbildung 3 zeigt den Soll-Ist Vergleich. Die Punkte befinden sich im Bereich der dargestellten Geraden, woraus sich schließen lässt, dass die vorliegenden Daten normalverteilt sind.

Mit dem Nachweis der Normalverteilung gelingt dann eine Häufigkeitsanalyse mittels sog. Wahrscheinlichkeitspapiers relativ einfach. Als Beispiel zeigt Abbildung 4 die Drehzahlverteilung für die Manöverstufe »half ahead«. Die Ordinate (nach Gauß’schem Integral geteilt) stellt dabei die prozentuale Häufigkeit (Unterschreitung) des Auftretens einer definierten Drehzahl, (zi / 23) · 100 %, dar, während auf der Abszisse das Verhältnis von Drehzahl, zugeordnet zu einer bestimmten Häufigkeit, zur mittleren Drehzahl der untersuchten Manöverstufe wiedergegeben ist, (ni,% / nm,%).

Für eine Drehzahl, die z. B. mit einer Erwartungshäufigkeit von 97,72 % erreicht oder unterschritten wird (2. Vertrauensgrenze), gilt (ni,% / nm) = 1,25. Dieser Wert entspricht einer Drehzahl von ni = 65,3 % der Nenndrehzahl (vgl. Abb. 4), wobei der Mittelwert, nm = 52,2 in % der Nenndrehzahl, aus den Angaben der 23 Pilot Cards ermittelt wurde.

Die Auswertung für die einzelnen Manöverstufen auf der Basis derartiger Wahrscheinlichkeitsanalysen liefert für definierte Vertrauensgrenzen folgende Aussagen (s. Tab. 1). In Tabelle 1 bedeuten:

ni,% = Drehzahl, ausgedrückt als prozentualer Teil der Nenndrehzahl, die je nach vorausgesetzter Vertrauensgrenze, erreicht bzw. unterschritten wird

nm,% = Mittelwert der prozentualen Drehzahlen, (n1,% + …n23,%) / 23

ni,% / nm,% = Drehzahl gemäß gewählter Vertrauensgrenze bezogen auf den Mittelwert, prozentual zur Nenndrehzahl

Die Einzelwerte (Drehzahlbereiche) aus den Pilot Cards und die nach Tabelle 1 zusammengestellten Vertrauensgrenzen sind in Abbildung 5 für die verschiedenen Manöverstufen grafisch dargestellt.

Die durchgeführte Analyse der Propellerdrehzahlen lt. Pilot Cards und deren Interpretation machen deutlich:

• Die Drehzahlen für eine definierte Manöverstufe variieren für die untersuchten Schiffe in einen relativ weiten Bereich, z. B. für »slow ahead« von rd. 30 % bis 50 % der Nenndrehzahl. Das entspricht einer eingesetzten Maschinenleistung von 3 % bis 12,5 % der Nennleistung. Dazu wird die Beziehung n = f(P1/3) vorausgesetzt.

• Bei der Entscheidung für eine kritische Drehzahl ist zu beachten, dass diese als Grundlage für die Bemessung einer Sohlsicherung herangezogen wird.

• Die Sohlsicherung hat dabei als Schutzelement auch für Schiffe mit hohen Drehzahlbereichen und für ungünstige Anlegebedingungen stand zu halten.

3 Vorschläge für die Wahl der kritischen Propellerdrehzahl

Neben den bereits zitierten Erfahrungen der Hafenlotsen zu den üblicherweise angewendeten Maschinenmanövern sind auch folgende Gesichtspunkte, die sowohl bautechnische Aspekte der Sohlsicherung beinhalten als auch unterschiedliche Manöverbedingungen berücksichtigen, bei der Festlegung der kritischen Propellerdrehzahl einzubeziehen. Dazu gehören:

• Stabilität der Sohlsicherung: Die Bemessung der Sohlsicherung sollte für die Drehzahl vorgenommen werden, so dass deren Stabilität auch in ungünstigen aber möglichen Fällen gewährleistet ist.

• Instandsetzungsaufwand der Sohlsicherung: Lose Steinschüttungen haben nur begrenzte Stabilitätseigenschaften, können aber mit mäßigem Aufwand nachgebessert werden. Systeme mit Flächenwirkung (Matten, Vergusssysteme) zeigen demgegenüber hohe Stabilitätseigenschaften. Bei Überlastung sind diese jedoch oft nur mit erheblichem Aufwand instand zu setzen. Für diese Systeme sollten die empfohlenen Drehzahlen im Bereich der maximal möglichen Größen liegen.

• Manöverbedingungen: Es ist zu unterscheiden zwischen günstigen (freier Manöverraum, direkte Zufahrt zum Liegeplatz) und ungünstigen Anlegebedingungen (beengter Manöverraum, komplizierte Zufahrt zum Liegeplatz). Ebenso sind lokale Wind- und Strömungsbedingungen Faktoren, die bei der Wahl der kritischen Drehzahl zu berücksichtigen sind.

Für die Festlegung der Maschinenmanöver beim selbständigen An- und Ablegen stehen folgende Angaben zur Verfügung:

1. Nach Konsultation mit der Hamburger Lotsenbruderschaft wurden für die Modelluntersuchungen [1] am Burchardkai im Hafen Hamburg die Manöverstufen gewählt

Manöver I, (moderates Manöver): »dead slow« bis »slow ahead«

Manöver II, (energisches Manöver): »slow ahead« bis »half ahead«

2. Aktuelle Konsultation mit dem Vorsitzenden der Lotsenbruderschaft des Hafen Hamburgs, s. Angaben in [7]:

Manöver: »dead slow« bis »slow ahead«

Unter Berücksichtigung vorstehender Aspekte und Erfahrungen ergeben sich die in Tabelle 2 zusammengestellten Empfehlungen für die Wahl der kritischen Propellerdrehzahl, und zwar in der Form (nProp. / nNenn) · 100 %.

Dementsprechend werden die Empfehlungen je nach den Bedingungen, unter denen ein Manöver auszuführen ist, und unter Beachtung des Instandsetzungsaufwandes bei Überlastung der Sicherung in differenzierter Form vorgenommen.

Die Autoren sind der Auffassung, dass mit diesen differenzierten Angaben zur kritischen Drehzahl besser als bisher mit einem pauschalen Wert den jeweils vorhandenen Bedingungen Rechnung getragen werden kann (s. Tab. 2).

(1) Prozentuale Drehzahl lt. Tab. 1 (gerundet), für 2. Vertrauensstufe: xm + 2 ·

(2) Für Sicherungssysteme mit hohem Instandsetzungsaufwand, die 3. Vertrauensstufe, xm + 3 · , wird eingeführt.

Die in Tabelle 2 zusammengestellten prozentualen Drehzahlen, wurden unter der Prämisse festgelegt, dass für die jeweiligen Manöverstufen eine hohe Anzahl der möglichen Schiffe den empfohlenen Drehzahlwert erreichen oder unterschreiten bzw. nur eine sehr geringe Anzahl der Schiffe höhere Drehzahlen aufweisen (2. Vertrauensstufe). Damit wird sicher gestellt, dass die so dimensionierte Sohlsicherung auch bei ungünstigen aber möglichen Bedingungen stabil bleibt. Dem Aspekt des erhöhten Instandsetzungsaufwandes wurde mit einer erhöhten Vertrauensstufe entsprochen.

Für den Planer, der die Sohlsicherung zu dimensionieren hat, ergibt sich so allerdings die Aufgabe, den Anlegestandort gemäß obiger Aspekte zu bewerten, wozu vorherige Konsultationen mit der zuständigen Hafen- bzw. Lotsenbehörde sehr zu empfehlen sind.

Der Vergleich mit bisherigen Pauschalwerten zeigt, dass die Angabe in der EAU [2] eher den Bedingungen »energisches Manöver, ungünstige Anlegebedingungen« mit instandsetzungsintensiver Sicherung entspricht, während die Angaben des PIANC [3] und [5] den Zustand »moderates Manöver« mit einer Sicherung, die mit geringerem Aufwand bei Schäden Instand gesetzt werden kann, beschreibt.

4 Zusammenfassung

Unterschiedliche Empfehlungen zu Propellerdrehzahlen, mit denen große Containerschiffe eigenständig in Häfen An- bzw. Ablegemanöver ausführen, in den Empfehlungen für Ufereinfassungen (EAU [2]) und den entsprechenden Guidelines des PIANC, [3] und [5] sorgten bei Hafenbauern für Irritationen.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Empfehlungen für die sog. kritische Propellerdrehzahl vorzuschlagen, die allgemeine Akzeptanz erfahren kann. Dazu wurden aktuelle Unterlagen, sog. Pilot Cards, nach Gesichtspunkten der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Drehzahlen beim An- bzw. Ablegen unter einer bestimmten Manöverstufe aufbereitet, vgl. [7].

Kombiniert mit dieser Auswertung wurden aktuell Erfahrungen von Hafenlotsen aus Hamburg zu einer Empfehlung zusammengestellt (vgl. Tab. 2 und Abb. 6).

Die Einbeziehung von örtlichen Besonderheiten des Anlegeplatzes sowie des Instandsetzungsaufwandes einer Sohlsicherung bei Überlastung führt dazu, dass die Empfehlung, je nach Bedingung, zu differenzierten Angaben für die kritische Propellerdrehzahl bei Hafenmanövern führt.

Die Autoren erhoffen sich von diesen differenzierten Empfehlungen, dass sich zukünftig sowohl die EAU als auch der PIANC den hier geäußerten Gedanken anschließen können. Um das zu erreichen, wird hiermit die vorliegende Arbeit bei interessierten Fachkollegen zur Diskussion gestellt.

Verfasser:

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Römisch, i. R.

Beethovenstraße 24, 01705 Freital

Dr.-Ing. Eckard Schmidt,

Knabe Enders Dührkop Ingenieure GmbH Gasstr.18, Haus 4, 22761 Hamburg

Dipl.-Ing. Lena Bruderreck

Knabe Enders Dührkop Ingenieure GmbH

Email: l.bruderreck@ked-ingenieure.de


Klaus Römisch, Eckard Schmidt, Lena Bruderreck